Marie-Luise Lehner

Aivery – „Because“

  • 20.06.2017, 22:13

KATJA: Aivery bestehen aus Gitarre (Jasmin Rilke), Bass (Franziska Schwarz) und Schlagzeug (Doris Zimmermann). Nicht nur die Besetzung ist typisch für Bands von Anfang der 90er Jahre, sondern der Sound im Kern auch – aber eben auch nur dort. Was zur Krönung des Debütalbums von Aivery entscheidend beiträgt, ist ein präzises Gefühl für laut und leise, Krach und Pop, Melodie und Rage. Schließlich hat Grunge seit über zwanzig Jahren ausgedient und was wir hier haben, ist ein volles, abwechslungsreiches und mitreißendes Werk dreier junger Frauen. Was auf dem Album in eine halbe Stunde Musik gepresst wird, eignet sich genauso gut für die Freistunde am Schulhof, die man im Raucher_inneneck verbringt, wie für alle Festivals in diesem Sommer. Live hat die Band jedenfalls in den letzten fünf Jahren genug Erfahrung gesammelt, um problemlos alle bevorstehenden Festivals in Europa bespielen zu können. Wenn das Album nur als akustischer Füller zwischen den Acts laufen sollte, werden sich bestimmt viele fragen, welches unbekannte Album von Sleater-Kinney das ist.

MARIE LUISE: Aivery wurde 2012 gegründet, jetzt kommt ihr erstes Album bei Siluh heraus. Bisher gab es eine 7-Inch-Platte und eine Kassette. Die drei Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug bewegen sich zwischen Grunge, Noize und Punk. Manchmal wird riotgrrrlig geschrien, oft ist aber die Stimme von Franziska Schwarz zu hören, die ungebrochen, samtig abgemischt und gut zu verstehen die englischen Texte singt. Der Song Don’t you dare war auch schon auf dem Nono- Sampler vertreten, auf dem es um female* Bands ging, die über das Nein- Sagen singen. Secret war schon auf Aiverys 7-Inch zu hören, kommt jetzt aber in neuem Gewand, neu aufgenommen und gemischt. Ich mag den ersten Teil von Not Sorry gern, in dem einen Gitarre und Beat wie in einen Strudel hineinziehen. Zu Aivery lässt sich in kleinen Underground-Punk-Lokalen tanzen und auch beim Hören daheim muss ich mitwippen, ganz besonders beim immer wiederkehrenden Gitarrenriff von Space Between, vielleicht musikalisch meinem Lieblingssong auf der Platte.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

SXTN – „Leben am Limit“

  • 20.06.2017, 22:10
Die laut Selbstbezeichnung im ersten Track „talentlosen Fotzen“ von SXTN haben endlich ein Album gemacht

KATJA: Die laut Selbstbezeichnung im ersten Track „talentlosen Fotzen“ von SXTN haben endlich ein Album gemacht, yaaaaas. Jetzt kann man sich die derben Texte von Juju und Nura auf Albumlänge anhören und das lohnt sich. Die zwei Rapperinnen aus Berlin, die auf Four Music gesignt sind und zum Beispiel mit Haftbefehl auf Tour waren, haben nichts von ihrem Drive einbüßen müssen, der bei ihrer EP Asozialisierungsprogramm und in den vorgeschossenen Singles zu spüren war.

Auf wie viele verschiedene Arten die beiden sich dem Sprachgebrauch von Rappern [sic] annehmen und die Rollen vertauschen ist genial. Sie rappen darüber, einen Ständer zu kriegen und (d)eine Mutter zu ficken. Angenehm selbstreflexiv wird es bei Tracks wie Ausziehen, der Sprüche des Publikums bezüglich des Entkleidens der Rapperinnen auf der Bühne aufgreift. Der Re- Album nur als akustischer Füller zwischen den Acts laufen sollte, werden sich bestimmt viele fragen, welches unbekannte Album von Sleater-Kinney das ist. Marie Luise: Aivery wurde 2012 gegründet, jetzt kommt ihr erstes Album bei Siluh heraus. Bisher gab es eine 7-Inch-Platte und eine Kassette. Die drei Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug bewegen sich zwischen Grunge, Noize und Punk. Manchmal wird riotgrrrlig geschrien, oft ist aber die Stimme von Franziska Schwarz zu hören, die ungebrochen, samtig abgemischt und gut zu verstehen die englischen Texte singt. Der Song Don’t you dare war auch schon auf dem Nono- Sampler vertreten, auf dem es um female* Bands ging, die über das Nein- Sagen singen. Secret war schon auf Aiverys 7-Inch zu hören, kommt jetzt aber in neuem Gewand, neu aufgenommen und gemischt. Ich mag den ersten Teil von Not Sorry gern, in dem einen Gitarre und Beat wie in einen Strudel hineinziehen. Zu Aivery lässt sich in kleinen Underground-Punk-Lokalen tanzen und auch beim Hören daheim muss ich mitwippen, ganz besonders beim immer wiederkehrenden Gitarrenriff von Space Between, vielleicht musikalisch meinem Lieblingssong auf der Platte. Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien. frain besteht angenehmerweise nur aus dem Schlachtruf „Ausziehen! Ausziehen!“, den ich mir in einer Konzertsituation – von oben nach unten gerufen – sehr befreiend vorstellen kann.

Marie Luise: SXTN fordern heraus, sie provozieren mit expliziten Raplyrics. Ihren großen Durchbruch hatten sie mit Ich fick deine Mutter und dem dazugehörigen Video auf Vimeo mit nackten Frauen, Explosionen und Gras. Mit dem Motto „Jeder Hater ist ein Klick mehr“ mischen sie den Klischeetopf ordentlich durch, versprechen in den Texten eins auf die Nase, zelebrieren sich als starke Frauen und nutzen selbstbestimmt sexualisierte Kleidung und Posen für sich. Inwiefern das Reproduktion von sexistischen Klischeebildern ist, kann jede* für sich entscheiden, und inwiefern jede* die destruktiven Rhymes bis zum Schluss supporten will auch. Was deutlich ist: Es funktioniert. Das neue Album erzählt vom jüngsten Erfolgsschub. Der Titel des ersten Lieds auf der Platte ist Programm. Da schimpfen sie auf Mackerrapper und machen „Realtalk von nem Mannsweib, was ja doch ein bisschen rappen kann, anscheinend“. Andere Songs heißen Ständer, Partyopfer oder Frischfleisch. In Er will Sex singen sie „Du willst mich ficken, aber du darfst es nicht, weil ich es verbiete“. SXTN besitzen sich selbst und sind dabei wahnsinnig cool.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

The XX – „I See You“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich The XXs "I see you" angehört.

Katja: Bei der Vorabsingle „On Hold“ musste ich mich doch sehr wundern, in welche Richtung sich The XX bewegen. Der Song klang extrem aufgesetzt nach 80er-Jahre-Synthieschnulze, vor allem durch das Vocalsample von Hall & Oates von „I Can’t Go For That (No Can Do)“ im Refrain, das mich extrem nervte. Auch inhaltlich bot der Track keinerlei Reiz, ganz im Gegenteil (ein Lovesong, der davon handelt, dass man dachte, man hätte jemanden „on hold“ – cringeworthy!). Doch zum Glück war „On Hold“ wirklich ein totaler Ausreißer und der Rest des Albums überzeugt mühelos. Die Kernkompetenz von The XX liegt einerseits im melancholischen, perfekt arrangierten Zweigesang zwischen Romy und Oliver und andererseits in den langsamen, minimalistischen Schleppbeats von Jamie. Von beidem gibt es auf dem Album mehr als genug. Ganz besonders „Say Something Loving“ hat es mir angetan. Dieses sehnsüchtige Duett zwischen zwei Liebenden, die nostalgisch in die Vergangenheit schauen und einen Funken Liebe einfordern, ist herzzerreißend schön. Die entschleunigten Sounds von The XX kann ich mir täglich anhören und es wird nicht langweilig.

Marie Luise: Mir fällt es beim Hören schwer, festzumachen, was das Neue auf „I See You“ von The XX ist. Es hat sich etwas verändert, soviel ist klar. Die Stimmung bleibt, aber musikalisch scheint vieles reicher geworden zu sein. The XX sind immer schon durch Ruhe und sensible Gefühlstexte aufgefallen. Wörter, die in einer Rezension in Kombination mit The XX aufzählbar sind: Elektronik, Soundscapes, Beatarchitektur, Stimmungen, Musikräume, Flächen. Auf ihren vorherigen Alben haben sie ihre Arrangements so gewählt, dass die Lieder live auf Bass, Gitarre und programmierter Drummachine zu spielen waren. Dieses Mal hatte der Produzent der Band, Jamie XX, der 2015 sein erstes Soloalbum („In Colour“) herausgebracht hat, viel mehr Freiheiten, an den Beats, den hier und dort unauffällig eingespielten elektronischen Strings und den Bläsern zu feilen. In den Liedern ist ein größeres Spektrum an Varianten dazugekommen, produktionstechnisch, aber auch im Gesang. Sie sind so ernst dabei, über die großen Gefühle zu singen, wie es auch Teenager sind. So ernst, wie die großen Gefühle sich auch anfühlen, wenn man verliebt ist. The XX zu hören ist schön. Es geht einem ein bisschen das Herz auf und man kann dazu großartig schmusen. Tanzen vielleicht weniger.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.Marie Luise Lehner studiert
Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Schnipo Schranke – „Rare“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich Schnipo Schrankes „Rare“ angehört.

Katja: Seit der Single „Pisse“ sind sie die deutschen Lieblinge des Feuilletons, werden gelobt von der Süddeutschen, der FAZ und im Intro: Schnipo Schranke. Das Duo bringt das neue heiße Ding, das früher etwa „freche Frauen“ genannt wurde, endlich in den rechten Rahmen. Fäkalien, Liebeskummer und Tierleichen sind die Themenschwerpunkte der Band – also sehr nah an ähnlichen Ausnahmekünstlerinnen wie Stefanie Sargnagel, aber eben auch grob vertont. „Grob“ schreibe ich, um nicht das minderwertige „rotzig“ schreiben zu müssen, da seltsamerweise immer nur Musik weiblicher Musikerinnen mit dieser Eigenschaft versehen wird. Das neue Album „Rare“ knüpft nahtlos an „Satt“ aus 2015 an. Sie klingen manchmal wütend, angepisst, gelangweilt, leicht apathisch gar, haben aber immer eine grauslich-spannende Geschichte zu erzählen. Mal gibt es eine tote Katze zum Geburtstag, mal spielt sich der ganze Song um eine trashig-lustige Wortspielerei herum ab („Pimmelreiter“) – das Intro hingegen ist eine melancholische Instrumentalnummer. Es hat sich schon einiges getan in den letzten zwei Jahren. Es wird auch erwähnt, dass sie jetzt berühmt seien und dass sich trotzdem nicht viel geändert habe. Die Reime sind immer noch so schräg und real, dass es Helge Schneider die Barthaare vor Neid weiß gefärbt hat.

Marie Luise: Schnipo Schranke sind mir das erste Mal mit dem Song „Pisse“ aufgefallen, in dem sie auf lustige Weise stereotyplos, unrein, rotzig und stark gereimt haben. Schon damals fand ich die anderen Lieder nicht so aufregend. Auf dem neuen Album ist leider auch nicht viel Spannendes passiert. Musikalisch besticht es recht wenig. Ich höre mich durch die Platte, höre auf, als das Lied „Stars“ mit „Ne Nutte spricht mich an, weil ich mich einfach nicht als Frau verkleiden kann“ beginnt. Könnte spannend werden, denke ich. Es geht dann aber hauptsächlich um das egozentrierte Leben „unserer Generation“. Das Thema ist leider genauso alt wie „unsere Generation“. Um eine ähnlich passive Haltung gegenüber dem Rest der Welt geht es in dem Lied mit dem Titel „Pimmelreiter“ mit dem Refrain „Ich bin der Pimmelreiter (…) Ich reit’ durch Pipi, Sperma und so weiter“. Es kann schon ziemlich cool sein, wenn all-female*-bands über Sekrete und Körperflüssigkeiten singen, bloß alleine reicht das halt auch nicht. Ich hab die beiden in ihrem Auftreten aber zu gern, um jetzt so schlecht über sie zu enden. Das nächste Album zum Beispiel könnte richtig gut werden, wenn sie mal was Neues ausprobieren und aus der erprobt-bewährten Komfortzone herauskommen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Imany – The wrong kind of war

  • 23.02.2017, 19:15

Katja: Imany sollte man wegen ihres Nr.-1-Hits „Don’t Be So Shy“ kennen, der heuer als Remix schon die österreichischen Charts angeführt hat. Das lässt schon vermuten, dass Imanys Stimme und Songwritingqualitäten erste Sahne sind – aber für einen Superhit braucht es manchmal ein paar zusätzliche Beats und Breaks. So kann man nur hoffen, dass sie auf Albumlänge noch ein paar Fans mehr gewinnen kann, ganz allein und durch die Geschichten, die sie eher ruhig und unaufgeregt erzählt. Und tatsächlich sind die Geschichten der Kern der Songs auf „The Wrong Kind Of War“. Normalerweise finde ich Singer-Songwriter- Alben nicht so spannend, aber Imany überzeugt mich auf dieselbe Art, wie mich damals Norah Jones von sich überzeugen konnte. Es war nicht besonders cool oder edgy, diese Musik zu hören, aber muss es denn immer Gitarrenlärm oder Elektrogefriemel sein? Von der durch Imany kreierten musikalischen Atmosphäre und ihrer einlullenden Stimme kann sich selbst Feist noch was abschneiden.

Marie Luise: „The Wrong Kind of War“ ist vier Jahre nach Imanys viel gefeiertem Debütalbum „The Shape of a Broken Heart“ erschienen. Damals hat die Pariserin über 400 Konzerte gespielt und fast eine halbe Million Alben verkauft. Mit ihrer im Juli erschienenen Single „Don’t be So Shy“ war sie wochenlang Nummer eins in den französischen Charts. Imany hat zunächst als Model gearbeitet und ihre Musikkarriere viel später begonnen, als die meisten andern MusikerInnen, die derart hohe Verkaufszahlen erzielen. Auch für die Musik auf der neuen Platte hat sie sich viel Zeit genommen. Sie sagt, sie habe sehr viel geschrieben und wieder verworfen, sie sei viel gereist und habe die Lieder für „The Wrong Kind of War“ in Paris und Dakar aufgenommen. Der Sound erinnert manchmal an Tracey Chapman, manchmal an Bob Dylan. Ihre neuen Lieder sind von einer starken Melancholie durchzogen. Zu den meisten Songs gibt es schöne Videos. Imany singt über Liebe und Gefühle, ist aber auch sozialkritisch. Im ersten Song des Albums singt sie über den medialen Umgang mit Kriegsberichterstattung und Gewalt, die im Fernsehen verherrlicht werde. In „There were Tears“ singt sie „Freedomfighters, here I am, knock on my door“ und später im Song: „If there is no justice, there will be no peace“.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

Milliarden – Betrüger

  • 23.02.2017, 19:07

Katja: Ich hab die Band Milliarden zum ersten Mal im Radio gehört, was heutzutage bei mir selten genug vorkommt. Es war der Song „Oh Cherie“ und zu Beginn hab ich nicht wirklich auf den Text geachtet, sondern mich gefreut, mal wieder einen guten Rocksong zu hören. Meine Schwäche für deutschen Jungs*schrammelkram ist allgemein bekannt, deswegen sollte mir Milliarden zusagen. Als ich dann aber, ein paar Tage später, den Song noch einmal hörte und sich der Text in meinen Kopf bohrte, war der Zauber dahin. Da wird tatsächlich eine schlichtweg gewalttätige Beziehung verharmlost mit Zeilen wie „damit du meine Liebe spürst, tu ich dir weh“. Das geht einfach nicht, das kann ich mir unmöglich anhören. Als Marie diese Platte für die Rezensionen vorschlug, wollte ich der Band noch eine Chance geben und mir ihren Langspieler „Betrüger“ anhören. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Zum Beispiel mit dem Song „Freiheit is ne Hure“. Da singt Frontman Ben Hartmann von Dingen, die er gerne wäre (Mörder, Terrorist, Denker und reich), und auch von Dingen, die er gerne hätte: Krieg, Frieden, HIV und Armani. Ja, richtig. Kein Scherz. HIV und Armani kommen tatsächlich so nebeneinander vor. Passend dazu bezeichnet er die Freiheit als Hure und sich als ihr Kind. Mehr muss ich eigentlich nicht dazu sagen. Privilegierte Lausbuben wollen „Punk“ machen.

Marie Luise: „Du reißt mir die Haare aus, ich schlag dir die Zähne ein“, sind die ersten Zeilen der Platte und genau so geht es weiter. Schon bevor ihr Debütalbum erschienen ist, haben die beiden Musiker Ben Hartmann und Johannes Aue riesige Konzertsäle gefüllt. Bei „Rock im Park“ haben sie sogar die Hauptbühne vor tausenden ZuschauerInnen eröffnet. Die Band versucht mit eingängigen Lines zu glänzen. Der Stil erinnert an Ton, Steine, Scherben, schafft es aber nicht, an das Vorbild heranzukommen und entpuppt sich als bloße Kopie von etwas, das es schon in verschiedensten Spielformen gab. Wir haben es mit Mackern zu tun. Einer der Songs auf dem Album heißt „Freiheit is ne Hure“. Auf dem Cover sind zwei abgetrennte Köpfe und gespreizte Frauenbeine zu sehen. Es ist erstaunlich, wie viel Bühne es für Männermusik gibt. Irgendwann beim Hören muss man unweigerlich an Wanda denken. „Und ohne was zu haben, habe ich Milliarden“, singt Ben. Das Album klingt nach Wohlstandspunk.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

Cage the Elephant – „Tell me I’m pretty“

  • 08.03.2016, 19:48
Katja und Marie Luise rezensieren „Tell me I’m pretty“ von Cage the Elephant.

Marie Luise: Kaum läuft bei mir zuhause die neue Platte von „Cage the Elephant“ habe ich das Gefühl, ich kann und will mitsingen, will ein bisschen tanzen. Über sympathischem Indierock liegt eine angenehme Frauenstimme. „Cage the Elephant“ haben sich mit ihrem neuen Produzenten Dan Auerbach (Frontmann der Black Keys), der an „Tell me I’m pretty“ mitgearbeitet hat, in der Qualität ihrer Aufnahmen eindeutig gesteigert. Auf dem Cover ist eine rothaarige dünne Frau zu sehen, die romantisch zum Himmel schaut und so aussieht, als habe sie ein wenig zu viel Sonne abbekommen. Die Lyrics sind gut, die Songs fließen ineinander und funktionieren. Keines der Lieder sticht besonders heraus, zu allem lässt sich mit dem Kopf wippen, zurück bleibt ein angenehmes Gefühl. Charakterisieren würde ich das als „Sag mir, dass ich schön bin, aber sonst ist alles, alles in Ordnung“-Gefühl. Diesen Sound würde ich gerne in der Früh nach ekstatisch durchgetanzten Nächten oder auf einem langen Roadtrip hören. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder von den Mädchen im Club, die verschwitzte Haare psychedelisch in ihre Gesichter hängen lassen.

Katja: Also, „Cage the Elephant“, „Tell Me I’m Pretty“, nun ja, … die Platte läuft schon zum dritten Mal bei mir durch und mir fällt einfach gar nichts ein, was diesen Sound gut beschreiben würde. Moment, das ist gelogen, ich muss es umformulieren: Mir fällt dazu nichts ein, was nicht schon eine Milliarde Mal aufgeschrieben wurde. Wie viele vierköpfige Gitarrenbands aus den Vereinigten Staaten wird es wohl geben, die Indierock spielen? Mir fallen auf Anhieb gerade einmal 43 ein, von denen ich mir bei dreien nicht ganz sicher bin, ob sie nicht vielleicht aus Skandinavien kommen. Anyway, die drei Adjektive, die mir spontan zur Musik einfallen: beliebig, langweilig, Arschgeweih. Ich würde den Platz auf diesem Blatt Papier in diesem Magazin gerne für etwas Sinnvolleres nutzen, ein Kochrezept vielleicht oder eine Strickanleitung. Passend dazu tönt im Hintergrund gerade Sänger Matthew Schultz die beispielhafte Zeile „du dudub du du, oh yeah“. Die Recherche über Band und Album hat überhaupt keinen interessanten, erwähnenswerten Fakt ans Licht gebracht, es tut mir leid. Die Band soll – wie jede andere auch – live eine unheimliche Energie versprühen. Sänger Matt und Gitarrist Brad sind Brüder. Die Namen reimen sich. Total crazy.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Annenmaykantereit – Wird schon irgendwie gehen

  • 05.12.2015, 18:14

KATJA: Einen kleinen Warnhinweis möchte ich vorwegschicken: Wer Probleme mit einer Reibeisenstimme à la Hafenarbeiter um fünf Uhr früh nach zehn Jägermeistern und mindestens drei Schachteln Zigaretten hat, wird sich wohl nie mit dem Sound von AnnenMayKantereit anfreunden können. Denn Henning May (ein Name wie eine Explosion!) dominiert mit seinem Gesang auf den Tracks genau genommen alles. Der Rest an Gitarre und Schlagzeug (Typ: direkt aus der Garage) kommt ebenso kantig daher, auch wenn May manchmal sein Klavier anstrengt und eine Ballade geschmettert wird. Ganz unerwartet kommt die Band aus Köln und nicht aus Hamburg, auch wenn alles nach Küste und schneidend kaltem Wind klingt. Nun darf man bei diesem Vergleich aber nicht an die Hamburger Schule denken, denn damit haben die drei nichts am Hut. Eigentlich schreit alles in einer Tour: Männlichkeit, Fäuste, Bier und Bartstoppeln. Inhaltlich ist es sehr rührselig, aber das geht im Sound total unter. Apropos Tour: Alle ihre Konzerte für 2016 sind ausverkauft, außer der Auftritt im republic in Salzburg. Liebe Salzburger*innen, das sieht komisch aus, besorgt euch schnell noch ein, zwei Karten!

MARIE LUISE: Nicht mehr ganz so neu, aber trotzdem noch in aller Munde, ist das Album dieser Band, die mit Straßenmusik angefangen hat. Ein bübisch aussehender junger Mann singt mit einer rauchigen tiefen Stimme, zu der schweißüberströmt getanzt werden kann. In der Zwischenzeit haben die drei Kölner schon mit KIZ zusammengearbeitet. Das Album „Wird schon irgendwie gehen“ läuft im Radio auf und ab, die Klickzahlen ihrer selbstgedrehten Videos vervielfachen sich und sie spielen nur noch in ausverkauften Clubs. Die deutschen Lyrics berühren hart, dazu Indie-Folk vom Feinsten. Der auf Konzerten beliebteste Titel der neuen Platte, „Oft Gefragt“, ist eine Liebeserklärung des Sängers Henning May an seinen Vater. Der reißt sich dabei musikalisch das Herz aus der Brust und reißt mich mit. Die ganze Platte macht Sinn und die Musik funktioniert durch und durch!

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Adele – 25

  • 05.12.2015, 18:10

KATJA: Adele – der weibliche Star, der ausnahmsweise keine Diva ist, sondern eine grundsympathische, unglamouröse und talentierte Sängerin. Nicht so profillos wie andere britische Singer/SongwriterInnen wie zum Beispiel Ed Sheeran, der es auf dieselbe Art probiert. Es ist also nicht möglich, Adele nicht zu mögen. Aber was kann ihr drittes Album, 25? Von der stimmgewaltigen, pathetischen Eröffnungsnummer „Hello“ über sehr reduzierte Klaviernummern ist die komplette Bandbreite der Melancholie abgedeckt. Zwischendurch gibt es mal eine etwas temporeichere Nummer mit Akustikgitarre und Rhythmusgeräten. Egal auf welche Art und Weise ein Song daherkommt, inhaltlich geht es um die üblichen Verdächtigen: Herzschmerz („I miss you“), Herzschmerz („Hello“) oder Herzschmerz („All I ask“). Allerdings verschwimmt das alles nicht in einem Traurigkeitsbrei, sondern behält einen eindeutigen Wiedererkennungswert. Ob das nun an den eingängigen Texten liegt („You look like a movie, you sound like a song, my god this reminds me, of when we were young”) oder an der eigenwilligen Stimmung in jedem einzelnen Song, kann und soll hier nicht geklärt werden.

MARIE LUSIE: Eine der erfolgreichsten Musikerinnen des 21. Jahrhunderts bringt eine neue Platte heraus. Das neue Album wird melancholisch. Viel steht auf dem Spiel – der Albumrelease hat sich verzögert. Ihr Album „21“ wurde 30 Millionen Mal verkauft. Ein Erfolg, der schwierig zu wiederholen ist. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Frau, die sich gegen aus ihrer Sicht zu niedrige Streampreise wehrt, es schaffen wird. „25“ steht nur zahlenden Hörer*innen zur Verfügung und ist nicht bei Spotify abrufbar. Der Clip zur Single „Hello“ wurde vom kanadischen Regisseur Xavier Dolan produziert. In Sepiafarben ist Adele zu sehen, wie sie in ein verlassenes Haus zurückkehrt: Lange Einstiegssequenz, sie öffnet die Augen, die Musik setzt ein. Es geht um Neuanfänge. Bekannte ProduzentInnen und SongwriterInnen haben an dem Album mitgewirkt. Der Produzent von „Hello“ hat auch schon für Beyoncé und Sia gearbeitet. Resultat ist ein auf allen Ebenen sehr geschmackvolles Album.

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Tocotronic „das rote Album"

  • 25.06.2015, 11:51

MARIE: Am 1. Mai erschienen, ist es nicht nur aus politischen Gründen rot. Tocotronis neuestes Album verschreibt sich der Liebe. Schon im ersten Song „Prolog“ verspricht uns Sänger Dirk von Lowtzow:-„Liebe wird das Ereignis sein“. Ein wenig später, mit Samtstimme: „Ich öffne mich und lasse dich in mein Leben“. Ohne dem üblichen bisschen Bisschen Melancholie geht’s nicht. Die Platte ist insgesamt ruhiger geworden, als wir Tocotronic kennen. Es stellt sich die allgemeine Frage zu Texten über Liebe: Wie weit kann man gehen? Wo beginnt der Kitsch? Zum Song „Die Erwachsenen“ gibt es ein Video. Es sind wunderschöne Teenager darin zu sehen, die durch Berlin turnen, Fertigpizza essen und knutschen. Cut. Closeup: Dirk mit grauem Haar: „Wir wollen (…) knutschen bis wir müde sind“. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen  nicht  die  Band  ist  22  alt,  sondern ihre  Musiker. Ich höre ihnen trotz aller Zärtlichkeit - die zum Beispiel in dem  berufsjugendlichen  Titel „Rebel Boy“ vorkommt,  -gerne  zu.  Aus Rock ist nun endgültig Pop geworden. Die Songs bleiben im Kopf hängen. Mein Lieblingszitat: „..und du schriebst die Diplomarbeit, über Empfindlichkeit". Seit dem ersten Hören kann ich die Texte auswendig mitsummen. Bei so viel Liebe fühle ich mich ein wenig dümmlich, aber es ist so (verdammt) schön.

KATJA: Älter werden ist schwer und nicht immer so glamourös wie bei, sagen wir, David Bowie. Wenn man eine Lieblingsband hat, die diesen Prozess quasi parallel zu einem selbst durchlebt und man sich ein auf Platte gepresstes Beweisstück dazu anhören muss, mag man sich zeitweise aus dem Fenster werfen. Älterwerden heißt in diesem Falle Langeweile, geistiger Abbau, Einfalt und sinnlose Lieblich- und Zufriedenheit. Vielleicht projiziere ich ein wenig zu viel in diese Band  und ihre Musik hinein, jedoch begleiten sie mich wie meine erste Adidastrainingsjacke und daher erlaube mir eine strenge und liebevolle Kritik: Alle Texte sind Nonsens („Wir sind Babys“). Alle Melodien sind beliebig. Manche Kombinationen davon sind so- gar  irgendwie  peinlich („Rebel Boy“): „Check dich mit mir ein, du wirst mich befreien“. Es tut mir viel mehr weh, diese Platte so zu zerreißen als sie anzuhören; Das sei hiermit festgehalten. Die Nostalgie ist jedoch das einzig noch relevante an dieser Band, daher werde ich auch für immer ihre Konzerte besuchen, ihre alten Songs zitieren und  ihre Shirts tragen,  daran besteht kein Zweifel. Das rote Album aber  ein zweites  Mal  anhören?  Eher nicht. 

 

Katja Krüger ist Einzelpersonunternehmerin und studiert in Wien Gender Studies.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst.

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