Ein Feiertag in der Zwickmühle

  • 24.09.2012, 10:00

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Ein Kommentar über beklemmende Trauer, Freude und Stille beim österreichischen Gedenken an das erfreuliche Ereignis.

Der 8. Mai, der Tag des Sieges der Alliierten über Nazideutschland im Jahr 1945, wird in Österreich nicht als offizieller Feiertag begangen. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Staaten Europas ist die Bedeutung des 8. Mai in Österreich keine so klare Angelegenheit. Dem 8. Mai wird jedoch nicht nur vom offiziellen Österreich wenig Beachtung geschenkt, er hat auch für weite Teile der Bevölkerung keine Bedeutung. In den Medien finden sich höchstens kurze Meldungen zu den traditionellen Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen Burschenschaftern, die den 8. Mai mit Fackeln in der Hand und Tränen in den Augen als Tag der totalen Niederlage betrauern, und linken Antifaschist_innen, die den skurrilen Traueraufmarsch verhindern oder zumindest stören möchten. So scheint es, dass dieser Tag lediglich für die extreme Rechte und ihre expliziten Gegner_innen eine gewisse Bedeutung hat.

TRAUERTAG DER EXTREMEN RECHTEN. Das Bild, das sich am 8. Mai rund um den Heldenplatz bietet, hat sich in den letzten Jahren kaum verändert: Großräumige Sperren ermöglichen es den Burschenschaftern in voller Montur, den „Alten Herren“, den FPÖ-Abgeordneten und den unauffällig gekleideten Neonazi-Kadern - 2004 lauschte etwa die mittlerweile inhaftierte Neonazi-Ikone Gottfried Küssel der Trauerrede Heinz-Christian Straches -, mit Fackeln und Trommelbegleitung von der Mölker Bastei zum Heldenplatz zu marschieren. Dort angekommen, werden pathetische Reden zum Besten gegeben und am Ende das „Lied vom guten Kameraden“, der Gassenhauer der Ewiggestrigen, angestimmt. Die antifaschistische Gegendemo fand in den letzten Jahren, abgeschirmt von mehreren Reihen Polizist_innen, vor den Toren des Heldenplatzes statt. Für die extreme Rechte und ihre parlamentarische Vertretung, die FPÖ, ist der 8. Mai traditionellerweise eine politische Bekenntnisfrage. Blaue Politiker_innen, die an diesem Tag gemeinsam mit Burschenschaftern und Neonazis zum Heldenplatz ziehen, verstecken ihre Interpretation des 8. Mai meist hinter der allgemeinen Floskel, es gehe ihnen um das Gedenken an „alle Opfer des Krieges“. In diesem Sinne erwähnte der damals frisch gebackene FPÖ-Parteichef Strache bei seiner „Totenrede“ auf dem Heldenplatz 2004 auch die Häftlinge der Konzentrationslager, um sie dann sogleich mit den „Opfern des alliierten Bombenterrors“ und den „Millionen heimatvertriebenen Deutschen“ gleichzusetzen, für die „das Kriegsende aber keine Befreiung gewesen“ sei. Hier wird einerseits eine klassische Vermischung von Opfern und Täter_innen betrieben: Alle waren irgendwie Opfer des Krieges, egal auf welcher Seite sie standen. Andererseits knüpft Strache an die Narrative derjenigen an, für die der 8. Mai 1945 tatsächlich ein Tag der Niederlage war, weil sie mit Überzeugung und Begeisterung für ein „Tausendjähriges Reich“ gekämpft hatten.

FEIERTAG DES ANTIFASCHISMUS. Für einen nicht so kleinen Teil der Gesellschaft - in Österreich gab es immerhin circa 700.000 NSDAP-Mitglieder - war der 8. Mai 1945 also eher ein Tag der Niederlage. Für jene, die verfolgt wurden, in den Konzentrationslagern litten, um ihr Leben fürchten mussten, war dieser Tag jedoch tatsächlich eine Befreiung, die es zu feiern galt. 1946 wurde rund um den 8. Mai ein dreitägiges Fest organisiert, das in den Folgejahren jedoch immer mehr an Bedeutung verlor. Um diesen Widerspruch zwischen Befreiten und Kriegsverlierer_innen zu kaschieren, wurde der 8. Mai 1945 zu einer „Stunde Null“ uminterpretiert, von der aus sich alle politischen Lager gemeinsam für ein freies Österreich einsetzten. „Österreich ist frei“, hieß es dann erst bei der Staatsgründung 1955. Damit sich Österreich als „Opferkollektiv“ konstituieren konnte, musste es sich zuerst von der konkreten Befreiung vom Nationalsozialismus „befreien“. Der Anspruch, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu begreifen, ist somit nur schwer vereinbar mit den Gründungsnarrativen der Nation Österreich.

Heute rufen Antifaschist_innen rund um den 8. Mai dazu auf, diesen Tag gebührend zu feiern. Aber auch das birgt die Gefahr, Österreich wieder als „erstes Opfer“ zu begreifen, als „macht- und willenlos gemachtes Volk“, das 1945 endlich von der Fremdherrschaft befreit wurde. Wenn anstatt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der postnazistischen Gesellschaft das „andere“, „bessere“ Österreich sich selbst abfeiert, wird der Widerspruch, auf dem Österreich beruht, erneut zugedeckt.

VERWEIGERUNG FEIERN. Ein Bezugspunkt für den 8. Mai, der kaum patriotisch instrumentalisierbar ist, wäre Desertion, Befehlsverweigerung und Flucht aus Verbänden der deutschen Wehrmacht. Das Sichtbarmachen von Deserteuren würde den Widerstreit der unvereinbaren Positionen von Widerstandskämpfer_innen und Deserteuren einerseits und den Täter_innen andererseits offenlegen, der durch das Gründungsnarrativ Österreichs verdeckt wird. Dass es für einen Staat kaum möglich ist, sich auf „Verrat“ positiv zu beziehen, zeigt jedoch die bis heute kontrovers geführte Debatte über den Umgang mit dem Andenken an Wehrmachtsdeserteure. Bis Herbst 2009 hat es gedauert, dass die Republik Österreich sich dazu durchringen konnte, die Opfer der NS-Militärjustiz zu rehabilitieren und die Urteile gegen sie aufzuheben. Die Forderung nach einem Denkmal, das Desertion und Fahnenflucht aus der Wehrmacht als widerständigen Akt würdigt, steht bis heute im Raum. Das Beispiel der Deserteure straft außerdem den Opfermythos und die Rede von der Willen- und Machtlosigkeit Lügen, indem es aufzeigt, dass es Möglichkeiten gab, gegen den Nationalsozialismus Widerstand zu leisten.

Die Frage, welche Rolle dem 8. Mai aus antifaschistischer Perspektive beigemessen wird, lässt sich nur angemessen beantworten, wenn ein konkreter historischer Bezug geschaffen wird. Fehlt diese Verbindung, beläuft sich das alljährliche Begehen dieses Tages auf bloßes Feiern, das jeder Grundlage entbehrt, oder auf eine patriotische Vereinnahmung durch das „bessere“, „andere“ Österreich. Die positive Bezugnahme auf Verweigerung, Ungehorsam und „Verrat“ als Charakteristika, die die Handlungen der Deserteure auszeichnen, bietet einen Ansatzpunkt, von dem aus der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, jenseits identitärer Instrumentalisierung und inhaltlicher Verflachung, gefeiert werden kann.
 

DER SIEG DER ALLIIERTEN 1945

29. MÄRZ 1945: Die Rote Armee befreit Klostermarienberg im Burgenland.
6. APRIL 1945: Rote Armee erreicht Wien. Kampflosen Übergabe Wiens scheitert, heftiger Häuserkampf zwischen Roter Armee und Volkssturm bzw. der HJ. SS patrouilliert in Straßen und erschießt desertierte Wehrmachtssoldaten.
10. APRIL 1945: Teppichhaus Haas geht in Flammen auf. Funkenflug löst den Brand des Stephansdoms aus - das Sinnbild Österreichs als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“.
13. APRIL 1945: Kampf um Wien beendet, die rote Fahne wird am Parlament gehisst. Von den mehr als 200.000 Juden und Jüdinnen, die im März 1938 in Wien gelebt hatten, erleben nur mehr 5243 hier die Befreiung.
27. APRIL 1945: SPÖ, ÖVP und KPÖ unterzeichnen Proklamation der Selbstständigkeit Österreichs. Die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Österreicher_innen bzw. von Angehörigen der Volksgruppen der Roma und Sinti sowie die Beteiligung zahlreicher Österreicher_innen an den NS-Verbrechen wird darin nicht erwähnt.
5. MAI 1945: US-Amerikanische Truppen befreien das KZ Mauthausen.
8. MAI 1945: Die Wehrmacht kapituliert bedingungslos in Berlin. Der 8. Mai ist in vielen europäischen Staaten bis heute als „Tag der Befreiung“ ein gesetzlicher Feiertag.

 

AutorInnen: Jakob Falkinger, Peter Larndorfer