Ein Schleier, der sich über die Existenz legt
Der Verein Hemayat bietet seit 1994 traumatisierten Folter- und Kriegsüberlebenden medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung. Die Psychologin und Psychotherapeutin Barbara Preitler hat den Verein mitbegründet. Claudia Aurednik sprach mit ihr über die Traumata von Flüchtlingen.
Der Verein Hemayat bietet seit 1994 traumatisierten Folter- und Kriegsüberlebenden medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung. Die Psychologin und Psychotherapeutin Barbara Preitler hat den Verein mitbegründet. Claudia Aurednik sprach mit ihr über die Traumata von Flüchtlingen.
progress: Das Wort Hemayat bedeutet im Arabischen Betreuung und Schutz. Hat es vor der Gründung des Vereins keine Betreuungsmöglichkeiten für traumatisierte Kriegsflüchtlinge gegeben?
Barbara Preitler: Erst Anfang der 1990er Jahre kam man in Mitteleuropa zu der Erkenntnis, dass Menschen mit traumatischen Erlebnissen – wie etwa Krieg, Flucht und Folter – psychotherapeutisch betreut werden müssen. Im Laufe des Balkankriegs wurden einzelne Initiativen gegründet, die sich um Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien gekümmert haben. Wir aber waren der erste Verein, der Folter- und Kriegsüberlebende psychotherapeutisch betreut hat. Unser erstes Jahresbudget, in der Höhe von 10.000 US-Dollar, haben wir damals von der UNO bekommen. Eine NGO, die Deutschkurse angeboten hat, hatte uns erlaubt nach Kursende ihre Räumlichkeiten zu nutzen. Im Laufe der Zeit haben wir uns als Verein etabliert. Dennoch mussten wir ständig mit Mängeln kämpfen. Diese reichten von zu wenig Geld und Personal bis hin zu fehlenden Räumen und unzureichenden Sprachkenntnissen. Nur zu wenige KlientInnen hatten wir nie. Aktuell warten 300 Personen auf einen Therapieplatz bei Hemayat.
Aus welchen Ländern kommen Ihre KlientInnen?
Unsere KlientInnen kommen aus circa 40 verschiedenen Ländern. Die meisten stammen aus dem Iran sowie aus arabischen und afrikanischen Ländern. Derzeit betreuen wir sehr viele Menschen aus Tschetschenien und Afghanistan und langsam kommen auch immer mehr syrische Flüchtlinge zu uns.
Unter welchen psychischen Problemen leiden Ihre KlientInnen?
Viele leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese tritt meist nach einem außergewöhnlich schlimmen Erlebnis auf – mit unterschiedlichen Symptomen: Die Menschen leiden etwa an schmerzhaften Erinnerungen, die sich unterschiedlich zeigen. Manchmal erinnern sich die Betroffenen ständig an das Erlebte und beschreiben die Situation als eine Art Schleier, der sich über ihre gesamte Existenz legt und immer präsent ist. Bei Anderen ist es aber so, dass erst durch ein bestimmtes Ereignis die traumatischen Erlebnisse wieder hochkommen. Dies kann sich in Alpträumen und in den schlimmsten Fällen in Flashbacks äußern. Dem gegenüber stehen die Symptome der Vermeidung. Es wird alles getan, um die schmerzhafte Erinnerung abzublocken.
Treten in weiterer Folge auch Depressionen auf?
Traumatisierte Menschen neigen generell dazu, besonders empfänglich für physische und psychische Erkrankungen zu sein. Im Zuge meiner wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftige ich mich viel mit Trauer, die jedoch nicht als psychische Krankheit diagnostiziert werden kann. Trauer ist eine normale Reaktion auf Verlust. Die Flüchtlinge, mit denen ich arbeite, haben massive Verluste erlitten. Meist haben sie das Haus, die Freunde, ihre Peer-Groups, ihren Arbeitsplatz und ihre Haustiere verloren. Flüchtlinge, denen ausschließlich diese Dinge widerfahren sind, habe ich aber bislang nicht getroffen. Die meisten Flüchtlinge haben alle ihre Angehörigen verloren, ohne dass sie die Möglichkeit einer Verabschiedung hatten. Diese „komplizierte Trauer“ ist natürlich mit einer langanhaltenden Traurigkeit verbunden.
Was wird beim Umgang mit Flüchtlingen zu wenig beachtet?
Meiner Ansicht nach findet die Tatsache, dass die Fluchtrouten selbst für die Flüchtlinge hochtraumatisch geworden sind, zu wenig Beachtung. Die meisten von ihnen sind oft monate- oder jahrelang unterwegs und den Schleppern ausgeliefert. Die Bandbreite der Arten von Schleppern reicht dabei vom brutalsten Menschenhändler bis zum größten Menschenfreund. Für die Flüchtlinge ist es aber eine reine Glückssache, an wen sie bei ihrer Flucht geraten. Denn sie sind rechtlos, man kann mit ihnen tun, was man will. Viele von ihnen sind dadurch noch zusätzlich traumatisiert worden. Es wäre also gut, wenn sie in „Welcome-Centers" und nicht in Polizeianhaltezentren aufgenommen werden würden.
Viele Frauen erleben im Krieg oder während der Folter sexuelle Gewalt. Sind sie dadurch stärker von Traumatisierungen betroffen?
Wir täuschen uns wirklich sehr, wenn wir davon ausgehen, dass ausschließlich Frauen vergewaltigt werden. Denn auch viele Männer wurden sexuell missbraucht und vergewaltigt. Diese Traumata werden jedoch tabuisiert. Frauen haben hingegen ein gemeinsames Wissen darüber, was ihnen in Kriegs- und Diktatursituationen passiert ist. Sie leiden besonders stark unter der Angst, dass die sexuelle Gewalt weitergehen könnte und dass ihre Männer davon erfahren könnten. Dennoch möchte ich da keine Opferhierarchie konstruieren. Es ist sowohl für Männer als auch für Frauen schrecklich, etwas Derartiges erlebt zu haben.
Was kritisieren Sie am Umgang mit Flüchtlingen in Österreich?
Ich habe manchmal den Eindruck, als würde eine Schuldvermutung gegenüber allen AsylwerberInnen gelten. Es kann nicht sein, dass jemand, der um Asyl bittet, automatisch des Asylmissbrauchs bezichtigt wird. Bei dem Anspruch auf Asyl handelt es sich um ein Menschenrecht. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand einfach aus Spaß, ohne etwas mitzunehmen seine oder ihre Heimat verlässt, sich Schleppern anvertraut, auf einem seeuntauglichen Boot nach Europa fährt und in griechischen Parks von Neonazis verfolgt wird. Daher sollten wir damit aufhören, diesen menschenverachtenden Generalverdacht über alle und jeden zu erheben. Ich mache diese Arbeit aus der tiefsten Überzeugung und weil jeder Mensch gewisse Grundrechte hat. Wenn jemand das Pech hat, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu sein, dann hat dieser das Recht auf jede Formdes Schutzes und der Rehabilitation.
Die Autorin ist Zeithistorikerin, freie Journalistin und studiert derzeit Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der WU Wien.
Siehe auch: Schlepperei in Zeiten unbegrenzter Grenzen