Wer mit wem?
Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?
Schon bald soll das Kommunikationsverhalten aller ÖsterreicherInnen gespeichert werden. Wer hat uns das eingebrockt?
Freitagabend im Wiener Museumsquartier, der Verein quintessenz hält seinen Stammtisch ab. Männer sitzen vor ihren Laptops und schweigen. Georg Markus Kainz, der Obmann des Vereines, trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem Bundesadler, dem eine Überwachungskamera aus dem Hals wächst. Big Brother Awards ist zu lesen. Die Vereinigung setzt sich für die Wiederherstellung der BürgerInnenrechte im Informationszeitalter ein und verleiht jedes Jahr Negativpreise an Firmen, Behörden und Menschen, die sich besonders bei der Überwachung hervortun. Die Gruppe hat sich auch intensiv mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, also der Speicherung aller Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen der gesamten Bevölkerung, die schon bald in Österreich umgesetzt werden soll. „Ich sehe das große Problem, dass die PolitikerInnen – da sie von den BeamtInnen getrieben werden – nicht merken, welche gesellschaftspolitischen Nebenwirkungen das hat“, sagt Kainz. quintessenz hat eine Stellungnahme an das Ministerium geschickt. Sämtliche Kommunikationsdaten ohne konkreten Verdacht zu speichern, widerspreche den Grundrechten, heißt es in der Stellungnahme. „Wenn Leute sich nicht mehr trauen, etwas zu sagen oder wo anzurufen, weil sie Angst haben, dass das gegen sie verwendet wird, hat das massive Auswirkungen“, sagt Georg Markus Kainz.
Dickes Geld. Seit 20. November des Vorjahres liegt der Entwurf des Infrastrukturministeriums vor, der die Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht bedeuten würde. Bis zum 8. April sind 189 Stellungnahmen im Ministerium eingetroffen. AbsenderInnen sind einzelne BürgerInnen, Standesvertretungen, NGOs, Firmen und Behörden. Es ist eine breite Front, die sich gegen die Überwachung stellt. An der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung lässt das Ministerium jedoch keinen Zweifel. Noch vor Sommer soll es einen Regierungsvorschlag geben, sagt Walter Fleißner, Sprecher im Infrastrukturministerium. Derzeit werden die Stellungnahmen gesichtet, einzelne Punkte überarbeitet und mit dem Justizministerium verhandelt. „Wir sind ja nicht dagegen, dass der Staat oder die Polizei arbeiten kann“, sagt der Obmann von quintessenz, „nur diese gesamte Diskussion ist von der Industrie getrieben. Da gibt es ein paar Firmen, die wirklich dickes Geld verdienen.“
Ursprünglich wurde die Maßnahme von der Europäischen Union als Instrument zur Terrorbekämpfung verkauft. Doch im Text der Richtlinie 2006/24/EG ist eine Einschränkung auf TerroristInnen nicht mehr zu finden, stattdessen wird als Ziel der Überwachungsmaßnahmen angegeben: „Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten.“ Was eine schwere Straftat ist, darf jedes Land selbst bestimmen.
EU-Kommission klagt Österreich. Vor vier Jahren beschlossen der MinisterInnenrat und das EU-Parlament diese Richtlinie, Pläne für ein derartiges Vorhaben existierten schon seit Jahren. Auch Österreich stimmte der Richtlinie zu. Die damals zuständige Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) gab ihr Einverständnis. Die einzelnen Mitgliedsländer der EU hatten bis zum 15. September 2007 Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Österreich ist dem nicht nachgekommen. Deshalb hat die EU-Kommission im Mai 2009 eine Klage eingebracht. Vom laufenden Verfahren will man sich im Ministerium allerdings nicht unter Druck setzen lassen. „Diese Geschichte müssen wir in Kauf nehmen“, sagt Walter Fleißner. Zwei Tage zuvor reichte die Kommission eine Klage gegen Schweden ein, das die Vorratsdatenspeicherung ebenfalls noch nicht gesetzlich geregelt hat. Schweden wurde mittlerweile vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Das Land muss allerdings nur die Prozesskosten zahlen und kein Bußgeld. Den ersten Anlauf in Österreich, das Vorhaben umzusetzen, gab es 2007 unter dem damaligen Infrastrukturminister Werner Faymann (SPÖ), er blieb jedoch erfolglos. Im Vorjahr nahm sich Doris Bures (SPÖ) als Nachfolgerin von Faymann der EU-Richtlinie an. Sie beauftragte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, gemeinsam mit anderen ExpertInnen einen Gesetzestext zu erarbeiten. Als die Ministerin heuer im März in der ORF-Pressestunde zu Gast war, nahm sie zum vorliegenden Entwurf Stellung: „Es geht hier um Grundrechtsfragen, daher solle man nur das Mindestmaß umsetzen“, sagte Bures. Willkür und Missbrauch sollen mit dem Gesetz ausgeschlossen werden, und mögliche Strafzahlungen, die Österreich bei einer Nichtumsetzung drohen könnten.
Trifft die Falschen. Georg Markus Kainz glaubt nicht, dass Missbrauch bei so einem Vorhaben ausgeschlossen werden kann: „Der Missbrauch der Daten ist einkalkuliert. Alle Beteiligten, auch die BefürworterInnen, sagen im zweiten Satz immer, sie wissen, dass die Daten missbraucht werden.“ Das Problem sei, dass immer wenn Daten vorhanden sind, Begehrlichkeiten aus verschiedenen Richtungen entstehen, diese Daten einzusehen und für eigene Zwecke zu verwenden. „Von Leuten, die Daten auswerten, wissen wir, dass der Einzelkostennachweis eines Handybenützers reicht, um zum Beispiel sagen zu können, ob jemand eine Freundin neben seiner Frau hat oder nicht“, sagt Kainz. Es reicht das Anrufverhalten zu kennen, Inhalte sind nicht notwendig. „So entstehen Gerüchte, es wird interpretiert.“ Unter den KritikerInnen des geplanten Gesetzes ist auch die PiratInnenpartei, sie fordert, das Gesetz nicht umzusetzen. Max Lalouschek, der die PiratInnenpartei vertritt, sagt, die geplante Vorratsdatenspeicherung erwische nicht diejenigen, für die sie gedacht sei: „Leute, die wirklich gegen den Staat vorgehen wollen, wissen die Lücken zu nützen, kleine Provider sind ja von der Überwachung ausgenommen.“ Dass eine ungeliebte EU-Richtlinie umgesetzt wird, nur weil sie umgesetzt werden muss, glaubt er nicht. „Die Leute, die am Hebel sitzen, haben ein Interesse das umzusetzen. Nach dem Motto: Wir haben die technischen Möglichkeiten, jetzt machen wir das auch.“ In der Stellungnahme, die quintessenz an das Ministerium geschickt hat, steht am Schluss das Ersuchen, ein Gespräch zu führen, „um unsere Bedenken und Vorschläge detailliert zu erörtern.“ Ist es zu einem Termin in der Radetzkystraße gekommen? Kainz muss lachen: „Nein, leider nicht.“