Zahlen bitte!
Studierende in Europa finanzieren ihre Bildung zunehmend privat - trotz der politischen Erkenntnis, dass dies eine öffentliche Verantwortung sein sollte. Die nationalen Unterschiede sind markant.
Studierende in Europa finanzieren ihre Bildung zunehmend privat - trotz der politischen Erkenntnis, dass dies eine öffentliche Verantwortung sein sollte. Die nationalen Unterschiede sind markant.
Maria* hat „Hospitality Management” am International University College in Dobrich, einer privaten Universität in Bulgarien, studiert. Sie beschreibt eine der Methoden ihrer Universität Gelder aus der Privatwirtschaft aufzutreiben: „Meine Universität hatte eine Verbindung zu Restaurants und Hotels in Zypern, und ich habe dort so wie andere Studierende ein Praktikum gemacht. Als wir uns über den niedrigen Lohn beschwerten, antwortete die Chefin, dass sie einen Teil uns zahle und einen Teil unserer Universität”.
Der Staat zahlt mehr. Seit 2010 ist der Europäische Hochschulraum offiziell Wirklichkeit und in vielen Bereichen ist die Kooperation zwischen den europäischen Ländern und Hochschulen weit fortgeschritten. Fast überall wird nach dem Bachelor/Master-System studiert, in ECTS „abgerechnet”, und die Studierendenmobilität steigt. Bei der Finanzierung der Hochschulen gibt es jedoch bisher wenig europäische Gemeinsamkeiten.
Ein Blick in die Eurostat-Datenbanken und Untersuchungen der europäischen Studierendenorganisation ESU bringt markante Unterschiede zu Tage. So werden z.B. in den skandinavischen Ländern circa zwei Prozent des BIP für höhere Bildung ausgegeben. In Süd- und Osteuropa liegen die Werte typischerweise zwischen 0.8 und 1.1 Prozent und im Westen zwischen einem und 1.5 Prozent. Da die Studierendenzahlen aber kaum mit der Finanzierung zusammenhängen, sind die Ausgaben je Studierender und Studierendem noch unterschiedlicher.
In Skandinavien und Westeuropa werden jährlich zwischen 12.000 und 16.000 Euro pro StudentIn ausgegeben. Im Süden und Osten sind es zwischen fünf- und achttausend Euro. Dabei werden die meisten Mittel in Ländern aufgewendet, in denen die Hochschulen überwiegend öffentlich finanziert sind. Das ist hauptsächlich in Nord- und Westeuropa der Fall, wo typischerweise unter 20 Prozent der Ausgaben für höhere Bildung aus privaten Quellen stammen.
Versteckte Kosten. Derzeit studiert Maria an der Universität Roskilde. Ihre Erfahrungen mit den Studiensystemen in Dänemark und Bulgarien illustrieren die Unterschiede im europäischen Hochschulraum auf eindrückliche Weise. „Meiner Erfahrung nach gibt es in Bulgarien einen großen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Universitäten,” erzählt Maria: „In den öffentlichen Institutionen ist die Ausstattung sehr schlecht und die Lehrenden kriegen einen sehr niedrigen Lohn. Meine eigene Universität hatte Geld, die Klassen waren kleiner, wir hatten viele Computer und waren gut ausgestattet”.
Für die besseren Studienbedingungen bezahlen Studierende am International University College in Dobrich circa 1500 Euro pro Semester – die öffentlichen Studiengebühren liegen zwischen 70 und 800 Euro. Um diese Summe aufzubringen – 3000 Euro sind circa die Hälfte des Median-Jahreseinkommens – arbeitete Maria oft im Ausland, zum Teil in dem bereits erwähnten Arrangement, welches der Universität gleich doppelt Einkommen bescherte.
Aber auch für ihre KollegInnen an den öffentlichen Hochschulen gab es vielerlei „versteckte“ Kosten. „Manchmal mussten sie Bücher von ihren ProfessorInnen kaufen und diese bei den Prüfungen vorzeigen – das ist eine recht übliche Praxis. Manchmal werden Studierende negativ benotet, und die Lehrenden verlangen, dass die Studierenden zusätzliche Klassen belegen. Da diese nicht im Curriculum stehen, kosten sie extra,” erklärt Maria.
Erfahrungen mit der gängigen Prüfungspraxis waren an beiden Hochschulen, öffentlich und privat, oft demotivierend. „Da es so viele Studierende an den öffentlichen Hochschulen gibt, ist die Bewertung oft sehr zufällig. Aber auch an meiner Schule war es oft nicht möglich die Prüfung nach der Bewertung zu sehen, oder anderweitig Feedback zu kriegen”.
Mit ihrer derzeitigen Studiensituation in Dänemark ist Maria hingegen sehr zufrieden: „Bei den Prüfungen wird man zum Denken angeregt und man ist aufgefordert sich eine eigene Meinung zu bilden und Kritik zu üben statt auswendig zu lernen,” sagt sie. Die dänische Studienbeihilfe und die öffentliche Finanzierung der Universitäten ist ebenfalls ein Faktor: „Ich muss nicht über Geld nachdenken, obwohl ich nur 15 Stunden pro Woche arbeite. In Bulgarien ist es schwierig zu studieren, da die meisten Studierenden neben dem Studium sehr viel arbeiten müssen”.
Fortschreitende Privatisierung. Rok Primovic ist Vorsitzender der europäischen Studierendenorganisation ESU, die nationale Studierendenvertretungen vernetzt und auf europäischer Ebene Lobby- und Forschungsarbeit betreibt. „In finanzieller Hinsicht kann von einem europäischen Hochschulraum nicht die Rede sein,” sagt er: „In den letzten 15 Jahren war das eine Diskussion, die niemand führen wollte”. Obwohl es ein Bekenntnis der MinisterInnenkonferenz des europäischen Hochschulraums zu öffentlicher Finanzierung gibt, wurde diese nie konkretisiert.
Laut Rok ist Bulgarien mit den großen Unterschieden zwischen privaten und öffentlichen Institutionen eher ein Einzelfall. „In Bulgarien gibt es diesen Trend, da die Studierendenzahlen stark gestiegen sind, ohne dass die öffentlichen Investitionen entsprechend erhöht wurden. Die privaten Institutionen können hohe Gebühren verlangen und es entsteht eine Art Trennung nach sozialen Klassen. In den meisten westeuropäischen Ländern ist die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Hochschulen gut, und die Unterschiede nicht so spürbar – die privaten Universitäten füllen dort eher eine Nische”.
Nichtsdestotrotz ist die Privatisierung öffentlicher Bildung auch ein allgemein europäischer Trend und Marias Studienbedingungen in Dänemark Teil eines skandinavischen Idylls. „Obwohl die Staaten recht unterschiedliche Verteilungen wählen, geht der allgemeine Trend dahin, dass Studierende und deren Familien mehr Kosten übernehmen. Studiengebühren werden erhöht, Beihilfen gesenkt oder der Zugang dazu verschärft,” erklärt Rok. In vielen Ländern steigen insbesondere die „versteckten“ Kosten für Bücher, Registrierungen, Bewerbungen, etc. In den Mittelmeerländern, aber auch Irland und Großbritannien ist der Trend am stärksten.
Wer für die Kosten eines Studiums aufkommt, ist in Europa insgesamt also höchst unterschiedlich und Bildungschancen hängen auch deshalb stark mit der eigenen Herkunft zusammen. Das Projekt des gemeinsamen Hochschulraums wird dadurch letztendlich in Frage gestellt. „Bologna ist nicht gerade in Hochform, und viele Länder verlieren Interesse daran. Es gibt eine Diskussion darüber, wie der Prozess weiter betrieben werden kann. Für manche Staaten und die Europäische Kommission wäre die Lösung auch über Finanzen zu diskutieren,” berichtet Rok und ergänzt: „Die ESU fordert ebenfalls eine Diskussion darüber auf europäischer Ebene”. Bleibt zu hoffen, dass das derzeitige politische Klima in Europa diese Bestrebungen nicht zu Nichte macht.
*Name geändert. Vollständiger Name der Redaktion bekannt.
Robin Tschötschel studiert Global Studies an der Universität Roskilde und lebt in Kopenhagen.
Foto: cc-by Jixar