Von der Angst zu versagen

  • 13.07.2012, 18:18

Prüfungsangst ist den meisten Studierenden bekannt. Manchmal mehr, manchmal weniger stark hat sie fast jedeR Studierende schon erlebt. Antje Dörr schildert wie es sich anfühlt, wenn die Prüfungsangst die Überhand gewinnt.

Prüfungsangst ist den meisten Studierenden bekannt. Manchmal mehr, manchmal weniger stark hat sie fast jedeR Studierende schon erlebt. Antje Dörr schildert wie es sich anfühlt, wenn die Prüfungsangst die Überhand gewinnt.

Ich kann mich noch genau an den letzten Abend vor meiner Englischprüfung erinnern. Ich saß auf meinem Bett, rauchte eine Zigarette nach der anderen und klammerte mich an meine Mitschriften wie eine Ertrinkende an die letzte Planke. Irgendwann ist meine Mitbewohnerin in mein Zimmer gekommen, hat mir die Karteikarten aus der Hand genommen und mich in die Küche geführt. „Das bringt doch jetzt nichts mehr“, hat sie gesagt und mir eine Tasse Tee gemacht. Ich hätte am liebsten geheult.
Fast vier Jahre danach kann ich darüber lachen, aber damals habe ich mich so elend, klein und unsicher gefühlt wie danach nie wieder in meinem Leben. Dabei war das objektiv betrachtet völliger Quatsch. Ich hatte in meinem ganzen Studium immer gute Noten gehabt, die Bibliothek war mir in dieser Phase vertrauter als mein eigenes Zimmer und ich war gründlich vorbereitet. Außerdem interessierten mich die Prüfungsinhalte, das Lernen hatte sogar Spaß gemacht. Und dennoch packte mich in den letzten Tagen die nackte Panik.
Wie passend, dass eines meiner Prüfungsthemen in der englischen Literatur shame lautete, also Scham. Viele Menschen empfinden dann Scham, wenn sie Gefahr laufen, zu versagen. Und genau diese Angst hing an mir wie eine böse Vorahnung, die ich einfach nicht abschütteln konnte. Ich schätzte die Professorin, die mir die Prüfung abnehmen sollte, sehr, verehrte sie fast ein bisschen. Vor ihr wollte ich mir auf keinen Fall die Blöße geben, etwas nicht zu wissen. Dazu kam, dass mich die englische Literatur all die Jahre, in denen ich in Vorlesungen gesessen und unzählige Bücher gelesen hatte, so begeistert hatte. Die Prüfung sollte der Höhepunkt werden, kein Ende mit Schrecken. Der Erwartungsdruck, den ich an mich selbst hatte, war dementsprechend groß.
Rückblickend denke ich, dass das normal ist. Ich würde sogar behaupten, dass Menschen, die gar keine Prüfungsangst empfinden, ihrem Fach gegenüber gleichgültig sind. Wer sich für etwas begeistert, wird sich immer davor fürchten, im entscheidenden Moment zu versagen. Um es kurz zu machen: Ich habe im entscheidenden Moment versagt. Als mich meine Lieblingsprofessorin in der Prüfung in eine komplizierte Diskussion über shame verwickelte, wurde mein Kopf plötzlich ganz leer. Ich hörte, wie das Blut in meinen Ohren rauschte und wie ich mit weit entfernter Stimme immer wieder „I’m sorry, I don’t know“ stammelte. Ja, diese Situation war beschämend. Aber ich habe sie überlebt. Meiner Note hat der Blackout nicht geschadet. Und ich bin dadurch stärker geworden. Diese Erfahrung kann einem niemand abnehmen. Da müssen alle durch.

AutorInnen: Antje Dörr