Claudia Aurednik

Heimweh nach La Paz

  • 20.03.2014, 17:06

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

progress: Wie sind Sie mit Ihrer Familie nach Bolivien gekommen?

Miriam Rothbacher: Wir sind sehr spät im Jahr 1939 ausgewandert und hatten das Problem, dass die meisten Zufluchtsländer ihre Grenzen für die jüdischen Flüchtlinge bereits geschlossen hatten. Sogar eine Flucht in die großen lateinamerikanischen Länder Argentinien und Brasilien war nicht mehr möglich. In Bolivien hatte mein Vater eine entfernte Cousine, deren Mann als Ingenieur in den Bergminen gearbeitet hat. Mit ihr hat mein Vater Kontakt aufgenommen und sie um Hilfe gebeten. Mein Vater war Lehrer und Studienrat und meine Cousine hat für meinen Vater ein Visum über den Rektor der Methodistischen Schule in La Paz besorgt.

Gab es einen politischen Hintergrund für die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen in Bolivien?

Bolivien hatte damals den Krieg gegen Paraguay hinter sich und der damalige General Germán Busch Becerra hatte die Juden ins Land geholt, um das Land aufzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann rechte Diktatoren an die Macht, die geflohenen Nazis Zuflucht gewährten.

Viele jüdische Flüchtlinge hatten große Probleme, im Zufluchtsland ihrem Beruf nachzugehen. Wie war das in Ihrer Familie?

Mein Vater hatte das Glück, schon in Deutschland Studienrat gewesen zu sein und Sprachen unterrichtet zu haben. Er konnte auch Spanisch und hat eine Anstellung als Lehrer an der amerikanischen Schule von La Paz bekommen. Meine Mutter hatte in Deutschland Schwedische Massage gelernt und als Masseurin gearbeitet. Sie hat sehr gut verdient, da die alten eingesessenen Deutschen von La Paz verrückt nach ihrer Massage waren und eine Fachkraft in diesem Bereich rar war.

Haben Sie in Bolivien Antisemitismus von den ansässigen Deutschen erfahren?

In Bolivien lebten viele Deutsche, die vor oder unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ins Land gekommen sind. Es gibt heute noch eine deutsche Wurstfabrik in La Paz und in den tropischen Gegenden besaßen die Deutschen große Ländereien und Farmen. Die meisten von ihnen hatten nichts gegen Juden und haben den Nationalsozialismus in Deutschland auch nicht erlebt. Es hat jedoch eine deutsche Schule in La Paz gegeben, in der ein Hitlerbild hing und die Jüdinnen und Juden nicht besuchen durften. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte diese Schule nicht mehr viele Lehrer, da diese meist aus Deutschland kamen und dort in den Krieg gezogen waren. Da überlegte die Schulverwaltung der deutschen Schule, meinen Vater – den Herrn Krakauer – als Lehrer an die Schule zu holen. Der Elternverein sprach sich jedoch dagegen aus, da mein Vater ein „J“ (Anm.: für Jude) im Pass hatte.

Hatten Sie als Kind Kontakt mit den Kindern der deutschstämmigen Bevölkerung? Ich bin zwölf Jahre in die amerikanische Schule gegangen und hatte mit den deutschen Kindern keinen Kontakt. Mit meinen SchulkollegInnen aus der Maturaklasse der amerikanischen Schule treffe ich mich aber immer noch.

Sind Sie einem der geflohenen Nazis einmal begegnet?

Nicht wissentlich. Aber ich kann folgende Anekdote erzählen: Als Kind habe ich mit meiner Mutter in den Winterferien das Hotel Hamburgo in der Ortschaft Chulumani in den Tropen besucht. In das Hotel sind viele EmigrantInnen auf Urlaub gefahren, weil die Besitzerin eine alte Hamburgerin war und europäisches Essen gekocht hat. Nach 1945 haben in dem Ort auch der „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie und andere Nazigrößen gelebt. Bei einer meiner späteren Bolivienreisen wollte ich meinem Mann das Hotel zeigen. Ich habe es jedoch nicht auf Anhieb gefunden und als wir bei einem Haus vorbeikamen, hat mich ein Mann gefragt, was ich suche. Er hat mir dann gesagt, dass von dem Hotel nur noch das Schwimmbad existieren würde. Und er habe erzählt, dass das der alten Nazifrau gehört hat, die damals den geflohenen Naziverbrechern Teller und Bestecke mit Hakenkreuz-Emblem serviert habe. Ich hab mir damals gedacht: Um Gottes willen! Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie das wüsste!

Haben Sie damals Vorurteile seitens der bolivianischen Bevölkerung gegenüber Ihnen als Europäerin gespürt?

Ich habe keinen Antisemitismus durch die bolivianische Bevölkerung erfahren, außer manchmal von der katholischen Kirche, wenn der Pfarrer von der Kanzel gepredigt hat, dass die Juden Jesus Christus getötet hätten. Der Sozialmediziner Ludwig Popper war auch in Bolivien im Exil und hat das Buch „Bolivien für Gringos“ geschrieben. Auch er berichtet, dass er dort niemals Antisemitismus gespürt habe.

Was verbindet Sie bis heute mit Bolivien?

Ich wollte mein Leben lang wieder zurück nach Bolivien. Aber es hat sich dann ergeben, dass ich in Österreich geblieben bin. Dennoch ist Bolivien mein Land und meine Heimat. Ich war sehr lange wegen meiner drei Kinder und auch aus finanziellen Gründen nicht in Bolivien. Erst 1981 – als meine Kinder alt genug waren, um dieses Land zu verstehen – sind wir zusammen mit zwei meiner Freundinnen nach Bolivien gefahren. Damals war ich sehr aufgeregt. Viele meiner Freunde hier warnten mich davor, dass mich nach so langer Zeit niemand mehr in Bolivien kennen würde. Aber als ich nach La Paz gekommen bin, war es so, wie wenn ich niemals weggewesen wäre. Meine bolivianischen Freunde haben mich gleich erkannt und mich zu ihnen und ihrer Familie zum Essen eingeladen. Und obwohl damals die Situation wegen der Militärdiktatur eher trist war, hatte ich das Gefühl hier zu Hause zu sein. Als ich dann wieder nach Österreich zurückgekehrt bin, hatte ich wirklich großes Heimweh. Da ist es mir so gegangen wie 1955, als ich als junges Mädchen von Bolivien nach Heidelberg zum Studieren ging. Wenn ich hier keine Familie hätte, würde ich trotz Armut und sozialer Ungleichheit in Bolivien leben wollen.

Welche Erfahrungen haben Sie in Deutschland während Ihres Studiums gemacht?

Ich bin 1955 nach Deutschland gefahren, um in Heidelberg Medizin zu studieren. Ich wäre natürlich viel lieber in die USA zum Studium gegangen als nach Deutschland. Aber mein Vater hatte eine Pension bekommen, von der ich in Deutschland studieren konnte. Ich hatte damals sehr großes Heimweh nach Bolivien und habe meine Eltern sehr vermisst. Hinzu kam, dass die Deutschen sich als die einzigen Opfer des Zweiten Weltkriegs betrachtet haben. Die ganze Zeit über habe ich mir als Studentin anhören müssen, wie schlimm die Bombenangriffe waren und wie arm die Deutschen nicht gewesen wären. In Deutschland habe ich als Studentin zur Untermiete gewohnt und die Vermieterin hat mir gleich erzählt, dass ihr Bruder einem Juden in Karlsruhe ein Haus abgekauft habe und dass dieser es wieder zurückhaben wolle. An der Uni in Heidelberg haben auch die Burschenschaften eine zentrale Rolle gespielt. Ich selbst bin auf der Uni immer mit „Herr Miriam“ angesprochen worden, weil der Name überhaupt nicht bekannt war. Er war von den Nazis ausradiert worden. Und natürlich hat damals jeder Deutsche behauptet, von den Verbrechen an den Juden nichts gewusst zu haben. Ich hatte damals kaum Kontakt mit deutschen Studierenden. Meine Studienzeit in Deutschland war keine schöne Zeit. Auch später habe ich keine guten Erfahrungen mit Deutschland gemacht. In Schöneiche bei Berlin hatten meine Großeltern und mein Großonkel zwei Grundstücke. Das eine Grundstück von meinem Großonkel wurde mir als Alleinerbin geschenkt. Ich hätte aber für dieses Grundstück sehr viel Schenkungssteuer zahlen müssen und musste es veräußern. Und das, obwohl man meiner Familie das Grundstück weggenommen hatte.

Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Ich habe 1961 eine Freundin nach Wien begleitet, die sich im St. Anna Kinderspital vorgestellt hat. Der damalige Primar hat mich gesehen und mich gefragt, ob ich mich auch vorstellen möchte. Da habe ich mir gedacht, dass ich doch auch ein Jahr in Wien bleiben könnte. Während dieser Zeit habe ich aber meinen Mann kennengelernt und bin in Wien geblieben. Hier war vieles lustiger als in Deutschland, die ÖsterreicherInnen haben eine leichtere Art zu leben als die Deutschen. Ich finde, dass Österreich Bolivien ähnlicher ist als Deutschland. Ich war und bin gerne in Wien.

Wie ist Ihr Projekt Pro Niño Boliviano entstanden?

Als ich in Pension war, hat meine jüngere Tochter mich daran erinnert, dass ich geplant hatte, für längere Zeit nach Bolivien zu gehen. Sie wollte selbst nach Bolivien reisen, um zu sehen, wo ich aufgewachsen bin. 1996 sind wir dann gemeinsam mit ihrem damals eineinhalb-jährigen Sohn für längere Zeit nach Bolivien gereist. Damals ist mir die soziale Ungleichheit aufgefallen, doch ich hatte nicht die Absicht ein Projekt zu leiten. Daher habe ich nur ein bisschen in der Caritas vor Ort geholfen und mir Schulen angeschaut. Dabei habe ich dann beschlossen, zurück in Österreich Schulmaterial für die bolivianischen SchülerInnen zu sammeln. Doch die Sammelaktion hat eine Eigendynamik bekommen und mit der Zeit haben sich einzelne Projekte entwickelt.

Welche Projekte haben Sie seither verwirklicht?

Zunächst habe ich eine staatliche Schule in einer sehr abgelegenen Gegend von El Alto unterstützt. El Alto ist eine Satellitenstadt in der Nähe von La Paz, von der man sagt, dass sie die ärmste Stadt Lateinamerikas sei. In dieser Schule gab es nur zwei nackte Räume ohne Schulmöbel für 240 Kinder. Da haben wir damit begonnen Schulklassen zu bauen und Tische und Sessel für die Kinder zu organisieren. Wir haben uns bei diesem Projekt immer nach den Wünschen der Kinder und LehrerInnen gerichtet. Mittlerweile ist aus dieser Schule eine Maturaschule geworden, in der viele Klassen maturieren konnten. Nach diesem Projekt ist jemand gekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht auch eine andere Schule unterstützen wolle. Das haben wir dann getan, indem wir die Kinder mit Schulmaterial versorgt haben. Außerdem haben wir dort eine mobile Bücherei ins Leben gerufen. Danach habe ich bei einer meiner Reisen den Frauen gesagt, dass sie Handarbeiten anfertigen könnten und ich diese in Österreich verkaufen könnte. Heute machen wir fünfbis sechsmal im Jahr Verkaufsstände mit den Handarbeiten der Frauen. Mittlerweile können 20 Frauen von unserem Projekt leben. Und wir haben auch ein Tuberkuloseprojekt. Die Abwicklung der Projekte ist leider nicht einfach, da Bolivien für die österreichische Entwicklungspolitik kein Schwerpunktland ist.

 

Der Verein Pro Niño Boliviano sucht laufend ehrenamtliche MitarbeiterInnen: http://www.proninoboliviano.org/ Kontakt: office@proninoboliviano.net

Das Interview führte Claudia Aurednik.

 

Karl Pfeifer: Lebenslanges Engagement gegen Antisemitismus

  • 30.01.2014, 13:56

Der Journalist Karl Pfeifer (*1928) ist ein Mahner gegen den Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Claudia Aurednik hat für progress online in einer Audiosendung mit Karl Pfeifer über sein Leben gesprochen. Die Musik hat Mark Klatt komponiert.

Der Journalist Karl Pfeifer (*1928) ist ein Mahner gegen den Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Claudia Aurednik hat für progress online in einer Audiosendung  mit Karl Pfeifer über sein Leben gesprochen. Die Musik hat Mark Klatt komponiert.

Nach seiner Rückkehr aus Israel im Jahre 1951 hat er in Österreich selbst jahrzehntelang unter Antisemitismus und Ausgrenzung gelitten. Im Gegensatz zu den meisten ZeitzeugInnen spricht Karl Pfeifer offen über seine Erfahrungen und die Problematik des österreichischen Juden- und Israelhasses, der in nahezu allen politischen Parteien zum Vorschein kam. Karl Pfeifer erhielt 2003 für sein Engagement und seine Zivilcourage die Ernst-Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich. Seine Erfahrungen sind erschütternd und verdeutlichen die Kontinuität der Problematik innerhalb von Politik und Gesellschaft. 

Ausschnitte aus der Sendung:

„Und man hat nie gegen mich vom Staat her diskriminiert. Das hat man nicht. Allerdings als ich wegen meines Staatsbürgerschaftsnachweis ins Magistrat der Stadt Wien 1951 kam, kam ich mit der Heimatrolle meiner Eltern und mit meiner Geburtsurkunde, die man in der jüdischen Gemeinde schnell ausgestellt hat. Dort hat man bei meinen Vornamen Karl Eduard Pfeifer bei Eduard das "d" vergessen. Der Beamte hat gesagt: ‚ein `d´ das geht nicht. Also so geht das nicht, das kann ich nicht bearbeiten. Sie müssen zurück und ein anständiges Geburtszeugnis holen‘. Ich habe gesagt: ‚Wissen Sie was,  ich mag das nicht mehr machen. Ich brauch jetzt einen Pass, weil ich eine Arbeit habe.‘ Darauf hin hat der Beamte gesagt: ‚Na ja, hamm‘s  eh recht a Jud braucht net zwei Vornamen‘. Das war so. Auch ein schöner Empfang. Uns hat man doch aufrichtig und gut empfangen in diesem Land.“

„Wo ich natürlich meine Schwierigkeiten hatte: Ich wurde in einem Kibbuz erzogen, wo man mir beigebracht hatte immer geradeaus seine Meinung zu sagen. Aber in Österreich lernten die Menschen schon in ihrer Kindheit, dass es besser ist nicht die direkt seine Meinung zu sagen.“

„…Ich bin ein Mensch, der nie seine Menschlichkeit aufgegeben hat, der für seine Ideen mit seinen bescheidenen Kräften gekämpft hat. Aber ich habe etwas getan. Die meisten, die zurückkamen, konnten dies nicht tun. Stellen Sie sich vor, ich war Geschäftsführer während der 1960er Jahre und da kamen Kunden – ich hatte ja mit Österreichern zu tun – und erzählten mir Gaskammerwitze. Wie hätte ich mich verhalten sollen? Hätte ich ihnen eine in die Goschn haun sollen und meine Existenz verlieren? Oder das was ich gemacht habe: Es hat sich mir auf den Magen geschlagen und ich habe Magengeschwüre bekommen.“

„Ich glaube, dass dieser Antizionismus - diese ungerechtfertigte Israelkritik, die mit sehr wenig berechtigter Israelkritik zusammengeht -, aus dem Bedürfnis des Kompensierens entsteht. Ich habe nie daran gezweifelt.“

„Ich habe nie pauschalisiert und von ‚den Österreichern‘ gesprochen und habe immer Unterschiede zwischen den Menschen gemacht. Und ich habe dann festgestellt, dass es sehr vielen Österreichern auf gut Wienerisch ‚Powidl‘ ist, ob jemand ein Jude ist oder nicht. Denn sie kennen nicht viele Juden. Während der Waldheim-Zeit hat mir Professor Gottschlich zwei Studierende geschickt, denen ich mein Archiv ‚Antisemitismus in den österreichischen Medien‘ gezeigt habe. Es kam ein Bursch hinein und ich habe ihn die Hand gedrückt, mich vorgestellt und ihm einen Kaffee angeboten. Dann kam ein Mädchen aus Oberösterreich und die drückte meine Hand und ließ sie nicht los. Sie sagte mir - meine Hand noch immer drückend - ‚Herr Pfeifer, Sie sind der erste Jude, den ich kennenlerne.‘ Daraufhin sagte ich: ‚Na ja, wir sind ja Menschen wie alle anderen.‘ ‚Nein‘, sagte sie und sie hielt noch immer meine Hand fest. Da war ich erschrocken und ich fragte sie ‘Warum nicht ?‘ Sie sagte mir folgendes: ‚Ich bewundere Ihr Volk so sehr wegen der Intelligenz.‘ Da sagte ich: ‚Hören Sie, ich arbeite seit zehn Jahren in einer jüdischen Institution und bekommen jeden Tag Beweise gegen Ihre These‘. Also das ist natürlich genauso ein Vorurteil wie jenes, dass Juden geizig, gierig oder so und so wären.“

 

progress online Rezension zu Karl Pfeifers Autobiographie „Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg“

Veranstaltungstipp:

Buchpräsentation:

Karl Pfeifer: Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg.

Wien: Edition Steinbauer 2013

Dienstag, 11.02.2014, 19.00 Uhr
Hauptbücherei am Gürtel, Urban Loritz-Platz 2a, 1070 Wien
Lesung und Diskussion mit Karl Pfeifer
Moderation: Heimo Gruber (Büchereien Wien)
 

Film:

Dokumentarfilm: Zwischen allen Stühlen – Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer

Regie und Produktion: Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger und Thomas Schmidinger.

Schnitt: D. Binder
http://film.antisemitismusforschung.net/

Politaktivismus meets Isratrash

  • 12.12.2013, 11:20

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

Am 14. Dezember öffnen Ursula Raberger (32) und Stefan Schaden (37) zum vierten Mal die Pforten zum Wiener Kibbutz Klub. Doch das mittlerweile „angesagteste Event der Stadt“ ist weit mehr als eine Party. progress online hat mit den beiden GründerInnen über den Kibbutz Klub, die Wahrnehmung der jüdischen Kultur und den Antisemitismus gesprochen.

progress online: Warum organisiert ihr in Wien eine Party mit israelischer Popmusik?

Ursula Raberger: Ich liebe Mizrahi Musik und israelischen Pop. Und ich liebe auch den Trashfaktor, der dieser Musik anhaftet. Hinzu kommt, dass Stefan und ich in der israelsolidarischen Szene aktiv sind und auch die AktivistInnen-Plattform QueerHebrews gemeinsam betreiben.

Stefan Schaden: Ich habe insgesamt zwei Jahre in Israel gelebt. Die israelische Musik ist während dieser Zeit ein Teil meines Alltags gewesen und ich habe sie in Österreich natürlich weitergehört. Politisch bin ich - wie Ursula bereits gesagt hat - in israelsolidarischen Gruppen aktiv. Bei meiner politischen Tätigkeit habe ich das Problem erkannt, dass israelische KünstlerInnen und Kulturschaffende in Österreich und Europa boykottiert werden, und dass Diskussionen über die Legitimität eines Boykotts israelischer Produkte geführt werden. Mit dem Kibbutz Klub schaffen wir einen Raum für israelische Kunst und Musik und zeigen gleichzeitig, dass ein Boykott nicht legitim ist.

Ursula: Ich bin Mitarbeiterin beim internationalen LGBT-Filmfestival TLVFest in Tel Aviv und habe dort Kulturboykott miterlebt. Nach dem Vorfall auf der Gaza-Flottille im Jahr 2010 haben FilmemacherInnen aus Brasilien ihre Filme zurückgezogen. Das hat mich schockiert, da dieses Filmfestival einen offenen Platz für Diskussionen bietet. Bei Israel wird aber ein anderer Maßstab angewendet. Auch in Österreich haben Stefan und ich erlebt, dass Filme aus Israel auf österreichischen Filmfestivals kaum gezeigt werden. Das ist wirklich schade. Denn es gibt wirklich viele tolle FilmemacherInnen, SängerInnen und MusikerInnen aus Israel, die hier nicht bekannt sind. Diesen Mangel wollen wir mit unserer Party ausgleichen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Wann habt ihr beschlossen den ersten Kibbutz Klub zu veranstalten?

Ursula: Stefan und ich haben sehr lange überlegt, ob wir so eine Party in Österreich überhaupt machen können. Denn leider gibt es noch immer einen sehr gravierenden und vorherrschenden Antisemitismus in diesem Land. Die Entscheidung für die Party ist im Sommer 2012 gefallen. Das war zu jener Zeit, als die FPÖ ihren unsäglichen und explizit antisemitischen Cartoon verbreitet hat und Fußballfans einen Rabbi am Wiener Schwedenplatz antisemitisch beschimpft haben. Antiisraelische Ressentiments waren damals und sind auch heute hierzulande sowieso immer anzutreffen. Daher haben Stefan und ich uns gesagt: Jetzt erst recht.

Stefan: Der heutige Antisemitismus reagiert sich stark am Staat Israel ab. Deswegen organisieren wir den Kibbutz Klub, um ein Stachel zu sein und den Raum zu besetzen.

 

Mit eurer Party erweitert ihr die Wahrnehmung jüdischer Kultur abseits der weit verbreiteten Klezmermusik.

Stefan: Die Klezmermusik bedient ein Klischee und kommt eigentlich aus einer zerstörten Kultur. Mittlerweile ist es so, dass man in Österreich nicht mehr so ein großes Problem mit den während des Nationalsozialismus getöteten Jüdinnen und Juden hat. Es wird ja auch „schon“ der Shoah gedacht und bei diversen Gedenkveranstaltungen werden traurige Mienen aufgesetzt. Aber das alles verkommt zum Ritual und es gibt kein Spillover zum heutigen Antisemitismus und der Tatsache, dass sich dieser sehr stark an Israel abreagiert und es Vernichtungsdrohungen gegen Israel gibt.

Ursula: Mich hat die Einweihung der Wachsfigur von Anne Frank in Madame Tussauds in Wien sehr gestört. Das ist etwas, das mir übel aufstößt und für mich eine Verkitschung des Todes von sechs Millionen jüdischen Menschen darstellt. Das möchte ich mit meiner jüdischen Identität nicht mittragen. Dagegen wehre ich mich. Da kann man noch so eine betroffene Miene machen und meinen, dass das total tragisch wäre. Denn in Wahrheit geht es um das Abfeiern der toten Jüdinnen und Juden. Wenn es aber um den Staat Israel geht, dann werden antisemitische Aussagen getätigt.

 

Das Leben in Israel und der Antisemitismus werden abseits von Kriegsberichterstattung und Dokumentarfilmen über die Shoah kaum thematisiert. Was meint ihr dazu?

Stefan: Es gibt ein aktuelles und ganz „tolles Beispiel“ über die Wahrnehmung des Antisemitismus in Österreich. Im ORF lief die Sendung Menschen und Mächte über die 1980er Jahre in Österreich. Darin wurde natürlich auch über die Waldheim-Affäre 1986 berichtet. Und auch die internationale Kritik an Waldheim wurde darin angesprochen. Der Sprecher der Doku sagte: „Die Angriffe des jüdischen Weltkongresses förderten antisemitische Ressentiments.“ So nach dem Motto: die Juden sind am Antisemitismus Schuld. Das ist typisch für Österreich.

Ursula: Stefan und ich versuchen bei den Queer Hebrews auf derartige Missstände hinzuweisen. Und es ist uns sehr wichtig zu betonen, dass aus unserer aktivistischen Arbeit heraus der Kibbutz Klub entstanden ist. Denn der Kibbutz Klub ist quasi die einzige Party, um die israelische Kunst und Kultur - die hier weitgehend ignoriert wird – zu fördern und bekannt zu machen.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

Welche Leute besuchen den Kibbutz Klub?
Ursula:
Ich war beim ersten Mal überrascht, dass das Publikum so gemischt ist. Denn den Kibbutz Klub besuchen Gay-Hipster, junge jüdische Leute, StudentInnen von der Bildenden und Angewandten ebenso wie Anzugträger.  Dieser wilde Mix feiert dann eine Party, die auch Queer ist. Zur Party kommen aber auch jene, die mit der LGBT-Szene sonst nichts zu tun haben und feiern mit. Und es freut mich, dass wir mit unserem DJ Aviv (without the Tel) – der als Israeli in Berlin lebt – bei unserem Publikum Stimmung machen.

 

Hattet ihr auch unangenehme Erlebnisse mit manchen Gästen?

Stefan: Wir verwenden unter anderem den Hebrew Hammer – das sind aufblasbare Luftmatratzen in Hammerform mit Israelfahne - als Dekorationsobjekt. Einmal ist eine junge Frau zu mir gekommen und hat mich folgendes gefragt: „Was ist denn das für ein Hammer? Hat der etwas mit der Unterdrückung der Palästinenser zu tun?“ Ich habe wirklich keine Ahnung, was die Fantasie von dieser Person war.

Ursula: Wann immer eine Israelfahne zu sehen ist – oder auch eine noch so kleine Israel-Anstecknadel – wird man blöd angemacht. Aber über andere Fahnen – wie beispielsweise jamaikanische Fahnen auf Reggae-Partys – regt sich niemand auf.

 

Foto: Gregor Hofbauer

 

KIBBUTZ KLUB – THE CHOSEN PARTY

Samstag: 14.12.2013, 22:00 Uhr
CLUB U, Künstlerhauspassage, Karlsplatz, 1010 Wien, www.club-u.at

DJ Aviv without the Tel (Berlin Meschugge)
DJ J'aime Julien (Malefiz)
VJ Alkis

Eintritt: 5 Euro
Cocktails Happy Hour 22:00-23:00 Uhr
SPECIAL: israelisches Bier GOLDSTAR – solange der Vorrat reicht!

 

Kontakt: kibbutzklub@gmail.com

facebook.com/KibbutzKlub

facebook.com/qhebrews

 

Menschenrechte statt Charity

  • 08.12.2013, 15:01

Die österreichische Refugee-Protestbewegung begann am 24. November 2013 mit einem Protestmarsch vom Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien. Nach monatelanger Besetzung der Votivkirche lebten die Flüchtlinge von März bis Ende Oktober im Wiener Servitenkloster. progress online hat die Refugee-AktivistInnen und deren UnterstützerInnen dort besucht.

Die österreichische Refugee-Protestbewegung begann am 24. November 2012 mit einem Protestmarsch vom Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien. Nach monatelanger Besetzung der Votivkirche lebten die Flüchtlinge von März bis Ende Oktober im Wiener Servitenkloster. progress online hat die Refugee-AktivistInnen und deren UnterstützerInnen dort besucht.

Nach der rund elfwöchigen Besetzung der Wiener Votivkirche übersiedelten 63 Flüchtlinge in das naheliegende Servitenkloster. Die meisten von ihnen stammen aus Pakistan. Das Kloster stand zu diesem Zeitpunkt leer und diente den Refugees bis Ende Oktober als Wohnort. Die Betreuung erfolgte durch MitarbeiterInnen der Caritas und war nicht konfliktfrei abgelaufen. Ende Juli hatte die Polizei das Kloster gestürmt. Dabei wurden acht Pakistanis wegen angeblichem „Schlepperverdacht“ festgenommen. Sie wurden schließlich nach Pakistan abgeschoben. Die Stimmung der Refugees war während dieser Zeit bedrückt und von der Angst geprägt auch abgeschoben zu werden.

Der Keller des Servitenklosters diente den Refugees und den AktivistInnen als Aufenthalts- und Begegnungsraum. In ihm diskutierten sie über das Asylrecht und über die Lebensbedingungen in den Flüchtlingswohnheimen. Auf Plena wurden Demonstrationen und Aktionen geplant. Dort haben die Refugees gemeinsam mit ihren aktiven UnterstützerInnen ihr gemeinsames Abendessen eingenommen. Aus Angst vor Polizeidurchsungen und Abschiebungen schliefen sie lieber gemeinsam. So diente der Keller trotz der feuchten Wände und des modrigen Geruchs für viele Flüchtlinge auch als Schlafraum.

In einem weiteren Trakt des Klosters befanden sich die Zimmer der Flüchtlinge, in denen sie ihr Hab und Gut untergebracht hatten. Meist lebten in diesen Zimmern jeweils zwei Refugees miteinander. Sie selbst hatten das Kloster nach eigenen Angaben nie als typisches Flüchtlingslager gesehen, in dem es keine andere Möglichkeiten als zu essen und schlafen gäbe. Vielmehr war das Servitenkloster ein Ort des Protests und der Selbstorganisation. Österreichweit war dies die erste Protestbewegung, bei der sich Flüchtlinge selbst politisch zu Wort gemeldet und den Protest eigenständig organisiert haben – eine Besonderheit in einem Land, das in Europa das Schlusslicht an selbstorganisiertem zivilgesellschaftlichen Protest darstellt. Während der Proteste sind auch viele Freundschaften zwischen den Flüchtlingen und den AktivistInnen entstanden.

Isabelle Massoud* (21) engagierte sich bereits im November 2012 bei der Refugee-Protestbewegung. Die Politikwissenschaftsstudentin hatte zuvor ein Praktikum beim UNHCR gemacht und arbeitet bei der Diakonie im Flüchtlingsheim Traiskirchen in der Rechtsberatung. Dass Flüchtlinge aus Pakistan kein Asyl bekommen, kann Massoud nicht nachvollziehen: „Für Flüchtlinge aus Pakistan gibt es in Österreich eine Anerkennungsrate von nur einem Prozent, während es für jene aus Afghanistan 46 Prozent sind. Auch wenn die Gruppe hier keine homogene ist, so gibt es unter ihnen schiitische Paschtunen, die definitiv verfolgt werden und deren Sicherheitslage sehr schlecht ist.“

Die Abschiebung von pakistanischen Flüchtlingen führt sie auf das mangelhafte außenpolitische Wissen der österreichischen BeamtInnen und PolitikerInnen zurück: „Die meisten Asylanträge werden wegen der Lücken in der Staatendokumentation negativ beschieden. Außerdem wird die Sicherheitslage innerhalb des Heimatlandes des Flüchtlings zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht nochmals geprüft.“ Sie ergänzt: „Momentan sind nicht einmal die Wahlergebnisse der bereits vor Monaten abgehaltenen Wahlen in Pakistan in die Staatendokumentation eingearbeitet. Das ist wirklich erschreckend, denn in anderen EU-Ländern sind die Dokumentationen auf dem aktuellen Stand.“

*Der Name wurde auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert und ist der Redaktion bekannt.

Mir Jahangir Awan (25) kommt aus Kaschmir und ist einer der Refugees, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat fliehen mussten. Awan studierte Business Management und engagierte sich in einer StudentInnenorganisation gegen pakistanische Verwaltung der Region Kaschmir. Als ihn die pakistanische Intelligent Security Agency verfolgte, beschloss er, aus der Region zu fliehen. Da Mir Jahangir Awan im Jahr 2005 in seiner Heimatstadt Muzaffarabad mit österreichischen UN-Truppen gut zusammengearbeitet hatte, beschloss er nach Österreich zu fliehen. Nach seiner Ankunft in Österreich im Herbst 2011 meldete er sich freiwillig als Flüchtling in Traiskirchen. Die Situation in Traiskirchen war sehr schlecht. Es gab eine große Anzahl an Flüchtlingen, die in einem Zimmer mit zwanzig Betten untergebracht waren und die Situation war sehr schwierig, da Flüchtlinge aus den unterschiedlichen Ländern und Kulturen in diesem Raum schlafen mussten. Das Essen war auch sehr schlecht und wenn man das Frühstück verpasste, so erhielt man keines mehr“, erzählt Mir Jahangir Awan von seinen Erfahrungen und ergänzt: „Das Flüchtlingslager Traiskirchen zu verlassen wurde mir verboten. Ich habe mich wie in einem Gefängnis gefühlt.“

Nach einem Monat in Traiskirchen wurde Mir Jahangir Awan in ein Flüchtlingslager im Bezirk Vöcklabruck (Oberösterreich) überstellt: „Während dieser Zeit habe ich mich an der FH Steyr an der Fakultät für Management beworben. Ich hatte die Anforderungen erfüllt. Doch leider wurde ich nicht zugelassen, da ich keinen Reisepass besitze.“ Er berichtet, dass er im Flüchtlingslager nichts – abgesehen von essen und schlafen – machen konnte. „Als ich von dem Protest in Wien gehört hatte, habe ich mich im Dezember 2012 dem Protest angeschlossen. Wir gehörten zu den 60 Leuten, die damals in der Votivkirche waren und wir haben viel Öffentlichkeit und Sympathien von der österreichischen und europäischen Zivilgesellschaft bekommen“, erzählt Mir Jahangir Awan. Er erläutert auch seine politische Sicht: „Der österreichische Staat reagiert nun verärgert, weil wir auf die wahre Situation der Asylpolitik aufmerksam gemacht haben. Die PolitikerInnen möchten ein Zeichen zu setzen, um andere Flüchtlinge abzuschrecken.“

Mir Jahangir Awan hat große Angst nach Pakistan abgeschoben zu werden: „Wenn ich nach Pakistan zurückkehren muss, dann werde ich von der pakistanischen Federal Agency am Flughafen verhaftet und in ein Gefängnis für sechs Monate ohne Verfahren und Anhörung gesteckt – und niemand wird jemals davon erfahren.“

„Österreich ist ein reiches Land und wir können es uns nicht leisten, Menschen in Kriegsregionen zurückzuschicken. Das ist eine Schande“, hält der Politikwissenschafts- und Philosophiestudent Louis Reumann (19) entschieden fest. Seit Dezember 2012 ist er innerhalb der Refugee-Protestbewegung aktiv und erzählt, wie er damals in der Votivkirche viele offene Leute kennengelernt und sich mit „Händen und Füßen“ verständigt hat. Reumann gehört zu den 50 bis 70 AktivistInnen, die ganz eng mit den Refugees zusammenarbeiten. Er kümmert sich um die Pressearbeit sowie um Krankenhausbesuche und gibt den Refugees psychischen Halt. Die Situation der Flüchtlinge betrachtet Reumann kritisch: „Man kann zwar hier leben, aber die Bedingungen sind nicht human. Ich persönlich würde seitens der Kirche die Menschen hier nicht in diesem feuchten Keller schlafen lassen.“

Besonders berührt hat ihn die Teilnahme am Protest-Songcontest, bei der die Refugees den zweiten Platz erhielten. Reumann erzählt aber auch von seinen negativen Erlebnissen: „Im Jänner 2013 haben Neonazis versucht in die Votivkirche einzudringen und sind am Eingangstor hochgeklettert. Wir haben damals die Leute weggebracht und sind in ein Lokal geflohen.“ Auch mit den österreichischen PolitikerInnen hat er schlechte Erfahrungen gemacht: „ Einmal waren wir beim SPÖ-Kanzlerfest und dort habe ich mit Josef Cap über die Situation der Refugees geredet. Cap hat mir damals erzählt, dass die Wahlen in Pakistan demokratisch wären und dass wir die Sicherheitslage unterschätzen würden. Die Flüchtlinge könnten seinem Erachten nach durchaus nach Pakistan zurückgeschickt werden, weil es ein sicheres Land sei. Das war sehr zynisch und ich glaube, dass es da auch um rechte WählerInnenstimmen geht.“

Auch Nisar Ali (22) – links im Bild - ist ein politischer Flüchtling und hat in Pakistan Informatik studiert. Sein Heimatort im pakistanischen Swat Valley ist nur drei Kilometer von jenem der Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai entfernt. Malala ist mittlerweile für ihr Frauenrechtsengagement weltweit bekannt. „Im Swat Valley leiden wir besonders stark unter dem Terror der verschiedenen Terrorgruppen. Al-Quaida ist nur eine von über 30 Organisationen“, erklärt Nisar Ali und ergänzt: „Viele Menschen leiden unter Selbstmordanschlägen und Entführungen. Auch ich hatte Probleme mit Terrorgruppen und der Regierung und habe deshalb Pakistan verlassen.“ Er erzählt davon, dass in den letzten Jahren über 60.000 Menschen durch Bombenanschlägen oder Selbstmordanschlägen getötet wurden. Nisar Ali erzählt von seinen Hoffnungen und seinen Träumen sich in Europa ein Leben aufzubauen. Heute resigniert er: „In Pakistan musste ich jeden Tag damit rechnen getötet zu werden. Mittlerweile denke ich aber, dass es besser gewesen wäre in Pakistan zu bleiben. Denn hier lebe ich wie in einem Gefängnis.“ Auch er kann sein Studium in Österreich aus rechtlichen Gründen nicht fortsetzen. Außerdem, erzählt er, dass ihm selbst der Besuch eines Deutschkurses nicht möglich sei, da er keinen Aufenthaltstitel hat.

Die Abschiebung der acht Pakistanis hat auch ihn sehr erschüttert. Nisar Ali kann das Vorgehen der österreichischen Behörden und PolitikerInnen nicht verstehen: „Die ganze Welt weiß, dass Pakistan ein unsicherer Staat ist. Wir haben keine Menschenrechte und können dort nicht leben. Abschiebungen in unsichere Länder sind komplett gegen die Menschenrechte.“ Er weist auch auf die Nichteinhaltung der polizeilichen Richtlinien bei der Abschiebung seiner Freunde hin: „Normalerweise werden den Menschen vor ihrer Abschiebung Briefe geschrieben und in Untersuchungshaft gesteckt. Doch das ist nicht geschehen. Sie haben unseren Freunden nicht die Chance zur Verteidigung gegeben.“ Auch Nisar Ali hat große Angst davor nach Pakistan abgeschoben zu werden. Denn mittlerweile hat er den dritten negativen Asylbescheid bekommen.

Ende Oktober haben die letzten Refugees das Wiener Servitenkloster verlassen und die Akademie der Bildenden Künste für einige Tage besetzt. Momentan wissen sie nicht, wie es mit ihnen weitergehen wird. Doch eines ist für sie gewiss: Sie wollen weiter zusammen bleiben und für ihre Forderungen als Vienna Refugee Movement kämpfen.

 

Das Refugee Protest Camp Vienna wurde für den respekt.net Weihnachts-Award nominiert!

Bis 15. Dezember 2013 könnt ihr täglich eure Stimme für die Refugee Protest Bewegung abgeben: www.respekt.net

Link zu den Awards: http://www.respekt.net/projekte-unterstuetzen/awards/awards-bei-respektn...

Es geht um ein Preisgeld von 5.000 EUR für die Refugees!

 

Sami hat uns auf folgende Fakten aufmerksam gemacht, die wir hiermit gerne veröffentlichen:
"Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen: "Die Betreuung erfolgte durch MitarbeiterInnen der Caritas und war nicht konfliktfrei abgelaufen. Ende Juli hatte die Polizei das Kloster gestürmt. Dabei wurden acht Pakistanis wegen angeblichem „Schlepperverdacht“ festgenommen. Sie wurden schließlich nach Pakistan abgeschoben."

Im Juli ist zuerst das sogenannte "gelindere Mittel" (Schubhaftersatzmaßnahmen bei der sich Betroffene täglich bei der Fremdenpolizei melden müssen um sich kontrollieren zu lassen) über (soweit ichs noch im Kopf hab) 21 Refugees gegeben. Dann wurden auf einen Schlag bei einer solchen täglichen Kontrolle (zu der die Refugees ja gehen mussten) 8 dieser festgenommen. Die übrigen über die diese Maßnahme verhängt wurde, wurden vermutlich nur deshalb nicht festgenommen, weil sie der Kontrolle fernblieben.

Die 8 Festgenommen wurden abgeschoben, 7 nach Pakistan, einer nach Ungarn (sogenannte Dublin II Abschiebung).

Während diesbezüglich gerade die Wellen des Protests hochgingen, wurden dann weitere Menschen festgenommen, davon 3 aus dem Refugeebewegungskontext. Ihnen wird seitdem "Schlepperei" vorgeworfen, sie sitzen seitdem in Österrreich in U-Haft, derzeit in Wiener Neustadt (die aus dem Tierschutzprozess berüchtigte Staatsanwaltschaft Wr Neustadt kümmert sich um den Fall http://wien.orf.at/news/stories/2619435/)."

 

 

Einmal Palästina und wieder zurück

  • 10.11.2013, 12:03

Karl Pfeifer (*1928) hat mit seiner Autobiographie „Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg“ einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Zionismus und des jungen Staates Israel geleistet. In seinem Buch thematisiert er auch das unrühmliche Verhalten der Alliierten gegenüber den jüdischen Flüchtlingen sowie den Antisemitismus in Österreich, Ungarn und von arabischer Seite.

Karl Pfeifer (*1928) hat mit seiner Autobiographie „Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg“ einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Zionismus und des jungen Staates Israel geleistet. In seinem Buch thematisiert er auch das unrühmliche Verhalten der Alliierten gegenüber den jüdischen Flüchtlingen sowie den Antisemitismus in Österreich, Ungarn und von arabischer Seite.

Der Journalist Karl Pfeifer beschäftigt sich bis heute mit der Problematik des Antisemitismus und Rechtsradikalismus abseits jeglicher Parteienpolitik. 2003 erhielt Karl Pfeifer für sein Engagement und seine Zivilcourage die Ernst-Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich. Fünf Jahre später feierte der Film „Zwischen allen Stühlen – Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer“ Premiere. In dieser von den  WissenschaftlerInnen Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Thomas Schmidinger und Maria Pohn-Weidinger produzierten No-Budget Doku, konnten die ZuseherInnen erstmals einen Einblick in die spannende und berührende Lebensgeschichte Karl Pfeifers gewinnen. In diesem Frühjahr hat Karl Pfeifer seine Autobiographie bis zum Jahre 1951 in der Edition Steinbauer veröffentlicht.

Die Geschichte seiner Jugend war von Antisemitismus, nationalsozialistischer Verfolgung und der Flucht aus Europa – aber auch mit dem Idealismus der sozialistisch-zionistischen Bewegung verbunden. Bis zum Ende des Buches gelingt es Karl Pfeifer seine LeserInnen zu fesseln und die Geschichte sowie die Atmosphäre der damaligen Zeit lebendig werden zu lassen. Außerdem besticht das Buch durch dessen klare Sprache und ist somit auch für jüngere LeserInnen, die sich erstmals mit der Thematik beschäftigen, sehr gut geeignet. Historische Tatsachen – wie beispielsweise das unrühmliche Verhalten der Briten gegenüber der jüdischen Bevölkerung im damaligen Mandatsgebiet Palästina sowie das Verhalten der arabischen Politiker im Zuge des UN-Teilungsplans – werden von Pfeifer mit Quellen belegt. Diese fügt er mit enormer Sorgfalt und großem Feingefühl ein, so dass kein stilistischer Bruch mit seiner Lebensgeschichte entsteht.

BADEN BEI WIEN. Pfeifers Autobiographie hat zwölf Kapitel. Das erste handelt von seiner wohlbehüteten Kindheit in seiner bürgerlichen ungarisch stämmigen jüdischen Familie in Baden sowie den Antisemitismus vor dem sogenannten Anschluss Österreichs ans nationalsozialistische Deutschland. Bereits vor dem Jahr 1938 lebten die Pfeifers in Baden isoliert und hatten nur jüdische FreundInnen. Karl Pfeifer hält fest, dass auch er in Baden nur jüdische SpielkameradInnen hatte, denn die nichtjüdischen NachbarInnen hatten ihren Kindern verboten mit ihm zu spielen. Und auch in der Schule erlebte Karl Pfeifer den Antisemitismus seiner Mitschüler, die ihn als „Gottesmörder“ nach dem katholischen Unterricht beschimpften. Diese Schilderungen verdeutlichen den katholischen Antijudaismus und Antisemitismus, die in Österreich bereits vor dem Jahr 1938 existierten.

Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 dachten Karl Pfeifers Eltern, dass es im „gemütlichen Österreich“ so etwas nicht geben könnte. Eine tragische Fehleinschätzung der Situation, die Pfeifers Eltern mit vielen österreichischen Juden und Jüdinnen teilten. Denn das Jahr 1938 stellte auch für die Familie Pfeifer eine Zäsur in deren Leben dar. Karl Pfeifer beschreibt die Übergriffe und Erniedrigungen gegenüber den Juden in Baden und seine furchtbare Angst vor der nationalsozialistischen Massenhysterie, die er sich als Neunjähriger nicht erklären konnte. Besonders berührend ist der abgedruckte Schriftverkehr zwischen Karl Pfeifers fünfzehn Jahre älterem Bruder Erwin, der bereits 1935 nach Israel gelangte, und seinem Vater. Einen Monat nach dem Anschluss Österreichs schreibt dieser an seinen Sohn, dass die Familie ungemein große Angst habe und dass der Allmächtige alles zum Besseren wenden würde.

Karl Pfeifer. Foto: Johannes Zinner
UNGARN. Im Juli 1938 gelang es Pfeifers Eltern ungarische Pässe zu erhalten und nach Ungarn auszuwandern. Sein Leben in Ungarn beschreibt er in den beiden Kapiteln „Erste Erfahrungen in Ungarn“ und „Schwierige Jugendjahre in Budapest“. Denn auch in Budapest wurde er mit Antisemitismus und Ablehnung konfrontiert. Als er in Budapest beim Tragen seiner Schuluniform von Ungarn antisemitisch beschimpft wurde, beschloss er fortan auch kein Ungar sein zu wollen. Karl Pfeifer erläutert in seinem Buch auch die drei von 1938 bis 1941 in Ungarn erlassenen „Judengesetze“, die Juden in Ungarn diskriminierten und letztendlich sogar den sexuellen Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden als sogenannte „Rassenschande“ ahndeten. Ebenso thematisiert er die Deportationen ungarischer Juden unter Miklós Horty, die oftmals in historischen und aktuellen Darstellungen zur Problematik der ungarischen Rechten ausgeklammert werden. In Budapest fand Karl Pfeifer über einen Klassenkollegen aber auch seine politische Heimat in der zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung Schomer Hazair.

Als seine Mutter 1940 an Leberkrebs gestorben war und sein Vater sich beruflich oft außerhalb Budapest aufhielt, wurde die zionistische Jugendgruppe zu seiner Ersatzfamilie. Mit drei Mitgliedern seiner Schomergruppe und zwei jüdischen Mädchen aus der Slowakei verließ er – mit einem auf einen anderen Namen ausgestellten Reisepass – am 5. Jänner 1943 Budapest mit dem Ziel ins damalige Palästina auszuwandern. Seinen Vater hat er damals  zum letzten Mal in seinem Leben gesehen. Die abenteuerliche Reise durch Rumänien, Bulgarien und die Türkei sowie die darauffolgende Einreise über Beirut nach Haifa beschreibt er im Kapitel „Januar 1943 – Abschied von Europa“. Pfeifer erklärt, dass sie sich damals der großen Gefahr aufgrund ihrer Jugend nicht bewusst waren. In Bulgarien wurde die Gruppe von österreichischen Gestapo-Männern durchsucht, die ihnen euphemistisch erklärten, dass sie auch in Polen Landwirtschaft lernen könnten und sie die Gruppe gerne kostenlos nach Polen befördern könnten. Eine lebensbedrohliche Situation, die die Gruppe dank des Vorzeigens einer Visitenkarte des bulgarischen Ministers und der genehmigten Ausreise seitens der bulgarischen Offiziere überlebte.

PALÄSTINA. Den Schwerpunkt der Autobiographie bilden die sieben Kapitel über Karl Pfeifers Jugendjahre im damaligen britischen Mandat Palästina sowie im jungen Staat Israel. Der Leser erfährt von den damaligen Lebensbedingungen in Erez Israel und den  gesellschaftlichen Strukturen der jüdischen und arabischen BewohnerInnen des britischen Mandatsgebiets. Karl Pfeifer erläutert auch anhand einer Tabelle das starke Wachstum der arabischen Bevölkerung, die von der verbesserten medizinischen Versorgung profitierte. Eine Thematik, die in den meisten Büchern über den israelisch-palästinensischen Konflikt ausgespart wird. Ebenso thematisiert er anhand von historischen Quellen die menschenverachtende Einwanderungspolitik und das unrühmliche Verhalten der Briten gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Palästina - dem  Jischuv. Die Schilderungen des Lebens der jungen Schomer, mit denen Karl Pfeifer gemeinsam in zwei Kibbuzim lebte,  verdeutlichen den sozialistischen und basisdemokratischen Charakter des Landwirtschaftskollektivs. Doch der junge Karl Pfeifer merkte bald, dass die Lebensrealität im Kibbuz - neben dem kollektiven basisdemokratischen Leben – von harter landwirtschaftlicher Arbeit geprägt war. Die Ideologie des sozialistischen Zionismus war für ihn und seine Freunde zu diesem Zeitpunkt überaus wichtig, um das Leben ohne ihre Familien zu bewältigen. Die LeserInnen machen in Karl Pfeifers Biographie auch Bekanntschaft mit seinen Freunden.

In der Jugendgruppe Noar Gimel lernte er seinen Freund Dan kennen, der aus dem kroatischen Vernichtungslager Jasenovac geflohen war, in dem er sich an die Achse eines Zuges, der zurück nach Zagreb ging, klammerte. Bis heute betrachtet Karl Pfeifer die Mitglieder der Jugendgruppe als seine Geschwister. Die Heterogenität der damaligen zionistischen Bewegung wird auch in der Familiengeschichte Karl Pfeifers sichtbar. Denn im Gegensatz zu dem sozialistisch-zionistischen Weltbild Karl Pfeifers, schloss sich sein Bruder Erwin den revisionistischen Zionisten an. Seinen älteren Bruder konnte Karl Pfeifer nur sehr selten sehen. Als die deutsche Wehrmacht 1944 in Ungarn einmarschierte, packte ihn und die ungarischen Mitglieder der Jugendgruppe ein irrationales Schuldgefühl, da sie das Land verlassen hatten. Ein Gefühl, das viele Überlebende der Shoah bis heute haben und das sich in der Frage „Warum habe ausgerechnet ich überlebt?“ manifestiert. Besonders berührend sind jene Gefühle, die Karl Pfeifer am 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, hatte. Denn von seiner großen Familie waren nur noch wenige am Leben geblieben. Pfeifer widerspricht auch dem heute verbreiteten Gerücht, dass der damalige Jischuv gegenüber dem Leid der Shoah-Überlebenden gleichgültig gewesen wäre. Ebenso thematisiert er die Problematik der 200.000 jüdischen Displaced Persons in Europa, die von den Briten nicht ins Land gelassen wurden.

HAGANA UND PALMACH. Ab 1944 kämpfte Karl Pfeifer in der Hagana sowie später während des Israelischen Unabhängigkeitskrieges im Palmach. Karl Pfeifer widerlegt auch Geschichtsmythen wie die „Vertreibung der Palästinenser“, die von ihm anhand von Quellen als Flucht dargestellt wird und erläutert anhand von Quellen die Weigerung der arabischen Länder Israel als Staat nach dem UN-Teilungsplan anzuerkennen. Die Erzählungen über seine Erlebnisse als jüdischer Siedlungspolizist verdeutlichen die Bedrohung des jungen israelischen Staates durch die unnachgiebige Kriegspolitik der arabischen Länder. Während des Bürgerkriegs muss er den Tod vieler junger israelischer Soldaten miterleben. Er berichtet auch von den ehemaligen bosnischen SS-Leuten und anderen Freischärlern, die auf der Seite der arabischen Länder und Palästinenser gegen sie kämpften. In seinem letzten Kapitel  „Nach dem Krieg und Rückkehr nach Europa“ erzählt Karl Pfeifer von seiner Armut und seinen Problemen nach dem Unabhängigkeitskrieg in Israel, die ihn zu einer Rückkehr nach Europa bewogen hatten.

FAZIT. Karl Pfeifers Autobiographie ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich für die Geschichte des Antisemitismus und das jüdische Leben im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina  interessieren. Durch die authentische Schilderung und klare Sprache des Autors kann das Buch auch von engagierten LehrerInnern und JugendbetreuerInnen im Unterricht eingesetzt werden.

 

Karl Pfeifer: Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg.

Wien: Edition Steinbauer 2013.
176 Seiten, 17 Abbildungen, Euro 22,50
ISBN 978-3-902494-62-7

Dokumentarfilm: Zwischen allen Stühlen – Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer

Regie und Produktion: Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger und Thomas Schmidinger. Schnitt: D. Binder
A, H, IL 2008 (87 min., Deutsch mit englischen Untertiteln)
87 min, Screening Format: DVD und BETA SP

Euro 15,-- + 2 Euro Versand/innerhalb Österreichs. Bestellungen unter: http://film.antisemitismusforschung.net/dvd

Der Film kann gegen 300 € im Rahmen von Veranstaltungen öffentlich gezeigt werden.

 

progress-online Schwerpunkt: Im Gedenken an das Novemberpogrom 1938

"Was passiert, wenn wir vergessen uns zu erinnern?"

Gedenken und Gegenwart

progress-online Schwerpunkt zum Holocaustgedenktag:

Karl Pfeifer: Lebenslanges Engagement gegen Antisemitismus
 

 

 

Ein Schleier, der sich über die Existenz legt

  • 18.10.2013, 21:23

Der Verein Hemayat bietet seit 1994 traumatisierten Folter- und Kriegsüberlebenden medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung. Die Psychologin und Psychotherapeutin Barbara Preitler hat den Verein mitbegründet. Claudia Aurednik sprach mit ihr über die Traumata von Flüchtlingen.

Der Verein Hemayat bietet seit 1994 traumatisierten Folter- und Kriegsüberlebenden medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung.  Die Psychologin und Psychotherapeutin Barbara Preitler hat den Verein mitbegründet. Claudia Aurednik sprach mit ihr über die Traumata von Flüchtlingen.

progress: Das Wort Hemayat bedeutet im Arabischen Betreuung und Schutz. Hat es vor der Gründung des Vereins keine Betreuungsmöglichkeiten für traumatisierte Kriegsflüchtlinge gegeben?

Barbara Preitler: Erst Anfang der 1990er Jahre kam man in Mitteleuropa zu der Erkenntnis, dass Menschen mit traumatischen Erlebnissen – wie etwa Krieg, Flucht und Folter – psychotherapeutisch betreut werden müssen. Im Laufe des Balkankriegs wurden einzelne Initiativen gegründet, die sich um  Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien gekümmert haben. Wir aber waren der erste Verein, der Folter- und Kriegsüberlebende psychotherapeutisch betreut hat. Unser erstes Jahresbudget, in der Höhe von 10.000 US-Dollar, haben wir damals von der UNO bekommen. Eine NGO, die Deutschkurse angeboten hat, hatte uns erlaubt nach Kursende ihre Räumlichkeiten zu nutzen. Im Laufe der Zeit haben wir uns als Verein etabliert. Dennoch mussten wir ständig mit Mängeln kämpfen. Diese reichten von zu wenig Geld und Personal bis hin zu fehlenden Räumen und unzureichenden  Sprachkenntnissen. Nur zu wenige KlientInnen hatten wir nie. Aktuell warten 300 Personen auf einen Therapieplatz bei Hemayat.

Aus welchen Ländern kommen Ihre KlientInnen? 

Unsere KlientInnen kommen aus circa 40 verschiedenen Ländern. Die meisten stammen aus dem Iran sowie aus arabischen und afrikanischen Ländern. Derzeit betreuen wir sehr viele Menschen aus Tschetschenien und Afghanistan und langsam kommen auch immer mehr syrische Flüchtlinge zu uns.

Unter welchen psychischen Problemen leiden Ihre KlientInnen? 

Viele leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese tritt meist nach einem außergewöhnlich schlimmen Erlebnis auf – mit unterschiedlichen Symptomen: Die Menschen leiden etwa an schmerzhaften Erinnerungen, die sich unterschiedlich zeigen. Manchmal erinnern sich die Betroffenen ständig an das Erlebte und beschreiben die Situation als eine Art Schleier, der sich über ihre gesamte Existenz legt und immer präsent ist. Bei Anderen ist es aber so, dass erst durch ein bestimmtes Ereignis die traumatischen Erlebnisse wieder hochkommen. Dies kann sich in Alpträumen und in den schlimmsten Fällen in Flashbacks äußern. Dem gegenüber stehen die Symptome der Vermeidung. Es wird alles getan, um die schmerzhafte Erinnerung abzublocken.

Treten in weiterer Folge auch Depressionen auf? 

Traumatisierte Menschen neigen generell dazu, besonders empfänglich für physische und psychische Erkrankungen zu sein. Im Zuge meiner wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftige ich mich viel mit Trauer, die jedoch nicht als psychische Krankheit diagnostiziert werden kann. Trauer ist eine normale Reaktion auf Verlust. Die Flüchtlinge, mit denen ich arbeite, haben massive Verluste erlitten. Meist haben sie das Haus, die Freunde, ihre Peer-Groups, ihren Arbeitsplatz und ihre Haustiere verloren. Flüchtlinge, denen ausschließlich diese Dinge widerfahren sind, habe ich aber bislang nicht getroffen. Die meisten Flüchtlinge haben alle ihre Angehörigen verloren, ohne dass sie die Möglichkeit einer Verabschiedung hatten. Diese „komplizierte Trauer“ ist natürlich mit einer langanhaltenden Traurigkeit verbunden.

Was wird beim Umgang mit Flüchtlingen zu wenig beachtet? 

Meiner Ansicht nach findet die Tatsache, dass die Fluchtrouten selbst für die Flüchtlinge hochtraumatisch geworden sind, zu wenig Beachtung. Die meisten von ihnen sind oft monate- oder jahrelang unterwegs und den Schleppern ausgeliefert. Die Bandbreite der Arten von Schleppern reicht dabei vom brutalsten Menschenhändler bis zum größten Menschenfreund. Für die Flüchtlinge ist es aber eine reine Glückssache, an wen sie bei ihrer Flucht geraten. Denn sie sind rechtlos, man kann mit ihnen tun, was man will. Viele von ihnen sind dadurch noch zusätzlich traumatisiert worden. Es wäre also gut, wenn sie in „Welcome-Centers" und nicht in Polizeianhaltezentren aufgenommen werden würden.

Viele Frauen erleben im Krieg oder während der Folter sexuelle Gewalt. Sind sie dadurch stärker von Traumatisierungen betroffen?

Wir täuschen uns wirklich sehr, wenn wir davon ausgehen, dass ausschließlich Frauen vergewaltigt werden. Denn auch viele Männer wurden sexuell missbraucht und vergewaltigt. Diese Traumata werden jedoch tabuisiert. Frauen haben hingegen ein gemeinsames Wissen darüber, was ihnen in Kriegs- und Diktatursituationen passiert ist. Sie leiden besonders stark unter der Angst, dass die sexuelle Gewalt weitergehen könnte und dass ihre Männer davon erfahren könnten. Dennoch möchte ich da keine Opferhierarchie konstruieren. Es ist sowohl für Männer als auch für Frauen schrecklich, etwas Derartiges erlebt zu haben.

Was kritisieren Sie am Umgang mit Flüchtlingen in Österreich? 

Ich habe manchmal den Eindruck, als würde eine Schuldvermutung gegenüber allen AsylwerberInnen gelten. Es kann nicht sein, dass jemand, der um Asyl bittet, automatisch des Asylmissbrauchs bezichtigt wird. Bei dem Anspruch auf Asyl handelt es sich um ein Menschenrecht. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand einfach aus Spaß, ohne etwas mitzunehmen seine oder ihre Heimat verlässt, sich Schleppern anvertraut, auf einem seeuntauglichen Boot nach Europa fährt und in griechischen Parks von Neonazis verfolgt wird. Daher sollten wir damit aufhören, diesen menschenverachtenden Generalverdacht über alle und jeden zu erheben. Ich mache diese Arbeit aus der tiefsten Überzeugung und weil jeder Mensch gewisse Grundrechte hat. Wenn jemand das Pech hat, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu sein, dann hat dieser das Recht auf jede Formdes Schutzes und der Rehabilitation.

Die Autorin ist Zeithistorikerin, freie Journalistin und studiert derzeit Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der WU Wien.

Siehe auch: Schlepperei in Zeiten unbegrenzter Grenzen

Die letzten ZeitzeugInnen

  • 06.07.2013, 17:04

Die letzten ZeitzeugInnen der Shoah vermitteln weit mehr als nur einen Einblick in die Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn ihre Lebensgeschichten und Gefühle stellen ein wichtiges Vermächtnis dar, dass es zu bewahren gilt. Claudia Aurednik hat zwei ZeitzeugInnen besucht und mit ihnen gesprochen.

Die letzten ZeitzeugInnen der Shoah vermitteln weit mehr als nur einen Einblick in die Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn ihre Lebensgeschichten und Gefühle stellen ein wichtiges Vermächtnis dar, dass es zu bewahren gilt. Claudia Aurednik hat zwei ZeitzeugInnen besucht und mit ihnen gesprochen.

„Ich nehme meinen Lagergürtel aus dem Vernichtungslager Auschwitz in die Schulen mit. Wenn ich ihn dann den Kindern in der Klasse gebe, werden alle ganz still. Im Konzentrationslager habe ich ja nur noch 37 Kilo gewogen“, erzählt der Zeitzeuge Walter Fantl-Brumlik (89) und ergänzt: „Ich habe auch noch meinen Judenstern und Dinge aus Theresienstadt. Wenn die Kinder diese berühren, dann löst das bei ihnen Gefühle aus.“

Fantl-Brumlik ist einer der letzten ZeitzeugInnen, die regelmäßig in Schulen gehen und über ihr Schicksal erzählen. Der Auschwitz-Überlebende hat in seiner Jugend die Verbrechen des Nationalsozialismus am eigenen Leib erfahren. Seine Erzählungen verdeutlichen die Kaltblütigkeit und Perfidität der NationalsozialistInnen. „Meine Vorträge halte ich immer sehr prägnant und fesselnd. Ich erzähle auch, dass wir beim Transport von Theresienstadt nach Auschwitz 5000 Männer waren, von denen nur etwa 100 überlebt haben. Den SchülerInnen muss ich dann erklären, was die Selektion beim Eintreffen in Auschwitz bedeutet hat“, erklärt Walter Fantl-Brumlik, der dort seinen Vater Arthur Fantl-Brumlik zum letzten Mal gesehen hat: „Damals hat der Lagerarzt Josef Mengele die Selektion nach unserer Ankunft vorgenommen und zu meinem Vater ,links‘ und zu mir ‚rechts‘ gesagt. Seitdem habe ich meinen Vater nie wieder gesehen. Ich wurde dann mit anderen von der Rampe nach Auschwitz-Birkenau gebracht.“ Walter Fantl-Brumlik wird den Geruch der Krematorien und die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Auschwitz niemals vergessen: „Als wir auf dem Weg nach Auschwitz-Birkenau waren, habe ich einen Kapo gefragt, was denn hier so riechen würde. Daraufhin hat er mich angesehen und gefragt, ob ich das wirklich wissen will. Ich habe ja gesagt. Dann hat er mit der Hand nach oben gezeigt und nur ‚dein Vater‘ gesagt.“ Zu seinen Vorträgen als Zeitzeuge nimmt Walter Fantl-Brumlik auch immer eine Fotografie seiner Familie mit. Auch seine Mutter Hilda Fantl-Brumlik und seine drei Jahre ältere Schwester Gertrude Fantl-Brumlik haben die Shoah nicht überlebt.

Die Familie hatte bis zum „Anschluss“ Österreichs im niederösterreichischen Bischoffstetten ein Geschäft. Walter Fantl-Brumlik erzählt, dass er bis zu dieser Zeit eine schöne Kindheit gehabt hatte. Auch den Antisemitismus hatte er als Kind bis zum Jahr 1938 nicht gespürt: „Nach dem Anschluss hat mich mein Schäferhund Jux vor körperlichen Angriffen beschützt. 1939 wurde meine Familie von den Nazis dazu gezwungen, unser Haus und unser Geschäft zu verkaufen. Anschließend wurden wir mit einem Lastauto von Bischoffstetten nach Wien in eine jüdische Sammelwohnung im Zweiten Bezirk gebracht.“ Eine Ausreise in die USA oder eine illegale Einwanderung ins damalige Palästina war für die Familie nicht möglich. Vor dem Zwangsumzug musste der Vater den geliebten Hund erschießen, weil dieser sehr anhänglich war und sie ihn nicht mitnehmen konnten: „Meine Schwester und ich haben richtig geheult, als mein Vater uns gesagt hatte, dass er den Juxi erschießen musste. Später im Konzentrationslager habe ich mich dann daran erinnert und mir gesagt: Und jetzt hier in Auschwitz, da machen sie mit uns solche Dinge.“

Walter Fantl-Brumlik erhält viele Briefe von SchülerInnen: „Manche Kinder sind wirklich sehr interessant. In einem hat eine Schülerin Folgendes geschrieben: ‚Als ich einen Judenstern in der Hand gehalten habe, da wusste ich, dass dieser einem Todgeweihten gehört hat.‘ Solche Kinder und engagierte LehrerInnen motivieren mich sehr.“ Manche Schulklassen gestalten auch Mappen über Fantl-Brumliks Vortrag und schicken ihm Bilder, die Fantl-Brumlik alle sorgsam in seiner Wohnung zur Erinnerung aufbewahrt. Drei- bis viermal pro Jahr besucht er auf Anfrage Schulen. Die einzige Bedingung für ihn ist jene, dass die LehrerInnen die SchülerInnen inhaltlich auf seinen Besuch vorbereiten. Den letzten Vortrag hat er in einem Bundesrealgymnasium in Linz gehalten. Die SchülerInnen dort hatten großes Interesse an seinem Schicksal: „Der Lehrer hat mir vor dem Vortrag gesagt, dass ich diesen vor etwa sieben SchülerInnen halten werde. Als ich dann in die Schule gekommen bin haben 47 SchülerInnen auf mich gewartet, die alle großes Interesse an meinen Erzählungen hatten.“

Walter Fantl-Brumlik hofft, dass die Jugend die Geschichte durch seine Vorträge weitertragen wird. Die aktuelle Politik klammert er bei seinen Vorträgen aus, denn er ist politisch nicht aktiv und findet, dass die LehrerInnen dafür zuständig wären.

Trotz seines Schicksals und der Ermordung seiner Familie verspürt er keinen Hass auf die ÖsterreicherInnen: „Ich habe nie Hassgefühle gehabt. Denn der Nationalsozialismus war eine Diktatur, in der die eigenen Kinder ihre Eltern verraten haben. Aber ich habe nicht eingesehen, wieso man die illegalen Nazis nach 1945 gedeckt hat.“ Auch die Behauptungen vieler älterer ÖsterreicherInnen, von den Vergasungen in Auschwitz während der Nazi-Zeit nichts gewusst zu haben, kann er nachvollziehen: „Ich sage als Zeitzeuge immer, dass ich selbst bis zu meiner Deportation nach Auschwitz nichts von den Vergasungen gewusst habe. Und ich glaube auch der damaligen österreichischen Bevölkerung, dass diese davon nichts gewusst hatte. Ich kann aber nicht verstehen, dass es heute noch Menschen gibt, die diese Verbrechen leugnen.“ Nach Auschwitz ist Walter Fantl-Brumlik nicht mehr gefahren, weil seine mittlerweile verstorbene Frau ihm das verboten hat. Und er hält fest, dass sie damit recht gehabt hat. Nach der Befreiung Österreichs hat er wie die meisten ZeitzeugInnen jahrzehntelang über sein Schicksal geschwiegen. Heute erklärt er die Gründe dafür: „Österreich war nach 1945 zweigeteilt. Es gab jene, für die der Einmarsch der Alliierten eine Besetzung war und jene, die diesen als Befreiung wahrgenommen haben. Für uns ZeitzeugInnen waren die Alliierten natürlich die Befreier. Aber durch die zweigeteilte Wahrnehmung der Bevölkerung waren wir nach dem Krieg viel zu blockiert, um über unser Schicksal zu sprechen.“

„Leider bleiben viele HistorikerInnen bei ihren Forschungen zur Shoah in den Zahlen stecken“, kritisiert Angelica Bäumer. Foto: Sarah Langoth

„1945 sind wir, Juden und andere Verfolgte, aus den Konzentrationslagern, dem Versteck oder aus den Wäldern zurückgekommen und waren endlich frei. Wir waren euphorisch, da wir keine Todesangst mehr hatten“, erzählt die Kulturjournalistin Angelica Bäumer (81) über die Befreiung Österreichs: „Aber das hat dann auch zu einem Verdrängungsprozess geführt. Erst Jahre später wurden die Erlebnisse während des Nationalsozialismus wieder lebendig. Und manche – wie der Schriftsteller Jean Amery oder Bruno Levi – begingen Selbstmord.“ Bäumer ist in einer Künstlerfamilie, als Tochter der jüdischen Fabrikantentochter Valerie Bäumer aus Wien und des deutschen Kunstmalers Eduard Bäumer, mit zwei Geschwistern in Salzburg aufgewachsen. Momentan verfasst sie Texte für Ausstellungskataloge und organisiert Vorträge und Ausstellungen sowie Diskussionsrunden.

Der „Anschluss“ Österreichs im März 1938 hat das Leben ihrer Familie schlagartig verändert. Denn die Nazis konfiszierten das Vermögen der Familie und verhafteten ihren Onkel. Als sogenannte „Halbjüdin“ litt Angelica Bäumer unter der Diskriminierung und Verfolgung der nationalsozialistischen Gesellschaft. 1944 wurde die Familie von einem befreundeten Arzt vor einer Großrazzia und der Deportation der letzten Jüdinnen und Juden gewarnt. Die Bäumers flohen mit einem Flüchtlingszug nach Großarl und wurden vom Pfarrer Balthasar Linsinger bis zur Befreiung Österreichs in seinem Pfarrhaus untergebracht, allerdings hatte Linsinger die Familie als Kriegsflüchtlinge aus Wien ausgegeben. Auf Antrag von Angelica Bäumer wurde Linsinger 2010 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem in die „Liste der Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen.

Angelica Bäumer hat als Zeitzeugin während der 2000er-Jahre Schulen besucht und engagiert sich für eine kritische Aufarbeitung der im Zuge der Shoah begangenen Verbrechen. Vor allem die Frage, was nach dem Tod der letzten ZeitzeugInnen passieren wird, beschäftigt sie sehr. Im November 2012 hat sie anlässlich ihres 80. Geburtstages das Symposium „Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen. Vom Mythos der Zeitzeugen“ veranstaltet. „Ich war von dem Symposium sehr enttäuscht, denn dort haben sich meine Befürchtungen
bestätigt, dass die HistorikerInnen und PolitologInnen über unser Ableben gar nicht traurig sind“, sagt sie und ergänzt: „Das liegt daran, dass diese dann in Archive gehen können und sich nicht mehr auf die Menschen beziehen müssen.“ Die meisten Archive sind aber nicht auf dem neuesten Stand und wurden während der Nazi-Zeit angelegt. Angelica Bäumer erzählt, dass sie selbst einige Archive besucht hat. Dabei hat sie festgestellt, dass viele wichtige Dokumente oft nur rudimentär vorhanden sind: „In Salzburg gibt es ein Stadt- und ein Landesarchiv. In dem einen wurde euphemistisch festgehalten, dass wir nach Großarl ‚umgezogen‘ wären. In dem anderen Archiv haben sich Dokumente gefunden, die belegen, dass wir zur selben Zeit den Judenstern tragen mussten. Diese Widersprüche beunruhigen mich sehr.“

Bäumer warnt auch vor dem Statistikfetischismus der WissenschaftlerInnen: „Es gibt einige HistorikerInnen wie Albert Lichtblau, die bemüht sind von rein statistischen Untersuchungen wegzukommen. Leider blieben viele HistorikerInnen bei ihren Forschungen und Diskussionen zur Shoah in den Zahlen stecken. Das betrachte ich als großen Fehler, denn dadurch werden die Verbrechen abstrakt dargestellt, und mir ist es wichtig, konkret über die Inhalte zu sprechen.“ Außerdem warnt sie davor, die Geschichte der Shoah mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs enden zu lassen. Sie erzählt davon, dass sie als 14-Jährige eine glühende Zionistin war und bei der Alija in Salzburg mit Kindern und Jugendlichen, die aus den Lagern kamen, gearbeitet hat: „Die jüdischen Kinder aus den Konzentrationslagern waren damals in einer Salzburger Garage untergebracht. Viele von ihnen konnten weder lesen noch schreiben und hatten aufgrund der mangelnden Ernährung keine Zähne.“ Und das erinnert sie an eine Geschichte, die sie bis heute nicht loslässt:

„Am meisten hat mich damals ein Bub berührt, der so alt war wie ich und kaum sprechen konnte. Er war damals völlig davon fasziniert, dass man eine Toilettentüre aufmachen und wieder schließen kann. Immer wieder ist er in das Klo hineingegangen und wieder herausgekommen, nur um zu sehen, dass man an diesem Ort auch alleine sein kann“. Bäumer hält fest, dass genau diese kleinen Dinge so wichtig sind und in der Forschung oft vergessen werden. Bereits in den 1980er-Jahren hat sich Angelica Bäumer dafür ausgesprochen, dass sich die ZeitzeugInnen nicht nur mit ihrem Schicksal während des Nationalsozialismus auseinandersetzen sollten: „Ich habe damals mit Hermann Langbein, dem Chronisten von Auschwitz, heftig über diese Frage debattiert. Denn ich war der Meinung, dass wir etwas tun müssen, damit so etwas nie wieder passiert. Bis heute beunruhigen mich
die rechtsradikale Jugend und die rechten Parteien. Zumal viel zu wenig über diese reflektiert wird.“ Den verpflichtenden Besuch der Gedenkstätten Auschwitz und Mauthausen hält Angelica Bäumer nicht für zielführend, weil Verpflichtungen oftmals abgelehnt werden. „Viel wichtiger ist es, dass man den LehrerInnen klar macht, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus zu unserer jüngeren Vergangenheit gehören und dass sie während ihres Unterrichts die Neugierde der Kinder wecken.“ Und Bäumer ergänzt: „Denn die Kinder haben noch Großeltern und Urgroßeltern, die die damalige Zeit erlebt haben. Diese zum Reden zu bringen, betrachte ich als überaus wichtig.“

 

Der progress Artikel (Juni 2013) von Claudia Aurednik wurde im Jänner 2014 auch in dem türkischen jüdischen Magazin Salom Dergi veröffentlicht.

progress Artikel in der Salom Dergi.

 

Links:

Angelica Bäumer

Walter Fantl-Brumlik

Symposium „Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen“

 

Die Autorin ist Zeithistorikerin und freiberufliche Journalistin. Derzeit studiert sie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften
an der Universität Wien.

Das süße Leben

  • 23.06.2013, 14:42

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

Der Begriff des Hedonismus wir oft als abwertendes Schlagwort gebraucht. Es versteckt sich aber mehr dahinter. Claudia Aurednik hat mit einer bekennenden Hedonistin, einem Politaktivisten und einem Yuppie über Hedonismus gesprochen.

„Ich versuche immer Spaß zu haben und mein Leben zu genießen“, erklärt Anna Wieser* (22) und ergänzt: „Schließlich lebe ich nur einmal und ich mag mir nicht vorwerfen irgendetwas in meinem Leben mal versäumt zu haben.“ Wieser jobbt derzeit in der Gastronomie und wird diesen Sommer als Animateurin in einem Clubhotel auf Ibiza arbeiten: „Das ist der perfekte Job für mich, denn ich reiße gerne andere Menschen aus ihren Alltagstrott und versuche mit ihnen Spaß zu haben.“ Vor einem Jahr hat sie ihre Studien abgebrochen. Anna hat Transkulturelle Kommunikation und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien studiert. „Ich habe mir viel mehr von den Studien erwartet. Speziell mit den Knock-Out Prüfungen bin ich nicht zurecht gekommen, aber vielleicht gehe ich in ein paar Jahren wieder an die Uni: „Momentan möchte sie aber primär ihr Leben genießen und vor allem endlich ihre Jugend nachholen. Anna ist in einem kleinen oberösterreichischen Ort aufgewachsen, in dem es
nach ihren Erzählungen nicht einmal ein Jugendzentrum gab. Ihre Eltern haben sie sehr streng erzogen und den Konsum von Alkohol bis zur Matura verboten: „Meinen ersten Rausch hatte ich erst mit 19 in Wien. Das ist bei Leuten aus Oberösterreich normalerweise
nicht üblich“, erzählt Anna. Sie ist das erste halbe Jahr in Wien deswegen fast jeden Tag ausgegangen und hat so rasch viele Freundschaften geschlossen. Mit ihren FreundInnen besucht sie heute verschiedenste Events: „Uns kann man im Volksgarten
und im Reigen ebenso treffen wie im Fluc oder auf illegalen Raves in Niederösterreich. Hauptsache es kommen viele Leute zusammen, die gemeinsam Spaß haben wollen.“

Ein Recht auf Rausch. Der Slogan „Ein Recht auf Rausch“ ist auch Agnes Müllers Lebensmotto: „Rausch bedeutet für mich, mich mit Alkohol und anderen Substanzen im positiven Sinn zu betäuben. Ich verfalle aber auch beim Raven in einen Rausch und kann dann wunderbar abschalten.“ Das „Abschalten“ ist für sie besonders wichtig, denn sie findet den Leistungsdruck der Gesellschaft oft erdrückend. „Wir sollen in Mindestdauer studieren, vier Fremdsprachen sprechen und darüber hinaus noch Berufserfahrung haben. Jeder Monat unseres Lebens muss belegt sein“, klagt Agnes: „Und das Schlimme daran ist, dass man oft auch mit einer Top-Ausbildung und unzähligen Zusatzqualifikationen keine Chance am Arbeitsmarkt hat. Da mach ich einfach nicht mehr mit!“ Für Politik interessiert sich Agnes nicht. Sie erklärt, dass sie und die meisten ihrer FreundInnen der Meinung seien, dass die Politiker
die jungen Menschen in Österreich im Stich lassen. Die Gesellschaft würde sie dennoch gerne ändern: „Ich mag mich zwar nicht politisch engagieren, weil ich nicht der Mensch dafür bin. Aber ich würde schon gerne in einer Gesellschaft leben, die weniger gestresst ist und die dem einzelnen Menschen mehr Raum für Selbstverwirklichung und Freiheit lässt.“

Hedonistische Hippies 2.0. Marco Brunner* (24) ist Student der Internationalen Entwicklung und bezeichnet sich selbst als gesellschaftskritischen Politaktivisten, der bewusst nicht dem gängigen Bild eines Hedonisten entsprechen mag. Der schwarze Baggy-Pants, „No Border - No Nation“-Shirt und Sneakers tragende Brunner erzählt, dass er oft mit dem Fahrrad unterwegs ist und sein Geld nur für wirklich notwendige Dinge ausgibt. Außerdem ist er seit zehn Jahren überzeugter Vegetarier und ein Gegner von Alkohol, Zigaretten und Drogen: „Wirklich wichtig ist für mich, dass ich meine Miete begleichen kann und einen vollen Kühlschrank habe“, erzählt er und ergänzt: „Außerdem ist mir ein solidarischer Umgang mit Mitmenschen und ein Engagement gegen die antisemitischen, sexistischen und rassistischen Zustände wichtig. Wobei es schon schwierig ist einen solidarischen Umgang mit jenen zu haben, die meine Einstellungen nicht teilen.“ Brunner ist wegen des Studiums vor fünf Jahren von Bayern nach Wien gezogen und arbeitet als Kellner in einem Szenelokal. Hedonistischen Slogans wie „ein Recht auf Rausch“ kann er nichts abgewinnen, denn damit würde seiner Meinung nach jedes „beschissene“ Verhalten entschuldigt.
Das habe er schon öfters miterlebt: „Ich habe das unsolidarische Verhalten gegenüber Betroffenen etwa auf der Freeparade 2010 in Wien beobachten können, als gewalttätige Neonazis Menschen angegriffen haben. Da hieß es einfach, dass auch die ein Recht zu tanzen hätten!“ Und er ergänzt: „2011 gab es dann keine Freeparade in Wien und auf der Website der OrganisatiorInnen war zu lesen, dass in Folge von sexistischen, homophoben oder sogar sexuellen Übergriffen die Veranstaltung abgesagt wurde.
Derartige Übergriffe sind aber bereits in den Jahren zuvor passiert.“ Brunner berichtet, dass die OrgansatorInnen der Veranstaltung selbst Kritik an dem unsolidarischen Verhalten geübt haben. Außerdem wurde von ihnen der Widerspruch zwischen der Forderung
nach einer freien Gesellschaft und dem unsolidarischen Verhalten gegenüber von Gewalt betroffenen Personen thematisiert. Für das Nichteinschreiten bei derartigen Missständen macht Marco Brunner den Hedonismus der Freeparade-TeilnehmerInnen verantwortlich: „Die hatten im hedonistischen Sinn einfach keine Lust den Menschen zu helfen. Denn im Hedonismus wird die Lust essentialisiert und nicht als Konstrukt begriffen. Und viele haben in ihrem Rausch einfach nichts mitbekommen.“

Besonders jene politischen AktivistInnen, die Hedonismus mit einem vermeintlich gesellschaftskritischen Engagement verbinden wollen, sind Marco Brunner ein Dorn im Auge: „Diese Hippies 2.0 sind für mich untragbar! Das sind jene Leute, die daran glauben, dass mit Lust und absoluter Selbstbefriedigung die ganze Welt schön wird. Bei denen stehen doch nur Egoismus und die eigene Befriedigung im Zentrum. Dadurch verhalten sie sich anderen Menschen gegenüber oftmals selbst diskriminierend.“

Die AktivistInnen der Hedonistischen Internationale sehen das anders. Das internationale, aktionistische und linke Netzwerk besteht seit 2006 und hat mehr als 30 Sektionen. Hedonismus ist das Streben nach Freude, Lust und Genuss. Die AktivistInnen betrachten nach eigenen Angaben den Hedonismus nicht als Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft, sondern als Chance zur Überwindung des Bestehenden. Im Manifest der Hedonistischen Internationale halten die AktivistInnen fest, dass sie keine Organisation darstellen, sondern eine Idee, deren Ausgestaltung bei jedem selbst liegt und dass niemand außer den Handelnden für die eigenen Aktionen verantwortlich ist. Die Aktionen selbst sind vielfältig und umfassen unter anderem nackte FlizzerInnenaktionen in Neonazi-Lokalen, Satireaktionen gegen die Atomindustrie sowie Tanzdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Medien greifen diese gerne als moderne Form des Protests auf. Marco gehört zu den Kritikern des Netzwerks und wirft den AktivistInnen eine mangelnde Auseinandersetzung mit den politischen Problemen vor. Auch von Slogans wie „Gegen eine Kommerzialisierung der Partykultur“ hält er nichts, da diese einen Widerspruch in sich darstellen.

Hedonismus und Karriere. „Während der 80ies und frühen 90ies hatte man die Vorstellung, dass Hedonismus mit dem Motto ‚the winner takes it all‘ verbunden ist. Man wollte im Job und im Privatleben zu den Gewinnern gehören,“ erklärt Martin Berger, Manager einer internationalen Consultingfirma in Wien. Er erzählt, dass auch er selbst von dem Yuppie-Zeitgeist stark geprägt wurde: „Rückblickend betrachtet haben wir den Kontrast zur Jugend der 70ies verkörpert. Die berufliche Karriere sollte mit einem dementsprechenden Lebensstil voll von Statussymbolen, aber auch mit einer dazugehörigen Portion an Lust und Lebensqualität verbunden sein.“ Berger legt bis heute viel Wert auf qualitativ hochwertige Kleidung und ein sportliches Äußeres. Mit 20 Jahren hat er an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Studium der Handelswissenschaft begonnen. Die Gründe für seine Studienwahl waren
mit seinem Interesse für Wirtschaft sowie mit dem Ziel Karriere zu machen verbunden. Damals sei das aber aufgrund der Wirtschaftslage einfacher gewesen: „Wenn man beispielsweise bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum oder einen interessanten Nebenjob sein Interesse glaubhaft vermitteln konnte, so standen die Chancen diese Stelle zu bekommen nicht schlecht“, berichtet er. Damals gab es noch eine realistische Möglichkeit sich in einem Unternehmen hochzuarbeiten und Karriere zu machen.
Martin Berger erinnert sich etwa noch sehr gut daran, dass er seinen ersten Ferialjob bei einer österreichischen Bank aufgrund einer Initiativbewerbung und ohne Kontakte bekommen hatte. Die Bezahlung war damals so gut gewesen, dass er sich mit zwei Monaten
Arbeit mehrere Monate seines Studiums finanzieren konnte. „Heute freuen sich die meisten StudentInnen ja, wenn sie bei einem unter- oder gar unbezahlten Praktikum Aushilfstätigkeiten machen dürfen. Das ist wirklich problematisch, da sich die jungen
Menschen oft komplett unter ihrem Wert verkaufen.“

Martin Berger ist in einer Beamtenfamilie aufgewachsen. Bereits als Kind war er sich aber bewusst, dass er keine Beamtenlaufbahn einschlagen wird: „Ich habe das Leben meiner Eltern als langweilig und bieder empfunden und mir fest vorgenommen nicht mein Leben lang einer monotonen und nicht herausfordernden Tätigkeit nachzugehen.“
Er erzählt, dass er mit Schrecken gewisse Parallelen zwischen den heutigen StudentInnen und seinen Eltern bemerkt hat: „Es ist wirklich tragisch, dass die jungen Menschen sich heute bereits mit 20 nach einer Fixanstellung und einem biederen Leben sehnen. Hedonismus bedeutet für diese nicht mehr Karriere in einem interessanten Job oder das Verwirklichen von innovativen Ideen, sondern primär Party und seichte Unterhaltungen.“ Auch er sei natürlich während seiner Studienzeit hin und wieder ausgegangen. Aber das fordernde Studium und seine Nebenjobs hatten für ihn Priorität. „Ich habe natürlich auch StudienkollegInnen aus reichen
Familien kennengelernt. Für diese war das WU-Studium dann oft nur eine schicke Nebenbeschäftigung, der sie ihren Eltern zuliebe nachgegangen sind. Die meisten von ihnen haben ihr Studium nicht abgeschlossen.“ Manche StudienkollegInnen seien direkt vom
Clubbing mit dem Sportwagen an die Uni gefahren. Für ihn war das aufgrund seiner finanziell angespannten Situation nicht möglich:, „Natürlich habe ich die damals ein bisschen beneidet. Aber heute denke ich, dass ein Studium für Menschen, die von ihren
Eltern einen hedonistischen Lebensstil finanziert bekommen, keine Herausforderung ist.“ Martin Berger hat nach seinem Studium einige Jahre in den USA verbracht und sich hochgearbeitet. Dabei war primär sein Interesse an den Jobs und weniger die Bezahlung
ausschlaggebend. Den Wunsch Statussymbole zu erwerben und einem hedonistischen Lebensstil zu frönen hat er heute nicht mehr: „Ich würde mich als ‚down-to-earth‘ bezeichnen und finde die ständige Jagd nach Statussymbolen überaus fragwürdig. Aber ich bin auch nicht der Typ, der sich auf Empfängen der Schickeria herumtreibt und ständig mit seinem Vermögen protzt.“

Die Autorin ist Historikerin und studiert derzeit Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Link:

Hedonistische Internationale:
www.hedonist-international.org

* Name von der Redaktion geändert.

Strache im braunen Sumpf

  • 22.06.2013, 23:10

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar. Eine Rezension.

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar.

„Mit Straches Machtübernahme wurde 2005 die Wende rückwärts eingeleitet“, schreibt der Journalist und langjährige Leiter des Auslandsressorts von Kurier und News Hans-Henning Scharsach (70) in dem Vorwort seiner Publikation, „Der neue FPÖ-Chef ersetzte die Buberlpartie [Anm.: Jörg Haiders] durch eine Burschenpartie – stramme Hardcore-Ideologen aus jenem korporierten Milieu, das sich von den Traditionen des Nationalsozialismus bis heute nicht gelöst hat.“ Hans-Henning Scharsach weiß, wovon er spricht, denn er hatte sich zuvor mit Jörg Haiders FPÖ in den von ihm verfassten Sachbüchern „Haiders Kampf“, „Haider. Österreich und die rechte Versuchung“, „Haiders Clan. Wie Gewalt entsteht“ sowie „Haider. Schatten über Europa“ auseinandergesetzt. Auch die europäische Dimension der politisch Rechten hat er in seinem Buch „Rückwärts nach rechts. Europas Populisten“ beschrieben. In seinem Buch „Strache im braunen Sumpf“ hält er fest, dass Jörg Haider den Burschenschafteranteil bei den FPÖ-Parlamentariern auf elf Prozent zurückgedrängt hatte. Seit der Nationalratswahl 2008 gehören aber mehr als ein Drittel der 34 FPÖ-Abgeordneten einer schlagenden, deutschnationalen Studentenverbindung an. Auch im Europaparlament sind die beiden Sitze der Freiheitlichen mit deutschnationalen Burschenschaftern besetzt. Seit den Wiener Gemeinderatswahlen 2010 besteht die Wiener Parteiführung der FPÖ fast ausschließlich aus Burschenschaftern, der Wiener Rathausklub zu 50 Prozent. Eine brisante Thematik, die den meisten ÖsterreicherInnen erst aufgrund der Nachrichtenberichterstattung über die Demonstrationen rund um den WKR-Ball 2012 bewusst wurde. Im Gegensatz zur oftmals oberflächlichen Berichterstattung der österreichischen Medien vermittelt Scharsach den LeserInnen einen umfassenden und tiefen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen FPÖ-PolitikerInnen, deutschnationalen Burschenschaften und Neonazis. Dabei greift er auch historisch zurückliegende Ereignisse auf und belässt es nicht bei der Analyse der letzten Jahre. Obwohl es sich um ein politisches Sachbuch handelt, bemüht sich Hans-Henning Scharsach wissenschaftliche Kriterien einzuhalten und alle Aussagen sowie Thesen zu belegen. Das Manuskript des Buches wurde vor dessen Druck von einem Juristen geprüft.

Scharsachs Buch ist in vierzehn Überkapitel gegliedert, an deren Ende er stets die wichtigsten inhaltlichen Punkte zusammengefasst hat. Das erste Kapitel „Im braunen Sumpf: Es begann mit Fotos“ erläutert die Diskussion rund um die von Heinz-Christian Strache 2007 auftauchenden Bilder, die den jungen Strache als Teilnehmer von Wehrsportübungen zeigen. Scharsach thematisiert in diesem Kapitel die damalige politische Vergangenheit Straches, der mit der Tochter des Rechtsextremen Norbert Burger verlobt war und während eines „volkstreuen Fest“ der (mittlerweile vom deutschen Verfassungsschutz verbotenen) Wiking-Jugend unter dem Titel „Zum Teufel mit der 1945er-Demarkationslinie“ zu Silvester 1989/1990 in Fulda in eine neunstündige Verwahrungshaft genommen wurde. Scharsach geht auch auf die Vergangenheit Norbert Burgers ein, der für Strache eine Vaterfigur war. Burger war Mitbegründer der deutschnationalen Burschenschaft „Olympia“ und Gründungsmitglied des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS), den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) machte er zu einer Terrororganisation. 1963 trat er aus der FPÖ aus und 1967 gründete er die neonazistische Nationaldemokratische Partei (NDP), die 1988 auf Basis des Verbotsgesetzes aufgelöst wurde. In seinem Buch zitiert er Herbert Scheibner und Peter Westenthaler, die heute beide dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) angehören. Peter Westenthaler bestätigte, dass Strache damals in Wort, Tat und Optik zur extrem rechten Szene gehörte. Bis 1994 hatte ihm Westenthaler als damaliger Wiener RFJ-Chef verboten den Keller des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) zu betreten. Und das obwohl Strache seit 1989 FPÖ-Mitglied und seit 1991 Bezirksrat der FPÖ-Landstraße war. Scharsach hält fest, dass sich Strache von Anfang darum bemüht hatte seine Vergangenheit zu vertuschen. Der Fokus von Scharsachs Buch liegt jedoch nicht auf der Vergangenheit des FPÖ-Vorsitzenden. Vielmehr  setzt sich Scharsach mit der Zusammenarbeit zwischen FunktionärInnen der FPÖ und deutschnationalen Burschenschaften sowie rechtsextremen und neonazistischen Organisationen auseinander.

Die Ideologie der FPÖ erläutert er in den Kapiteln „Wende rückwärts: Das Weltbild und Frauenbild in der neuen FPÖ“, „Burschenschaften: Antisemitisch und antidemokratisch“, „Bekenntnisse und braune Traditionen“ und „Braune Traditionen gegen antifaschistische Verfassung“. Die Geschichte und Ideologie der deutschnationalen Burschenschaft Olympia behandelt Scharsach in einem eigenen Kapitel. In diesem thematisiert er u.a. die von der Olympia veranstalteten Gastverträge des Holocaust-Leugners David Irving, den Besuch des Neonazi-Sängers Frank Reinnicke sowie die Mitgliedschaft des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Scharsach präsentiert in seinem Buch auch bislang Unbekanntes, wie die 2003 erfolgte Wahl Grafs zum Vorsitzenden des österreichischen Witiko-Bundes sowie in den Vorstand des pangermanischen Witko-Bundes. Nach Scharsach ist dieser die radikalste Gruppierung der „Vertriebenen“, die nach zwölf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die „Einheit Deutschlands“ – und somit unter anderem auch Österreichs propagierte. Zudem weist Scharsach auch auf den Antisemitismus und den rechten Geschichtsrevisionismus, des von der Organisation herausgegebenen Witiko-Briefs hin. Auch die Kooperationen von Mitgliedern des Ring freiheitlicher Jugend (RFJ) mit Neonazi-Organisationen werden von Scharsach in dem Kapitel „Der Ring freiheitliche Jugend. Rechte Speerspitze der Partei“ anhand von Quellen beschrieben. Er zieht das Resümee, dass es sich beim RFJ weniger um eine Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei handelt, die gelegentlich an den Neonazismus anstreift, als vielmehr um eine in weiten Teilen neonazistische Gruppierung, die sich des Schutzes der FPÖ bedient, um das Risiko juristischer Verfolgung zu minimieren. In diesem Kontext weist er auf den demonstrativen Austritt von 600 RFJ-Mitgliedern  hin, die damit ihren Missmut über den Ausschluss von fünf RFJ-Mitgliedern wegen neonazistischer Tätigkeiten durch den Tiroler FPÖ-Landesparteimann Gerald Hauser, ausdrückten. Auch der Einsatz von Neonazis bei Straches Wahlkämpfen werden von Scharsach in dem Kapitel „Wahlkämpfer Strache: Braune Helfer, braune Fans“ thematisiert.

Das Kapitel „Braune Bekenntnisse: ‚Sieg Heil‘ und ‚Heil Hitler‘“ setzt sich anhand von einzelnen Personen wie bspw. Clemens Otten und Wolfgang Haberler mit den Kooperationen zwischen FPÖ-Politikern und Neonazis auseinander. Am Ende dieses Kapitels erwähnt er auch jene FPÖ-Politiker, die aus Protest gegen die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Partei aus dieser ausgetreten sind. Unter anderem erwähnt er den Fürstenfelder Bezirksobmann Karl Pledl, der die FPÖ deshalb verlassen hatte, weil der mittlerweile wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte oststeirische Rechtsextreme Frau Radl, bei einer Ortsgruppensitzung nicht nur anwesend war, sondern auch mit einem Hitlergruß empfangen wurde. In dem Kapitel „Signale an den rechten Rand: Der Vergangenheit verbunden“ thematisiert Scharsach u.a. die von der FPÖ konstruierten Feindbilder, deren Strategien hinsichtlich der „Täter-Opfer-Umkehr“ in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit sowie den Antisemitismus und Rassismus innerhalb der Partei. Eines der informativsten und interessantesten Kapitel des Buches stellt „Internet. Das braune Netzwerk“ dar. Scharsach betont, dass das Internet einen Einblick in die Persönlichkeitsprofile der Freiheitlichen gibt und ihre Freunde, Interessensgebiete sowie die Organisationen, mit denen diese vernetzt sind, offenbart. Dabei weist Scharsach auf das „basisdemokratische Web-Kollektiv bawekoll“ und die Plattform „rfjwatch“ hin, die den Freundeskreis der FPÖ dokumentieren. Die von dem Grünen Abgeordneten Karl Öllinger betriebene Plattform „Stoppt die Rechten“ sowie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) fassen die wichtigsten Ereignisse zusammen. Hans-Henning Scharsach hat in seinem Buch die politisch brisantesten Vernetzungen und Freundschaften von FPÖ-Politikern zu Rechtsextremen sowie antisemitische, rassistische und neonazistische Äußerungen auf den Facebook-Profilen der Politiker festgehalten. In seinem abschließenden Resümee hält Scharsach seine wichtigsten Erkenntnisse fest.

Fazit: Hans-Henning Scharsach vermittelt den LeserInnen einen umfassenden Überblick in die rechten Netzwerke der einzelnen FPÖ-Politiker. In einer sprachlich leicht verständlichen Sprache eignet sich das Buch auch für SchülerInnen und Menschen ohne akademischen Hintergrund. Scharsach schafft es in seinem politischen Sachbuch - trotz enormer Informationsdichte und ausgiebiger Erläuterungen – die LeserInnen bis zum Schluss zu fesseln. Am Ende seines Buchs hält er folgendes fest: „Jede Stimme für die FPÖ zementiert die Macht von Burschenschaften wie der Olympia, die Träger, Verteidiger und Verbreiter neonazistischer Traditionen sind.“ Die Lektüre von Hans-Henning Scharsachs Buch „Strache. Im braunen Sumpf“ wird daher allen politisch interessierten Menschen im Wahljahr 2013 dringend empfohlen.

 

Hans-Henning Scharsach: Strache im braunen Sumpf, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2012, 336 Seiten. Preis: 24 Euro.

Hörbuch: Hans-Henning Scharsach/Sprecher: Alfons Haider: Strache im braunen Sumpf, Mono-Verlag, Wien 2013. Preis: 19,95 Euro.

Links:

RFJ Watch: http://rfjwatch.wordpress.com/

Basisdemokratische Web-Kollektiv „bawekoll“:  http://bawekoll.wordpress.com/

DÖW „Neues von ganz rechts“: http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts

Stoppt die Rechten: http://www.stopptdierechten.at/

Integration durch Rassismus

  • 21.06.2013, 16:38

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

Andreas Peham ist Rechtsextremismusexperte des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW). Seit Jahrzehnten setzt er sich mit den Problemfeldern des Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft auseinander. Claudia Aurednik hat mit ihm für progress über das Problem des Rassismus innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community gesprochen.

progress: Gibt es unter den österreichischen MigrantInnen Rassismus?

Peham: Rassismus funktioniert relativ unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Staatsbürgerschaft und liegt quer über den verschiedenen Differenzen. Insofern können Menschen gleichzeitig Objekte sowie Subjekte des Rassismus sein. Sie können aber auch mit der Umwandlung von einem Objekt des Rassismus zum Subjekt werden und im Zuge dessen ihre rassistischen Erfahrungen verarbeiten. Kurzum: Sie können ihre Erfahrungen der Diskriminierung, Ausgrenzung und des Hasses auch nach unten weitergeben. Innerhalb der österreichischen Gesellschaft gibt es eine Hackordnung, bei der sich Menschen mit schwarzer Hautfarbe und Roma ganz unten befinden. Innerhalb der ex-jugoslawischen und türkischen Community existieren nun genau gegen diese beiden Gruppen starke Vorurteile bis hin zu offenem Hass.

progress: Welche rassistischen Vorurteile existieren in den migrantischen Communities?

Peham: Ich gebe in Schulen Workshops. Dabei werde ich oft mit dem Antiziganismus von MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen Community konfrontiert. Dieser ist auch bei UngarInnen sehr verbreitet. Bei TschetschenInnen und TürkInnen habe ich hingegen Vorurteile gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe mitbekommen. Ich verwehre mich aber dagegen, dass man – wie das die FPÖ gern zu tun pflegt – einem Objekt des Rassismus generell einen Gegenrassismus, der sich gegen ÖsterreicherInnen richte, unterstellt.

progress: Aber ist es nicht geradezu paradox, dass MigrantInnen aus der ex-jugoslawischen und türkischen Community beispielsweise AfrikanerInnen hassen?

Peham: Ein erfolgreicher Antirassismus würde ein vernünftiges oder aufgeklärtes politisches Subjekt voraussetzen. Doch dieses gibt es nicht, auch weil täglich in der Gesellschaft eine bestimmte Rangordnung mit einem bestimmten Machtgefälle produziert wird. Zudem bilden sowohl Rassismus als auch Antisemitismus Gemeinschaften. Insofern kann natürlich die These formuliert werden, dass der Rassismus innerhalb der migrantischen Communities ein Versuch ist, die Seite zu wechseln. Ich möchte das aber nicht den MigrantInnen vorwerfen. Denn es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Gerade aus der Warte der Marginalisierung ist es sehr wahrscheinlich, dass man auf alles zurückgreift, das eine Zugehörigkeit vermitteln kann. Und dazu zählen innerhalb der österreichischen Gesellschaft der latente Antisemitismus sowie der Rassismus.

progress: Somit stellt der Rassismus für MigrantInnen eine Integrationsfunktion in die österreichische Mehrheitsgesellschaft dar?

Peham: Ja, denn mit dem Rassismus können sich MigrantInnen in Österreich integrieren. In einer Mehrheitsgesellschaft, in der Rassismus nicht so stark auftritt und in der MigrantInnen anders wahrgenommen werden, wird die Integrationsbereitschaft von diesen anders ausgeprägt sein. Ich denke, dass nicht so sehr die Herkunft der Menschen entscheidend ist, sondern die Gesellschaft in der die Menschen leben. Ich glaube zum Beispiel, dass der Rassismus gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht überall in der türkischen Diaspora gleich stark ist. Es kommt darauf an, wie das jeweilige Migrationsregime organisiert ist.

progress: Inwiefern ist die politische Einstellung der MigrantInnen für deren Rassismus entscheidend?

Peham: Rassismus ist jeweils bei den AnhängerInnen von nationalistischen und rechten Gruppen stark ausgeprägt. In der türkischen Community sind dies die AnhängerInnen der rechtsextremen MHP, die sich selbst als „Graue Wölfe“ bezeichnen. Bei den KroatInnen handelt es sich um AnhängerInnen der rechtsextremen HSP – „Kroatische Partei des Rechts“. Bei den SerbInnen um AnhängerInnen der neofaschistischen „SRS/CPC“ -„Serbische Radikale Partei“. Je weiter jemand sich politisch dem rechten Spektrum zuordnet, desto rassistischer ist er. Und umgekehrt: je rassistischer jemand ist, desto mehr wird er politisch rechts stehen. Im politisch linken Spektrum nimmt der Rassismus ab. Aber ganz links außen nimmt er wieder ein bisschen zu. Das ist sowohl beim Rassismus als auch beim Antisemitismus so. Kurz nach der Wende 1989 habe ich das bei linken autoritär eingestellten Menschen bemerkt, die hetzerische und rassistische Aussagen gegen OsteuropäerInnen äußerten. Obwohl diese Menschen nicht bereit waren in einem osteuropäischen kommunistischen Land zu leben, warfen sie den OsteuropäerInnen vor „den Sozialismus zerstört zu haben“.

progress: Dann wären wir bei Theodor W. Adorno und dessen Theorie der autoritären Persönlichkeit.

Peham: Ja, denn es ein besteht ein Zusammenhang zwischen Dogmatismus und einer Ablehnung von Differenz. Das bedeutet, dass Menschen die politisch autoritär denken und in autoritären Gruppen organisiert sind, eher zu Rassismus und Antisemitismus neigen. Eine autoritäre Grundstruktur des einzelnen Individuums prädestiniert geradezu für Rassismus und Antisemitismus. Und der kommt in rechter und linker Form vor. Entscheidend ist es, inwiefern ein Mensch bereit ist Differenzen auszuhalten und darüber zu diskutieren. Eine Kehrseite des Antisemitismus ist der Philosemitismus, der Juden romantisch verklärt. Beim Rassismus gibt es auch ein Gegenstück, den Exotismus. Dabei wird das Fremde geradezu schwärmerisch verklärt.

progress: Was kann man gegen den Rassismus in der ex-jugoslawischen und türkischen Community tun?

Peham: Man muss Aufklärung an den Schulen betreiben. Ich selbst und auch andere Vereine - wie beispielsweise der Verein „Zara“ - gehen in Schulen und halten dort Workshops ab. In den Workshops kläre ich die Jugendlichen unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft über Rassismus auf. Dabei bringt es beispielsweise wenig türkischen Jugendlichen etwas über Afrika zu erzählen. Denn der Rassismus hat nichts mit unterschiedlichen Hautfarben oder Kulturen zu tun. Vielmehr geht es darum, die unterdrückten Sehnsüchte und Wünsche der Jugendlichen zu erkennen und diese auf einer persönlichen Ebene aufzuklären. Denn der Rassismus hat viel mit der fehlenden Aufklärung über sich selbst und die österreichische Gesellschaft zu tun.

progress: Zu den aktuellen Protesten der Refugees haben sich die migrantischen Vereine und Diaspora-Organisationen kaum geäußert. Nur die „Israelitische Kultusgemeinde“ hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. Was sind die Gründe für die mangelnde Solidarität?

Peham: Die Ex-JugoslawInnen und TürkInnen sind in Verbänden organisiert, die nicht wirklich repräsentativ sind. Politisch steht bei diesen die politische Agenda ihrer  Herkunftsländer im Vordergrund. Diese Verbände sind tunlichst drauf bedacht, das offizielle Österreich nicht zu irritieren. Daher mischen sie sich nicht in die Innenpolitik Österreichs ein und üben keine Kritik am Migrationsregime. Dahinter steckt natürlich auch die Angst, sich aus der Deckung zu wagen. Denn man muss sich in einer gesicherten Position befinden, um Österreichs Politik zu kritisieren. In der antirassistischen Bewegung selbst ist es leider zu einer Spaltung in einen eher sozialarbeiterischen und einen politischen Teil von Aktivisten gekommen. Es sollte jedoch eine Bewegung sein, die kurzfristige Hilfe und langfristige Opposition zusammenbringt. Im Unterschied zu früheren Protesten ist es beim Refugee Camp aber zu einer Selbstorganisation der Flüchtlinge gekommen. Das betrachte ich als einen großen Fortschritt.

 

Seiten