Von Eichhörnchen und Igeln – Mehrsprachigkeit in Luxemburg

  • 21.10.2013, 16:52

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Neben Banken und Tankstellen ist Luxemburg bekannt für seine mehrsprachigen Einwohner_innen, sprechen doch die meisten von ihnen drei bis vier Sprachen. Ist das Großherzogtum ein Eldorado der Vielsprachigkeit?

Luxemburg hat drei offizielle Sprachen: Luxemburgisch, Deutsch und Französisch. Ihr Gebrauch ist nicht, wie etwa in der Schweiz oder in Belgien, regional begrenzt, sondern hängt sehr stark von den Sprechenden und dem jeweiligen Kontext ab. Luxemburgisch ist eine stark mit dem Deutschen verwandte Ausbausprache, das heißt eine sich momentan weiterentwickelnde Sprache, die aus einem moselfränkischen Dialekt entstanden ist. Deutschsprachige verstehen Luxemburgisch zwar zum Teil, aber spätestens bei Sätzen wie „d' Kaweechelchen an de Kéiseker frupse Quetschegebeess“ (Das Eichhörnchen und der Igel futtern Powidl.) müssen sie passen. Seit 1984 hat Luxemburg ein eigenes Sprachengesetz, in dem Luxemburgisch als Nationalsprache definiert und neben Deutsch und Französisch als Amtssprache eingeführt wurde. Der Text des Gesetzes ist dabei – wie alle luxemburgischen Gesetze – auf Französisch verfasst.  

Neben den Amtssprachen werden in Luxemburg aber auch noch andere Sprachen gesprochen: 45 Prozent der Bevölkerung besitzt keinen luxemburgischen Pass und stammt zum Großteil aus Portugal, Frankreich, Italien, Belgien und Deutschland. Zur Sprachenvielfalt tragen außerdem die vielen europäischen Institutionen, wie etwa der Europäische Gerichtshof oder das Sekretariat des Europäischen Parlaments bei, die vor allem in der Hauptstadt Englisch zu einer viel verwendeten Sprache gemacht haben. Aber nicht alle Sprachen sind gleich gut angesehen.

Segregierende Schule. „Wir sind uns alle einig, dass wir an der Art und Weise, wie Französisch unterrichtet wird, etwas ändern müssen, aber wie, weiß niemand so genau“, schreibt eine Studierende als Kommentar auf einen Artikel mit der Überschrift „Luxemburger Schüler hassen Französisch“ auf Facebook. Das Schulsystem ist derzeit auf Luxemburger_innen ausgerichtet, die Luxemburgisch als Erstsprache sprechen und durch den alltäglichen Medienkonsum auch Deutsch verstehen. Die Alphabetisierung auf Deutsch stellt für sie somit kein großes Problem dar. Dies trifft auf 48 Prozent der Schüler_innen zu. Mehr als die Hälfte hat jedoch Luxemburgisch nicht als Erstsprache, bei einem Viertel ist es Portugiesisch. Schüler_innen beenden mit zwölf Jahren die Volksschule mit dem Wechsel auf Lycée classique (Gymnasium/AHS) oder Lycée technique (Hauptschule). Da in der Volksschule alle Fächer auf Deutsch unterrichtet werden, haben es nicht-luxemburgische Schüler_innen dort schwerer als ihre Kolleg_innen. Aufgrund schlechterer Noten werden sie dann aufs Lycée technique geschickt. Dort ist Deutsch meistens bis zum Abschluss die Unterrichtssprache, während im Lycée classique mit ungefähr 16 Jahren auf Französisch gewechselt wird. Die Folge: Der Großteil der Nicht-Luxemburger_innen hat in vielen Fällen nie die Chance, eine Hochschule zu besuchen, da sie nur wegen ihrer Deutschkenntnisse mit zwölf nicht die Möglichkeit erhalten, den Weg Richtung Hochschulreife einzuschlagen.

Symbol der Nation. Luxemburgisch als Schriftsprache wird kaum unterrichtet, oft wird im Luxemburgischunterricht nur gelesen. Dabei war Luxemburgisch noch nie so beliebt wie heute. Luxemburgischkurse sind regelmäßig ausgebucht, durch soziale Medien wurde auch der schriftliche Gebrauch wieder angekurbelt und eine beliebte spell-checker-App lässt nachholen, was in der Schule versäumt wurde. Die sehr junge Universität Luxemburg bietet seit einigen Jahren einen Master in Luxemburgistik an und forscht aktiv zur Entwicklung der Sprache und zur Mehrsprachigkeit im Großherzogtum.

Bei einer Diskussionssendung im Fernsehen zu den Parlamentswahlen Ende Oktober waren sich alle Parteien einig, dass Luxemburgisch bereits in der Vorschule und im Kindergarten gelehrt werden sollte. Bei der Frage, auf welcher Sprache alphabetisiert werden soll, scheiden sich jedoch die Geister.

Sprachen wird meistens eine verbindende Wirkung zugesagt, aber gerade Luxemburgisch wird von rechten Politiker_ innen gerne als kostbares, aber bedrohtes Symbol der nationalen Identität gesehen, das vehement verteidigt werden muss. Ausdruck davon sind etwa die heftigen Forderungen nach luxemburgischsprachigem Servicepersonal, denn viele der vermeintlich polyglotten Luxemburger_innen sind nicht bereit, ihr Croissant auf Französisch zu bestellen.

Komplexe Dreisprachigkeit. Der Umgang mit den beiden „offiziellen Fremdsprachen“ Deutsch und Französisch ist komplex: Die Bedeutung des Deutschen sank, etwa in der Verwaltung, nach dem Zweiten Weltkrieg rapide, der Ruf des Französischen als Bildungssprache der bürgerlichen, urbanen Gesellschaft war besser. Deutsch blieb als Schriftsprache, insbesondere in der Presse, erhalten, während Einladungen und Briefe an Behörden auf Französisch verfasst werden. Allerdings werden etwa Todes- oder Hochzeitsanzeigen in Zeitungen eher auf Luxemburgisch verfasst, weil sie so persönlicher wirken. Die drei Sprachen sind eigenen Sphären zugeordnet, wobei sich der Gebrauch gerade durch das Internet und den erhöhten schriftlichen Gebrauch von Luxemburgisch ändert. Für das Wechseln der Sprache, gerade bei Unterhaltungen, muss allerdings ein konkreter Grund vorhanden sein, etwa die Anwesenheit eine Person, die des Luxemburgischen nicht mächtig ist.

Menschen, die im Alltag oft die Sprache wechseln müssen, sind da Ausnahmen. Sie neigen sogar oft zu Sprachwechseln innerhalb eines Satzes. Gaston Vogel, bekannter Strafverteidiger in Luxemburg, zieht einen Teil seiner Beliebtheit bei Medienvertreter_innen daraus, dass er seine mit französischen Begriffen ausgeschmückten Sätze mit vulgären luxemburgischen Phrasen unterbricht. „Dat ass mir esou schäissegal, wéi dat mir nëmme schäissegal ka sinn. Ech affrontéieren déi Citatioun mat vill Heiterkeit (Das ist mir so scheißegal, wie es mir nur scheißegal sein kann. Ich begegne dieser Zitation mit viel Heiterkeit)“, antwortete er Ende September auf eine Verleumdungsklage gegen ihn.

Junge luxemburgische Blogger_innen sehen sich mit ihrer Sprachenvielfalt in einer Zwickmühle. Eigentlich wäre es „schäissegal“, welche Sprache sie benutzen: Mit Deutsch, Französisch oder Englisch erreichen sie tendenziell mehr Menschen, aber andererseits: „Wer sollte auf Luxemburgisch schreiben, wenn nicht wir?“

 

Joël Adami stammt aus Luxemburg und studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.   

AutorInnen: Joël Adami