Weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen
Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.
Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.
Die erste Facebook-Einladung zu einem Fluchthilfe- Konvoi bekam ich im September. Angst davor, auf „Teilnehmen“ zu klicken, hatte ich keine. Dabei ist Fluchthilfe in Österreich strafbar. Warum ich keine Angst hatte? Weil ich mutig bin? Wohl kaum. Weil ich naiv bin? Nein, das drohende Strafausmaß war mir bewusst. Warum also dann?
Die Fluchthilfe-Konvois erregten in den letzten Monaten Aufsehen damit, von Österreich aus nach Ungarn zu fahren, um Flüchtende am Rückweg über die Grenze mitzunehmen. Diese Konvois verstanden ihr Handeln nicht nur als Hilfeleistung, sondern auch als politisch-symbolischen Akt, der der Kriminalisierung von Fluchthilfe etwas entgegensetzt.
Eine Frau, die öffentlich dazu steht, Fluchthilfe zu leisten, ist Anahita Tasharofi, Gründerin und Obfrau des Vereins „Flucht nach vorn“. Mit Slogans wie „Ich bin Fluchthelferin und stolz darauf“ versucht ihr Verein die Kriminalisierung von Fluchthilfe öffentlich zu thematisieren, um kriminalisierten Menschen Mut zu machen, sich Unterstützung zu holen. „Wir wollen den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass Zivilcourage kein Verbrechen ist“, sagt Tasharofi im Interview. Eine Anzeige wegen Schlepperei handelte sich Tasharofi ein, als sie mit einem Mitarbeiter des Innenministeriums in Konflikt geriet. Dass gegen sie ermittelt wurde, sieht Tasharofi als Einschüchterungsversuch.
DIE POLITISCHE FUNKTION DES SCHLEPPEREI-VORWURFES. Im §114 Fremdenpolizeigesetz (FPG) wird Schlepperei – die Förderung der Einreise oder Durchreise von „Fremden“ – als Straftat definiert, wenn eine Gegenleistung (Entgeltlichkeit) im Spiel ist. Aber auch ohne Gegenleistung ist Fluchthilfe nach §120 FPG strafbar, wenn auch nur als Verwaltungsübertretung.
Dass der Schlepperei-Vorwurf gerne verwendet wird, um politischen Aktivismus zu diskreditieren, zeigte sich 2014 im sogenannten Schlepperei-Prozess gegen Aktivisten des Refugee Protest Camps. Die Verhaftungen der Angeklagten im Sommer 2013 gingen mit einem großen Medienspektakel einher. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach davon, dass es sich um eine brutale Schlepperbande handle, die schwangere Frauen am Weg zurücklasse. Von 30 Millionen Euro „Schlepperumsatz“ war die Rede. Dass all diese Vorwürfe der Diffamierung einer lästig gewordenen Protestbewegung dienten, lag für manche von Anfang an auf der Hand und wurde spätestens im Laufe des Prozesses bestätigt. Denn all diese Vorwürfe waren nicht Verhandlungsgegenstand: Es ging immer nur um Kleinstbeträge zwischen 20 und 30 Euro. Fast alle Angeklagten bekannten sich dazu, andere Geflüchtete bei der Durchreise durch Österreich unterstützt zu haben. Verdient hätten sie daran nichts, oft sogar aus der eigenen Tasche draufgezahlt, etwa wenn sie sich um Zugtickets kümmern mussten. Als Prozessbeobachterin für „Nachrichten auf ORANGE 94.0“ konnte ich miterleben, wie weit die Entgeltlichkeit gefasst werden kann. Jede Erwähnung von Kleinstbeträgen in den abgehörten Telefonaten wurde zu einem Indiz für die angebliche Schleppertätigkeit. Auch wurde die Annahme von Essen als „Schlepperlohn“ ausgelegt.
Als im Dezember 2014 ein Großteil der Angeklagten wegen §114 FPG verurteilt wurde, war die Empörung groß. Übersehen wurde dabei aber, dass das Urteil sehr „milde“ war, wenn es mit anderen Verfahren nach §114 mit ähnlicher Sachlage verglichen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Strafausmaß ohne die mediale Beobachtung weit höher gewesen wäre.
BETROFFENE PREKARISIERTE OHNE RÜCKHALT IN DER ÖFFENTLICHKEIT. Ein ähnliches Phänomen ist im Fall Tasharofi zu beobachten. Die Ermittlungen gegen die Gründerin des Vereins „Flucht nach vorn“ wurden nach kurzer Zeit eingestellt. Tasharofi führt das nicht nur auf mangelnde Beweise, sondern auch auf öffentliche Aufmerksamkeit zurück: „Der Unterschied zwischen mir und den anderen Menschen, die als Schlepperin oder als Schlepper angezeigt wurden, ist, dass ich durch meinen Verein mehr in der Öffentlichkeit stehe.“ Tasharofi ist breit vernetzt, steht laut für ihre Rechte ein und hat einen guten Anwalt. Im Interview erzählt sie, dass sich nach der Anzeige gegen sie viele Menschen bei ihr gemeldet und ihr erzählt hätten, dass sie selbst, Verwandte oder Freund_innen auch davon betroffen seien. „Sie haben keine Anwält_innen, können sich die Kosten nicht leisten, es gab keine öffentliche Aufmerksamkeit und sie trauten sich auch nicht, das öffentlich anzusprechen“, erklärt Tasharofi.
Gefährdet ist also weniger die Fluchthilfe-Konvoi- Bewegung, die gut informiert und vernetzt ist und weiß, dass sie von einer mitfahrenden Person weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen darf, um sich nicht der entgeltlichen Schlepperei schuldig zu machen. Gefährdet sind auch nicht jene, die Menschen unter lebensbedrohlichen Bedingungen in Lastwägen pferchen. Gefährdet sind Menschen, die ihre Verwandten und Bekannten über die Grenze bringen und sich dabei das Benzingeld aufteilen. Gefährdet sind auch Taxifahrer_innen, die den normalen Fahrpreis für die Fahrt über die Grenze kassieren. Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die auf Pflichtverteidiger_innen angewiesen sind und keinen Rückhalt in der Öffentlichkeit haben, sind es, die letztlich wegen Schlepperei zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden, weil sie Menschen beim Grenzübertritt geholfen haben.
Nach dem „Schlepperei-Prozess“ 2014 wurden Forderungen nach einer Reform des §114 FPG laut. Mit der aktuellen Situation ist die Aussicht auf eine Reform aber in weite Ferne gerückt. Die europäische Asylpolitik macht Schlepperei erst notwendig, indem sie keine legalen Fluchtwege zulässt. Ihre Vertreter_ innen hüten sich davor, Fluchthilfe zu entkriminalisieren, denn das würde auch die Flucht nach Europa erleichtern.
Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit, im Journalismus und in der Sozialarbeit tätig.