Über den verdrängten Rassismus in Österreich

  • 05.06.2024, 13:22
In einem Land, das sich weigert, seinen Rassismus anzuerkennen, bleibt der Kampf gegen Vorurteile und Ausgrenzung eine aussichtslose Aufgabe.

Das erste Lichtermeer gegen Rechts fand in Österreich 1993 in Wien statt. Ziel dieser Demonstration war es, ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu setzen. Auslöser dafür war das Volksbegehren „Österreich zuerst“ – auch Anti-Ausländer-Volksbegehren genannt. Initiator des Volksbegehrens war Jörg Haider, damals noch Vorsitzender der FPÖ, der in den folgenden Jahren mit seiner Anti-Ausländer-Kampagne und -Partei politische Höhenflüge erleben sollte. 

Ver- und Entfremdung. Folglich wurde die erste schwarz-blaue Koalition 2000 gebildet und erhielt 2002 eine Neuauflage bis 2005. Ich bin 1992 geboren, kam also genau zu Zeiten von wieder aufkochendem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Welt und spürte das auch. Ich war wie gebrandmarkt – mein Name, meine Haare, die Tatsache, dass meine Erstsprache nicht Deutsch war, all das machte mich fremd. Zu einer Fremden. Diese Ver- und Entfremdung spürte ich überall und in jedem Aspekt meines Lebens, weil sie es mich spüren ließen. Die Kinder und Jugendlichen mit denen ich in einer Klasse sitzen musste, deren Eltern, die Nachbarn, meine Lehrer_innen und auch Menschen auf der Straße, im Supermarkt, in Behörden – überall. Ich konnte damals nicht benennen, was es war, ich wusste, dass sie mich als anders wahrnahmen und dass ich nichts tun oder sagen konnte, um diese Andersartigkeit, diese Fremdartigkeit zu konterkarieren. Ganz im Gegenteil, alles was ich sagte oder tat wurde als Beweis für diese Fremdartigkeit wahrgenommen und ich dafür ausgeschlossen.

Heute weiß ich, dass ich teils äußerst aggressive rassistische Übergriffe erlebt habe, nicht nur von Gleichaltrigen, sondern vor allem von Erwachsenen, die sich in solch einer Intensität in meinem Erwachsenenleben nie wiederholt haben. Nicht etwa, weil die Gesellschaft toleranter geworden ist, ganz im Gegenteil, weil es einfacher ist, Hass und Aggression auf ein Kind zu projizieren als auf eine Erwachsene. Es geht also nicht nur um Migranten_innen, sondern konkret ihre Kinder, ‚Migrantenkinder‘. Diese Kinder waren und sind nie so viel wert wie ‚echte österreichische Kinder‘, aber darüber hinaus wurden und werden sie als Bedrohung für das Land wahrgenommen. Hinter ihrer Existenz wird eine feindliche Übernahme vermutet, was die Traditionsschützer_innen Österreichs, also Rassist_innen, im wahrsten Sinne des Wortes wild werden lässt. Ursachenbekämpfung auf österreichisch eben.

Österreich und der Rassismus. Ich weiß aber auch, dass es keinen Sinn macht, in Österreich eine Diskussion über Rassismus anzustoßen, weil es hier keinen Rassismus gibt. Österreich belegt zwar die Spitzenposition jeder Rassismus-Statistik, die im EU-Raum durchgeführt wird, aber niemand hier ist rassistisch. Österreich hat höchstens ein ‚Ausländer-Problem‘, ein ‚Einwanderer-Problem‘, ein ‚Flüchtlings-Problem‘, aber doch kein ‚Rassismus-Problem‘! Wenn, dann sind es doch die Einheimischen, die fürchterlich unter dem ‚Ausländer-Problem‘ leiden und das Recht haben, sich und ihre Kultur und Tradition zu verteidigen.

Und damit schließt sich der Kreis wieder: Eine Rückkehr zu Traditionen, das wird das ‚Ausländer-Problem‘ lösen. Tradition statt Multikulti ist die neue Kampagne der ÖVP, mit der sie jetzt Wahlkampf macht. Fehlt nicht sehr viel bis ‚Daham statt Islam‘ (einer vergangenen FPÖ Kampagne) und ja, natürlich ist das beabsichtigt. Sie haben schon lange erkannt, was die Wähler_innenschaft von ihnen will und geben es ihr regelmäßig – mal subtiler, mal plumper, aber immer bedarfsgerecht. Spätestens seit die FPÖ wieder konsistent mit 30% die Umfragen dominiert, zeichnet sich bundesweit eine dritte Auflage von FPÖVP ab – weil die letzte so viel Spaß gemacht hat. Jetzt geht es eben darum, wer blauer sein kann, denn das will die Mehrheit der Österreicher_innen. Sie will sich überlegen fühlen gegenüber diesen fremdartigen Ausländer_innen, die nicht in ihre ‚Tradition‘ passen. Sie will diese fremden Ausländer_innen schlechtergestellt und bestraft wissen, denn wie kommen sie dazu, von unserem Sozialsystem zu profitieren? Von einem System, in das sie reinzahlen, seit sie in Österreich leben und arbeiten, aber rausbekommen dürfen sie nichts. Das muss man sich erarbeiten! Als hätten Migrant_innen je was anderes gemacht als zu arbeiten und zwar in Jobs, die Österreicher_innen nicht machen wollen, während sie von ebendiesen argwöhnisch beäugt, verspottet und erniedrigt wurden.

Jedes Migrantenkind mit Arbeitereltern kennt Geschichten von unfairen Verhältnissen auf der Arbeit, von verbaler Gewalt und manchmal auch von Übergriffen – kennt Tränen der Wut, der Trauer, der Aussichtslosigkeit, und weiß auch, dass die Zu- und Umstände, die dazu führen, beabsichtigt sind. 

Durch die Familienzusammenführung in den 70er Jahren sammelten sich eben zu viele Fremde in diesem Land. Dies erkannte man als Fehler und erkannte auch, dass es zusätzliche Mechanismen zur Gesetzgebung braucht, um diese Fremden wieder loszuwerden, weil es eben hin und wieder keine schwarz-blaue Regierung geben kann. Der Grund dafür: mannigfaltige Korruptionsskandale und Akteur_innen, die Millionen an Steuergeldern veruntreuten, aber wer ist da schon so genau? 

Das Resultat davon lässt sich sehen: Menschen, die nach Österreich kamen, in der Hoffnung, sich hier ein besseres Leben aufzubauen, kehren nach 30, 40 Jahren geleisteter Arbeit und mit einem geschundenen, abgenutzten Körper wieder in ‚ihre‘ Heimat zurück. Oftmals hat sich die besagte Heimat nicht sonderlich stabilisiert in der Zwischenzeit, ganz im Gegenteil, aber alles ist besser, als für etwas gehasst zu werden, was man an sich nicht ändern kann. 

Rassistisch sind immer die anderen. Und die anderen? Die nicht FPÖVP wählen? Tja, was ist mit den anderen, das ist eine gute Frage. Sie reproduzieren sehr unreflektiert rassistische Erzählungen über Ausländer und Fremde. Ja, viele dieser Menschen würden wohl nicht abstreiten, dass es Rassismus in Österreich gibt, und dass dieser Rassismus das Leben von diversen Gruppen von Menschen schwieriger macht, nur würden sie diesen Rassismus nie bei sich verorten – es sind eben immer die anderen, die rassistisch sind. Die Demos gegen Rechts sind immer gut besucht, nur frage ich mich, ob die Menschen dort wirklich wissen, wogegen sie demonstrieren.

Sinnvoller, als auf diesen Demos zu stehen, wäre es Zivilcourage zu zeigen und einzugreifen, wenn ein rassistischer Übergriff passiert, auf menschenverachtende Hintergründe von Begriffen aufmerksam zu machen, wenn diese fallen, auch wenn keine Ausländer_innen anwesend sind und sich ernsthaft mit der Frage nach Privileg und Unterdrückung auseinanderzusetzen – vor allem mit den eigenen Privilegien. Aber von Menschen in privilegierter Position zu verlangen, diese zu hinterfragen, gehört zu den Unmöglichkeiten dieser Welt, denn sie sind ja gar nicht privilegiert.

Privilegien. Ein Privileg ist alles, worüber man sich keine Gedanken machen muss. Unpolitisch zu sein, wie die meisten auf diesen Demos, ist ein Privileg. Einen echten österreichischen Namen zu tragen, ist ein Privileg. Sich keine Gedanken über Anfeindungen im öffentlichen Raum machen zu müssen, ist ein Privileg. All das sind Privilegien, die vielen in Österreich verwehrt bleiben.

Ich schaue mir Bilder von besagten Demos an und bin erschlagen vom Selbstinszenierungsdrang. Mir kommen Schilder unter wie Döner statt Nazis; ich höre Diskussionen mit, wo vermeintliche Allys (= Personen, die sich aktiv für die Unterstützung und Solidarität mit marginalisierten Gruppen einsetzen und selbst nicht betroffen sind) die Frage danach stellen, wer denn die Drecksarbeit macht, wenn es keine Ausländer_innen mehr gibt – so kurzsichtig, diese Rassist_innen; ich muss mir anhören, wie mir ebendiese vermeintlichen Allys erklären, dass ich trotz meiner muslimischen Eltern ganz cool bin – und ich empfinde nichts als Resignation. Nichts, was ich je sagen oder machen könnte, würde irgendetwas an der Situation ändern, denn ich spreche aus einer Betroffenheitsperspektive und kann daher nicht ernst genommen werden. Ein Favorit ist auch: Du musst das unemotional sehen. Weil ja erst meine Emotionen den Rassismus problematisch machen.

Nach vielen Jahren hier bin ich das alles gewohnt. Ich mache mir keine großen Gedanken mehr, ob oder wie das Rassismus-Problem in Österreich bewältigt werden könnte, weil ich keine Zukunft hier für mich sehe. Ich habe mich abgefunden mit den ständigen Anfeindungen, der Hetze, den Beleidigungen und dem Spott. Ich habe erkannt, dass das für viele hier fast schon einen Selbstzweck erfüllt, oder besser gesagt einige sogar erst mit Leben und Sinn erfüllt, wenn sie hassen und verachten können – es macht Sinn, wenn man sich die Geschichte vor Augen führt. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich eine Gefahr und Bedrohung für dieses wunderschöne Land darstelle und muss gestehen: ich wollte es nie.

 

Nilüfer Dag studiert Gender Studies an der Universität Wien.

 

Foto © Lukas Pürmayr

 

AutorInnen: Nilüfer Dag