Zwei antidemokratische Ideologien
Antisemitismus und Sexismus tragen dazu bei, dass die Welt so schlecht bleibt wie sie ist. Und das nicht nur für Frauen, Jüdinnen und Juden. In ihrem Buch „Antisemitismus und Sexismus“ analysiert Karin Stögner die „vielschichtigen vermittelten Konstellationen“ der beiden Ideologien und geht ihren gesellschaftlichen Grundlagen und Funktionen nach.
Ihr ist dabei zweierlei selbstverständlich: Erstens ist nicht ein „Wesen“ von Frauen oder Juden und Jüdinnen, sondern die Welt der SexistInnen und AntisemitInnen Gegenstand des Buches. Zweitens geht es nicht darum, die Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Frauen gegen die von Juden und Jüdinnen aufzuwiegen oder gar in Konkurrenz zu setzen. Solch ein Vergleich wäre nicht nur falsch, sondern würde, zumal nach der Shoah, den Vernichtungswillen im Antisemitismus relativieren.
Karin Stögner hingegen analysiert kenntnis- und quellenreich das Verhältnis beider Ideologien zur Gesellschaft und zueinander. Sie stützt sich auf die ältere Kritische Theorie und die Psychoanalyse, verengt die Zusammenhänge dabei aber in keine Richtung und bezieht Historisches und seine Wandlungen ebenso wie Fragen der Repräsentation ein. „Wo Natur bloß zur bearbeiteten Materie herabgedrückt wird, bedeutet mit ihr identifiziert zu werden ein Verdikt.“ Das ist es, was Juden und Jüdinnen sowie Frauen in einer Gesellschaft, die krampfhaft auf Naturbeherrschung aufbaut, auf unterschiedliche und widersprüchliche Weise widerfährt. Sie waren und sind die Projektionsflächen, die das abbekommen, was das Individuum, um Subjekt zu sein, verdrängen muss, um dem „identischen und zweckgerichteten männlichen Selbst zu entsprechen.“
Bemerkenswert ist an Stögners Buch, wie vielschichtig sie die Ideologien seziert und wie diese Kritik Hand in Hand geht mit der Analyse von Interviews mit jüdischen Frauen in Österreich im letzten Kapitel. So taugt das Buch nicht nur zur Erhellung von Antisemitismus und Sexismus, sondern auch zur Einführung in die gelungene materialistische Gesellschaftskritik. Die Lektüre dieses umfangreichen wissenschaftlichen Werks ist außerdem sprachlich eine Freude.
Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft in Wien und Jerusalem.