Die designte Revolte

  • 31.10.2013, 19:16

Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Nein – aber ein besseres, glaubt der Design-Professor und Gründer des Berliner Polit-Kunst-Experiments „RLF“ Friedrich von Borries. Mit Überaffirmation will er den Kapitalismus umstürzen. Sein Roman liefert dabei den Entstehungsmythos zur Bewegung. Jakob Falkinger hat das Buch gelesen und den Autor zum Interview gebeten.

Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Nein – aber ein besseres, glaubt der Design-Professor  und Gründer des Berliner Polit-Kunst-Experiments „RLF“ Friedrich von Borries. Mit Überaffirmation  will er den Kapitalismus umstürzen. Sein Roman liefert dabei den Entstehungsmythos zur  Bewegung. Jakob Falkinger hat das Buch gelesen und den Autor zum Interview gebeten.

Dass etwas grundlegend mit dem Lauf der Dinge auf unserem Planeten  nicht stimmt, dessen sind sich wohl  die meisten bewusst. Doch was kann gegen diesen allgemeinen Unmut und die Angst vor Veränderung getan  werden? Manche entscheiden von nun an, im Bioladen ihr Joghurt zu kaufen,  oder fahren mit dem Rad ins Büro. Manche besetzen öffentliche Plätze  und Gebäude, um auf ihre Anliegen  aufmerksam zu machen. Andere wiederum treten einer Partei bei, um sich  wählen zu lassen. Und wieder andere  schreiben ein Buch.

Das hat auch Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie aus Hamburg,  getan. In seinem zweiten Roman  – mit dem an ein berühmtes Adorno-  Zitat angelehnten Titel „RLF – Das  richtige Leben im falschen“ – erzählt er die Geschichte des von Geltungssucht und Ehrgeiz getriebenen Werbers Jan, der nach einem Schlüsselerlebnis beschließt, den Kapitalismus bekämpfen zu müssen. Also begibt er sich auf die  Suche nach der Antwort auf die Frage  „Wie?“: Er fährt nach New York zu  Occupy Wall Street, trifft sich mit AktivistInnen  verschiedenster Gruppierungen, interviewt TheoretikerInnen und  KünstlerInnen und hängt schließlich seinen Job bei einer erfolgreichen Werbeagentur an den Haken, um sich ganz dem Sturz des Systems zu widmen. Um das Ganze nicht allzu geradlinig zu gestalten,  lässt der Autor seinen egozentrischen  Protagonisten ein Leben auf  der vielbemühten Überholspur führen  – Hauptbeschäftigung neben Sex und  Drogen ist hier das Erfolgreichsein. Dem Autor zufolge repräsentiert der  Protagonist „eine Haltung, die viele  heute quält; zu wissen, dass wir uns  falsch verhalten, aber sich nicht zu trauen, alles aufzugeben“.

Keine Angst! Genau hier, beim  Thema Angst, will die Bewegung  „RLF“ den Grundkurs des Buches  fortsetzen. So heißt es auf der RLF Website  in großen Lettern: „Show you  are not afraid!“ – Zeig, dass du keine  Angst hast! Wie das funktionieren soll, darauf weiß auch von Borries im progress-Interview keine genaue  Antwort, zumal es sich einerseits bei  RLF um ein Experiment mit unsicherem  Ausgang handelt. Andererseits  scheint es so, als wäre das Projekt  RLF auf eine besonders privilegierte  Zielgruppe mit viel (kulturellem und  sozialem) Kapital ausgerichtet, die sich die teuren, auf der Website feilgebotenen  Designer-Produkte leisten kann  und so zum „Shareholder der Revolution“  wird. Zeigen zu können, dass man  keine Angst hat, hängt also irgendwie  doch mit dem Kontostand oder dem  Umfang der privaten Kunstsammlung  zusammen. Und doch meint der Autor, dass das ganz individuelle Probleme  seien: „Ich und die Menschen, die die  Bewegung RLF tragen, glauben, dass  es Angst ist. Angst vor sich selbst,  Angst vor Veränderung, Angst vor dem  Scheitern. Das gilt es zu überwinden.“

Keine neue Diagnose. Doch wie soll jetzt der Kapitalismus überwunden werden? Und was kommt danach? Dem  RLF-Manifest zufolge sind die gegenwärtigen  repräsentativen Demokratien  allesamt bloße Fassaden, die den Blick  auf die totale Kommerzialisierung aller Lebensvollzüge verstellen. Jede Form von Widerstand gegen diese  Tendenzen wird früher oder später  vom System inkorporiert und somit  unschädlich gemacht. Diese Diagnose  ist aber beim besten Willen nicht neu. Für von Borries und seine RLF-Propagandaabteilung  heißt der Ausweg aus  dieser verworrenen Situation jedoch  nicht einfach Ablehnung und Ausstieg,  sondern Subversion – der Kapitalismus soll mit seinen eigenen Mitteln geschlagen  werden. Wesentliche Mechanismen  wie Ausbeutung und Konkurrenz  müssten dieser Logik folgend weiterhin  reproduziert, ja sogar bis zum Exzess  „überreproduziert werden“. Ob das der  Weisheit letzter Schluss ist, der uns den  Weg in die befreite Gesellschaft ebnet?

 

„RLF ist ein aufklärerisches Projekt“

RLF-Gründer Friedrich von Borries im Interview.

progress: Ihr Experiment will das richtige Leben im falschen ausloten. Mit welchen Mitteln wollen Sie das schaffen?

Friedrich von Borries: Die „Bewegung“ ist die Fortsetzung der Literatur mit anderen Mitteln. Im Moment suchen wir über unsere Webplattform Mitstreiter. Es geht um die Frage, wie politischer Protest heute aussehen kann. Wir sind gespannt auf alle, die mitmachen. Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass es ein richtiges Leben im falschen gibt, ich halte es da wie Harald Welzer, der vom „richtigeren“ Leben spricht.

Wo steht RLF politisch? Handelt es sich um ein linkes Projekt?

Vieles, was bei uns links ist, ist im globalen Kontext konservativ. Große Teile der Öko-Bewegung, aber auch der Protestbewegungen sind zutiefst bürgerlich und gehören zur akademischen Mittelschicht. Die Zuschreibungen funktionieren nicht mehr. Ich würde sagen, dass RLF ein anti-kapitalistisches und ein aufklärerisches Projekt ist.

In Ihrem Buch gewinnt man einen Einblick in die Methoden und Vorgehensweisen eines Werbeprofis. Würden Sie sagen, dass sich gesellschaftliche Veränderungen outsourcen lassen – dass etwa Werbeagenturen und Designbüros Streiks organisieren und den Betroffenen diese Arbeit abnehmen?

Das ist ja bereits so. Occupy Wall Street wurde von einem Werbeprofi ins Leben gerufen. Die osteuropäischen Protestbewegungen von Otpor! bis zu Femen haben sich die Mechanismen des Marketings genau angesehen und für ihre Zwecke eingesetzt.

Warum diese beinahe verbissen wirkende Workaholic- Mentalität, verkörpert durch den Protagonisten Jan, die sich durch das Buch zieht? Anders gefragt: Wenn die Methode „Kapitalismus durch Überaffirmation“ lautet, dann heißt das auch, diejenigen Mechanismen des Kapitalismus zu reproduzieren, die es abzuschaffen gilt?

Natürlich müssen wir die Mechanismen des Kapitalismus abschaffen – aber das Totalitäre des Kapitalismus ist, dass nicht nur wir Teil des Kapitalismus sind, sondern der Kapitalismus auch Teil von uns. Ich glaube, dass das auch das ist, wovor wir Angst haben. Insofern bildet die Workaholic-Mentalität der Protagonisten von RLF, wie Sie es nennen, die Realität ab, in der wir leben. Und keiner hat gesagt, dass Jan, Slavia, Mikael oder sonst eine Figur in RLF als Vorbild taugen.

 

Der Autor Jakob Falkinger studiert Philosophie in Wien.

 

 

  

 

 

AutorInnen: Jakob Falkinger