Nach der Flucht: Zurück zum Uni-Alltag
Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.
Nach der Flucht wieder ein Stück Normalität finden – für viele Flüchtlinge bedeutet das, ein in der Heimat begonnenes Studium wieder aufzunehmen. Einfach macht ihnen das die österreichische Bürokratie aber nicht. Magdalena Liedl hat drei von ihnen getroffen, die es trotzdem versuchen.
„Es gibt ein Lied von Helene Fischer, das heißt: Ich gebe nie auf! Das ist mein Motto“, sagt S., der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch seine Studienrichtung soll vage bleiben, aus Angst, seine Situation könnte sich noch weiter verkomplizieren. „Schreib beim Studium Technik!“, lacht er.
2012 schließt S. sein Bachelor-Studium an der Universität Damaskus ab – in der syrischen Regelstudienzeit von fünf Jahren. Doch eine Arbeit in Syrien zu suchen oder ein Master- Studium anzuhängen, ist keine Option mehr. Der Krieg macht das Leben in Damaskus gefährlich und die Familie von S. entschließt sich zur Flucht. Zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern flieht er nach Jordanien, von dort aus reist er alleine weiter nach Österreich. Ein Jahr nach seinem Studienabschluss steht er allein mit einem 30-Kilo-Koffer, einer Reisetasche und seiner Laptoptasche über der Schulter auf der Polizeistation in Traiskirchen. „Der Dolmetscher hat gesagt, er hat noch nie einen Asylwerber mit so viel Gepäck gesehen.“
Nach Traiskirchen kommt er in eine Flüchtlingsunterkunft in Kärnten. Dort wartet er fünf Monate auf eine Entscheidung zu seinem Asylantrag. Um nach dem Bescheid so schnell wie möglich in seiner Branche arbeiten zu können, lernt S. intensiv Deutsch. „Ich hab mich in diesen Monaten nur darauf konzentriert, Deutsch zu lernen“, sagt er. „Kommst du aus Österreich?“, fragt er dann. „Dann korrigier’ mich bitte immer, wenn ich einen Fehler mache, ja?“
Den Kärntner Dialekt versteht er so schlecht, dass er auf ungewöhnliche Methoden zurückgreifen muss. „Du gibst im Internet einfach ein: ‚Helene Fischer Lyrics‘ und dann geht das schon. Deshalb kann ich auch alle Lieder auswendig. In Österreich finden das alle immer sehr lustig.“ S. will sich seinen Bachelor-Abschluss anerkennen lassen. Mit Hilfe des Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF) schickt er seine Papiere ans Wissenschaftsministerium. Auf einen Termin muss er zwei Monate warten. „Ich habe gesagt: Gut, ich warte. Was soll ich denn sonst machen?“
Nach drei Wochen bekommt er eine Antwort: Sein Abschluss entspräche einem Abschluss der Fachhochschule Technikum Wien. „Ich hab nicht verstanden, was das bedeutet. Ich habe so viele Leute gefragt. Manche haben gesagt: Ja, damit kannst du jetzt den Abschluss anerkennen lassen. Andere: Nein du musst noch Prüfungen machen.“
Also fragt S. bei denen, die es wissen sollten – bei der FH Technikum Wien – nach, welche Schritte jetzt zur endgültigen Anerkennung seines Abschlusses notwendig seien. „Ich habe das auf Englisch gefragt. Mein Deutsch war damals noch nicht so gut – und ich meine, das ist ja eine Fachhochschule, da sollte Englisch doch kein Problem sein.“ S. zieht das Wort „Fachhochschule“ in die Länge. „Aber die Dame hat gesagt: ‚Englisch? Nein, nein! Sie sind hier in Österreich! Sie müssen Deutsch reden! Kommen Sie wieder, wenn sie das B2-Zertifikat [übliches Deutsch-Niveau zur Uni-Zulassung in Österreich, Anm.] haben.‘“, erzählt S. „Ich wollte die B2-Prüfung ja auch machen. Aber ich wollte damals doch nur verstehen, was ich sonst noch machen muss. Muss ich zum Beispiel Prüfungen nachholen? Wenn ja, hätte ich ja schon einmal mit der Vorbereitung beginnen können. Aber sie sagte: ‚Nein, nein! Gehen Sie und kommen sie wieder mit dem B2-Zertifikat.‘“
Nachdem er mehrmals zwischen Wissenschaftsministerium, Integrationsfonds und FH hin und her geschickt wurde, hat S. eine neue Idee. Wenn er einen Master in Wien machen könnte, hätte er einen österreichischen Abschluss. „Dann könnte ich ganz normal arbeiten. Und ich könnte mich auch verbessern. Vielleicht gibt es etwas, das ich in Syrien noch nicht gelernt habe. Das wäre doch auch gut für die österreichischen ArbeitgeberInnen, wenn ich dazulerne.“
Tatsächlich lässt ihn die Technische Universität Wien (TU) zum Master-Studium zu, unter der Voraussetzung, dass er vier Prüfungen aus dem Bachelor nachholt. Damit tut sich aber ein neues – und für studierende Asylberechtigte typisches – Problem auf: Es ist nicht erlaubt, gleichzeitig zu studieren und beim AMS gemeldet zu sein. Wenn S. also seinen Master an der TU tatsächlich angehen will, muss er sich beim AMS abmelden und verliert dadurch jede finanzielle Unterstützung. Gleichzeitig hat er keinen Anspruch auf Studienbeihilfe, denn eine der Voraussetzungen dafür ist, dass das Masterstudium innerhalb von 30 Monaten nach dem Bachelor- Abschluss begonnen wurde. Durch seine Flucht, das Warten auf den Asylbescheid und seine Deutschkurse hat S. diese Frist überschritten. So ist er nun zwar an der TU offiziell zugelassen, kann aber keine Prüfung machen, ohne die finanzielle Unterstützung des Staates zu verlieren. Er will also versuchen, Arbeit zu finden und danach sein Master-Studium beginnen.
„Der Übergang zum richtigen Leben ist schwierig“, überlegt er. „Vielleicht hätte ich es wie meine Freunde machen sollen und mir mit den Deutschkursen mehr Zeit lassen sollen. Ich habe nach eineinhalb Jahren B2 gemacht. Ich bin der erste, der ins richtige Leben muss. Meine Freunde gehen einfach immer noch in den Deutschkurs, einfach um etwas zu tun.“
ALEPPO-KAIRO-LEOBEN. Auch Saheib kennt Zeiten, in denen er einfach nichts zu tun hat. „Ich bin am 20. Oktober 2013 legal nach Österreich gekommen und ich bin legal hier geblieben“, stellt er sich nicht ohne Stolz vor, als ich ihn zusammen mit seinem Freund und Studienkollegen Yamen an der TU Wien treffe.
Saheib kommt aus Aleppo, wo er nach seinem Schulabschluss das Studium Bauingenieurswesen begann. Nach zwei Jahren bricht er das Studium ab. Uni-Gebäude werden bombardiert, die männlichen Studenten werden zum Militärdienst eingezogen. „Es ist eine Diktatur. Wer eine andere Meinung hat, wird verhaftet“, sagt Yamen. „Auch Studenten, viele meiner Freunde. Einmal wurde ein Freund während einer Prüfung abgeführt“, erzählt er. „Er ist jetzt zum Glück in Deutschland.“
Auch Saheib kann nicht bleiben. „Meine Familie hat gesagt: ‚Saheib, das ist zu gefährlich. Du musst hier weg‘“, erzählt er. Er flieht in den Libanon. Wie S. will er sein Studium unbedingt wieder aufnehmen. „Zuerst habe ich mir gedacht: Ägypten.“ So fliegt Saheib nach Kairo und bewirbt sich dort an der Uni. Doch auch in Ägypten erfährt er als syrischer Flüchtling Diskriminierung. Er bewirbt sich also um ein StudentInnenvisum in Österreich – und wird an der Montanuni Leoben zugelassen.
Doch wie bei S. schafft die Zulassung erst einmal neue Probleme: Wer mit einem StudentInnenvisum in Österreich einreisen will, braucht nicht nur die Zulassung an einer österreichischen Universität, sondern auch ein österreichisches Bankkonto. Und für ein österreichisches Bankkonto braucht man einen österreichischen Meldezettel – für den in Kairo lebenden Saheib ein Ding der Unmöglichkeit. Vier Monate braucht er, um schließlich ein Visum für Österreich zu bekommen. „Gott sei Dank hat dann alles funktioniert. Die Arbeit mit der österreichischen Botschaft in Ägypten hat so lange gedauert, dass ich das erste Deutsch-Level schon in Kairo gemacht habe“, sagt Saheib.
So kann er schließlich schon mit der A1-Deutsch-Prüfung ins Flugzeug nach Österreich steigen. „Am Flughafen in Kairo hat der Beamte meinen Reisepass angeschaut und gesagt: ‚Sie haben keinen Aufenthaltstitel für Ägypten. Wie sind Sie hierhergekommen? Sie müssen Strafe zahlen.‘ Ich habe gesagt: ‚Gut, dann zahle ich.‘ Immer noch besser als Gefängnis.“
Ein Jahr lang besucht Saheib den Vorbereitungslehrgang in Leoben und lernt Deutsch. Doch bald kommt das böse Erwachen: Die syrische Botschaft in Österreich weigert sich seinen Pass zu verlängern, da er keine Bestätigung über einen abgeleisteten Militärdienst in Syrien hat – ohne Reisepass kann er aber auch sein Visum nicht verlängern. So stellt er einen Asylantrag, der nach sieben Monaten positiv beurteilt wird. Sieben Monate, in denen Saheib nichts tun kann, sein Studium liegt auf Eis; er verliert für die Dauer des Asylverfahrens seinen Anspruch auf Studienbeihilfe.
Doch mit dem positiven Asylantrag kommt auch eine Chance: Konnte er mit seinem alten Visum nur in Leoben studieren, stehen ihm nun alle Studiengänge in Österreich offen. Das Studium Bauingenieurswesen an der TU Wien ist seinem Studium in Aleppo ähnlicher und so zieht auch Saheib nach Wien. „Ich wollte unbedingt in meiner Richtung weiterstudieren, und die gibt es in Leoben nicht.“ Ein paar Kurse von der Universität Aleppo kann er sich auch anrechnen lassen.
„Das Studium ist gut, aber nicht immer leicht“, erzählt Saheib. Wenigstens sind die finanziellen Sorgen einmal weg. Er hat wieder Anspruch auf Studienbeihilfe. „Das ist auch ein bisschen gefährlich, denn die Regeln sind hier sehr streng. Und die Regeln sagen, dass man für die Studienbeihilfe 30 ECTS im Jahr machen muss. Ich bin nicht faul und ich bemühe mich gut zu lernen, aber es ist nicht immer leicht und ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Aber ich versuche es.“ Durch die verlorenen Semester während des Asylverfahrens wird Saheib die Beihilfe außerdem nicht bis zum Ende seines Studiums, sondern nur bis ins vierte Semester erhalten, aber er ist zuversichtlich. „In zwei Jahren, da hoffe ich, dass ich neben dem Studium vielleicht schon arbeiten kann. Und ich hoffe, dass ich in zwei Jahren schon zum Ende des Studiums komme.“
NUR DAS STUDIUM BLEIBT. Auch S. bleibt Helene Fischer und seinem Motto „Ich geb nie auf“ treu. Kurzzeitig hat er überlegt, nach Deutschland oder Schweden weiterzuziehen und sich dort für Praktika zu bewerben, doch mittlerweile ist seine Familie nach Wien nachgekommen. So will auch er in Österreich bleiben und weiterhin nach einer Arbeit suchen, um sein Master-Studium zu finanzieren, auch wenn man am AMS für diese Pläne wenig Verständnis hat. „Die Beraterin hat mich gefragt, warum ich studiere. Warum machen Sie das? Als ich gesagt habe‚ um einen besseren Job zu finden, hat sie gesagt: ‚Das ist mir egal. Sie müssen doch keinen Techniker-Job finden. Bewerben Sie sich halt in einer Pizzeria.‘ Aber ich habe in Syrien fünf Jahre lang studiert. Wieso soll ich jetzt in einer Pizzeria oder bei McDonalds arbeiten?“, sagt S. „Ich will in meinem Bereich bleiben. Ich mag ihn. Wir haben in Damaskus alles verloren: unser Haus, unsere Wohnung, unser Leben. Wir haben nichts mehr von unserer Vergangenheit. Ich habe nur eine Sache: mein Studium.“
Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik an der Universität Wien.