Von der Not sich Leistung leisten zu können
Leistungsgesellschaft 4.0
Generation Y. Generation Praktikum. Generation Burn Out. Für die Generation ab 1980 hat man schon viele Begriffe gefunden. In all diesen Bezeichnungen schwingt eines klar mit: Die heutige Studierenden-Generation scheint die Leistungsgesellschaft besonders hart zu treffen.
Burn Out ist lange keine Krankheit mehr die sich auf die Arbeitswelt beschränkt. Die Situation, in der sich die heutige Studierenden-Generation wiederfindet, lässt sich mit vier treibenden Faktoren beschlagworten: keine Sicherheit, kein Wohlfahrtsstaat, prekäre Arbeit und die beschleunigende Wissensgesellschaft.
Dass sie mit ihrem Ärger über die Anforderungen, die an ihre Generation gestellt werden, nicht alleine dasteht, hat die Bloggerin Sinah Edhofer, 23, letzte Woche gemerkt. Ihr Blogeintrag „Danke für (fast) nichts.“, in dem sie die Selbstverständlichkeit kritisiert mit der unbezahlte Praktika von Unternehmen angeboten und von Studierenden abgeleistet werden, hatte innerhalb weniger Stunden mehrere Tausend Klicks. Inzwischen haben über eine Million Menschen Sinahs Blogeintrag gelesen und ihr über 600 Kommentare hinterlassen. Fast alle sind Studierende, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Sinah.
Die heutigen „Millenials“ (also bis zu den 2000er Jahren Geborene) müssen als Erben der Wirtschaftskrise mit wirtschaftlicher Unsicherheit bei gleichzeitiger Beschleunigung des täglichen Lebens umgehen. Wo man früher ein Studium machte, macht man heute zwei. Wo man früher eine Fremdsprache fließend sprach, sind es heute mindestens drei. Wo man früher im Sommer ein Praktikum machte um sich das Taschengeld aufzubessern, macht man heute einen vollwertigen Nebenjob um sich das Praktikum überhaupt leisten zu können.
Diese Generation lebt im Spannungsverhältnis von maximaler Beschleunigung bei minimalen Zukunftsperspektiven. „Es gibt heute keine Vollbeschäftigungsgarantie mehr und es gibt auch keine gesicherten Karriereperspektiven.“, sagt Alexander Bogner, Professor für Soziologie an der Universität Wien. „Man unterschätzt welche Rolle der Faktor Glück spielt. Angesichts dieser Unsicherheiten läuft man leicht Gefahr zum Überleister zu werden.
Die Generation Y befindet sich in ständiger Revisionsbereitschaft: sie will sich nicht festlegen, sich lieber anpassen und nicht klar Stellung beziehen. Das war der O-Ton auf der letzten Tagung „Kultur und Wirtschaft“ an der Universität Innsbruck. Dass es auch hier immer noch Ausnahmen gibt, hat Sinah gezeigt. Sie sieht ihre Generation durchaus kritisch. „Ich finde, dass wir nicht mehr so viel hinterfragen“, sagt sie. „Wir kommentieren alles. Wir fassen die Tonalität auf, die wir im Internet mitkriegen. Wir reagieren irgendwie drauf: so wie wir denken, dass es von uns erwartet wird.“Die ständige finanzielle Unsicherheit mit der Studierende aller Generationen immer schon gelebt haben, wird in einer Gesellschaft, die Leistung zwar erwartet aber nicht mehr entlohnt, zum effizienten Kontrollmechanismus. „Wir sind uns unseres eigenen Werts nicht bewusst. Es ist so ein Zusammenspiel aus Angst und geringem Selbstbewusstsein.“, kommentiert Sinah die Selbstverständlichkeit mit der maximale Leistung bei minimaler Entlohnung erbracht wird.
Im Ergebnis erbringt die heutige Generation Y schneller und effizienter Leistungen als kaum eine Generation zuvor. Das ist zu einem großen Teil dem gesellschaftlichen Umstand geschuldet, dass das Internet durch Smartphones mobil geworden ist – und man damit die Informations- und Wissensgesellschaft immer und überall in seiner Hosentasche mit sich trägt. „Wir erleben Prozesse der Beschleunigung und Prozesse der Verdichtung“, erklärt Soziologe Bogner. „Wir sind von morgens bis abends gefordert. Auch mit der Anforderung des lebenslangen Lernens: Du kannst nicht einfach deine Lehre oder dein Studium machen und dann ein Leben lang dieses Wissen anwenden, sondern du musst dich fortbilden.
Erst mal eine Auszeit nach dem Studium, der berühmte Interrail oder die Freiheit erst mal die falsche Studienwahl getroffen zu haben, sind allesamt Relikte die der Vergangenheit angehören. „Wir richten vorsorglich unser Leben an diesen erwarteten Normen aus. Das führt dann dazu, dass das Leben stromlinienförmig organisiert wird.“, sagt Soziologe Bogner. „Vor 30 Jahren war es ganz normal nach der Schule erst mal eine Auszeit zu nehmen. Das gilt heute schon als desorientierte Bummelei die auf Leistungsverweigerung schließen lässt.“
Der Leistungsdruck entsteht vor allem beim Vergleich mit anderen. Diesen Effekt hat die Bologna-Reform noch verschärft. „Man hat viele Leute, die muss man irgendwie verwalten. Verwalten kann man am besten durch Standardisierung. Dann hat man auch das Problem der Verschulung: man lernt nicht mehr aufgrund eigener Interessen, sondern man kriegt diesen Stoff reingedrückt und muss den möglichst gut wiederkäuen“, sagt Bogner. Auch das Studieren hat sich also durch die Leistungsgesellschaft gewandelt. Das Studium ist heute kein Raum zum Verfolgen der eigenen Interessen mehr, sondern wird absolviert wie ein Job.
Die ständige Vergleichbarkeit der eigenen Leistung und des eigenen Werts ist etwas mit dem die Generation Y – dank Internet und Social Media – wie selbstverständlich aufwächst. Vergleichbar sein und daher besser sein müssen als die Anderen, ist ein Druck mit dem diese Generation auf täglicher Basis konfrontiert wird. Die Leistungsgesellschaft hat längst auch den privaten Bereich erreicht. „Das ist auch ein Problem: dass man sich sehr durch Likes definiert“, sagt Sinah. Ob das auch auf sie selbst zutrifft? Sie lacht. „Ich würd’ jetzt voll gern sagen, es ist mir wurscht, aber da würde ich lügen. Ich glaube da lügt jeder, wenn er sagt das ist ihm wurscht. Es ist nämlich nicht wurscht. Es ist eine Bestätigung von Außen. Aber man darf sich wirklich nicht nur davon abhängig machen.“
Leistung ist heute etwas, das ununterbrochen stattfindet. Einen Off-Button gibt es nicht. Weder im Internet noch bei der eigenen Leistungsbereitschaft. Auch Sinah denkt jetzt nach dem Abschluss ihres Publizistikstudiums nicht an Auszeit. Statt gleich ein Masterstudium anzuhängen, will sie „erst mal was arbeiten“. Diesmal kein Praktikum, sondern richtig. Möglicherweise wird sie in ihrem künftigen Berufsleben sogar etwas finden, wofür sie (ein bisschen) dankbar sein kann.
Verena Ehrnberger ist Juristin und studiert Vergleichende Literaturwissenschaften in Wien.