Und die Menschen blieben zu Hause.
Mein Weg von der planlosen Studentin zur Verlegerin mit großer Vision
Mir war während meines Studiums nie so wirklich klar, was ich danach arbeiten wollte. Ich machte mir darüber eigentlich auch ziemlich wenige Gedanken und ließ es stattdessen auf mich zukommen. Die meisten meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen der Geisteswissenschaften hatten, genau wie ich, ein riesiges Fragezeichen über ihren Köpfen, wenn sie an ihre Zukunft dachten. Wir wussten nicht so wirklich, wo in der Gesellschaft später unser Platz sein würde. Das ist die Herausforderung vieler Studiengänge, die einfach aus Interesse studiert werden. Zwar lernt man, komplex zu denken, zu argumentieren, wissenschaftlich zu arbeiten und Texte zu schreiben, aber zumindest gefühlt wartet danach nichts und niemand so wirklich auf eine*n.
Viele junge Menschen nehmen nach dem Studium einen Job an, der irgendwie im Entferntesten etwas mit ihrem Studium zu tun hat, ohne wirklich dafür zu brennen. Nach meinem Abschluss entschied mich, stattdessen der “brotlosen Kunst” nachzugehen, richtete mir mein Leben so sparsam wie möglich ein, schrieb Gedichte und jobbte nebenher. Ich war zufrieden mit einem Leben in finanzieller Unsicherheit, dafür aber in vermeintlicher ultimativer Freiheit und Flexibilität. Dass Geldsorgen wenig mit Freiheit und Flexibilität zu tun haben, musste ich in der darauffolgenden Zeit immer wieder schmerzlich erfahren.
Dann wurde ich schwanger, mein Partner und ich waren überglücklich und ich widmete die nächsten zwei Jahre unserer kleinen Tochter. Als sie ins Kleinkindalter kam und immer selbstständiger wurde, wusste ich plötzlich, was ich beruflich als Nächstes machen wollte. Es war kein zermürbender Prozess, ich schrieb keine Pro- und Contra-Listen, ich dachte nicht über verschiedene Möglichkeiten nach. Ich kann mich auch nicht an den Moment erinnern, an dem mir die Idee kam. Sie war plötzlich einfach da: Ich wollte einen Buchverlag gründen, als erstes einen Lyrikband von mir veröffentlichen und dann nach und nach mein Sortiment erweitern. Es sollte eine „Ideenfabrik“ werden, in der meine eigenen Ideen und die anderer Autor*innen Realität werden konnten. Als ich einer guten Freundin freudig von meinem Vorhaben erzählte, schüttelte sie – zu meinem Erstaunen – missbilligend den Kopf: “Marie, willst du nicht mal was RICHTIGES machen?”. Aber nein, das wollte ich nicht. Zumindest nicht das, was sie darunter verstand.
Als ich dann noch in einer Bücherkiste, die jemand zum Verschenken auf die Straße gestellt hatte, ein Buch über Verlagsgründung fand, schien mein Schicksal besiegelt.
Ich arbeitete also den Ratgeber durch und setzte die Schritte nach und nach um. Wenige Wochen und einen Besuch auf dem Gewerbeamt später, war der Goldblatt Verlag geboren.
Damit begann mein Leben als Verlegerin. Und erst nach und nach merkte ich, was das eigentlich genau bedeutete. Denn mein Ziel war es nicht, einfach aus reiner Freude ein paar Bücher zu veröffentlichen. Ich wollte aus reiner Freude, ein funktionierendes Unternehmen aufbauen.
Mein Weg seit meiner Selbstständigkeit ist pures “learning by doing”. Als die erste Bestellung einer Privatperson aus meinem Onlineshop eintraf, googelte ich erstmal, was eigentlich auf einer Rechnung stehen muss. Als zum ersten Mal eine Buchhandlung bestellte, musste ich zuerst herausfinden, wie viel Rabatt eine Buchhandlung normalerweise vom Verlag bekommt. Ich war nicht panisch, weil ich so vieles nicht wusste, sondern freudig erregt, weil ich so viel in so kurzer Zeit lernte. Auch heute noch, vier Jahre nach meiner Unternehmensgründung, lerne ich wirklich täglich Neues dazu. Die unbegrenzten Möglichkeiten des Internets sind unbezahlbar. Es ist so unglaublich praktisch, dass fast alles online erklärt wird, es gibt Foren und Tutorials. Eine fast grenzenlose Bandbreite an Wissen ist oft nur ein paar Klicks von uns entfernt. Was es braucht, ist unsere Bereitschaft, uns dieses Wissen anzueignen, uns “reinzufuchsen” und es dann anzuwenden. Und wie das so ist, wenn man für ein Thema brennt und sich viel damit beschäftigt: Im Laufe der Zeit lernte ich mehr und mehr Menschen in der Branche kennen, angefangen von Buchhändler*innen bis hin zu anderen Verleger*innen von Independent-Verlagen. Wie bei einem riesigen, wunderschönen Mosaik kam so nach und nach eins zum anderen und die vielen kleinen Teilchen, die anfangs noch recht wirr und zusammenhanglos wirkten, fügten sich immer mehr zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Ich schaute mir verschiedene Online-Kongresse an, trat Mastermind-Gruppen bei, war in Facebook-Gruppen aktiv und begann, meine sozialen Medien aktiver zu gestalten. Und mehr und mehr setzt der sogenannte „Schneeballeffekt“ ein, es erreichten mich immer mehr Bestellungen über meinen Online-Shop und oft bestellten Leute später noch mehr Bücher, um sie zu verschenken. Immer mehr Buchhandlungen kamen auf mich zu, um meine Bücher in ihr Sortiment aufzunehmen. Zeitschriften und Blogs schrieben über meine Neuerscheinungen. Aber der Weg ist steinig, mittlerweile habe ich noch ein zweites Kind, schlafe seit viel zu langer Zeit viel zu wenig und begegne immer wieder neuen Herausforderungen. Glücklicherweise weiß ich, dass diese dazugehören und wichtig sind. Meine Bereitschaft, sie zu meistern, ist immer größer, als die Herausforderungen selber.
Gearbeitet habe ich in den letzten Jahren vor allem abends und nachts, wenn die Kinder schliefen und ich die Weite der Nacht vor mir hatte und mit ihr den Deal einging, mich meinen Träumen ein Stückchen näher zu bringen. Was ich immer wieder festgestellt habe: Wenn die Vision stimmig ist und das gesetzte Ziel groß und aufregend, dann wird plötzlich ein innerer Kompass aktiviert und man muss nur noch durchatmen und sich in Bewegung setzen. Was man dabei braucht, ist Vertrauen. Vor allem in sich selbst. Vieles macht erst rückblickend Sinn. Ob man ein glückliches Leben lebt, hängt nicht von den äußeren Umständen ab, sondern von der inneren Einstellung.
Im März diesen verrückten Jahres 2020 habe ich das Gedicht „And the people stayed home“ auf Facebook entdeckt und war so begeistert davon, dass ich es dort gleich geteilt habe. Es handelt davon, dass wir unsere Erfahrungen im Lockdown dazu nutzen können, uns selbst besser kennenzulernen und uns über unsere Prioritäten klar zu werden. Das hat meine tiefste Überzeugung bestätigt: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Dieser Glaube gibt mir die Kraft, auch in schwierigen Zeiten die Ärmel hochzukrempeln und weiterhin Bücher zu veröffentlichen, die eine positive Botschaft für die Menschen bereithalten und ihnen Mut machen. Als ich gesehen habe, dass dieses Gedicht bald als Bilderbuch in einem amerikanischen Verlag erscheint, war ich Feuer und Flamme. Ich hatte sofort die Vision, diese optimistische Botschaft auch im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Glücklicherweise ist es mir gelungen, die Rechte für die deutsche Übersetzung zu bekommen. Im Zuge dessen habe ich auch einen sehr persönlichen und herzlichen Kontakt mit der Autorin, einer pensionierten Lehrerin und Seelsorgerin. Ihr Gedicht ist Anfang des Jahres viral geworden, sie wurde sozusagen über Nacht weltberühmt und hat Millionen Menschen Hoffnung geschenkt. Wirklich eine bewegende Geschichte. Für mich hat dieses Gedicht etwas greifbar gemacht, für das ich bis dahin noch keine Worte hatte. Nämlich, dass wir uns durch die Pandemie an das erinnern können, was uns wirklich wichtig ist. Dass wir alle zusammen mit diesen Erkenntnissen eine bessere Welt gestalten können. Meine Lieblingszeilen des Gedichtes sind diese hier: „Und in Abwesenheit der rücksichtslosen, gefährlichen und herzlosen Lebensweisen der Menschen begann die Erde zu heilen.“ In diesem Satz steckt, dass es noch nicht zu spät ist, unsere Erde zu retten. Der Klimawandel beschäftigt mich sehr und ich hoffe, dass es uns Menschen gelingt, noch rechtzeitig die Notbremse zu ziehen. Durch die Pandemie werden wir aus unserem Alltagstrott geworfen und zum Innehalten gezwungen. In vielerlei Hinsicht bemerken wir erst jetzt, wie schön unser Leben „vorher“ eigentlich war. Ähnlich wird es uns gehen, je mehr die Natur durch die Umweltzerstörung aus dem Gleichgewicht gerät. Ich wünsche mir, dass der Zusammenhalt der Menschheit durch Corona größer wird und dass wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie fragil, schützenswert und gar nicht selbstverständlich das Leben auf der Erde eigentlich ist.
Im August haben mein Partner und ich uns mit Corona infiziert. Wir waren wochenlang sehr geschwächt und mit unseren beiden kleinen Kindern in Quarantäne. Hinzu kam ein großer Arbeitsdruck für mich, denn ausgerechnet in dieser Zeit gab es besonders viel zu tun, weil wir an der deutschen Ausgabe von „Und die Menschen blieben zu Hause“ gearbeitet haben. Sich auszuruhen ist so ziemlich das Einzige, was man bei Corona machen kann. Das wird sogar dringend empfohlen. Das war ein wirkliches Dilemma für mich. Aber mein Körper hat mich sozusagen dazu gezwungen, mir Auszeiten zu nehmen. Zum Beispiel habe ich seit meiner Erkrankung alle meine Abendtermine auf tagsüber gelegt, um genug Schlaf zu bekommen. Vorher hatte ich an drei Tagen der Woche meinen letzten Termin um 22.00Uhr. Damals dachte ich, dass das nicht anders geht. Aber siehe da: Irgendwie habe ich trotzdem alles unter einen Hut bekommen und das Buch ist rechtzeitig in den Druck gegangen. Das Gedicht stand in dieser Zeit für mich auf dem Prüfstand, aber letzten Endes war es ein großer Hit. Denn schließlich geht es darum, schwierige Situationen anzunehmen und dann das Beste daraus zu machen. Das habe ich mit Hilfe des Buches nochmal verinnerlicht. Ist das naiv oder weltfremd? Ich glaube nicht. Denn was sind die Alternativen dazu? Resignation und Trostlosigkeit. Beides bringt uns keinen Schritt weiter. Ich glaube, was die Welt gerade am dringendsten braucht, sind genügend sture Optimist*innen, die beherzt handeln und andere dadurch inspirieren, das Gleiche zu tun. Meine Neuerscheinung „Und die Menschen blieben zu Hause“ steht ihnen dabei zur Seite. Das Gedicht, in Kombination mit den kraftvollen Illustrationen, gibt Erwachsenen und Kindern Halt in dieser herausfordernden Zeit. Denn es gibt nichts, was mehr beruhigt und bestärkt, als hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.
Ich habe noch so viel vor und freue mich unglaublich auf alles, was da noch kommen wird. Ich finde es extrem wichtig, groß zu denken und alles für möglich zu halten. Sich nicht selbst mit den eigenen Gedanken zu limitieren. Eine Vision zu haben, die sich so verdammt gut anfühlt, dass man alles daransetzt, sie zu realisieren - auch, wenn man währenddessen keine Ahnung hat, wie das klappen kann. Meine Mission umfasst auch, mich persönlich weiterzuentwickeln und mehr und mehr zur besten Version meiner Selbst zu werden. Ich will mit dem Goldblatt Verlag viele Menschen erreichen und ihnen wertvolle Impulse mit auf ihren Weg geben. Erfolg ist für mich nicht das Ende vom Weg, sondern ein bestimmtes Mindset, während man den Weg geht. Ich glaube generell ist es sehr wichtig zu wissen, wo man hin will. Man kann sich konkrete Ziele setzen und trotzdem total im Moment leben. Das schließt sich nicht aus – im Gegenteil. Um das eigene grenzenlose Potenzial zu entfalten, braucht man einen klaren Fokus. Wenn man die eigene Passion konsequent verfolgt, mit Misserfolgen rechnet und aus ihnen lernt, unerschütterlich an sich selbst glaubt und dabei auch mal über sich selber lachen kann – dann fühlt sich plötzlich sehr vieles sehr richtig an.
Marie Franz