Magdalena Liedl

Neues Lehramt

  • 23.02.2017, 17:36
Seit nunmehr einem Semester ist das Sekundarstufenstudium in Österreich flächendeckend im Rahmen von „Pädagog_innenbildung NEU“ (PBN) reformiert. Mythen und Unsicherheiten sind nach wie vor vorhanden.

Seit nunmehr einem Semester ist das Sekundarstufenstudium in Österreich flächendeckend im Rahmen von „Pädagog_innenbildung NEU“ (PBN) reformiert. Mythen und Unsicherheiten sind nach wie vor vorhanden.

Bisher wurden Lehrer_innen je nach Schultyp an verschiedenen Institutionen ausgebildet. Wer beispielsweise an einer Neuen Mittelschule (NMS) unterrichten wollte, studierte davor an einer Pädagogischen Hochschule (PH). Ein Lehramtsstudium an einer Universität qualifizierte zu AHS- und BHSLehrer_ in. Die PBN schreibt nun für alle Sekundarstufenlehrer_innen eine gemeinsame, einheitliche Ausbildung vor. Nach Abschluss des Studiums kann in sämtlichen Schultypen der Sekundarstufe (10-18 jährige Schüler_innen) unterrichtet werden. Die Ausbildung für Volksschullehrer_innen wurde im Bachelor um zwei Semester verlängert und benötigt nunmehr zusätzlich einen mindestens einjährigen Master. Im Zuge der PBN wurde weiters die Ausbildung der Sonderpädagog_innen reformiert. Der Mythos vom Ende der Sonderpädagogik ist jedoch falsch. Sonderpädagogik kann zwar nicht mehr als „eigenständiger Studiengang“ absolviert werden. Nun aber kann das Fach „Inklusive Pädagogik“ entweder als Schwerpunkt im Primarstufenstudium (vormals Volksschulstudium) oder als quasi Zweitfach im Sekundarstufenstudium gewählt werden. Inklusion wurde mit PBN als Prinzip in sämtlichen Curricula verankert. Wertschätzung und Anerkennung von Diversität sind grundlegende Gedanken dahinter. Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention spricht von Inklusiver Bildung und meint damit „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“. „Ich sehe es als Vorteil, dass sich alle angehenden Pädagog_innen mit Unterricht von Schüler_innen mit verschiedenen Bedürfnissen auseinandersetzen und auf Individualisierung und Differenzierung vorbereitet werden. Alle Studierenden, die sich für eine Spezialisierung in diesem Bereich interessieren, werden nach dem Abschluss des Studiums für die Begleitung von Schüler_ innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Settings und an Sonderschulen – wie die früheren Sonderpädagog_innen – eingesetzt werden“, meint die Vizerektorin der Pädagogischen Hochschule Oberösterreichs Katharina Soukup-Altrichter. Bereits 2003 drückte ein OECD-Bericht die Notwendigkeit von Diversitätsmanagement aus: „Die Aufgaben und Anforderungen an die Rolle des Lehrers haben sich verändert, österreichische Lehrer sind sehr wissensorientiert, aber oftmals nicht gut vorbereitet auf die Verschiedenheit ihrer Schülerinnen und Schüler und deren Bedürfnisse.“

KOOPERATION UND VERBUND. PHs und Universitäten müssen für das Sekundarstufenstudium kooperieren und gemeinsame Studienpläne anbieten. In sogenannten „Verbünden“ oder „Clusterregionen“, zu denen sich verschiedene Universitäten und PHs zusammengeschlossen haben, wird dies praktisch realisiert. Mittlerweile gibt es vier solcher Verbünde: Nord- Ost (der Zusammenschluss von PHs und Unis in Wien und Niederösterreich), Süd-Ost (Kärnten, Burgenland und Steiermark), Mitte (Oberösterreich und Salzburg) und West (Tirol und Vorarlberg). Die Verbünde haben jeweils Studienpläne für alle Lehramtsstudierenden in der jeweiligen Region ausgearbeitet. Das Ergebnis: vier verschiedene Curricula für Lehramtstudierende der Sekundarstufe.

OPTIMISMUS. „Mit PBN wird ein weiterer wichtiger Meilenstein in der österreichischen Bildungspolitik gesetzt“, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. „Die hochwertige Ausbildung der pädagogischen Berufe auf tertiärem Niveau und die mehrstufigen Eignungs- und Aufnahmeverfahren führen zu Qualitätssicherung und letztlich Gleichwertigkeit der pädagogischen Berufe.“ Durch das neue Lehramt sollen in Zukunft die geeignetsten Studierenden ausgewählt werden, eine einheitliche Ausbildung erhalten und nach dem Studium alle Schüler_innen einer gewissen Altersgruppe, egal in welchem Schultyp, unterrichten können. Soweit jedenfalls die Theorie. Denn die betroffenen PHs, Universitäten und Studierendenvertreter_ innen sehen die neuen Lehramtsstudien weit weniger optimistisch als das Bildungsministerium. Sie kritisieren Mängel in der Entstehung und in der Umsetzung der Reform. „Einer unserer Hauptkritikpunkte ist, dass man sich viel zu lange Zeit für die Umsetzung gelassen hat, zum Beispiel beim Erstellen der neuen Curricula, insbesondere im Verbund Nord-Ost. Und das, obwohl schon lange klar war, dass die Pädagog_innenbildung NEU kommt“, kritisiert etwa Magdalena Goldinger von der ÖH-Bundesvertreung im Gespräch mit progress. „Man hat das einfach auf die lange Bank geschoben, und dann musste alles plötzlich schnell gehen.“ Dadurch wären Curricula zu spät ausgearbeitet worden und für die betroffenen Studienanfänger_innen sei es schwierig abzuschätzen, wie ihr Studium verlaufen wird. Weiters gibt es eine Reihe inhaltlicher Kritikpunkte und Unklarheiten.

Offen ist bis jetzt die grundsätzliche Frage, wo genau angehende Lehrer_ innen studieren werden. Denn die Universitäten und Hochschulen in den einzelnen Verbünden sind teilweise weit voneinander entfernt. Wie die Kooperation der verschiedenen Standorte dabei im Detail aussehen wird, ist von Verbund zu Verbund verschieden. Bisher garantiert nur der Verbund Süd-Ost, also die Steiermark, Kärnten und das Burgenland, dass ein Lehramtsstudium an einem einzigen Standort möglich sein wird. In den anderen Verbünden müssen Lehramtsstudierende möglicherweise zwischen verschiedenen Standorten pendeln. Ein genauer Studienort wird kaum mehr zuordenbar. Mobilität und Verkehrsanbindung werden bei mehreren hundert Kilometern Standortunterschied zur wesentlichen Voraussetzung für das Lehramtsstudium. Dies ist nicht zuletzt durch die Fahrtkosten, die momentan damit verbunden wären, eine kaum überwindbare Hürde für viele Studierende. Damit drängt sich die Notwendigkeit einer praktikablen Fahrtförderung auf, wie sie beispielsweise von der ÖH mit dem österreichweiten Studierendenticket (siehe Seite 8) gefordert wird.

Ein Punkt, an dem sich die Geister zwischen PHs und Unis scheiden, ist der Anteil der Praxisstunden im neuen Curriculum. Lehramtsstudierende an Universitäten werden im neuen Curriculum während des Studiums deutlich mehr Praxisanteil haben als bisher. An den PHs reduziert sich der Anteil der Praxis im Bachelorstudium allerdings. „Im Vergleich zu den bisherigen 30 ECTS-Punkte Schüler- Kontakt im NMSStudium kann diese Neuerung schwer als Verbesserung bezeichnet werden“, kritisiert daher Dominik Weinlich von der Studierendenvertretung der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/ Krems, die nun mit der Universität Wien im Verbund Nord-Ost zusammenarbeitet. Nicht ganz so dramatisch wird diese Entwicklung von der Vizerektorin Soukup-Altrichter gesehen: „Es gibt viele Vorteile im neuen Sekundarstufenstudium. Die Kooperation zwischen PHs und Unis kann eine Akademisierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Professions- und Praxisnähe bieten. Wir werden auch weiterhin bereits im ersten Semester Erfahrungsmöglichkeiten im Praxisfeld Schule bieten.“ Dass auf die Kooperationspartner jedoch auch weiterhin Herausforderungen warten, zeichnet sich ab. Seit jeher unterrichten an PHs besonders viele „Praktiker_innen“. Vielfach sind es hier langjährige Lehrer_ innen, die Lehrveranstaltungen zu Didaktik halten. Sie können aus ihren Erfahrungen in der Schule schöpfen. Dieser Praxisbezug geht eventuell verloren, wenn auch bei Lehrenden die formellen Abschlüsse immer mehr gewertet werden. So war insbesondere der Lehrendenpool (welche ProfessorInnen welche Lehrveranstaltungen halten dürfen) ein großes Thema bei den Verhandlungen.

UMSETZUNG HAKT. Grundsätzlich ist die einheitliche Ausbildung von Lehrer_ innen eine gute Idee. In dem Punkt sind sich Studierendenvertreter_ innen durchaus mit dem Bildungsministerium einig, nur die Umsetzung wird kritisiert. „Dafür müsste es eigentlich eine Auflösung der verschiedenen Hochschulsektoren geben. Die Lehrer_innenbildung müsste in einer einzigen School of Education zusammengefasst werden“, schlägt Goldinger vor. Wenn alle Lehrer_innen denselben Studienplan durchlaufen, macht die Einteilung in Universitäten und PHs ja keinen Sinn. In so einem Gesamtkonzept müsste dann auch die Ausbildung von Elementarpädagog_innen enthalten sein, so Goldinger. Das ist allerdings Zukunftsmusik. Wie sich Studienanfänger_innen im aktuell eingeführten System zurechtfinden, ist noch schwer abzuschätzen. Die Inskriptionszahlen haben sich im Vergleich zu früheren Jahren kaum verändert. Die PBN dürfte für Studienanfänger_innen also weder besonders anziehend noch abschreckend wirken. Die Beratungsstellen der ÖH an Pädagogischen Hochschulen verzeichnen allerdings vermehrte Anfragen von Studieninteressierten, die wissen wollen, ob es tatsächlich nicht mehr möglich sei, sich nur für das NMS-Studium zu inskribieren. „Möglicherweise sind sich die Studienanfänger_innen des neuen Systems noch nicht bewusst“, sagt Goldinger. Für ein Fazit sei es dennoch viel zu früh, meint sie, die selbst an einer PH Lehramt studiert: „Wie die PBN dann tatsächlich funktioniert, sehen wir erst später an den Drop-out- Raten, also daran, wie viele derer, die sich jetzt für Lehramt inskribieren, das Studium tatsächlich abschließen.“ Studienanfänger_ innen rät sie, den jeweiligen Hochschulen und Studierendenvertretungen aktiv Feedback zu geben und darauf hinzuweisen, wenn es in einem bestimmten Bereich Probleme gibt. „Wir können noch gar nicht sagen, wie das alles genau funktionieren wird, also können wir auch keine Tipps geben. Die meisten Hochschulen sagen: Wir sind einmal gestartet, die Umsetzung ist jetzt ein laufender Prozess und dafür müssen wir versuchen, Feedback einzuholen.“ Fraglich ist die Art und Weise, wie das Schul- beziehungsweise Bildungssystem als Ganzes in dieser Reform mitbedacht wurde. Und ebenso ungelöst ist, wie die geforderte gesellschaftliche Aufwertung der Lehrer_innen passieren soll.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte an der Universität Wien.
Katharina Harrer studiert politische Bildung an der Johannes Kepler Universität in Linz.

Nach der Flucht: Zurück zum Uni-Alltag

  • 05.12.2015, 19:08

Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.

Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.

„Es gibt ein Lied von Helene Fischer, das heißt: Ich gebe nie auf! Das ist mein Motto“, sagt S., der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch seine Studienrichtung soll vage bleiben, aus Angst, seine Situation könnte sich noch weiter verkomplizieren. „Schreib beim Studium Technik!“, lacht er.

2012 schließt S. sein Bachelor-Studium an der Universität Damaskus ab – in der syrischen Regelstudienzeit von fünf Jahren. Doch eine Arbeit in Syrien zu suchen oder ein Master- Studium anzuhängen, ist keine Option mehr. Der Krieg macht das Leben in Damaskus gefährlich und die Familie von S. entschließt sich zur Flucht. Zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern flieht er nach Jordanien, von dort aus reist er alleine weiter nach Österreich. Ein Jahr nach seinem Studienabschluss steht er allein mit einem 30-Kilo-Koffer, einer Reisetasche und seiner Laptoptasche über der Schulter auf der Polizeistation in Traiskirchen. „Der Dolmetscher hat gesagt, er hat noch nie einen Asylwerber mit so viel Gepäck gesehen.“

Nach Traiskirchen kommt er in eine Flüchtlingsunterkunft in Kärnten. Dort wartet er fünf Monate auf eine Entscheidung zu seinem Asylantrag. Um nach dem Bescheid so schnell wie möglich in seiner Branche arbeiten zu können, lernt S. intensiv Deutsch. „Ich hab mich in diesen Monaten nur darauf konzentriert, Deutsch zu lernen“, sagt er. „Kommst du aus Österreich?“, fragt er dann. „Dann korrigier’ mich bitte immer, wenn ich einen Fehler mache, ja?“

Den Kärntner Dialekt versteht er so schlecht, dass er auf ungewöhnliche Methoden zurückgreifen muss. „Du gibst im Internet einfach ein: ‚Helene Fischer Lyrics‘ und dann geht das schon. Deshalb kann ich auch alle Lieder auswendig. In Österreich finden das alle immer sehr lustig.“ S. will sich seinen Bachelor-Abschluss anerkennen lassen. Mit Hilfe des Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF) schickt er seine Papiere ans Wissenschaftsministerium. Auf einen Termin muss er zwei Monate warten. „Ich habe gesagt: Gut, ich warte. Was soll ich denn sonst machen?“

Nach drei Wochen bekommt er eine Antwort: Sein Abschluss entspräche einem Abschluss der Fachhochschule Technikum Wien. „Ich hab nicht verstanden, was das bedeutet. Ich habe so viele Leute gefragt. Manche haben gesagt: Ja, damit kannst du jetzt den Abschluss anerkennen lassen. Andere: Nein du musst noch Prüfungen machen.“

Also fragt S. bei denen, die es wissen sollten – bei der FH Technikum Wien – nach, welche Schritte jetzt zur endgültigen Anerkennung seines Abschlusses notwendig seien. „Ich habe das auf Englisch gefragt. Mein Deutsch war damals noch nicht so gut – und ich meine, das ist ja eine Fachhochschule, da sollte Englisch doch kein Problem sein.“ S. zieht das Wort „Fachhochschule“ in die Länge. „Aber die Dame hat gesagt: ‚Englisch? Nein, nein! Sie sind hier in Österreich! Sie müssen Deutsch reden! Kommen Sie wieder, wenn sie das B2-Zertifikat [übliches Deutsch-Niveau zur Uni-Zulassung in Österreich, Anm.] haben.‘“, erzählt S. „Ich wollte die B2-Prüfung ja auch machen. Aber ich wollte damals doch nur verstehen, was ich sonst noch machen muss. Muss ich zum Beispiel Prüfungen nachholen? Wenn ja, hätte ich ja schon einmal mit der Vorbereitung beginnen können. Aber sie sagte: ‚Nein, nein! Gehen Sie und kommen sie wieder mit dem B2-Zertifikat.‘“

Nachdem er mehrmals zwischen Wissenschaftsministerium, Integrationsfonds und FH hin und her geschickt wurde, hat S. eine neue Idee. Wenn er einen Master in Wien machen könnte, hätte er einen österreichischen Abschluss. „Dann könnte ich ganz normal arbeiten. Und ich könnte mich auch verbessern. Vielleicht gibt es etwas, das ich in Syrien noch nicht gelernt habe. Das wäre doch auch gut für die österreichischen ArbeitgeberInnen, wenn ich dazulerne.“

Saheib flüchtete aus Aleppo, wurde an der Montanuni Leoben zugelassen und studiert, nachdem er viele bürokratische Hürden überwunden hat, Bauingenieurwesen an der TU Wien. Foto: Chris Belous

Tatsächlich lässt ihn die Technische Universität Wien (TU) zum Master-Studium zu, unter der Voraussetzung, dass er vier Prüfungen aus dem Bachelor nachholt. Damit tut sich aber ein neues – und für studierende Asylberechtigte typisches – Problem auf: Es ist nicht erlaubt, gleichzeitig zu studieren und beim AMS gemeldet zu sein. Wenn S. also seinen Master an der TU tatsächlich angehen will, muss er sich beim AMS abmelden und verliert dadurch jede finanzielle Unterstützung. Gleichzeitig hat er keinen Anspruch auf Studienbeihilfe, denn eine der Voraussetzungen dafür ist, dass das Masterstudium innerhalb von 30 Monaten nach dem Bachelor- Abschluss begonnen wurde. Durch seine Flucht, das Warten auf den Asylbescheid und seine Deutschkurse hat S. diese Frist überschritten. So ist er nun zwar an der TU offiziell zugelassen, kann aber keine Prüfung machen, ohne die finanzielle Unterstützung des Staates zu verlieren. Er will also versuchen, Arbeit zu finden und danach sein Master-Studium beginnen.

„Der Übergang zum richtigen Leben ist schwierig“, überlegt er. „Vielleicht hätte ich es wie meine Freunde machen sollen und mir mit den Deutschkursen mehr Zeit lassen sollen. Ich habe nach eineinhalb Jahren B2 gemacht. Ich bin der erste, der ins richtige Leben muss. Meine Freunde gehen einfach immer noch in den Deutschkurs, einfach um etwas zu tun.“

ALEPPO-KAIRO-LEOBEN. Auch Saheib kennt Zeiten, in denen er einfach nichts zu tun hat. „Ich bin am 20. Oktober 2013 legal nach Österreich gekommen und ich bin legal hier geblieben“, stellt er sich nicht ohne Stolz vor, als ich ihn zusammen mit seinem Freund und Studienkollegen Yamen an der TU Wien treffe.

Saheib kommt aus Aleppo, wo er nach seinem Schulabschluss das Studium Bauingenieurswesen begann. Nach zwei Jahren bricht er das Studium ab. Uni-Gebäude werden bombardiert, die männlichen Studenten werden zum Militärdienst eingezogen. „Es ist eine Diktatur. Wer eine andere Meinung hat, wird verhaftet“, sagt Yamen. „Auch Studenten, viele meiner Freunde. Einmal wurde ein Freund während einer Prüfung abgeführt“, erzählt er. „Er ist jetzt zum Glück in Deutschland.“

Auch Saheib kann nicht bleiben. „Meine Familie hat gesagt: ‚Saheib, das ist zu gefährlich. Du musst hier weg‘“, erzählt er. Er flieht in den Libanon. Wie S. will er sein Studium unbedingt wieder aufnehmen. „Zuerst habe ich mir gedacht: Ägypten.“ So fliegt Saheib nach Kairo und bewirbt sich dort an der Uni. Doch auch in Ägypten erfährt er als syrischer Flüchtling Diskriminierung. Er bewirbt sich also um ein StudentInnenvisum in Österreich – und wird an der Montanuni Leoben zugelassen.

Doch wie bei S. schafft die Zulassung erst einmal neue Probleme: Wer mit einem StudentInnenvisum in Österreich einreisen will, braucht nicht nur die Zulassung an einer österreichischen Universität, sondern auch ein österreichisches Bankkonto. Und für ein österreichisches Bankkonto braucht man einen österreichischen Meldezettel – für den in Kairo lebenden Saheib ein Ding der Unmöglichkeit. Vier Monate braucht er, um schließlich ein Visum für Österreich zu bekommen. „Gott sei Dank hat dann alles funktioniert. Die Arbeit mit der österreichischen Botschaft in Ägypten hat so lange gedauert, dass ich das erste Deutsch-Level schon in Kairo gemacht habe“, sagt Saheib.

So kann er schließlich schon mit der A1-Deutsch-Prüfung ins Flugzeug nach Österreich steigen. „Am Flughafen in Kairo hat der Beamte meinen Reisepass angeschaut und gesagt: ‚Sie haben keinen Aufenthaltstitel für Ägypten. Wie sind Sie hierhergekommen? Sie müssen Strafe zahlen.‘ Ich habe gesagt: ‚Gut, dann zahle ich.‘ Immer noch besser als Gefängnis.“

Ein Jahr lang besucht Saheib den Vorbereitungslehrgang in Leoben und lernt Deutsch. Doch bald kommt das böse Erwachen: Die syrische Botschaft in Österreich weigert sich seinen Pass zu verlängern, da er keine Bestätigung über einen abgeleisteten Militärdienst in Syrien hat – ohne Reisepass kann er aber auch sein Visum nicht verlängern. So stellt er einen Asylantrag, der nach sieben Monaten positiv beurteilt wird. Sieben Monate, in denen Saheib nichts tun kann, sein Studium liegt auf Eis; er verliert für die Dauer des Asylverfahrens seinen Anspruch auf Studienbeihilfe.

Doch mit dem positiven Asylantrag kommt auch eine Chance: Konnte er mit seinem alten Visum nur in Leoben studieren, stehen ihm nun alle Studiengänge in Österreich offen. Das Studium Bauingenieurswesen an der TU Wien ist seinem Studium in Aleppo ähnlicher und so zieht auch Saheib nach Wien. „Ich wollte unbedingt in meiner Richtung weiterstudieren, und die gibt es in Leoben nicht.“ Ein paar Kurse von der Universität Aleppo kann er sich auch anrechnen lassen.

„Das Studium ist gut, aber nicht immer leicht“, erzählt Saheib. Wenigstens sind die finanziellen Sorgen einmal weg. Er hat wieder Anspruch auf Studienbeihilfe. „Das ist auch ein bisschen gefährlich, denn die Regeln sind hier sehr streng. Und die Regeln sagen, dass man für die Studienbeihilfe 30 ECTS im Jahr machen muss. Ich bin nicht faul und ich bemühe mich gut zu lernen, aber es ist nicht immer leicht und ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Aber ich versuche es.“ Durch die verlorenen Semester während des Asylverfahrens wird Saheib die Beihilfe außerdem nicht bis zum Ende seines Studiums, sondern nur bis ins vierte Semester erhalten, aber er ist zuversichtlich. „In zwei Jahren, da hoffe ich, dass ich neben dem Studium vielleicht schon arbeiten kann. Und ich hoffe, dass ich in zwei Jahren schon zum Ende des Studiums komme.“

NUR DAS STUDIUM BLEIBT. Auch S. bleibt Helene Fischer und seinem Motto „Ich geb nie auf“ treu. Kurzzeitig hat er überlegt, nach Deutschland oder Schweden weiterzuziehen und sich dort für Praktika zu bewerben, doch mittlerweile ist seine Familie nach Wien nachgekommen. So will auch er in Österreich bleiben und weiterhin nach einer Arbeit suchen, um sein Master-Studium zu finanzieren, auch wenn man am AMS für diese Pläne wenig Verständnis hat. „Die Beraterin hat mich gefragt, warum ich studiere. Warum machen Sie das? Als ich gesagt habe‚ um einen besseren Job zu finden, hat sie gesagt: ‚Das ist mir egal. Sie müssen doch keinen Techniker-Job finden. Bewerben Sie sich halt in einer Pizzeria.‘ Aber ich habe in Syrien fünf Jahre lang studiert. Wieso soll ich jetzt in einer Pizzeria oder bei McDonalds arbeiten?“, sagt S. „Ich will in meinem Bereich bleiben. Ich mag ihn. Wir haben in Damaskus alles verloren: unser Haus, unsere Wohnung, unser Leben. Wir haben nichts mehr von unserer Vergangenheit. Ich habe nur eine Sache: mein Studium.“

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik an der Universität Wien.

Alle unter einem Dach

  • 17.04.2014, 18:02

 

PensionistInnen, Studierende und Kleinkinder – alle zusammen in einer WG. Klingt ungewöhnlich, könnte aber die Zukunft des Wohnens sein, denn immer mehr Menschen lassen sich auf dieses Experiment ein.

Willi steht in der Küche und packt Flaschen aus ihrem Einkaufstrolley. „Patrick hat mich gebeten, Bier mitzunehmen“, erklärt sie. Daneben steht Mohsen und blickt kritisch auf die beachtliche Sammlung leerer Flaschen neben der Abwasch. „Wir sollten das mit dem Müll anders organisieren. Vielleicht sollte jede Woche jemand fix für den Müll zuständig sein“, schlägt er vor. „Ich versteh nicht, warum nicht einfach jeder seinen Dreck wegräumen kann“, entgegnet Willi. „Wenn jemand einkaufen geht, kann er ja wohl einfach ein paar Flaschen mitnehmen.“

Alkohol kaufen für die MitbewohnerInnen, Diskussionen um die Müllentsorgung: Es sind Szenen, wie sie jede Studi-WG kennt. Auch die Möbel sind wie in den meisten Wohngemeinschaften bunt zusammengewürfelt. Willi hat bei ihrem Einzug ihr Klavier mitgebracht, das jetzt im Wohnzimmer steht. Daneben stehen Sofas in unterschiedlichen Farben und Regale vollgestopft mit Büchern. Auch die Zimmerpreise entsprechen mit 300 bis 500 Euro jenen in Studierenden-WGs. Was auf den ersten Blick wie eine normale Wohngemeinschaft aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als etwas Außergewöhnliches: In der Generationen-WG der ÖJAB (Österreichische Jungarbeiterbewegung) leben 24 Menschen aller Altersgruppen – darunter SeniorInnen, Studierende und junge Familien – aus acht verschiedenen Nationen zusammen. Willi ist mit ihren 75 Jahren die älteste Bewohnerin; die jüngste ist gerade einmal zwei Monate alt. Student Mohsen liegt mit seinen 29 Lebensjahren in der Mitte.

Ein Konzept Mit Zukunft. 2030 wird es in Österreich mehr über 65-Jährige als unter 19-Jährige geben und die Überalterung schafft neue Probleme. Eine Frage ist etwa die der Pflege und Versorgung im Alter. Zwar kommen viele SeniorInnen gut alleine zurecht, die Angst vor der Einsamkeit ist jedoch groß. Ab einem gewissen Alter brauchen die meisten dann doch Hilfe im Alltag, sei es beim Hausputz, der Gartenarbeit oder auch dem Stiegensteigen – ins Altersheim wollen aber dennoch nur die wenigsten. Generationenverbindendes Wohnen kann in solchen Fällen eine zufriedenstellende Lösung sein. Denn, wie Christine Leopold, Präsidentin von Kolping Österreich, betont: „Alte wollen nicht nur Alte sehen.“

Der Arbeiterverein Kolping Österreich hat bereits 2003 ein SeniorInnenheim im 10. Wiener Gemeindebezirk mit seiner Unterstützungseinrichtung für alleinerziehende Mütter zusammengelegt. Neben den 200 älteren BewohnerInnen, die rund um die Uhr auf der Pflegestation betreut werden, und 45 RentnerInnen, die ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bestreiten, leben hier heute 18 Mütter mit etwa 30 Kindern, die von SozialarbeiterInnen unterstützt werden. Beim Faschingsumzug auf der Pflegestation, Oster- und Weihnachtsfeiern und bei jedem runden Geburtstag sind die Kinder mit dabei. Und die SeniorInnen haben für solche Gelegenheiten natürlich auch den einen oder anderen Schokoriegel für ihre jungen MitbewohnerInnen parat.

Im Gegensatz zum Kolpinghaus ist unter den SeniorInnen in der Generationen-WG (GWG) niemand pflegebedürftig. „Höchstens vergesslich!“, merkt Willi an und erzählt schmunzelnd, dass ein älterer Mitbewohner ab und zu die Koteletts in der Pfanne vergisst. Konflikte zwischen den Generationen sind aber an beiden Orten selten. In der GWG zankt man sich nur manchmal über die leeren Glasflaschen. Und auch im Kolpinghaus hat es nur einmal einen größeren Krach gegeben, als die Kinder die Fische im Aquarium der SeniorInnen mit Waschmittel waschen wollten: „Die sind dann mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche geschwommen“, erzählt Frau Leopold, „ein wenig Aufregung schadet aber grundsätzlich auch im Alter nicht.“

Auch Willi hat sich für einen abwechslungsreichen Alltag entschieden, als sie vor fünf Jahren in die Generationen-WG einzog. Ein Altersheim war damals keine Option und ist es auch heute nicht. Schließlich ist sie nicht pflegebedürftig und mit ihren 75 Jahren noch gut auf den Beinen. 41 Jahre lang hatte die Bibliothekarin ihre Wohnung im obersten Stock eines Wiener Zinshauses. „147 Stufen! Das schaffe ich auch heute noch!“ Aber sie muss es nicht mehr schaffen. Die Generationen-WG liegt im Erdgeschoss: praktisch für Rollstühle, Kinderwägen und Willis Einkaufstrolley.

Die BewohnerInnen der Generationen-WG haben die gleichen Freunden und Sorgen wie eine „normale“ Studi-WG. Foto: Eva Engelbert

Eine Frage der Planung. „Planung und Architektur sind beim generationenverbindenden Wohnen sehr wichtig, sowohl für Alt als auch für Jung muss es Begegnungs- und Rückzugszonen geben“, erklärt Leopold. Im Haus des Kolping-Vereins soll der Eingangsbereich mit Rezeption und Spielecke für Begegnungen zwischen Alt und Jung sorgen. Die BewohnerInnen der GenerationenWG treffen sich in der Küche und im Wohnzimmer. „Wir sitzen hier am Abend zusammen und reden. Das ist besser als in meinem letzten Studentenheim“, lacht die 21-jährige Studentin Maryam. Alle möglichen Feste aus den Herkunftsländern der BewohnerInnen wurden in der Küche schon gefeiert. Damit sich auch alle verstehen, gilt die Regel, dass im Gemeinschaftsbereich Deutsch oder Englisch gesprochen wird. Willi schüttelt amüsiert den Kopf: „Das ist dann ein arges Gemisch aus Englisch in allen Abstufungen.“

Trotz der guten Gemeinschaft sind die eigenen Zimmer wichtige Rückzugsorte – gerade für die älteren BewohnerInnen, wenn die jüngeren einmal länger in der Küche feiern. „Es stört mich nicht, wenn’s laut ist. Wenn ich nimmer will, dann geh’ ich halt“, beantwortet Willi die Frage nach abendlichen Parties. Auch im Kolpinghaus wird darauf geachtet, dass sich die BewohnerInnen jederzeit zurückziehen können, wenn es ihnen zu viel wird. „Gerade viele ältere Menschen, die zu uns kommen, haben vorher sehr lange alleine gelebt und müssen sich erst daran gewöhnen, wieder ständig unter Leuten zu sein“, erzählt Leopold.

Nicht nur Vereine wie Kolping oder die ÖJAB versuchen sich an solch neuen Wohnformen. In Salzburg sind im Dezember die ersten BewohnerInnen in ein privates Generationen-Projekt eingezogen. Dort gibt es ebenfalls Gemeinschaftsräume, aber jeder hat seine eigene Mietwohnung. Ob die Gemeinschaftsflächen so stark genutzt werden wie in der Generationen-WG, wird sich noch herausstellen. „Zurzeit gibt's noch ein bisschen Umzugschaos“, sagt Koordinator Erwin Oberbramberger. Irgendwann soll das Projekt die älteren BewohnerInnen vor der Alterseinsamkeit bewahren und die SeniorInnen könnten den gestressten Eltern mit Vorlesestunden für die Kinder unter die Arme greifen. In der Einzugsphase in der Vorweihnachtszeit gab es bereits gemeinsame Aktivitäten: Während die Eltern Umzugskisten schleppten, backten ihre Sprösslinge im Gemeinschaftsraum Kekse mit einer Betreuerin.

Betreuung muss sein. Ganz ohne Betreuung funktionieren auch die am besten geplanten Projekte nicht – darüber sind sich die InitiatorInnen aller drei Generationen-Projekte einig. „Von ganz alleine passiert gar nichts“, weiß Leopold aus Erfahrung. Für das Kolpinghaus steht deshalb die Abteilung „Lebensqualität“ des Vereins als Ansprechpartnerin zur Verfügung und ist für die Organisation von Festen zuständig. Auch im Salzburger Projekt wird eine ständige Betreuerin dafür sorgen, dass die BewohnerInnen die Gemeinschaftsräume nutzen. „Jemand muss gemeinsame Aktivitäten initiieren, Ideen einbringen, sozusagen das Handwerkszeug liefern. Sonst wird es schwierig“, meint Oberbramberger. Für die Generationen-WG de ÖJAB ist Veronika Stegbauer zuständig. Sie kümmert sich um alles Organisatorische – angefangen von HandwerkerInnen, über die Behebung von Internetproblemen, bis hin zum Müllentsorgungsplan. Zusätzlich kommt zwei Mal in der Woche eine Putzfrau. JedeR, der/die einmal in einem Studentenheim gewohnt hat, kann erahnen wie eine Küche aussehen kann, die von 24 BewohnerInnen benutzt wird. Des Weiteren leitet Stegbauer einmal im Monat eine BewohnerInnenversammlung, bei der Probleme besprochen und Aufgaben verteilt werden: Eine BewohnerIn holt in der Früh die Post und verteilt sie, ein anderer ist für Computer und Technik zuständig.

Die Gemeinschaft muss passen. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass Generationen-Wohnprojekte funktionieren, ist, wie in jeder WG, dass die MitbewohnerInnen zusammenpassen müssen. Oberbramberger hat zunächst mit allen InteressentInnen für die Wohnungen in Salzburg telefoniert, um herauszufinden, ob eine generationenverbindende Wohnform überhaupt das Richtige für sie ist. „Wenn alte Leute sagen ‚Ich möchte meine Ruhe haben‘ oder junge Eltern 'Wir haben zwar keine Großeltern mehr, aber das wollen wir auch gar nicht', dann macht Generationen-Wohnen nicht viel Sinn.“ Wegen eines schwierigen Mitbewohners hat auch Stegbauer von der ÖJAB die letzten Wochen damit verbracht jemand neuen für die GenerationenWG zu suchen. „Der vorige Bewohner hat die Gemeinschaft doch ziemlich strapaziert.“ Nun zieht eine russische Studentin mit ihrer achtjährigen Tochter in die WG ein und stellt das Generationen-Projekt vor neue Herausforderungen. „Wir werden sehen, wie das mit der Tochter wird“, sagt Stegbauer. „Vielleicht organisieren wir Kinderbetreuungsdienste.“

Trotz – oder gerade wegen – der kleinen Herausforderungen im Alltag wird Generationen-Wohnen immer beliebter. Seit Kurzem gibt es neben dem Kolpinghaus in Favoriten auch eines im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Die ÖJAB will neben der Generationen-WG bald ein ganzes Generationen-Haus eröffnen. Und auch in Salzburg sind schon zwei weitere Projekte in Planung. Denn viele SeniorInnen brauchen keine Pflege, sondern einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit. Für sie könnte generationenverbindendes Wohnen in Zukunft eine Alternative zum Altersheim sein.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik, Julia Prummer Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Liebe mit Grenzen

  • 13.04.2014, 15:29

Globalisierung, verstärkte Mobilität in Arbeit und Studium, Migration: Immer mehr Ehen werden über nationale und kulturelle Grenzen hinaus geschlossen. Doch das österreichische Fremdenrecht macht bi-nationalen Paaren ein Familienleben oft unmöglich. Magdalena Liedl traf für progress online zwei internationale Paare.

Globalisierung, verstärkte Mobilität in Arbeit und Studium, Migration: Immer mehr Ehen werden über nationale und kulturelle Grenzen hinaus geschlossen. Doch das österreichische Fremdenrecht macht bi-nationalen Paaren ein Familienleben oft unmöglich. Magdalena Liedl traf für progress online zwei internationale Paare.

Übermütig bellend springt die Hundedame Kobi um Lisa und Craig herum. „Komm, Kobi, küss mich, küss mich!“, ruft Lisa lachend. Craig hebt Kobi hoch und hält sie vor Lisas Gesicht und prompt schleckt Kobi ihr begeistert die Nase ab. Auf den ersten Blick sind die beiden ein ganz normales Paar, das an diesem Märznachmittag mit seinem Hund unterwegs ist. Doch dass die beiden zusammen in Wien spazieren gehen können, ist ein ständiger Kampf mit Behörden und Formularen. Denn Lisa ist Österreicherin, Craig Australier.

Kennen gelernt haben sich die beiden schon vor vier Jahren. Lisa war damals für eine Musical-Ausbildung in Melbourne. Als sie nach Österreich zurückkehrte, entschlossen sich die beiden, eine Fernbeziehung zu versuchen. Doch nach zwei Jahren Skype-Gesprächen, Langstreckenflügen und sporadischen Treffen wollten sie endlich im selben Land leben. „Am Magistrat haben sie uns sofort gesagt: Ihr müsst heiraten, sonst geht das nicht“, erzählt Lisa von ihren ersten Erkundigungen, was denn zu tun sei, wenn Craig nach Österreich ziehen wolle. „Aber wenn ihr uns die Heiratsurkunde bringt, ist das kein Problem.“

Doch als Craig schließlich letzten Juni in Wien ankam, folgte das böse Erwachen: Eine Heirat ist keine Garantie, dass ein Ehepaar zusammen in Österreich leben darf. Denn erstens gilt für den/die ausländische/n PartnerIn wie für alle ImmigrantInnen das Prinzip „Deutsch vor Zuzug“. Und zweitens muss der/die österreichische PartnerIn für eine Aufenthaltsgenehmigung nachweisen, dass er oder sie mindestens 1256 Euro netto verdient – mit Aufschlägen für Miete und gemeinsame Kinder; für Studierende oder junge Eltern in Karenz meist ein Ding der Unmöglichkeit.

1256 Euro ist eine Summe, über die auch Teresa schon viel nachgedacht hat. Ihren Mann Marko lernte sie bei einem Aufenthalt als Assistentin an der Universität von Montenegro kennen. Wie Lisa und Craig führten die beiden zunächst eine Fernbeziehung, doch als Teresa schwanger wurde, wollte Marko zu ihr nach Österreich ziehen. Teresa bekam aber nur 1000 Euro Karenzgeld – also knapp zu wenig für Markos Aufenthaltsgenehmigung. Damit ihre Tochter trotzdem mit Mutter und Vater aufwachsen konnte, entschloss sich Teresa schließlich, nach Montenegro zu ziehen.

Verein Fibel. Geschichten wie die von Lisa und Teresa kennt Gertrud Schmutzer vom Verein Fibel gut. Der Verein unterstützt Ehepaare, von denen ein Partner aus einem Nicht-EU-Staat kommt. Und das sind nicht wenige Fälle: Im Jahr 2012 wurden bereits fast 18 Prozent aller Ehen in Österreich mit einem/r Nicht-ÖsterreicherIn geschlossen. Etwa 500 Beratungsgespräche mit solchen Paaren führt der Verein jedes Jahr. „Vor allem Ehen zwischen ÖstereicherInnen und AsylwerberInnen werden von den Behörden ganz schnell als Scheinehen verdächtigt“, erzählt Schmutzer. Aus dieser Angst vor Scheinehen wurde das österreichische Fremdenrecht in den letzten Jahren sukzessive verschärft. Seit der Fremdenrechtsnovelle 2006 gilt nun eine Heirat nicht mehr als Grund für eine Aufenthaltsgenehmigung – wie Lisa, Craig, Teresa und Marko schmerzlich feststellen mussten.

Vor allem für AsylwerberInnen in einer Beziehung stellt sich ein weiteres Hindernis: Der Antrag auf die Aufenthaltsgenehmigung darf nicht in Österreich, sondern muss im Herkunftsland des/der ausländischen PartnerIn gestellt werden. „Aber wie soll denn zum Beispiel ein syrischer Flüchtling nach Syrien zurückkehren, um einen solchen Antrag zu stellen?“, fragt Schmutzer. „Der kann sich das alleine finanziell nicht leisten.“ Auch für Marko war diese Frage nicht ganz einfach zu lösen. Die österreichischen Behörden verlangten von ihm nämlich Dokumente, die es in Montenegro nicht gibt, etwa einen Strafregisterauszug. „Da mussten wir der Polizei in Montenegro wieder ewig erklären, was wir da wollten und das ganze am Ende übersetzen lassen“, erzählt Teresa.

Doch nicht alle bi-nationalen Paare haben gleichermaßen mit solchen Hindernissen zu kämpfen. Irene Messinger hat das Phänomen Scheinehe in ihrer Doktorarbeit untersucht. Das Ergebnis: Es werden nicht nur PartnerInnen aus bestimmten Herkunftsländern eher der Scheinehe verdächtigt, sondern vor allem auch junge ÖsterreicherInnen. „Diskriminiert werden unterprivilegierte Männer und junge Frauen – vor allem Frauen, die bei ihrem Kind zu Hause bleiben“, weiß auch Schmutzer aus ihrem Arbeitsalltag. Ein reicher Österreicher, der eine Amerikanerin heiratet, hat kaum Probleme, doch die Beziehung zwischen einer jungen ÖsterreicherIn und einem Partner aus Asien oder Afrika ist meist mit großen Schwierigkeiten verbunden. 

Einwanderung nach Gemeinschaftsrecht. Eine Möglichkeit das Mindesteinkommen und „Deutsch vor Zuzug“ zu umgehen, ist die Einwanderung nicht nach nationalem österreichischem Recht sondern nach EU-Gemeinschaftsrecht abzuwickeln. Das kann, wer schon einmal vom EU-Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat – also schon einmal einige Zeit im EU-Ausland gelebt hat, etwa durch einen Erasmus-Aufenthalt. Dann fallen all die strengen nationalen Regelungen weg. „Paaren wird aber auch leicht unterstellt, den Status der Freizügigkeit zu inszenieren“, warnt Schmutzer.

Genau dieses EU-Prozedere wollen nun Lisa und Craig nutzen. Denn Lisa hat lange Zeit in Polen gelebt – was die Angelegenheit nun eigentlich erleichtern müsste. Doch dass sie lange genug im EU-Ausland gelebt hat, ist schwer zu beweisen. Dass sie ihren Führerschein in Polen gemacht hat, gilt nicht – die notwendige Zeitspanne für Kurse und Prüfungen ist zu kurz. Und da ihre Eltern eine Eigentumswohnung in Polen besitzen, kann sie auch nicht nachweisen, dass sie während ihres Aufenthaltes Miete gezahlt hat. „Und sonst habe ich auch nicht mehr jede Rechnung von 2007, dass ich sagen könnte: Hier habe ich das in Polen gekauft, und da das.“, sagt Lisa. Für sie ist also weiterhin nicht klar, ob Craig eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhält. Mit seinem aktuellen Visum darf er nun einmal bis April bleiben.

Teresas und Markos Geschichte hat bereits ein gutes Ende gefunden. „Ich hatte Heimweh und habe mich mit meinem Kind in Montenegro nicht wohl gefühlt“, erzählt Teresa aus ihrer Zeit in Montenegro. Sie wollte also so schnell wie möglich wieder nach Österreich zurückkehren. Nach ihrer Karenzzeit begann Teresa wieder an der Uni in Montenegro zu arbeiten – allerdings bezahlt vom Österreichischen Auslandsdienst. Dadurch konnte sie bereits nach einem Jahr durch österreichische Lohnzettel ihren Verdienst nachweisen. Marko machte inzwischen eine Deutsch-A2 Prüfung. „Zum Glück hat damals gerade ein Prüfungszentrum in Montenegro aufgemacht, sonst hätten wir dafür wieder nach Belgrad fahren müssen.“ Mittlerweile lebt Teresa zusammen mit Marko und ihrer kleinen Tochter wieder in Österreich.

Ein Traum, von dem sich Lisa und Craig schön langsam verabschieden. „Wir haben in den letzten Wochen immer öfter darüber nachgedacht, nach Australien zu ziehen“, erzählt Lisa. Für sie wäre es leichter, in Australien einzuwandern als für Craig in Österreich. „Ich könnte dort auch arbeiten“, meint Craig. Hier in Österreich kann er das zurzeit nicht. „Das ist auch mit dem Geld schwierig. Hätten wir mehr Geld, könnte ich mir in dieser Zeit ein bisschen Europa ansehen. Aber alles, was ich hier tun kann, ist warten, warten, warten. Das ist wirklich Zeitverschwendung.“

Links zum Thema

Verein Fibel http://www.verein-fibel.at/
Verein Ehe ohne Grenzen http://www.ehe-ohne-grenzen.at/
Rechtsberatung Helping Hands http://www.helpinghands.at/
Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20004242 
Eheschließungen Statistik Austria http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/eheschliessungen/index.html

Masterdesaster

  • 07.12.2013, 21:06

Monatelange Wartezeiten und unfaire Zusatzleistungen – wer sich mit dem Bachelor-Abschluss einer anderen Hochschule für einen Master an der Uni Wien bewirbt, muss mit vielen Widrigkeiten kämpfen. Denn weder die Verwaltung noch das Universitätsgesetz sind auf das Bologna-System ausgelegt.

Monatelange Wartezeiten und unfaire Zusatzleistungen – wer sich mit dem Bachelor-Abschluss einer anderen Hochschule für einen Master an der Uni Wien bewirbt, muss mit vielen Widrigkeiten kämpfen. Denn weder die Verwaltung noch das Universitätsgesetz sind auf das Bologna-System ausgelegt.

Simonas Studienbeginn an der Uni Wien hat etwas mit der Einführung des Bologna-Systems in Österreich gemein: Ein erfolgreicher Start sieht anders aus. Dabei schien vor einem halben Jahr alles noch so einfach. An ihr Bachelorstudium an der FH für Soziale Arbeit wollte Simona einen Master in Soziologie an der Uni Wien anhängen und damit von einer Möglichkeit Gebrauch machen, die seit der Implementierung des Bologna-Systems ständig beworben wird. Dass die Kombination Soziale Arbeit und Soziologie möglich ist, wusste sie von StudienkollegInnen, die bereits erfolgreich auf die Uni Wien gewechselt hatten. Diese mussten dafür 16 ECTS aus dem Soziologie- Bachelorstudium nachholen. Schließlich erhielt auch Simona ihren Zulassungsbescheid – allerdings mit erheblich höheren Auflagen: Obwohl sie exakt dieselben Voraussetzungen wie ihre KollegInnen mitbrachte, musste sie plötzlich 27 ECTS nachholen. „Ich habe eine Bachelorarbeit mit 80 Seiten Umfang geschrieben und Interviews geführt, jetzt muss ich Einführungskurse zum wissenschaftlichen Arbeiten machen.“

Studierenden, deren BA-Abschluss nicht zum Master passt, wird keine Zulassung gewährt. Was zu fachfremd ist, liegt im Ermessen der jeweiligen Studienprogrammleitung. Medizin-Studierende lässt das Soziologie-Institut etwa grundsätzlich nicht in den Master einsteigen. Darüber hinaus darf die Studienprogrammleitung bis zu 30 ECTS an Zusatzleistungen aus dem Bachelorstudium als Voraussetzung für eine Zulassung zum Master vorschreiben. Auch denjenigen, die alle Voraussetzungen für einen Uni- oder Fach-Wechsel zwischen BA und MA mitbringen, wird der Studienbeginn durch die Bürokratie erschwert; Simona ist mit ihrem Problem kein Einzelfall.

Die Rechtsmittelkommission. Wie alle Studierenden, die sich bei der Zulassung ungerecht behandelt fühlen, hätte auch sie innerhalb von zwei Wochen Berufung gegen die Auflage von 27 ECTS an Zusatzleistungen einlegen können. Dann ist die Rechtsmittelkommission des Senats zuständig, der dieses Problem nicht fremd ist: Schließlich ist die Masterzulassung Berufungsgrund Nummer eins. Die Rechtsmittelkommission hat auch durchaus schon Zulassungsauflagen reduziert, wenn sie ungerechtfertigt waren. In vielen Fällen müssen die Studierenden ihren Bescheid allerdings hinnehmen, sagt Nicola Roehlich, sachbearbeitende Juristin der Kommission: „Wenn sich die Studienprogrammleitung ändert, kann sich auch die Spruchpraxis ändern, denn letztendlich handelt es sich dabei um eine Ermessensentscheidung.“ Das heißt, dass zwei unterschiedliche SachbearbeiterInnen auch zu unterschiedlichen Bescheiden bezüglich der Frage, wie viel ECTS Studierende nachzuholen haben, kommen können, wenn diese sachlich gerechtfertigt sind: Der Bescheid selbst enthält aber kaum mehr als eine einzeilige Begründung. Darüber hinaus erkundigen sich die Studierenden häufig bei der falschen Stelle – denn wer im ersten Semester an einer neuen Uni ist, kennt sich mit den Zuständigkeiten meist nicht aus. Simona fragte etwa bei der StudienServiceStelle, statt bei der zuständigen Studienprogrammleitung Soziologie, bezüglich der hohen Auflagen nach. Sie könne schon Berufung einlegen, aber Freunde mache sie sich damit am Institut keine, teilte man ihr dort mit. „Und wenn Sie das alles schon so gut können, dann gehen Sie halt zur Prüfung und schreiben ein Sehr gut.“ Simona ließ sich entmutigen und akzeptierte ihren Bescheid.

Neben der wenig hilfreichen Beratung haben viele andere Studierende ein noch größeres Problem: Zur Rechtsmittelkommission kann nur gehen, wer überhaupt schon einen Zulassungsbescheid hat. Ist der Antrag noch in Arbeit, bleibt den Betroffenen nur abzuwarten, denn die Zulassungsstelle nimmt bis zur Ausstellung des Bescheids keine Rückfragen entgegen. Im schlimmsten Fall wird der Bescheid erst nach Ende der Inskriptionsfrist ausgestellt und der/die StudentIn verliert ein ganzes Semester. Da Betroffene in diesem Zeitraum offiziell keine Studierenden sind, wird auch keine Familien- und Kinderbeihilfe ausbezahlt.

Diese Erfahrung haben Stefi und Sarah gemacht. Sie mussten bangen, ob sich die Zulassung vor Ende der Inskriptionsfrist ausgeht. Die beiden haben im Sommer dieses Jahres ihren BA an der FH für Journalismus mit einer Prüfung abgeschlossen und sich dann für einen MA in Politikwissenschaft an der Uni Wien beworben. „Das Einzige, was ich mir vorzuwerfen habe, ist, dass ich bei der BA-Prüfung zum zweiten Termin angetreten bin. Der war erst im September“, sagt Stefi. Dann hat sie ihre Bewerbung sofort persönlich auf die Uni gebracht – trotzdem dauerte es eine Woche, bis das Referat für Studienzulassung den Eingang ihrer Dokumente bestätigte. Um nichts vom laufenden Semester zu verpassen, nehmen die beiden Studentinnen bereits an Lehrveranstaltungen teil. Doch regulär können sie sich ohne den notwendigen Zugang zum Online-Anmeldesystem nicht registrieren. „Ich bin hingegangen und habe gebettelt, dass ich trotzdem teilnehmen darf. Bei einem Seminar hat’s funktioniert“, erzählt Sarah. Einer ihrer Studienkollegen wartete ganze 14 Wochen auf die Zulassung zum Master, für die eigentlich nur rund zehn Wochen vorgesehen sind. Als er sich bei der Studienprogrammleitung Politikwissenschaft beschwerte, wurde ihm mitgeteilt, dass dies sinnlos sei, „weil eh alle wissen“, dass es lange dauert. Da man ohne Bescheid nicht bei der Zulassungsstelle nachfragen darf, wandte er sich an das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement“ der Uni Wien. Die Stelle ist mit einer Person besetzt – für 80.000 Studierende.

Bolognas Erbe. Die langen Wartezeiten und unterschiedlichen Zulassungsbedingungen sind nicht nur Resultate der fehlenden finanziellen Mitteln, sondern auch der Einführung des Bologna-Systems: Mit dem Universitätsgesetz 2002 (UG02) wurden Magister- Studien auf das internationale Bachelor-Master-System umgestellt. Schrittweise wurden Studienpläne geändert und die Studierenden dazu ermuntert, das zu tun, was im englischsprachigen Raum gang und gäbe ist: im Master das Fach oder die Uni zu wechseln. Auf der anderen Seite sieht das UG aber die Individualisierung der Studien vor. Jede Uni sollte möglichst einen anderen Schwerpunkt setzen. „Das ist mit Bologna schwer kompatibel“, erklärt Professorin Bettina Perthold, Vorsitzende der Rechtsmittelkommission.

Während sich das Studiensystem drastisch änderte, blieb die Form der Verwaltung aber weitgehend gleich: 25 MitarbeiterInnen arbeiten im Referat Studienzulassung der Uni Wien; gerade einmal fünf davon sind für die Masterzulassung zuständig. Das heißt für all jene Studierenden, die schon an der Uni Wien ihren Bachelor abgeschlossen haben und ihr Studium nun im Master fortsetzen, seit Bologna müssen sie sich dafür nochmal extra inskribieren. Hinzu kommen 4.200 weitere Anträge pro Semester auf Zulassung mit Abschluss einer anderen Hochschule oder in einem anderen Fach. „Die MitarbeiterInnen des Referats für Zulassung stehen vor allem in den Inskriptionsfristen am Rande ihrer Leistungsfähigkeit“, sagt Roehlich. Zum Ende der Zulassungsfrist stellt die Uni zwar freie MitarbeiterInnen zur Unterstützung ein, trotzdem warten Studierende oft länger als zehn Wochen auf ihren Bescheid.

Ähnliche Probleme haben die einzelnen Institute, die entscheiden, ob und welche Lehrveranstaltungen für die Masterzulassung nachgeholt werden müssen. Auch wenn schon einmal jemand mit exakt demselben Abschluss zugelassen wurde, muss jeder Antrag einzeln geprüft werden. Für diese Prüfung ist genau eine Person aus der Studienprogrammleitung zuständig – selbstverständlich neben ihrer regulären Arbeit. Dass dabei Anträge monatelang zwischen Zulassungsreferat und den Instituten hängenbleiben ist nicht verwunderlich. Stefi und Sarah können davon ein Lied singen. Etliche Male waren sie im StudienServiceCenter, haben sich über den Verbleib ihrer Bewerbung erkundigt und beschwert. Und siehe da: Nach langem Warten wurden die Anträge schließlich vorgereiht und noch innerhalb der Frist abgelehnt, mit der Begründung, dass ihr Bachelor zu fachfremd sei. Eine Bekannte wurde aber mit dem selben Bachelor noch vor einem halben Jahr zugelassen. Stefi und Sarah werden nun in Berufung gehen. Bis dahin bekommt Stefi keine Kinderbeihilfe mehr und verliert ohne die Inskription auch ihre Mitversicherung. 

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik, Julia Prummer Rechtswissenschaften an der Uni Wien.
 

4 Tipps für deinen Einstieg in den Master

Wer sich an der Uni Wien mit einem Abschluss von einer anderen Hochschule für einen Master bewirbt, muss sich zuerst durch den Zulassungsprozess kämpfen. Hier ein paar Tipps, wie der Studienwechsel gelingen kann:

Vor der Antragstellung … ist es wichtig, sich umfassend zu informieren. Neben dem Einholen von Infos verschiedener Servicestellen sollte man auch bei der jeweiligen Studienprogrammleitung nachfragen, ob der Einstieg in das gewünschte Masterstudium grundsätzlich möglich ist. Da das Zulassungsreferat überlastet ist, sollten auch mehr als zehn Wochen Bearbeitungsfrist eingeplant werden.

Die Bewegung … sollte mit beglaubigten Dokumenten erfolgen. Das kostet zwar Geld, doch so kann man seine Originalzeugnisse behalten und sich gegebenenfalls auch woanders bewerben. Neben Zeugnissen sollten auch kurze Beschreibungen der absolvierten Lehrveranstaltungen beigelegt werden. Das beschleunigt den Prüfungsprozess der Unterlagen und beugt Anrechnungsproblemen vor. Zusätzlich empfiehlt es sich auch für das jeweilige Bachelorstudium zu inskribieren. Sollte der Bescheid zu spät ausgestellt werden, können Lehrveranstaltungen aus dem Master im ersten Semester über das Interessensmodul des Bachelorstudiums absolviert werden. Achtung: Die Anmeldefrist für BA-Studien endet früher als die für MA-Studien!

Die Wartezeit … dauert etwa 10-12 Wochen; das Zulassungsreferat gibt während dieser Wartezeit keine Auskunft über den Stand der Bearbeitung. Wer nach 12 Wochen noch nichts gehört hat, kann sich an das StudienServiceCenter des betreffenden Instituts wenden. Eine weitere Anlaufstelle ist das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement der jeweiligen Uni.

Der Zulassungsbescheid … entspricht oft nicht den Erwartungen. Wer nicht oder nur mit ungerechten Auflagen zugelassen wurde, sollte zunächst bei der zuständigen Studienprogrammleitung rückfragen. Kommt es zu keiner Lösung, steht den AntragstellerInnen die Berufung bei der Rechtsmittelkommission offen. Achtung! Hier gilt eine Frist von zwei Wochen. Ab 1.1.2014 ist dann nicht mehr die Rechtsmittelkommission zuständig, sondern die neu eingeführten Verwaltungsgerichte.

Allgemeine Anlaufstellen für Probleme sind die jeweilige Studienvertretung sowie das Referat für Bildungspolitik der ÖH. Die Broschüre „Dein MAstertudium“ mit umfassenden Infos zum Masterumstieg finden sich im Downloadbereich auf oeh.ac.at.

Da war es nur noch einer

  • 15.06.2016, 20:34
Die Uni Wien will durch die Reduzierung von Masterstudiengängen in der Verwaltung sparen. So werden vier Spezialisierungsmaster der Fakultät für Geschichte ab nächstem Wintersemester zu einem einzigen Masterstudium zusammengefasst. Tatsächliche Einsparungen dürfte das aber nicht bringen.

Die Uni Wien will durch die Reduzierung von Masterstudiengängen in der Verwaltung sparen. So werden vier Spezialisierungsmaster der Fakultät für Geschichte ab nächstem Wintersemester zu einem einzigen Masterstudium zusammengefasst. Tatsächliche Einsparungen dürfte das aber nicht bringen.

Wenn Eva über ihren baldigen Studienabschluss spricht, mischt sich die Freude darüber, bald fertig zu sein mit Nervosität. Denn sie hat nur noch wenige Wochen Zeit, um ihre Masterarbeit fertig zu schreiben und ihre letzte Prüfung zu absolvieren. Anders als bei anderen Masterstudierenden ist der Studienabschluss bis Ende Juni für sie jedoch kein selbst gesetztes Ziel. Schafft sie es nicht, diese Deadline einzuhalten und ihr Studium in den nächsten Wochen abzuschließen, muss sie kurz vor ihrem Masterabschluss noch das Studium wechseln. Denn Evas Studienrichtung Zeitgeschichte wird es ab nächstem Wintersemester nicht mehr geben. Ebenso wenig wie die Masterstudiengänge Frauen- und Geschlechtergeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte oder Historisch-kulturwissenschaftliche Europaforschung.

ALLES IN EINEN TOPF. Stattdessen werden all diese Masterstudiengänge ab dem Wintersemester 2016/2017 in einem einzigen neuen Studiengang Geschichte zusammengefasst. Für die circa 140 Studierenden, die zurzeit einen der oben genannten spezialisierten Masterstudiengänge in Geschichte belegen, bedeutet dies daher: entweder dieses Semester fertig werden, wie Eva, oder den neuen Master Geschichte beginnen – und dabei eine ganze Reihe von Lehrveranstaltungen nachholen. Wie viele von den betroffenen Studierenden den Abschluss rechtzeitig schaffen und wie viele umsteigen müssen, ist noch nicht klar. Aus Erfahrung wisse man aber, dass Studierende in so einer Situation eher versuchen würden, das Studium so schnell wie möglich abzuschließen, heißt es an der Universität Wien. Auf jeden Fall gibt es für die Betroffenen ein „Notfallpaket“, das heißt einen per E-Mail ausgeschickten Zeitplan mit Informationen über die Optionen Studienabschluss und Umstieg. Doch die Änderungen werfen nicht nur studiengangspezifische Fragen über Anrechnungen, Umstiege oder Masterarbeits-Deadlines auf, sondern auch grundsätzliche darüber, wie das Bologna-System in Zukunft aussehen soll und wie erfolgreich die Versuche der Universität Wien sind, bei der Verwaltung einzusparen.

Auf die künftig Inskribierten sowie die UmsteigerInnen kommen einige Veränderungen zu. Denn die neuen AbsolventInnen des Bachelors Geschichte können sich ab nächstem Semester nicht mehr durch ihre weiterführende Studienwahl spezialisieren. „Gesamt gesehen bleibt das Studienangebot in seiner Breite bestehen, auch die Differenzierung in Bezug auf das Lehrveranstaltungsangebot in den einzelnen Schwerpunkten bleibt erhalten“, heißt es dazu zwar von der Universität Wien. Doch im Gegensatz zum bisherigen System, in dem die Studierenden ihr gesamtes Masterstudium, also 120 ECTS, in einem Bereich machen konnten, ist eine Schwerpunktsetzung in Zukunft nur mehr im Ausmaß von je höchstens 30 ECTS möglich. Eine weitere Änderung wird sein, dass dieser neue Masterstudiengang nur noch im Wintersemester begonnen werden kann.

FLEXIBILITÄT ODER OBERFLÄCHLICHKEIT. „Fluch und Segen“ nennt Wolfgang Wiesinger von der Studienrichtungsvertretung Geschichte die Einstellung der Masterstudien. Der Segen ist für ihn dabei, dass der neue Master flexibler sein und mehr Auswahlmöglichkeiten bieten soll, anstatt einem strengen modularen Aufbau zu folgen, wie das die vier bald abgeschafften Studiengänge tun. „Das Problem, das wir bisher hatten war, dass die Studienpläne einfach die Institutsstruktur abbildeten“, erklärt Wiesinger. Bisher richtete sich der Lehrinhalt der Geschichte-Master tatsächlich weniger nach inhaltlichen Fragen, sondern nach der Organisationsstruktur der Fakultät. Es gibt ein Institut für Zeitgeschichte, also gibt es einen Master Zeitgeschichte, ein Institut für Wirtschaftsund Sozialgeschichte, also gibt es einen Master Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die Zusammenfassung dieser Studiengänge zu einem einzigen Masterstudium soll diese Struktur aufbrechen. Oder wie es die Pressestelle der Univerität Wien ausdrückt: „So können die Studierenden durch die Bündelung in einem Programm bei gleichzeitiger Flexibilisierung des Angebots die Spezialisierungsmöglichkeiten individueller gestalten. Weiteres Ziel bei der Umstellung ist, die Anrechenbarkeiten nach Mobilitätsprogrammen und durch den Wahlbereich die Durchlässigkeit zu anderen Disziplinen zu erhöhen.“ Soweit jedenfalls der Plan.

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Die Frage, ob dies tatsächlich möglich sein wird, hängt allerdings weniger vom Aufbau des neuen Studienplans ab, als davon, welche Lehrveranstaltungen dann in der Praxis tatsächlich zur Auswahl stehen werden. Die Studienvertretung Geschichte kritisierte schon früher ein mangelndes Kursangebot der Fakultät. „Im Moment würde es funktionieren, weil die alten Masterstudiengänge dieses Semester noch viele Lehrveranstaltungen anbieten. Aber wie es nächstes Semester läuft, wenn es die Spezialisierungsmaster nicht mehr gibt, muss man sich ansehen“, meint Wiesinger.

Unter den Studierenden herrscht diesbezüglich die Befürchtung vor, dass das Studium im neuen Master oberflächlicher wird. „Ich würde den neuen Master nicht beginnen, außer es gibt wirklich gar keine andere Möglichkeit mehr. Ich habe mich nach dem Bachelor für Zeitgeschichte entschieden, weil mich das am meisten interessiert hat“, erzählt Eva. „Ich habe mir das schon hypothetisch überlegt: Wenn ich jetzt mit dem Bachelor fertig werden würde, würde ich im neuen Master wahrscheinlich die Schwerpunkte Zeitgeschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte wählen. Aber es würde nicht dasselbe sein. Es wäre nicht Zeitgeschichte.“

EINSPARUNGSPOTENTIAL. Neben Schlagworten wie Flexibilisierung und Interdisziplinarität steht aber noch ein anderer Faktor im Raum: Einsparungen in der Verwaltung. Statt bisher vier verschiedene Studiengänge auf vier getrennten Instituten, muss in Zukunft nur noch ein einziger Studiengang administriert werden. „Das ist allerdings vollkommener Blödsinn“, sagt Wiesinger. „Das hören wir übrigens auch von der Studienservicestelle.“

Für die Institute, an denen die spezialisierten Masterprogramme angesiedelt waren, hat das Ende derselben noch eine weitere Dimension: Sie fürchten, dadurch, dass sie keine kompletten Studiengänge mehr anbieten können, international in Zukunft weniger wahrgenommen zu werden. Eine Lösung haben die verschiedenen Institute dafür jedoch schon gefunden – aber auch diese trägt nicht unbedingt zu Einsparungen in der Verwaltung bei: Das Rektorat will nämlich nicht nur bei der Administration einsparen und alte Strukturen aufbrechen, sondern auch die Interdisziplinarität zwischen verschiedenen Fachgebieten fördern. Der neue Geschichte-Master soll laut der Universität Wien daher unter anderem auch „durch den Wahlbereich die Durchlässigkeit zu anderen Disziplinen erhöhen“.

ALLES BEIM ALTEN. Gleichzeitig gründen die Institute für Zeitgeschichte und Wirtschafts- und Sozialgeschichte im nächsten Jahr neue Studiengänge. Diesmal jedoch unter dem Banner der Interdisziplinarität und mit dem erklärten Ziel ihr Profil zu stärken. Das Masterstudium „Zeitgeschichte und Medien“, das diesen Mai präsentiert wurde, ist eine Co-Produktion der Institute Zeitgeschichte, Politikwissenschaft und Publizistik. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird sich mit der VWL zusammentun. Das Institut für Osteuropäische Geschichte ist von den aktuellen Kürzungen nicht betroffen, weil es schon länger zusammen mit dem Slawistik-Institut den Studiengang „Osteuropastudien“ betreibt. Auf Nachfrage von progress preist das Institut für Zeitgeschichte seinen neuen Master auch tatsächlich als Möglichkeit zur Weiterführung des alten Masters an. Auch wenn bisher weder Lehrveranstaltungen für das erste Semester dieses neuen Masters feststehen, noch klar ist, wie viel sich an einem Umstieg interessierte Studierende aus dem alte Studienplan anrechnen lassen werden können.

Die Gründung all dieser neuen interdisziplinären Studiengänge würde teilweise einen Schritt in Richtung altes Mastersystem darstellen – nur eben mit einem zusätzlichen allgemeinen Studiengang, den es bisher auch schon gab. Oder wie es Studienvertreter Wiesinger ausdrückt: „Die Situation wird ähnlich wie vorher – nur komplizierter zu administrieren.“

Dass die verschiedenen Institute für Geschichte möglicherweise über Umwege wieder zur alten Struktur zurückfinden, macht für Noch-Zeitgeschichte- Studentin Eva keinen Unterschied mehr. „Der größte Stress ist, dass ich vielleicht noch eine Prüfung machen muss, dass ich irgendeine Lehrveranstaltung übersehen habe“, sagt Eva. „Wenn mir doch noch ein Seminar fehlt, muss ich den neuen Master machen. Aber das will ich auf keinen Fall.“ So schreibt sie unter großem Druck ihre Masterarbeit und bereitet sich auf ihre Prüfung vor. „Das ist ja vielleicht das einzige Gute an der ganzen Situation“, lächelt sie verschmitzt. „Ich hab eine Deadline. Ich muss endlich fertig werden.“

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Geschichte an der Universität Wien.

Mit KlassensprecherInnen gegen Studiengebühren

  • 11.12.2014, 23:08

Unabhängige Studierendenvertretung hat in Schottland lange Tradition. Trotzdem sind die „Student Unions“ in der Krise.

Unabhängige Studierendenvertretung hat in Schottland lange Tradition. Trotzdem sind die „Student Unions“ in der Krise.

Das altmodische Café und die elegante zweistöckige Library Bar sind zur Mittagszeit gut gefüllt, Lerngruppen und Studis schauen hier wegen dem günstigen Kaffee vorbei. Abends wird dann billiges Bier ausgeschenkt. Der Debattiersaal im Stock darüber wird regelmäßig zum Proberaum für die Jazz-Dance-Gruppe oder zum Sitzungszimmer für die Studierendenzeitung umfunktioniert. Dann sind da noch Proberäume für Bands, die Jazz Bar und das Dinner-Zimmer. Das viel genutzte Teviot Row House mitten am Campus der University of Edinburgh hat Symbolkraft: Es ist das älteste eigens für eine Studierendenverbindung errichtete Gebäude der Welt. Und die University of Edinburgh stellt mit der Edinburgh University Students Association (EUSA) auch die älteste Studierendenvertretung Großbritanniens – gegründet 1884.

Immer präsent. So präsent und zentral wie das Teviot-Gebäude ist auch die EUSA im Studi-Leben: EUSA-VertreterInnen sitzen in Gremien auf allen Ebenen der Uni-Organisation. Sogar jede Lehrveranstaltung wählt eine/n „Class Representative“, der/die sich regelmäßig mit Lehrenden des jeweiligen Institutes trifft. Dazu kommen die so genannten „liberation groups“, die etwa Frauen oder Minderheiten repräsentieren, und die Gremien der internationalen Studierenden und der Postgraduates. Freizeitaktivitäten werden in mehr als 200 Sport-Klubs und „Societies“ organisiert: von Theatergruppen, Chören und Buchklubs über Sprachlernoder Koch-Societies bis hin zum Volleyball-Klub. Kurz: Jeder und jede ist irgendwie mit dabei.

Auch EUSA-Präsidentin Briana Pegado und ihr Stellvertreter Dash Sekhar haben sich zunächst als „Class Reps“ und in den Societies engagiert. Die beiden sind für ein Jahr gewählt und können in dieser Zeit ihr Studium pausieren. Zurzeit bereiten sie zum Beispiel eine Kampagne für einen Gratis-Shuttle zum Medizin-Campus außerhalb der Stadt vor und organisieren das Edinburgh Student Arts Festival.

Die EUSA agiert dabei finanziell praktisch unabhängig von der Universität. Einnahmen kommen von den Bars im Teviot und einer eigenen Catering-Firma. Offiziell ist die EUSA eine Wohltätigkeitsorganisation mit einem Aufsichtsrat, der die Finanzen kontrolliert. „Dadurch sind wir komplett unabhängig“, sagt Briana. „Wir sind praktisch eine Firma“, meint Dash.

Nationale Ebene. So wie 700 weitere Studierendenvertretungen im gesamten Vereinigten Königreich hat sich auch die EUSA der britischen National Union of Students (NUS) angeschlossen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Studierendenvertretungen von vier schottischen Unis, darunter die University of Glasgow und St. Andrews, sind nicht dabei. „Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen warum“, sagt Robert Foster, Vize-Präsident von NUS Schottland und Student an der Caledonian University in Glasgow. „Für die Studierenden dieser Unis bedeutet das in erster Linie, dass sie nicht am demokratischen Prozess teilnehmen können.“ NUS lobbyiert etwa für finanzielle Unterstützung von Studierenden, für leistbare Unterkünfte, aber auch für Visa-Erleichterungen für internationale Studierende. Das geschieht teilweise auf nationalem Level, teilweise werden Untergruppen wie NUS Schottland oder NUS Nordirland alleine aktiv, je nachdem, welche Ebene der britischen Regierung zuständig ist. Visa-Fragen werden etwa in London entschieden, für das Bildungs-Budget ist aber seit 1999 das schottische Parlament verantwortlich.

„Ich kann mir vorstellen, dass es NUS Schottland vor 1999 schwer hatte“, sagt Robert. „Seit wir unsere eigene Regierung hier haben, haben wir besseren Zugang zu den Verantwortlichen. Wir können zum Beispiel einfacher Termine beim Bildungsminister bekommen. Das war mit Westminster schon alleine wegen der Distanz schwieriger.“ Und bisher hatte die NUS in Schottland auch Erfolg: Während englische Unis Studiengebühren in der Höhe von bis zu 9.000 Pfund pro Jahr verlangen dürfen, sind schottische Unis für EuropäerInnen gratis.

Ein weiterer Unterschied zu England ist, dass in englischen Studierendenvertretungen die traditionellen politischen Parteien mehr Einfluss haben. Dort treten etwa die Uni-Gruppen der Labour Party, der Tories, aber auch UKIP zu den Wahlen an. Robert hingegen gehört keiner Partei an. „Wir finden uns bei unterschiedlichen Themen in unterschiedlichen Fraktionen zusammen. Wir diskutieren ziemlich viel.“

Geringe Wahlbeteiligung. Dennoch macht auch der schottischen Studierendenvertretung Politikverdrossenheit zu schaffen. Gerade 27 Prozent der Studierenden haben bei der letzten Wahl ihre Stimme abgegeben. „Student Unions in ganz Großbritannien sind in der Krise“, meint Briana. Auch Robert hat dies schon bemerkt. „Viele Studierende sind zwar auf der Uni-Ebene in den Societies und als Class Reps engagiert, aber das heißt nicht, dass sie auch in der NUS aktiv werden.“ „Frustrierend daran ist, dass die Student Unions einen so großen Einfluss haben könnten“, sagt Briana.

Laut ihr ist das Problem, dass sich die NUS zu sehr in nicht-studentische Themen einmischt. „Ich glaube, dass sich hier viele Studierende distanziert haben. Es braucht VertreterInnen mit moderaten Ansichten, die offen für verschiedene Meinungen sind“, sagt Briana. Sie hat sogar bei ihrer Kandidatur damit geworben, sich mehr auf Studierenden-Themen konzentrieren zu wollen. „Deshalb habe ich gewonnen“, ist sie überzeugt. Dash ist anderer Ansicht: „Studierende sind Mitglieder der Gesellschaft und sind von allen möglichen Entscheidungen betroffen.“

Robert versucht indessen, Studierende auf anderem Wege zum Engagement zu bewegen. Jede/er, der/die etwas von der NUS kauft, bekommt regelmäßig Emails mit Infos und Umfragen. Er hofft, dass dadurch mehr Studierende darauf aufmerksam werden, dass es neben dem Café im Teviot auch noch die NUS gibt.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik an der Universität Wien und ist derzeit auf Auslandsjahr an der University of Edinburgh.

 

 

Populismus in der EU: „Wir gegen die da oben in Brüssel“

  • 18.07.2014, 16:16

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Die Schweizer Initiative gegen Masseneinwanderung hat das Verhältnis zu Europa verschlechtert. Auch in anderen Staaten haben bei der EU-Wahl populistische Anti-EU-Kräfte gewonnen. Gewählt werden sie oft von jungen Leuten, die von Initiativen wie Erasmus und Co eigentlich profitieren.

Der Traum vom Auslandssemester in Spanien oder Großbritannien ist für Schweizer Studierende erst einmal ausgeträumt. Im Februar stimmten die Schweizer BürgerInnen der so-genannten Initiative gegen Masseneinwanderung zu, in der die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP eine Kontingentierung von Einwanderern fordert. Aufgrund des Schweizer Systems der direkten Demokratie, muss die Regierung diese Initiative nun umsetzen und darf erst einmal keine internationalen Verträge abschließen, die dieser Initiative widersprechen.

 

 

Die ersten Leidtragenden sind Studierende. Denn die Kontingentierung widerspricht dem EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit und bricht damit die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der Europäischen Union geschlossen hat. Die EU hat nun die Verhandlungen zum neuen Erasmus-Plus-Programm und zu Horizon 2020, dem entsprechenden Programm für ForscherInnen, erst einmal auf Eis gelegt. Die Schweiz wird nicht mehr als Partner- sondern als Drittstaat behandelt.

Die Schweizer Regierung und die Unis versuchen nun zu retten, was zu retten ist: Studierende, die ins Ausland gehen wollen, werden nun nicht mehr von der EU sondern vom Schweizer Nationalfonds unterstützt. Fast 23 Millionen Franken stellt die Regierung dafür zur Verfügung. Die Abkommen mit den Partnerunis müssen die Schweizer Universitäten neu verhandeln. Die meisten europäischen Unis sind wieder eingestiegen, Großbritannien und Italien haben ihre Verträge aber nicht erneuert. „Ob wirklich alle StudentInnen, die wollen, ins Ausland gehen wollen, wird sich zeigen, wenn alle Bewerbungen durch sind. Ich denke aber es sollte klappen“, sagt Dominik Fitze von der Schweizer StudentInnenvertretung. „Die Ersatzlösungen bedeuten, dass Auslandssemester grundsätzlich möglich sind. Nur eben nicht unbedingt im gewünschten Zielland.“ Horizon 2020 stellt das größere Problem dar. Das Programm soll Forschungsaufenthalte ermöglichen und länderübergreifende Projekte finanzieren. Dabei geht es natürlich auch um die Frage, wer den Vorsitz bei solchen Projekten bekommt.

Appell an Bund und die EU. Schweizer Studierende, Lehrende und Rektoren haben sich nun zusammengeschlossen, um Erasmus für die Schweiz zu erhalten: Auf der Website not-without-switzerland.org appellieren sie an EU und den Schweizer Bund, Lösungen zu finden, so dass die Austauschprogramme wieder aufgenommen werden können. „Diese zur Hochschulwelt gehörige Internationalität, an der wir alle partizipieren und von der wir profitieren, wird gegenwärtig in Frage gestellt. Dagegen sprechen wir uns vehement aus. Wir, die unterzeichnenden Hochschulen, Bildungsinstitutionen, Dozierenden, Forschenden und Studierenden der Schweiz und Europas,  appellieren an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Schweiz, in Brüssel und in den europäischen Staaten, alles daran zu setzen, dass die Schweizer Hochschulen an den erwähnten Programmen teilnehmen können“, heißt es darin. Fast 31.000 UnterstützerInnen haben bereits online unterzeichnet.

Doch der Appell hat einen Schönheitsfehler: Er kommt zu spät. Genau das kritisieren wiederum einige andere Hochschulangehörige in einem offenen Brief. Die Studierenden und WissenschaftlerInnen hätten sich vor der Abstimmung engagieren müssen, Studierende als die einzigen Opfer zu stilisieren greife zu kurz. Das sei nur ein Teil des Problems, kritisieren sie. „Wir fordern die Studentenschaft auf, sich ihrer politischen Verantwortung bewusst zu werden und sich mit ihren MitbürgerInnen ohne schweizerischen Pass zu solidarisieren.“

„Die Kritik ist teilweise berechtigt. Was man der Wissenschaftsgemeinschaft vielleicht vorwerfen kann ist, dass sie zu spät reagiert hat“, gibt Dominik Fitze zu. Tatsächlich zeigen die Wahlanalysen zur Masseneinwanderungsinitiative, dass junge und gebildete SchweizerInnen nicht zur Abstimmung gegangen sind, obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, die am eindeutigsten gegen die Initiative eingestellt waren. Die Abstimmung wurde nicht zuletzt von der ungewöhnlich starken Mobilisierung von politisch wenig Interessierten beeinflusst, heißt es in der VOX-Analyse (Analysen nach jedem Schweizer Volksentscheid) zur Abstimmung. Doch dass die Verträge mit der EU und damit Programme wie Erasmus in Gefahr waren, war schon vor der Abstimmung klar. Warum sind trotzdem so viele Junge zu Hause geblieben? „Unter den Studenten wurde das schon diskutiert“, sagt Dominik. „Aber wir haben prinzipiell das Problem, dass die Folgen nicht richtig kommuniziert wurden. Sie SVP hat immer gesagt, die EU könne sich nicht leisten, die Verhandlungen mit der Schweiz abzubrechen.“

EU-Skepsis in ganz Europa. Die Schweiz ist zwar bekanntlich kein EU-Mitglied, doch sie steht mit ihrer EU-Skepsis nicht alleine da. Bei der EU-Wahl haben Anti-EU Parteien wie Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien oder auch die FPÖ in Österreich stark zugelegt. Und auch in Österreich war die FPÖ bei Männern unter 30 die Nummer eins. Ausreißer seien das keine mehr, sagt Politikwissenschaftler Josef Melchor von der Uni Wien, der zu EU-Integration und Populismus geforscht hat.

Es sei aber nicht alleine Informationsmangel, der dem Populismus von rechts auch unter Jugendlichen solchen Auftrieb verleiht. Studierende und ForscherInnen seien von Programmen wie Erasmus zwar begeistert, für viele aus unteren Schichten bringen Studierendenaustauschprogramme aber gar nichts. Daher sehen ArbeiterInnen die EU oft sehr kritisch, was eben auch junge, also zum Beispiel Lehrlinge, betrifft. „Das ist auch ein Problem der Politik. Auf EU-Ebene gibt es zwar viel Förderung für Forschung und Kultur, aber keine Diskussion über Mindestlöhne oder Arbeitszeiten, also Themen, die ArbeiterInnen betreffen“,  erklärt Melchior. Für Studis ist der Austauschaufenthalt in Schweden, England oder Frankreich vielleicht ein tolles Erlebnis, für weite Teile der Bevölkerung ist die EU aber ein Eliten-Projekt. Sie machen in ihrem Alltag kaum positive Erfahrungen mit EU-Projekten, sondern eher mit stärkerer Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Das hat auch Dominik in den SVP-Kampagnen beobachtet: „Die SVP ist gar kein Fan von Erasmus. Die haben das einfach in Kauf genommen, oder sogar akzeptiert.“

Dazu kommt eine generelle Politikverdrossenheit der Jugend. Gerade in den neuen Mitgliedsstaaten sind Unter-30-Jährige am Wahltag meist zu Hause geblieben. Und für Studierende ist die EU meist einfach eine Selbstverständlichkeit, meint Melchior: „Sie sehen es einfach nicht als notwendig, das bei einer Wahl noch mal extra zu deklarieren.“

 

 

Keine Reaktion von Links. Was jetzt notwendig sei, sei eine Antwort der anderen Parteien, erklärt der Politikwissenschaftler. Bei der Abstimmung in der Schweiz war die SVP als einzige Partei für die Initiative. Alle anderen, von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen, warnten vor Diskriminierung, wirtschaftlichen und außenpolitischen Problemen. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Laut Melchior sei ein Problem, dass rechtspopulistische Parteien oft tatsächlich Probleme ansprechen, die von der „Mainstream-Politik“ ignoriert werden. Diese teilweise legitime Politik komme im Paket mit emotional aufgeladenen Themen – in der Schweiz etwa gerechtfertigte Kritik an der EU zusammen mit dem „Ausländer“-Thema. Andere Parteien überlassen dann das Feld den Populisten. „Diese Kritik kommt dann einfach unter die Räder, die populistischen Parteien haben das Monopol darauf. Es braucht aber eine Reaktion von den anderen Parteien.“ Die anderen Parteien hätten also kommunizieren müssen, dass die Initiative gegen Masseneinwanderung zwar falsch sei, aber zugeben, dass es tatsächlich Probleme gibt.

Das Beispiel der Schweiz zeigt, was geschieht, wenn es keine solche Antwort gibt. Die Aussetzung der Erasmus-Verhandlungen ist nur ein kleiner Teil des Problems. Schon jetzt beklagen Uni-Rektoren, dass viele ForscherInnen aus dem Ausland skeptisch wären eine Stelle in der Schweiz anzunehmen, aus Angst, dass sie in zwei Jahren wieder abgeschoben werden können. Die Regierung versucht nun, das Abstimmungsergebnis in einen gemäßigten Gesetzesentwurf zu packen. Auch über eine weitere Abstimmung, um die erste zu revidieren, wird schon diskutiert.

 

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.

Durch die Heirat ins Exil

  • 14.07.2014, 14:32

Die NS-Rassegesetze machten Beziehungen zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden kompliziert, ein normales Familienleben unmöglich. Schein-Scheidungen um Berufsverbote zu umgehen gab es ebenso, wie Schein-Ehen, um sich nach der Flucht vor der Abschiebung zu schützen. Irene Messinger hat untersucht, wie Jüdinnen die Heirat zur Flucht nutzten.

Die NS-Rassegesetze machten Beziehungen zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden kompliziert, ein normales Familienleben unmöglich. Schein-Scheidungen um Berufsverbote zu umgehen gab es ebenso, wie Schein-Ehen, um sich nach der Flucht vor der Abschiebung zu schützen. Irene Messinger hat untersucht, wie Jüdinnen die Heirat zur Flucht nutzten.

Rosl Ebners Hochzeit war wohl keine besonders romantische Angelegenheit. „Wir haben im Rathaus in einem kleinen Zimmer unterm Hitlerbild den Segen des Standesbeamten bekommen.“, beschreibt sie später trocken die Zeremonie. Mit ihrem frisch angetrauten Mann, einem Franzosen mit polnischen Wurzeln, konnte sich die gebürtige Österreicherin kaum verständigen; für die Eheschließung war er bezahlt worden. Damit die Hochzeit wenigstens ein bisschen feierlich wirkte, besorgte Rosls Schwester noch schnell einen Blumenstrauß.

Die Hochzeit zwischen Schriftstellerin und Kabarettistin Erika Mann und dem britischen Lyriker Wystan Hugh Auden war wohl ähnlich unromantisch. Er war homosexuell und die beiden kannten sich bis dahin nicht.

Das Ja-Wort gaben sich die beiden Paare aus einem einzigen Grund: Durch die Heirat wurden die beiden Jüdinnen Rosl Ebner und Erika Mann französische bzw. britische Staatsbürgerinnen – die Garantie, nach der Flucht nicht zurück nach Deutschland abgeschoben zu werden. „Komisch, dass wir gerade in den Tagen heirateten, in denen meine Ausbürgerung von den Nazis beschlossen worden sein muss.“ schreibt Erika Mann in einem Brief.

Solche Scheinehen zwischen deutschen oder österreichischen Jüdinnen und Franzosen oder Briten sind in den späten Dreißiger Jahren keine Einzelfälle. Über 60 Ehen wie die von Rosl Ebner und Erika Mann hat Politikwissenschaftlerin Irene Messinger aufgespürt und untersucht. Da Frauen damals mit einer Heirat noch automatisch die Staatsbürgerschaft ihres Mannes annahmen, war die Heirat im Ausland für viele Jüdinnen die Gelegenheit zur Flucht. Manchen vermittelten Freunde oder politische Organisationen potentielle Ehemänner, andere heirateten einfach ihre Cousins im Nachbarland.

progress: Ich würde gerne zuerst allgemein über die Situation von „gemischten“ Paaren in Nazi-Deutschland sprechen. Wie war die rechtliche Situation solcher Paare? Und wie wurden Mischehen überhaupt definiert?

Messinger: Als Mischehen wurden nur Ehen zwischen – immer in Anführungszeichen, weil ich keine Definitionen des NS-Regimes übernehmen möchte – „Deutschblütigen“ und „Nicht-Deutschblütigen bezeichnet, also mehrheitlich Juden und Jüdinnen, aber auch Menschen, die  heute mit dem N-Wort oder dem Z-Wort bezeichnet würden. Ehen mit Ausländern wurden nicht als Mischehen bezeichnet. Ich habe das nur in meinem Vortrag unter „Ehen mit Fremden“ zusammengefasst, weil ich es spannend fand, die beiden Konzepte in Relation zu setzen. Mischehen waren starken Repressionen ausgesetzt, während es vergleichsweise einfach war einen Ausländer oder eine Ausländerin zu heiraten.

Gab es bei den Repressionen auch innerhalb der Kategorie der Mischehen rechtliche Unterschiede?

Ja, das war sehr komplex. Es gab Unterschiede ob der Mann oder die Frau jüdisch war, ob sie Kinder hatten, ob sie Mitglieder der Kultusgemeinde waren. Die besten Chancen hatten Ehen, bei denen der Mann – also der Familienerhalter und so weiter – „deutschblütig“ war.

Hier spielten also auch Geschlechterstereotype eine Rolle.

Ja, vor allem auch, wenn es darum ging, dass nicht nur die Ehefrau, sondern die Mutter der Kinder „deutschblütig“ war. Das war sozusagen die zweitbeste Gruppe. Paare mit Kindern waren immer besser geschützt als kinderlose Paare. In der Nazi-terminologie wurde dann unterschieden in „privilegierte“ und nicht-privilegierte Mischehen, mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Alltag und die Überlebenschancen.

Welche Repressalien gab es nun für Mischehen?

Es wurde auf politischer wie sozialer Ebene Druck ausgeübt: Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, regelmäßige Denunziationen der Nachbarn. Aber man muss sich die regionalen Unterschiede anschauen. In Deutschland wurden Vorschriften oft ganz anders ausgelegt als in Österreich. In Wien haben zum Beispiel die meisten Mischehen überlebt. Sie waren natürlich schon Repressalien ausgesetzt und wurden in so genannte Judenhäuser umgesiedelt, aber in Deutschland kam es dazu, dass die jüdischen Partner aus Mischehen ins KZ kamen.

Gab es deswegen auch Trennungen?

Ja, im Ehegesetz 1938 gab es die Möglichkeit, sich aus rassischen Gründen scheiden zu lassen. Aber es wurde nicht nur die Scheidung erleichtert, sondern es wurde auch massiver Druck von der Gestapo ausgeübt. Und durch Arbeitsverbote und so weiter wurden die Paare ohnehin in eine sehr prekäre Situation gedrängt. Bei den Scheidungen gab es aber auch geschlechterspezifische Unterschiede. Frauen sind eher zu ihren jüdischen Männern gestanden, während sich Männer eher von ihren jüdischen Partnerinnen getrennt haben. Vielleicht auch aus Karrierebewusstsein. Ein schönes Beispiel ist da der Schauspieler Hans Albers: Dem wurde gesagt, entweder er kann nicht weiter als Schauspieler arbeiten oder er lässt sich von seiner jüdischen Frau Hansi Burg scheiden. Es gab aber ein großes Interesse im NS-Regime, dass er weiter Schauspieler bleibt. Sie haben also einen Deal eingefädelt: Er hat sich offiziell getrennt, seine Frau hat zum Schein einen Norweger geheiratet, aber sie blieben weiter ein Paar. Es gab also unterschiedliche Formen, Druck auszuüben, aber auch unterschiedliche Formen, damit umzugehen.

Es gab aber nicht nur Schein-Scheidungen sondern auch Schein-Ehen. Was hast du hier untersucht?

Ich habe mit die Eheschließungen im Jahr 1938 angeschaut, die von der jüdischen Gemeinde in Wien registriert wurden. Ich habe mir gedacht, mal schauen, wer hier in Wien geheiratet hat, aber auch, welche Ehen im Ausland geschlossen wurden. Das war ja einfacher. Und bis wann konnten Jüdinnen überhaupt noch ausreisen, um im Ausland zu heiraten? Das machten vor allem Frauen, die im Grenzgebiet lebten. So haben zum Beispiel Grazerinnen Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien geheiratet oder Wienerinnen Prager Juden.

Wie lange war so etwas möglich?

Von den Fällen, die ich kenne, fanden die meisten Eheschließungen in den Jahren 38 und 39 statt, vereinzelt auch noch 1940, allerdings nicht in Österreich. Dann war das nicht mehr möglich.

Wie wurden nun solche Scheinehen angebahnt? Man braucht dazu ja Kontakte im Ausland.

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Kontakte waren unumgänglich. Es gab Kontakte in politischen Netzwerken. Zum Beispiel habe ich viele Frauen im Internationalen Sozialistischen Kampfbund gefunden, der viele Mitglieder mit Briten verheiratet hat. Oder auch Vereinigungen in den Exilländern, wo es mehr darum ging, dass die Frauen nun nicht mehr abgeschoben werden konnten. Großbritannien und die Schweiz haben etwa oft nur kurzfristig Schutz geboten. Aber es sind auch familiäre Netzwerke wirksam geworden, wo dann Frauen ihren Cousin geheiratet haben oder die Mutter als Kupplerin tätig war.

Aber man brauchte ja nicht nur Kontakte, sondern wahrscheinlich auch Geld. Ich kann mir vorstellen, dass vor allem Frauen aus gut situierten Familien ins Ausland geheiratet haben. Was hast du dazu herausgefunden?

Bei den Fällen, die ich untersucht habe, kamen die Frauen tatsächlich aus der politischen Elite oder aus der künstlerischen Ecke. Die Frage ist nur: Finde ich diese Fälle einfach leichter, weil über diese Frauen Biographien geschrieben werden und sie Autobiographien hinterlassen haben? Ich habe auch vereinzelt Fälle aus der Arbeiterklasse gefunden – zum Beispiel  ein Hausmädchen, das nach Großbritannien gegangen ist und dort geheiratet hat. Aber die waren natürlich unter Druck und haben sich wahrscheinlich bemüht, keine Spuren zu hinterlassen. Ich glaube, die Eliten haben sich ganz einfach leichter getan, nachher darüber zu reden und zu dieser Fluchtstrategie zu stehen.

Was geschah nach der Eheschließung? Wurden die Ehen gleich wieder geschieden nachdem die Frau die Staatsbürgerschaft bekommen hatte?

Manche Ehen, die ich untersucht habe, wurden noch im selben Jahr oder im Jahr danach wieder geschieden. Es gibt auch Fälle – allerdings kenne ich die nur aus Erzählungen – von palästinensischen Männern, die nach Polen gefahren sind, dort eine Polin geheiratet haben, sie nach Palästina oder Israel gebracht haben, um sie in Sicherheit zu bringen, sich scheiden ließen und gleich wieder nach Europa fuhren, um die nächste Polin zu heiraten.

 

 

Zur Person: Irene Messinger ist ausgebildete Sozialarbeiterin und studierte Politikwissenschaften an der Universität Wien. Sie schrieb ihre Dissertation zum Thema „Verdacht auf Scheinehe. Intersektionelle Analyse staatlicher Konstruktionen von 'Schein- und Aufenthaltsehe' und ihrer Auswirkungen im Fremdenpolizeigesetz 2007“. Sie arbeitete in der Rechtsberatung für Asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren und ist Lehrbeauftragte für „Gender & Diversity“ an der FH Wien für Soziale Arbeit.

Links zum Thema

Website von Irene Messinger homepage.univie.ac.at/irene.messinger

Verein Fibel www.verein-fibel.at

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.

Unterricht im Wohnzimmer

  • 06.07.2013, 16:30

Immer mehr Kinder in Österreich werden privat unterrichtet. Der Lernerfolg ist gut, fehlende Kontakte zu Gleichaltrigen bringen aber Probleme.

Immer mehr Kinder in Österreich werden privat unterrichtet. Der Lernerfolg ist gut, fehlende Kontakte zu Gleichaltrigen bringen aber Probleme.

Im Wohnzimmer der Familie Haubenberger-Lamprecht liegen Stifte und Schreibzeug zwischen Stofftieren und Bauklötzen, eine Spielzeugeisenbahn fährt um eine Schultafel, in der Küche kleben Postits: „Meer“ und „mehr“ steht darauf, „Dusche“ und „Tusche“. Für die beiden Söhne Jonas (8) und Elias (5) gibt es keinen Unterschied zwischen Klassenzimmer und Wohnzimmer. Die beiden werden zu Hause unterrichtet.

Etwa 2200 Kinder in Österreich sind wie Jonas und Elias von der Schule abgemeldet und lernen daheim oder in einer Alternativschule ohne Öffentlichkeitsrecht. Das ist möglich, weil in Österreich genau genommen keine Schulpflicht, sondern nur eine Bildungspflicht besteht. Österreichische Kinder müssen zwar unterrichtet werden, wo, von wem und wie schreibt das Gesetz aber nicht vor. Eltern müssen den Hausunterricht beim jeweiligen Landesschulrat beantragen. Innerhalb eines Monats kann dieser zwar ablehnen, in der Regel wird der Heimunterricht aber genehmigt. Abgelehnt werden nur Anträge von Eltern, die gar nicht erklären können, nach welchen Methoden sie ihre Kinder unterrichten werden, erklärt Mathilde Zeman von der Schulpsychologie Wien.

Sigrid Haubenberger-Lamprecht weiß das ganz genau, sie betreibt sogenanntes Unschooling. Das heißt, einen Stundenplan mit Mathe und Deutsch wie in der Schule gibt es für ihre Söhne nicht. Das Wichtigste sei das Vertrauen darauf, die Kinder einfach wachsen zu lassen, erklärt Haubenberger-Lamprecht: „Jeder Mensch kommt mit seinem Potential auf die Welt und es braucht nur Raum, dass er sich entfalten kann.“ Jonas und Elias beschäftigen sich also einfach mit dem, was ihnen gerade einfällt. Jonas interessiert sich zum Beispiel für Bienen, seine Mutter will deshalb Kontakt mit einem Imker aufnehmen.

Mathe und Lesen lernten die beiden nebenbei. Als Jonas einmal ein Puzzle bekam, auf dessen Schachtel „100 Teile“ stand, zählte er sofort nach. „Da stand 100 drauf, aber es waren nur 97!“, ruft er. Seine Mutter lächelt: „Das ist doch auch Mathe.“ Lesen üben die beiden Buben unterwegs mit Schildern und Aufschriften, beim Vorlesen oder indem sie das Alphabet mit den Armen nachstellen. Elias setzt sich an den Tisch. „Elias“ schreibt er mit Buntstiften auf ein weißes Blatt, dann „Jonas“. Er hält den Zettel hoch. „Ich bin der Elias. Und das ist mein Bruder, der Jonas.“ Auf die Frage, ob er schon die Uhr lesen könne, schüttelt Jonas zögerlich den Kopf. Nein, aber auf der Stelle kontrolliert er alle Uhren in der Wohnung: die laut tickende in der Küche, die kleine mit den roten Zeigern am Boiler. „Mama, warum ist der Zeiger da auf sieben und da nicht?“ Eine der Uhren geht falsch. Wieder etwas gelernt.

Foto: Magdalena Langmayr

In Österreich ist diese Art des Lernens erlaubt. Ganz anders sieht die Situation in Deutschland aus. Wer dort seine Kinder nicht zur Schule schickt, muss Strafe zahlen. Manche Familien nehmen diese Kosten einfach in Kauf oder melden ihre Kinder nach der Geburt
nicht. Die Familie Boersma ist nach Österreich gezogen. „Das war schon eine Trotzreaktion“, sagt Vater Auke Boersma: „Eltern sind doch mündige Bürger, die die Freiheit haben sollten, selbst zu entscheiden.“ Für seine drei Töchter und seinen Sohn sieht der Tag
aber ganz anders aus als für Jonas und Elias. Am Vormittag lernen sie mit Arbeitsblättern und Schulbüchern. Die Hauptfächer kommen dabei jeden Tag dran. Am Nachmittag geht es dann in die Musikschule oder zur Tanzstunde. Der Unterricht orientiert sich am Lehrplan, die älteren Mädchen müssen ja auch ihre Externistenprüfungen bestehen.

Denn auch wenn die rechtliche Lage in Österreich sehr locker ist, werden alle HeimschülerInnen einmal im Jahr in einer Schule über den Jahresstoff geprüft. Wer nicht besteht, muss in die Schule. Das sei schon eine Stresssituation für die Kinder, erzählt Boersma. Die Noten dürfe man nicht allzu ernst nehmen, weil die PrüferInnen nur zehn Minuten Zeit haben, die Kinder zu beurteilen. Auch Jonas hat mit seinen acht Jahren schon zwei Prüfungen hinter sich. In den ersten Volksschuljahren ist die Prüfung ein lockeres Gespräch und war kein Problem für den Buben. Wenn Jonas älter wird, wird das Unschooling die Prüfung aber erschweren, weil er ja nicht nach dem Lehrplan lernt.

Joya Marschnig vom Verein Freilerner klagt deshalb beim Verwaltungsgerichtshof. Sie unterrichtet ihre Tochter ebenfalls zu Hause und fordert, dass sie sich die Prüfungsschule selbst aussuchen darf. Denn Externistenprüfungen dürfen nur Schulen mit Schulartbezeichnung, also etwa Hauptschulen oder Gymnasien, durchführen. Alternativschulen, die nach ähnlichen Konzepten wie Unschooling unterrichten, lassen sich oft in keine Kategorie einordnen und dürfen daher auch nicht prüfen.

Diese Regelung ist aber laut Schulpsychologin Zeman sinnvoll. Denn Unschooling sei zu wenig, erklärt sie. Der Unterricht zu Hause könne zwar anders strukturiert sein, Eltern müssten ihren Kindern dennoch offizielle Bildungsabschlüsse ermöglichen. „Im schlimmsten Fall sagen die Eltern, wenn der Sohn heute nicht lesen will, dann liest er halt in fünf Jahren. Und dann bleibt er fünf Jahre lang Analphabet.“ Also müsse der Staat kontrollieren, dass so etwas nicht vorkommt.

So unterschiedlich die Formen des Hausunterrichts sind, so unterschiedlich sind auch die Gründe für eine solche Entscheidung. Der deutsche Soziologe Thomas Spiegler fasst sie mit den Worten „Werte, Wissen, Wohlergehen“ zusammen. Die ersteren halten jene Eltern hoch, die ihre Kinder aus politischen oder religiösen Gründen aus der Schule nehmen, etwa weil sie Lehrinhalte wie Sexualkunde oder Evolutionstheorie ablehnen. In Deutschland machen religiöse Bewegungen laut Spieglers Studien den Großteil der Homeschooler aus. Andere Eltern befürchten, dass ihre Kinder in der Schule nicht genug lernen oder sind mit den Methoden nicht einverstanden. Für die dritte Gruppe von Familien ist Homeschooling nur eine Übergangslösung: Die Kinder bleiben wegen Problemen wie Mobbing oder aufgrund einer Krankheit für einige Zeit daheim. Diese Form des Homeschoolings spiele im Schulsystem aber keine Rolle, weil es zeitlich begrenzt sei, erklärt Stefan Hopmann vom Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien. Obwohl Homeschooling in Österreich erlaubt ist, gibt es hierzulande weniger Studien als in Deutschland. Laut einer Pilotstudie mit 20 Familien sei aber ein typischer Grund in Österreich die Ablehnung des Schulsystems, so Hopmann.

Diese war auch für Sigrid Haubenberger-Lamprecht ausschlaggebend. „Es war immer klar, dass wir anders sind.“ Alle Kindergärten, die sie besichtigte, boten nicht genug Freiheit für Jonas. Und nachdem sie über Unschooling gelesen hatte, wurde ihr klar: „So möchte ich auch leben. Die Zeiten nicht von außen bestimmen lassen. Wir bestimmen, wann wir aufstehen und wann wir ins Bett gehen.“ Auch für Auke Boersma war Schule immer mit Unbehagen verbunden: „Die Kinder gehen in die Schule und dann kommen die Schimpfwörter.“ Er will seinen Kindern christliche Werte vermitteln und so fiel die Entscheidung, nach Österreich zu ziehen. „Als Eltern hat man einen guten Draht zu den Kindern. Man beantwortet ja in den ersten sechs Jahren auch tausend Fragen.“ Eltern, die sich für Homeschooling entscheiden, seien meistens sehr engagiert, sagt Schulpsychologin Zeman. Sie seien stark an Bildung interessiert, nur nicht an Bildungsinstitutionen.

Genau das kann laut SoziologInnen aber zum Problem werden. „Wenn ich Schule alleine als das Erlernen von Inhalten sehe, gibt es kaum Probleme“, erklärt Hopmann. Im Gegenteil: SchülerInnen, die daheim unterrichtet werden, schneiden aufgrund der individuellen Betreuung bei Prüfungen meist besser ab als Schulkinder. Wenn aber Schule als Übergang von Familie zu Gesellschaft verstanden wird, gäbe es viele Probleme, so Hopmann. Und diese Sozialisationsfunktion der Schule sei mindestens so wichtig wie Wissensvermittlung.

Foto: Magdalena Langmayr

„Ah! Die große S-Frage!“, ist die Reaktion der meisten Homeschooler auf die Frage nach den sozialen Kontakten ihrer Kinder. Die Frage sei aber, ob Kinder in der Schule wirklich Sozialisation lernen, kritisiert Joya Marschnig. Sie lebe ja nicht abgeschottet, ihre Tochter habe trotz Homeschoolings viele FreundInnen. Auch Auke Boersma ist skeptisch. „Wenn ich im Zug sitze und sechs Schüler
sehe, die alle in ihre Handys hineintippen, dann denke ich mir: Glückwunsch zu dieser gelungenen Sozialisation!“

Fehlende FreundInnen seien auch nicht das Problem, geben ExpertInnen zu bedenken, sondern die Fähigkeit, mit der sozialen Dynamik einer Gruppe zurechtzukommen und Konflikte außerhalb der Familie zu lösen. „In der Schule lerne ich mit Kindern aus anderen sozialen Verhältnissen umzugehen, mit Lehrern, die nicht so lieb sind wie Mama, mit Zeitdruck und Aufgaben, die ich nicht
so mag“, erklärt Hopmann. Auch Zeman kritisiert fehlende Gruppenerfahrung und die Fixierung auf die Familie. Konflikte mit Gleichaltrigen auszutragen, sei ein wichtiger Entwicklungsschritt. Sigrid Haubenberger-Lamprecht sieht das anders: „Ich glaube nicht, dass ich etwas Negatives erleben muss, um damit umzugehen. Nein, ich möchte es schön haben im Leben.“

Im Leben laufe aber nicht alles wunderbar, entgegnet Zeman. Und wer nie lerne, sich in ein soziales Setting einzugliedern, mache später bittere Erfahrungen im Studium und im Berufsleben. „Irgendwann kommt das Leben auf uns zu. Die Kinder können nicht für immer zu Hause sein.“ Auch im Traumberuf müsse man hin und wieder langweilige Arbeiten erledigen. Und in vielen Betrieben sei es wichtig, dass bestimmte Aufgaben zu einer bestimmten Zeit erledigt werden. In der Schule wiegen hier falsche Entscheidungen noch nicht so schwer, stimmt Hopmann zu. Später im Beruf ist die Folge von Schwierigkeiten, sich mit Gruppendynamik, Zeitdruck und ungeliebten Tätigkeiten zu arrangieren, aber die Kündigung. „Eltern, die ihre Kinder aus religiösen oder Anti-Schul-Motiven zu Hause unterrichten, tun ihnen keinen Gefallen“, warnt Hopmann.

Die „FreilernerInnen“ kämpfen dennoch weiter für ihr Recht, selbst über die Bildung ihrer Kinder zu entscheiden. „Als Mutter bin ich die größte Expertin für mein Kind“, meint Marschnig: „Warum sollte irgendein Bildungswissenschaftler besser Bescheid wissen als ich als Mutter?“

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik an der Uni Wien.