Marie-Luise Lehner

Conchita Wurst ,,Conchita"

  • 25.06.2015, 11:45

Seit dem 15. Mai, pünktlich zum Songcontest, gibt es endlich das erste Album von Conchita Wurst, „Conchita“.

MARIE: Conchita wirbt an jeder Plakatwand für irgendetwas, gerade  ist eine Biographie mit dem Untertitel „We are unstoppable“ herausgekommen. Seit  dem 15. Mai, pünktlich zum Songcontest, gibt es auch endlich das erste Album, „Conchita“. Vielleicht sollte man gar nicht darüber sprechen was da so drauf ist, es sind nämlich Schlager geworden. Eingängige Hooklines mit musical-ähnlicher Stimme und fetten Synthesizersounds. Hinter dem Album stehen massig KomponistInnen und TexterInnen.

Für die meisten gerade kommerziell gut verwertbaren Musikrichtungen scheint etwas dabei  zu  sein. Inhaltlich ist das Spektrum allerdings nicht sonderlich abwechslungsreich. „ Other Side of Me“ und „Pure“ drücken mit viel  Schmalz auf die Tränendrüse, „Heroes“ erinnert manchmal phasenweise an Lana del Rey. Mein persönlicher Favorit ist „Where have all the good men gone“, das nach Electroswing klingt. Für dieses Album wurde tief in die Taschen gegriffen, leider umsonst. Entschuldige, wir lieben dich trotzdem Conchita.

KATJA: Bei der Auswahl des zweiten Albums für diese Rubrik mussten wir uns nicht besonders anstrengen. Conchita war das Thema Nummer Eins in den österreichischen Medien – zumindest bis zum ESC in Wien und keine Sekunde länger – und hatte sogar zu unser aller Verwunderung ein Album herausgebracht. Mit Musik drauf. Fast hätte man vergessen, dass die Botschafterin für Toleranz und Frieden auf Erden eigentlich Entertainerin ist. Doch hier haben wir es nun, ihre erste Veröffentlichung in voller Länge.

Beim ersten Durchhören könnte man meinen, dass alles genau so wie erwartet ist: Popsongs, die ihre wunderschöne Stimme ins Zentrum rücken und perfekt ins massentaugliche Radioprogramm passen. Dazu gehören hauptsächlich  Powerballaden und die „Bond-Songs“, pathosgeladene Befreiungsschmachtfetzen. Ich muss zugeben, dass ich hinter „Sombody to Love“ eine Coverversion von Justin Biebers erstem Dancehit erwartet habe und ein wenig enttäuscht war. Doch alles in allem tut ein Zuhören gar nicht weh, es gibt tatsächlich viel Qualität in den Songs, gute Produktion und Songauswahl inklusive. Statt einem Ritt durch alle Genres gibt es hier ein stabiles Niveau und ein sicheres Auftreten von Frau Wurst. Für die österreichische Musikwelt ein großer Gewinn.

 

Katja Krüger ist Einzelpersonunternehmerin und studiert in Wien Gender Studies.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst.

Plattenkiste: Matt and Kim - „New Glow“

  • 11.05.2015, 08:36

Zweimal hingehört

Zweimal hingehört

Marie: Das New Yorker Indie-Pop-Duo Matt and Kim ist nach wie vor laut und massentauglich. Das Plattencover: das Geschmackloseste, was die energetische Schlagzeugerin und der hibbelige Keyboarder nur in die Welt schleudern konnten. Ich hätte die Scheibe vielleicht mit vierzehn gerne gehört. Die erste Nummer „Hey Now“ hätte mein Jugendzimmer in ein Schlachtfeld verwandelt, denn eines ist das neue Album: tanzbar. Am besten nicht nüchtern. Die folgenden Titel „Stirred Up“ und „Can You Blame Me“ werden nicht besser. Der Titel „Hoodie On“ ist dann eine Mischung aus Eislaufplatzfeeling gepaart mit Smartphone-Gedudel, „Make a Mess“ hat etwas von Kinderliedern, die meine Schwester mit vier gehört hat: Zu piepsigen Keyboardsounds ist die Hauptaussage „lets make a mess, because we’ve been clean for too long“. Das passt wieder zum zerstörten Jugendzimmer. In diesem Stil geht es dann weiter bis zum letzten Lied. „I See Ya“ ist der obligatorisch traurige Schluss-Song. Schnulzig wird hier „I miss you“ zwischen pseudo-deepen Herzschmerzlyrics gewiehert. Endlich ist die Kindergeburtstagsparty vorbei. Endlich dürfen alle heimgehen.

Katja: Es gibt wohl kaum ein sympathischeres Musiker_innenpaar als Matt and Kim. Das Video zu „Lessons Learned“, in dem sie nackt auf dem Times Square in New York herumlaufen und vor den Cops flüchten, ist legendär. Ihre Musik passt bis heute hervorragend dazu: verspielt, offen, ehrlich, kindisch. Zu zweit schaffen sie aufregende und vereinzelt sogar berührende Momente. Das atemlose, laut hingerotzte „Hey Now“ als Opener von „New Glow“ lässt keinen Zweifel daran, dass Matt and Kim gar kein Interesse daran haben, einen irgendwie sophisticateden Sound zu etablieren. Die Kürze der Songs bewirkt dabei, dass sich das Konzept nicht so schnell abnutzt. Wer mit Vocodern und Kinderzimmer-DIY-Attitüde nicht viel anfangen kann, sollte besser Abstand von den beiden halten. Für alle anderen könnte es jedoch eine der netteren Partyplatten des Jahres werden.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst.

Plattenkiste: Hot Chip „wHy MaKe SenSe?“

  • 11.05.2015, 08:36

Zweimal hingehört


Zweimal hingehört

Marie: Die Londoner Band Hot Chip lässt uns ab 18. Mai wieder unsere Sportkleidung auspacken und hysterisch zu ihren Synthklängen und Electrobeats herumhüpfen. Denn dann erscheint „Why Make Sense?“, das neue Album. Das letzte, 2012 erschienene Album, „In Our Heads“, hieß nicht ohne Grund so, denn zu den erwachseneren und introvertierteren Klängen ließen sich zwar schon die Hüften schwingen, das aber um einiges nachdenklicher. Neue Platte, neues Glück: Hier darf wieder wilder getanzt werden, wenn man dem neuen Demosong als Vorboten vertrauen schenken kann; „hey yeah“ quiekt eine Stimme frenetisch ins Mikrophon. Während im Video vor allem Lichter zu sehen sind, in denen diffuse Schatten herumwirbeln, säuselt die Kopfstimme von Alexis Taylor zu Electro und Synthorgel-Akkorden. Irgendwann stimmt eine Sprechstimme mit einem kurzen Text ein, der vielleicht als Metapher für das Album gelesen werden kann: „I got something for your mind, body and your soul“. Die Release haben „Hot Chip“ wohlweislich an den Anfang des Sommers gelegt.

Katja: Um sich den Sound und die Ästhetik von Hot Chip vorzustellen, ist es sehr dienlich, Walter White vor dem inneren Auge zu haben. Man stelle sich vor, er wäre nicht zufällig auf die Idee gekommen, Drogen herzustellen, weil er Chemielehrer war, sondern er hätte eine Band gegründet, weil er Musik unterrichtet hat. Mit einem Mix aus konservativ, intellektuell und größenwahnsinnig gelingt es Hot Chip seit 2000 immer wieder, spannende und gewöhnungsbedürftige Alben aufzunehmen, die entweder sofort zünden oder sich erst beim fünften Hördurchgang erschließen und eine_n dann nicht mehr loslassen. Mit „Why Make Sense?“ ist dies erneut geglückt. Manchmal wirkt ein Track so funky wie ein Stück Holz, doch gegen jede Erwartung muss man nach wenigen Momenten mitsummen. In jeder Ritze steckt Harmonie, auch wenn es kantig und klobig wirkt. Das Tempo der bisherigen Alben haben Hot Chip ein bisschen zurückgeschraubt, dafür treten sie ein wenig gradliniger auf. Am Ende des Albums – beim titelgebenden „Why Make Sense?“ – klingen sie fast wie eine ungefilterte, pure Liveband.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst.

Beyoncé – „Lemonade“

  • 21.06.2016, 19:30

Marie Luise: Beyoncés neues Album, zu dem es einen abendfüllenden Begleitfilm gibt, handelt von Wut. Unter anderem lassen sich Anspielungen auf Jay Zs außereheliche Affären herauslesen. Worum es aber viel stärker geht, ist eine hochpolitische Wut. Das Video zu „Formation“ wurde am Vorabend der Super Bowl in den U.S.-amerikanischen Medien heiß diskutiert. Es geht um rassistische Polizeigewalt und zeigt Beyoncé, wie sie auf einem Streifenwagen sitzt, der langsam untergeht. Die Polizei zeigte sich weitgehend empört, viele Polizist*innen weigerten sich, bei Beyoncés Konzerten den Security Service zu übernehmen. Weiße Republikaner*innen gaben öffentlich kund, dass eine Musikerin, die sich so polizeikritisch äußert, keinen Platz bei der Super Bowl haben sollte. In ihrer Performance auf dem Mega-Event bezog sich die Künstlerin dann mittels Kleidung auf die Black Panthers und durch die Choreographie (die Tänzerinnen waren in Form eines X aufgestellt) auf den Schwarzen Bürgerrechtskämpfer Malcolm X. In ihrem neuen Album thematisiert Beyoncé darüber hinaus Themen wie Feminismus und #Blacklivesmatter. In einer Szene zitiert sie Pipilotti Rists Videoperformance „Ever is over all“, in der die Künstlerin mit einem Stock die Fensterscheiben parkender Autos zerschlägt. Ein großartig notwendiges Gesamtkunstwerk!

Katja: Beyoncés neues Album hat mich kalt erwischt. Es kam so plötzlich und so heftig wie selten etwas in der Musikbranche. Nach ihrem Video zu „Formation“ konnte doch unmöglich etwas nachgeschoben werden, das noch krasser einschlägt? Doch. Es klingt absolut unglaubwürdig, dass ein Konzeptalbum über Ehebruch das politischste Statement des Jahres hervorbringt, aber „Lemonade“ ist genau das. Bei Beyoncé ist das Politische privat und das Private politisch, mit Leib und Seele. Wäre es ein Album ohne dazugehörigen einstündigen Film gewesen, wäre die ganze Sache ein bisschen fad geworden, aber deswegen heißt es ja „eine Vision haben“. Als Musikerin und Künstlerin hat sich Beyoncé etwas dabei gedacht, beides gemeinsam über HBO zu zeigen und dann online zu stellen. Schließlich spielt die ökonomische Komponente der sinkenden Plattenverkäufe eine gigantische Rolle in allen Entscheidungen der Frau, die sich „black Bill Gates in the making“ auf die Fahnen schreibt. Für mich ist dies ein absoluter Meilenstein der Musikgeschichte, der besser ausgedacht, realisiert und perfektioniert gar nicht sein könnte.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Sia – „This is acting“

  • 21.06.2016, 19:10

Marie Luise: Die Hit-Produzentin und Sängerin Sia komponiert nicht nur für sich selbst, sondern auch für viele andere große Stars. Aus ihrer Feder stammen unter anderem „Pretty Hurts“, das Beyoncé, und „Diamonds“, das Rihanna singt. Sia wurde in letzter Zeit aber auch an vielen Türen abgewiesen. Songs, die eigentlich für andere geschrieben worden sind, holt Sia jetzt aus dem Papierkorb und macht daraus ein Album. Sie selbst sagt, dass die Platte „This is acting“ heißt, weil sie für die Songs in andere Rollen schlüpft. Für sich hätte sie solche Songs nie geschrieben, sagt sie. Zur schon erschienenen Single „Alive“, die auf diesem Album vertreten sein wird, gibt es ein Video, in dem das kleine Mädchen mit Pagenkopfperücke, wie wir es schon aus anderen Videos kennen, zu sehen ist und in einer leeren Lagerhalle Karate macht. Für diesen Song hat Sia mit FKA Twigs zusammengearbeitet. So heterogen wie die Sänger*innen, für die Sia geschrieben hat, ist auch das neue Album. Entstanden ist eine wilde Mischung, in der ab und zu „das ist für Rihanna“ oder „das ist für Beyoncé“ herauszuhören ist. Sia selbst sagt gegenüber dem Rolling Stone, frühere Erfolge wie „Titanum“ und „Wild ones“ fände sie „incredibly, incredibly cheesy“. Persönlich kann ich auch mit dem glattpolierten Hochglanzpop von Sia nicht so viel anfangen. Umso länger ich Sia allerdings zuhöre, um so mehr freunde ich mich mit dem Schauspielen an. Ist da nicht irgendwo ein Augenzwinkern zwischen uns, jetzt wo wir beide wissen, dass wir nur so tun als ob?

Katja: Sia ist die derzeit interessanteste Künstlerin auf dem Markt des Mainstreampops. Ihre Performances und Videos mit Maddie Ziegler – der 14-jähigen Tänzerin – sind jetzt schon legendär. Sia ist keine 08/15-Singer- Songwriterin, die an der Gitarre oder am Klavier sitzt und uns von ihrem Leben erzählt. Alles an ihr schreit POP – oder schreit der Pop aus ihr? Das Markenzeichen ihrer Songs ist eine bombastische Fragilität. Thematisch wendet sie sich gerne mental healthissues zu und hat mit „Elastic Heart“ eine beeindruckende Depressionshymne geschaffen.

Ein Popstar möchte sie aber nicht sein, deshalb schreibt sie auch lieber Songs für andere stimmgewaltige Sänger*innen. Dass manches Material abgelehnt wird, kann passieren, dafür gibt es B-Seiten-Alben wie dieses hier. Wer jetzt aber glaubt, dass hier mindere Qualität geboten wird, irrt. Ein Jahrtausendsong wie „Chandelier“ ist auf dem Album nicht zu finden, zugegeben. Jeder halbfertige Song von Sia ist jedoch besser als 90 Prozent aller Sounds, die sonst auf CD gepresst werden.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

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