Wessen Protest?
Die Eiterblase ist geplatzt. Der Unmut an den Hochschulen ist übergeschwappt, seit fast zwei Monaten protestieren Studierende in Österreich und anderswo gegen völlig verfehlte Bildungspolitik. Aber welche Rolle nimmt die ÖH bei diesen Protesten ein?
Die Eiterblase ist geplatzt. Der Unmut an den Hochschulen ist übergeschwappt, seit fast zwei Monaten protestieren Studierende in Österreich und anderswo gegen völlig verfehlte Bildungspolitik. Aber welche Rolle nimmt die ÖH bei diesen Protesten ein?
Am 20.10.2009 besetzten Studierende die Aula der Akademie der bildenden Künste. Grund waren die Ergebnisse der Leistungsvereinbarungen zwischen der Universität und dem Ministerium, die wichtige Anliegen der Studierenden und des Senates nicht beachtet hatten und als undemokratische Diktate keinerlei Mitsprache ermöglichten. Zwei Tage darauf wurde aus einer Demonstration im Votivpark eine weitere Besetzun; das Auditorium Maximum der Universität Wien wurde am 22. Oktober zu einem freien Hörsaal. Die symbolische Wirkung dieser Einnehmung des Raumes gab auch in anderen Bundesländern Anstoß zu handeln. Unis in Linz, Graz, Innsbruck und Salzburg wurden besetzt, in Klagenfurt wurden Solidaritätsbekundungen gestartet und auch FH-Studierende organisierten Proteste an ihren Hochschulen.
Das Fehlen der ÖH? Im Schnellverfahren hatte vor allem die Besetzung des Audimax der Uni Wien die vollständige Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit auf sich gezogen und war zum Epizentrum des (hochschul-)politischen Diskurses geworden. Die „Protestbewegung“ war geboren und wurde besonders von der Medienlandschaft beklatscht, bejubelt und gelobt. Die Medien waren auch die ersten, denen das vermeintliche Fehlen der ÖH auffiel.
„Warum steht die ÖH nicht an der Spitze der Demo?“ „Warum verhandelt die ÖH nicht über die Forderungen?“ Spätestens ab dem zweiten Besetzungs-Tag wurden diese Fragen gestellt – wohlgemerkt nicht von den aktiv Handelnden, sondern von JournalistInnen, PolitikerInnen und Rektoren. Den protestierenden und besetzenden Studierenden waren die Antworten auf diese Fragen ohnehin klar; sie konnten erst aus einer verfehlten Wahrnehmung der Funktionsweise der „Protestbewegung“ heraus gestellt werden.
Als identitätsstiftendes Merkmal vereint die protestierenden Studierenden vor allem die horizontale Organisationsform ihrer Aktionen. Es gibt keinen Vorstand, Streikrat oder etwaige Führungsspitzen; die Arbeit funktioniert über offene Arbeitsgruppen, die sich bei Bedarf vernetzen. In Plena werden gemeinsame Entscheidungen gefällt, denen jedoch immer ein kollektiver Gedanke zu eigen ist. Dass viele Institutionen damit überfordert sind, liegt auf der Hand. „Mit wem sollen wir verhandeln?“, fragt das Rektorat. „Wen können wir interviewen?“, fragen die Medien. Es gibt keinen Kopf, der ins Rampenlicht gehalten werden oder für die gesamte Gruppe zur Verantwortung gezogen werden kann: es gibt viele davon. Das macht es besonders für die Politik schwer, in den althergebrachten Mechanismen von Ignorieren, Scheinlösungen anbieten und Kritik-im-Keim-ersticken zu verbleiben.
290.000 Studierende. Die ÖH ist im Gegensatz zur Protestbewegung fest im Gefüge des institutionalisierten politischen Raums verankert. „Die ÖH ist die gesetzliche Interessensvertretung von über 290.000 Studierenden in Österreich“, steht auf der Homepage der ÖH-Bundesvertretung. Sie existiert als Körperschaft öffentlichen Rechts auch unabhängig von den Personen, die die Struktur mit Aktivität füllen – das gegensätzliche Prinzip ist den Protesten zu attestieren. Genau dieser Unterschied erklärt ganz einfach das Zusammenspiel zwischen der ÖH und den Protesten: Menschen, die in der ÖH aktiv sind, bringen sich bei Hörsaalbesetzungen, Demos, Arbeitsgruppen und Aktionstagen ein, diskutieren mit, entwickeln Forderungen, schmieden Pläne.
Sich selbst vertreten. Natürlich könnte ein Widerspruch zwischen der schieren Existenz einer gesetzlichen Interessensvertretung und einer Protestbewegung, die „von der Basis“ kommt, festzustellen sein. Schließlich geht es der ÖH darum, in der bildungspolitischen Auseinandersetzung als Institution, die durch ihren gesetzlichen Rahmen der repräsentativen Demokratie verpflichtet ist, das Bestmögliche für die Studierenden zu erreichen, während viele BesetzerInnen nicht wollen, dass Einzelne für sie sprechen. Dass das nicht zwingend ein Widerspruch ist, zeigt die Handlungsweise der ÖH. Sie akzeptiert und fördert das Nebeneinander zweier Strategien der politischen Arbeit, die dieselben Ziele verfolgen: offene und demokratische Hochschulen in offenen und demokratischen Gesellschaften.
Gegenseitig solidarisch. Das bedeutet, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. ÖHlerInnen können aufgrund ihrer Erfahrungen der Protestbewegung wertvolles Wissen im Bereich der Hochschulpolitik und der dazugehörigen komplexen Gesetzesmaterie zur Verfügung stellen. Nicht von ungefähr decken sich die Forderungen der besetzten Hochschulen zu 90 Prozent mit Themen, die von der ÖH seit vielen Jahren bearbeitet werden.
Die Protestbewegung zeigt durch kreative Aktionsformen und innovative Kommunikationsstrategien neue Dimensionen in der politischen Arbeit auf, ohne die die momentane Debatte überhaupt nicht möglich wäre. Und die ÖH-Bundesvertretung macht’s nach – auf ihren Sitzungen gibt’s nun auch live-Twitterberichte und einen Video-Stream.
Wessen Protest? „Unser Protest!“, antworteten die TeilnehmerInnen der Demo, an der viele (ehemalige) ÖH-MitarbeiterInnen teilnahmen. Die Ziele sind dieselben, die Rollen und Methoden ergänzen sich gegenseitig. Worin der Protest mündet kann schwer vorhergesagt werden. Wir als ÖH werden jedenfalls hartnäckig alle Kanäle und Ressourcen nützen, um Verbesserungen für Studierende zu erreichen, und versuchen, unsere Rolle zu erfüllen: Wir lassen uns nicht mundtot machen; wir geben keine Ruhe. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht in einem Jahr.