Die designte Revolte
Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Nein – aber ein besseres, glaubt der Design-Professor und Gründer des Berliner Polit-Kunst-Experiments „RLF“ Friedrich von Borries. Mit Überaffirmation will er den Kapitalismus umstürzen. Sein Roman liefert dabei den Entstehungsmythos zur Bewegung. Jakob Falkinger hat das Buch gelesen und den Autor zum Interview gebeten.
Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Nein – aber ein besseres, glaubt der Design-Professor und Gründer des Berliner Polit-Kunst-Experiments „RLF“ Friedrich von Borries. Mit Überaffirmation will er den Kapitalismus umstürzen. Sein Roman liefert dabei den Entstehungsmythos zur Bewegung. Jakob Falkinger hat das Buch gelesen und den Autor zum Interview gebeten.
Dass etwas grundlegend mit dem Lauf der Dinge auf unserem Planeten nicht stimmt, dessen sind sich wohl die meisten bewusst. Doch was kann gegen diesen allgemeinen Unmut und die Angst vor Veränderung getan werden? Manche entscheiden von nun an, im Bioladen ihr Joghurt zu kaufen, oder fahren mit dem Rad ins Büro. Manche besetzen öffentliche Plätze und Gebäude, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Andere wiederum treten einer Partei bei, um sich wählen zu lassen. Und wieder andere schreiben ein Buch.
Das hat auch Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie aus Hamburg, getan. In seinem zweiten Roman – mit dem an ein berühmtes Adorno- Zitat angelehnten Titel „RLF – Das richtige Leben im falschen“ – erzählt er die Geschichte des von Geltungssucht und Ehrgeiz getriebenen Werbers Jan, der nach einem Schlüsselerlebnis beschließt, den Kapitalismus bekämpfen zu müssen. Also begibt er sich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage „Wie?“: Er fährt nach New York zu Occupy Wall Street, trifft sich mit AktivistInnen verschiedenster Gruppierungen, interviewt TheoretikerInnen und KünstlerInnen und hängt schließlich seinen Job bei einer erfolgreichen Werbeagentur an den Haken, um sich ganz dem Sturz des Systems zu widmen. Um das Ganze nicht allzu geradlinig zu gestalten, lässt der Autor seinen egozentrischen Protagonisten ein Leben auf der vielbemühten Überholspur führen – Hauptbeschäftigung neben Sex und Drogen ist hier das Erfolgreichsein. Dem Autor zufolge repräsentiert der Protagonist „eine Haltung, die viele heute quält; zu wissen, dass wir uns falsch verhalten, aber sich nicht zu trauen, alles aufzugeben“.
Keine Angst! Genau hier, beim Thema Angst, will die Bewegung „RLF“ den Grundkurs des Buches fortsetzen. So heißt es auf der RLF Website in großen Lettern: „Show you are not afraid!“ – Zeig, dass du keine Angst hast! Wie das funktionieren soll, darauf weiß auch von Borries im progress-Interview keine genaue Antwort, zumal es sich einerseits bei RLF um ein Experiment mit unsicherem Ausgang handelt. Andererseits scheint es so, als wäre das Projekt RLF auf eine besonders privilegierte Zielgruppe mit viel (kulturellem und sozialem) Kapital ausgerichtet, die sich die teuren, auf der Website feilgebotenen Designer-Produkte leisten kann und so zum „Shareholder der Revolution“ wird. Zeigen zu können, dass man keine Angst hat, hängt also irgendwie doch mit dem Kontostand oder dem Umfang der privaten Kunstsammlung zusammen. Und doch meint der Autor, dass das ganz individuelle Probleme seien: „Ich und die Menschen, die die Bewegung RLF tragen, glauben, dass es Angst ist. Angst vor sich selbst, Angst vor Veränderung, Angst vor dem Scheitern. Das gilt es zu überwinden.“
Keine neue Diagnose. Doch wie soll jetzt der Kapitalismus überwunden werden? Und was kommt danach? Dem RLF-Manifest zufolge sind die gegenwärtigen repräsentativen Demokratien allesamt bloße Fassaden, die den Blick auf die totale Kommerzialisierung aller Lebensvollzüge verstellen. Jede Form von Widerstand gegen diese Tendenzen wird früher oder später vom System inkorporiert und somit unschädlich gemacht. Diese Diagnose ist aber beim besten Willen nicht neu. Für von Borries und seine RLF-Propagandaabteilung heißt der Ausweg aus dieser verworrenen Situation jedoch nicht einfach Ablehnung und Ausstieg, sondern Subversion – der Kapitalismus soll mit seinen eigenen Mitteln geschlagen werden. Wesentliche Mechanismen wie Ausbeutung und Konkurrenz müssten dieser Logik folgend weiterhin reproduziert, ja sogar bis zum Exzess „überreproduziert werden“. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, der uns den Weg in die befreite Gesellschaft ebnet?
„RLF ist ein aufklärerisches Projekt“
RLF-Gründer Friedrich von Borries im Interview.
progress: Ihr Experiment will das richtige Leben im falschen ausloten. Mit welchen Mitteln wollen Sie das schaffen?
Friedrich von Borries: Die „Bewegung“ ist die Fortsetzung der Literatur mit anderen Mitteln. Im Moment suchen wir über unsere Webplattform Mitstreiter. Es geht um die Frage, wie politischer Protest heute aussehen kann. Wir sind gespannt auf alle, die mitmachen. Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass es ein richtiges Leben im falschen gibt, ich halte es da wie Harald Welzer, der vom „richtigeren“ Leben spricht.
Wo steht RLF politisch? Handelt es sich um ein linkes Projekt?
Vieles, was bei uns links ist, ist im globalen Kontext konservativ. Große Teile der Öko-Bewegung, aber auch der Protestbewegungen sind zutiefst bürgerlich und gehören zur akademischen Mittelschicht. Die Zuschreibungen funktionieren nicht mehr. Ich würde sagen, dass RLF ein anti-kapitalistisches und ein aufklärerisches Projekt ist.
In Ihrem Buch gewinnt man einen Einblick in die Methoden und Vorgehensweisen eines Werbeprofis. Würden Sie sagen, dass sich gesellschaftliche Veränderungen outsourcen lassen – dass etwa Werbeagenturen und Designbüros Streiks organisieren und den Betroffenen diese Arbeit abnehmen?
Das ist ja bereits so. Occupy Wall Street wurde von einem Werbeprofi ins Leben gerufen. Die osteuropäischen Protestbewegungen von Otpor! bis zu Femen haben sich die Mechanismen des Marketings genau angesehen und für ihre Zwecke eingesetzt.
Warum diese beinahe verbissen wirkende Workaholic- Mentalität, verkörpert durch den Protagonisten Jan, die sich durch das Buch zieht? Anders gefragt: Wenn die Methode „Kapitalismus durch Überaffirmation“ lautet, dann heißt das auch, diejenigen Mechanismen des Kapitalismus zu reproduzieren, die es abzuschaffen gilt?
Natürlich müssen wir die Mechanismen des Kapitalismus abschaffen – aber das Totalitäre des Kapitalismus ist, dass nicht nur wir Teil des Kapitalismus sind, sondern der Kapitalismus auch Teil von uns. Ich glaube, dass das auch das ist, wovor wir Angst haben. Insofern bildet die Workaholic-Mentalität der Protagonisten von RLF, wie Sie es nennen, die Realität ab, in der wir leben. Und keiner hat gesagt, dass Jan, Slavia, Mikael oder sonst eine Figur in RLF als Vorbild taugen.
Der Autor Jakob Falkinger studiert Philosophie in Wien.