Alex Fanta

Good Cop, Bad Cop, Robocop

  • 13.07.2012, 18:18

Zwei Demonstrationen, zwei Autoren, zwei Welten. PROGRESS hat zwei Autoren darum gebeten, eine Reportage über ihre jüngsten Erlebnisse auf antifaschistischen Demonstrationen zu schreiben. Einmal in Frankfurt, einmal in Wien

Zwei Demonstrationen, zwei Autoren, zwei Welten. PROGRESS hat zwei Autoren darum gebeten, eine Reportage über ihre jüngsten Erlebnisse auf antifaschistischen Demonstrationen zu schreiben. Einmal in Frankfurt, einmal in Wien

Wien, 29. Jän. 2010

Der Europaplatz ist Ausgangspunkt vieler Demonstrationen in Wien, von hier aus lässt es sich gut die Mariahilferstraße entlangziehen, was für Aufmerksamkeit sorgt. Am 29. Jänner dieses Jahres kommen die DemonstrantInnen jedoch nicht voran. Der gesamte Platz wurde von der Polizei mit Tretgittern umstellt. Da sich die hunderten versammelten AntifaschistInnen aber ihr Recht nicht nehmen lassen wollten, gegen den Ball des teilweise rechtsradikalen Wiener Korporations-Ringes zu protestieren, versuchten viele, die Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei antwortete mit Knüppeln.
Trotz lautstarken Protests werden immer wieder Menschen ohne ersichtlichen Grund festgenommen. Pfefferspray liegt in der Luft und hinter der Polizeikette wird drohend ein Wasserwerfer in Stellung gebracht. „Nur raus hier!“, denken sich die meisten Demonstrierenden. So einfach geht das aber nicht. Die Polizei lässt die Leute nämlich nur tröpfchenweise und gegen Herausgabe der Daten aus dem Kessel. Die Daten werden nun dazu verwendet, die AktivistInnen nach dem Versammlungsgesetz anzuzeigen, da sie sich auf einer verbotenen Kundgebung befanden. 

„WEGA-Beamte beamtshandeln“. Szenenwechsel: Am Schwedenplatz versammeln sich an die 150 Menschen, von denen es einige irgendwie aus dem Kessel am Europaplatz geschafft haben. Sie wollen den Protest gegen Polizeigewalt und den WKR-Ball in die Innenstadt tragen. Noch bevor sie aber richtig loslegen können, baut sich vor ihnen ein massives Polizeiaufgebot inklsuive Wasserwerfer auf. „Wir demonstrieren wo wir wollen, gegen Repressionen und Kontrollen!“ wird gerufen, ebenso „Alerta Antifascista!“.
Die DemonstrantInnen bewegen sich schnell, sie wissen, dass die Polizei heute nicht zimperlich ist. Es wird brenzlig, die Menschen die etwas langsamer sind, werden von WEGA-BeamtInnen schon „beamtshandelt“. Am Karlsplatz angekommen laufen die PolizistInnen in die U-Bahn Station. „Kummts her, ihr klanen Scheisser!“ schreit ein Polizist in Vollmontur, der aussieht wie Robocop Die Polizei jagt den Demonstrierenden mit gezogenem Schlagstock hinterher. Im Chaos gehen FreundInnen verloren und man kann nur noch zuschauen, wie die Leute um einen herum veprügelt werden. Die Angst liegt in der Luft, selbst als DemonstrantIn erkannt und geschlagen zu werden. Auch als bürgerlich aussehende alte Damen und Herren gegen die Gewalt der Polizei protestieren, prügelt diese weiter, ganz so als hätten sie nie etwas anderes gelernt.  

Frankfurt, 30. Jän. 2010

Josef lächelt freundlich. Der 31-Jährige spielt gern mit seiner Tochter, trinkt abends mal ein Bier und kreuzt in der Wahlzelle meist SPD an. Heute ist er, wie viele zur Demo nach Frankfurt gekommen – als Polizist. Dass die schwarz gekleideten jungen Mensch hier „All Cops Are Bastards“ schreien, versteht er nicht.
Langsam trudeln zweitausend Personen auf dem großen Platz vor der Goethe-Universität ein. Anlass ist der Ruf nach einer Bildungsreform, doch wie auf vielen Demos geht es auch um linke Grundanliegen – wie den Antifaschismus. Drinnen riecht es nach Wuzelzigaretten und VoKü-Essen. Draußen bläst der Demo-Lastwagen Techno-Beats in die Menge. Nach einer Weile klettert einer der OrganisatorInnen aufs Podium. Der Marsch würde sich verzögern, sagt er, weil die Polizei den Bus aus Braunschweig aufhalte und durchsuche. Seine Stimme klingt aufgewühlt: „Schon seit Tagen provoziert uns die Polizei. Ich fordere die Frankfurter Bullen auf, den Bus durchzulassen!“. Dann marschieren die Zweitausend los.

Der Black Bloc ist ganz vorne mit dabei. Herrscht hinten im Zug noch ein leiser Anflug von Love & Peace, geht es hier zur Sache. Die jungen Radikalen haben Spruchbanner wie eine Mauer um ihren Tross herum gezogen. Dahinter sehen sie aus wie eine römische Kohorte, die durch Germanien zieht. „Nie wieder Deutschland“, schreien sie der Polizei entgegen. 

Der schwarze Block ist eine der großen Idiosynkrasien der Linken. Durch das gleichförmige Auftreten bei Demonstrationen wirkt der Black Bloc nicht als eine Ansammlung von Einzelpersonen, sondern als einheitliche Masse. Ihr Auftreten ist betont maskulin-aggressiv: Wenn die „Schwarzen“ marschieren, sind ihre Gesichter meist in den „Grimmig“-Modus geschaltet. Bekommt einer der PolizistInnen „auf die Schnauze“, hat er selbst Schuld. Es sind ja ohnehin „alle Bullen Bastarde“.

„Keiner in die Uni rein“. Nach zwei Kilometern explodiert ein Böller direkt vor einer Polizistin. Der Truppe platzt daraufhin der Kragen. Die „Cops“ setzen ihre Helme auf, und haken sich ein. Ihre „menschliche Mauer“ zwingt die Marschierenden zum Langsamergehen. Als sie später das Uni-Gelände erreichen, gibt der Polizeichef den Befehl aus: „Keiner in die Uni rein“, sagt er, „nicht mal zum pinkeln“. Demonstrierende und Polizei tauschen gebrüllte Vorwürfe aus. Wenige Wochen zuvor besetzten hunderte Studierende hier Hörsäle, bis sie gewaltsam geräumt wurden. Das wird sich heute nicht wiederholen. Die Demo marschiert weiter, in die anbrechende Dunkelheit hinein. 

 

 

 

Die Bastel-Fee

  • 13.07.2012, 18:18

Sarah, 23 stellt Schmuck her.

Der Wiener Charme bekommt nicht jedem. Mir zumindest nicht. Der Anfang in dieser Stadt war schwierig, denn die Leute hier sind ein bisschen unfreundlich. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Ich kann mir sogar gut vorstellen, hier zu bleiben. Ursprünglich bin ich aus Deutschland. Bevor ich nach Wien kam, reiste ich lange in Südamerika herum. In Uruguay habe ich meinen Freund kennen gelernt und mit nach Wien gebracht. Mit Leon zusammen bastle ich Schmuck und kleine Pfeifen, die wir auf verschiedenen Märkten in der Stadt verkaufen. Diesen Monat bieten wir unsere Sachen am Weihnachtsmarkt am Spittelberg an.

Die Arbeit ist nicht gerade eine Goldgrube. Ich versuche schon lange nicht mehr, mir den Stundenlohn für meine Arbeit zu berechnen, weil mich das deprimieren würde. Darum geht es auch nicht. Ich brauche die Arbeit als Ausgleich zu meinem kopflastigen Studium am Afrikanistik-Institut. In jeder Kette und jedem Ohrring steckt etwas von mir drin. Diese Arbeit macht mir mehr Spaß als ein stinknormaler Studentenjob. Zu mehr als zum bloßen Überleben reicht es aber mit dem Geld nicht.

Die Bedingungen an der Universität hier sind schlimm, aber mir gefällt das Studium, trotz am-Boden-sitzen in den Hörsälen. Vielleicht wäre es angenehmer, zuhause in Deutschland zu studieren. Mein Leben in Wien ist oft ziemlich karg. Ich will aber auf jeden Fall weitermachen.

 

Die Aufheiter-Expertin

  • 13.07.2012, 18:18

Sophia, 22 ist Clownin.

Sophia, 22 ist Clownin.

Früher dachte ich, Österreich wäre wie Deutschland. Das war bevor ich herkam. Seit einigen Wochen studiere ich Internationale Entwicklung an der Uni Wien, weil es diese Studienrichtung nur hier gibt. In Österreich sind nicht nur die Ladenöffnungszeiten anders als in Deutschland. Zu Hause konnte ich mir mit meinen Auftritten leicht Geld verdienen. Ich bin nämlich ausgebildete Clownin. Zwei Jahre habe ich die Clownschule in Mainz besucht, seither mache ich für die Kinder Faxen – gegen Bezahlung. In Wien suche ich noch nach Gigs. Mit meinen Clown-Künsten kann ich hoffentlich einen Teil meines Lebensunterhalts selbst verdienen, den Rest bekomme ich von meinen Eltern. Die haben selbst neben ihren LehrerInnenjobs gemeinsam ein Zirkusprojekt am Laufen.
Mit meinem Freund wohne ich in einem Zirkuswagen am Wagenplatz zusammen, einem autonomen Gelände, wo jeder sich ansiedeln darf. Im Winter beheizen wir unser Zuhause mit Holz, das auf der Baustelle nebenan übrig bleibt. Wie ich mit meinem Geld auskommen würde, wenn ich eine „normale“ Wohnung bezahlen müsste, weiß ich nicht. Ich bin auch politisch aktiv. Vor ein paar Jahren habe ich als Teil der Clown Army gegen G8-Gipfel und Atommülltransporte demonstriert. Zusammen mit meinem Freund will ich Clowns ohne Grenzen in Österreich gründen und für Kinder in Flüchtlingsheimen auftreten. Wenn ich die Energie dazu habe … 

 

Der Weltenbummel-Kellner

  • 13.07.2012, 18:18

Gregor, 26 ist Kellner.

Gregor, 26 ist Kellner.

Manchmal ist Zurückkommen schon merkwürdig. Während meiner Studienzeit war ich öfters im Ausland, einmal als Englischlehrer für Waisenkinder in Armenien, ein anderes Mal für ein Jahr auf Erasmus-Austausch in Litauen. Jedes Mal, wenn ich wieder da bin, gibt es für mich die gleichen Kellner-Jobs – für gleich wenig Geld. Inflation scheint es im Gastgewerbe nur bei den Getränkepreisen zu geben. Seit dem Sommer wohne ich wieder in Wien. Seither arbeite ich zwei bis dreimal die Woche am Abend in einem Gasthaus. Im Vorhinein weiß ich nie genau Bescheid, ob und wann ich arbeiten soll. Ich gehe heim, nachdem der letzte Gast gegangen ist. Da ich nicht abkassieren darf, nehme ich nur meinen Stundenlohn mit nach Hause, etwa € 60 für einen Abend. Diese Summe ist im Wiener Nachtleben leider viel zu schnell wieder ausgegeben. Die meiste Zeit lebe ich bescheiden und rauche Wuzel-Zigaretten. Sonst müsste ich verhungern.
Mein Geld verdiene ich jedoch nicht, um damit Party zu machen, sondern um mein Studium zu finanzieren. Im Moment plane ich meine Diplomarbeit in Politikwissenschaft, außerdem studiere ich nebenbei Russisch. Nach meinem Abschluss gehe ich sicher wieder ins Ausland. Ich will meinen Eltern dann aber nicht mehr auf der Tasche liegen. Als Student muss ich bei allem, was ich tue, auf die Kohle schauen. Das macht einen auf die Dauer verrückt! 

 

 

Der 150-Kilometer-Kurier

  • 13.07.2012, 18:18

Hannes, 24 ist Fahrradkurier.

Hannes, 24 ist Fahrradkurier.

Wenn ich auf dem Fahrrad sitze, dann lege ich pro Tag zwischen 100 und 150 Kilometer zurück. Eine Leidenschaft für Fahrräder und das Fahren hatte ich schon immer. Die Vorstellung, damit Geld zu verdienen, brachte mich soweit, es als Fahrradkurier zu versuchen.
Das Honorar steht natürlich in keiner Relation zur Hack’n. Ich will das auf keinen Fall weiter hauptberuflich machen, aber ich kann’s auch nicht ganz bleiben lassen. Es ist ein Lebensgefühl. Der Job hat viele Vorteile: Ich bin überall unterwegs, völlig flexible Arbeitszeiten, immer in Bewegung, immer fit, und Oberschenkel wie ein Mammutbaum. So richtig geile, pure körperliche Scheißarbeit. Es ist so eine Art Hassliebe. Meine größten GegnerInnen im Straßenverkehr sind die Autos. Seit längerem fahre ich nur noch mit Kopfhörern im Ohr, damit ich mir die Beleidigungen der AutolenkerInnen nicht mehr anhören muss.
Ich beziehe keinerlei Beihilfen, und meine Eltern unterstützen mich nur bedingt. Nebenher baue ich aus alten Teilen neue Fahrräder und verkaufe sie. Mein Job ist harte Arbeit, trotzdem reicht das Geld gerade eben so. Irgendwann hab’ ich mich so reingesteigert, dass ich nur mehr geradelt bin. Mein Architekturstudium auf der TU Wien ist zurzeit auf Pause geschaltet. Vielleicht schaffe ich im nächsten Jahr mehr.