Studieren in der Arktis

  • 11.12.2014, 09:34

Das Universitätszentrum in Longyearbyen ist das nördlichste der Welt – und, glaubt man Studierenden und Lehrenden, eines der besten. Studieren mit Eisbären, Schneemobilen und Icebreakerpartys.

Das Universitätszentrum in Longyearbyen ist das nördlichste der Welt – und, glaubt man Studierenden und Lehrenden, eines der besten. Studieren mit Eisbären, Schneemobilen und Icebreakerpartys.

Ein Auslandssemester an einem Ort, an dem es monatelang finster ist? In Longyearbyen, dem nördlichsten Ort der Welt, gibt es rund 110 Tage im Jahr weder Sonnenauf- noch -untergang. Wer hier im Wintersemester studiert, lebt lange Zeit in Finsternis. Doch wer das auf sich nimmt, wird mit einer offenen, internationalen Gemeinschaft und einer außergewöhnlichen, außerirdisch anmutenden Umgebung belohnt: schneebedeckt, baumlos, unberührt, arktisch, mit Gletschern und Bergen – ein Abenteuerfilm-Setting, Eisbären inkludiert. Und im Sommersemester holt die Mitternachtssonne ihre Sonnenstunden nach.

Die Stadt Longyearbyen liegt auf der Hauptinsel von Svalbard (Spitzbergen) und wurde ursprünglich als Bergarbeiterstadt errichtet. Der Kohleabbau ist nach wie vor der größte Wirtschaftszweig auf Spitzbergen, doch aufgrund der exponierten Lage 600 km von der Nordspitze Finnlands entfernt haben sich die Inseln in den letzten Jahrzehnten zum wichtigsten Zentrum für Arktisforschung weltweit entwickelt – und UNIS ist ein wichtiger Teil davon.

Uni in Eis und Schnee. Das UNIS (University Centre in Svalbard) ist keine Hochschule im klassischen Sinn, denn es ist nicht dafür ausgelegt, hier ein komplettes Studium zu absolvieren. Stattdessen treffen sich hier Studierende aus aller Welt für ein oder zwei Semester, um von Arktis-Koryphäen unterrichtet zu werden und gemeinsam mit ihnen zu forschen. Am UNIS können die Fächer Arktische Biologie, Arktische Geologie, Arktische Geophysik und Arktische Technologie studiert werden – wer sich hier bewirbt, sollte also besser ernsthaftes Interesse an Schnee und Eis haben. Es gibt Kurse auf Bachelor-, Master- und PhD-Level. 2013 zum Beispiel verbrachten fast 500 Studierende einige Wochen, Monate oder gar ein volles Jahr hier.

Die 22-jährige Meteorologie-Studentin Veronika Hatvan hat zwei Semester lang auf Bachelor-Niveau Arktische Geophysik am UNIS studiert und ist seit Anfang Juni für ihr Masterstudium zurück in Innsbruck. Sie bereut ihre Entscheidung für Svalbard keine Sekunde. „Ich habe in einer Zeitung gesehen, dass es hier eine Uni gibt. Meine Mutter hat gemeint, das wäre doch was für mich. Das war im ersten Semester. Und dann hat sich das zu einer fixen Idee entwickelt“, erzählt Veronika.

(c) Daniela Sulz

Weg zum Studium. Eine Idee, die sie in die Tat umgesetzt hat, auch wenn der Weg zum Studium am UNIS ein wenig kompliziert ist: Direkte Bewerbungen sind nicht möglich. Stattdessen müssen sich Interessierte zuerst an einer norwegischen Universität bewerben – mit dem Hinweis, dass das eigentliche Studium in Longyearbyen geplant ist – und dann noch einmal separat für UNIS. Die Studentinnen und Studenten sind international durchmischt. Sie kommen nicht nur aus Norwegen, sondern beispielsweise auch aus Kanada, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland und Österreich. Insgesamt waren 2013 36 Nationen vertreten und der Frauenanteil lag bei 53 Prozent. Abgesehen von einer kleinen Semestergebühr von 65 Euro gibt es keine Studiengebühren, und wenn die norwegische Universität Partnerin der eigenen Hochschule ist, ist ein Erasmus-Auslandssemester möglich. Das UNIS selbst vergibt keine Stipendien. Das Leben so hoch im Norden ist allerdings teuer: Mit Kosten von zumindest 1.000 Euro pro Monat ist zu rechnen. Der organisatorische und finanzielle Aufwand lohnt sich jedoch, findet Veronika: „Ich habe das Gefühl, dass sie hier wirklich wollen, dass du etwas lernst“, sagt Veronika. Auch Stefan Schöttl, 25 Jahre alt und Gebirgs- und Klimageographie-Student in Graz, hat von Februar bis Mai 2014 zwei Master-Kurse am UNIS absolviert. „Die Studierenden sind sehr motiviert. Es ist schon irgendwie eine Ehre, hier studieren zu dürfen“, beschreibt er seine Erfahrung.

Aber nicht nur den Studierenden ist es eine Ehre, sondern auch den Lehrkräften: „Hier unterrichten wirklich gute Leute. Im ersten Semester haben wir zum Beispiel in einem Kurs zuerst mit Fachartikeln gearbeitet, und eine Woche später war dann derjenige unser Vortragender, der fünf dieser Papers geschrieben hat“, sagt Veronika. Stefan lobt das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden: „Es ist mehr auf einer Ebene.“ Er hält es für ein Qualitätsmerkmal, dass „hier jede/r das unterrichtet, worin er oder sie Experte/in ist“.

Gegenseitiges Lob. Das Lob beruht auf Gegenseitigkeit: Auch die Lehrenden heben die Motivation der Studierenden hervor. „Die Studierenden hier sind wahnsinnig toll“, erzählt Anne Hormes. Sie hat sieben Jahre lang am UNIS unterrichtet, obwohl ursprünglich nur drei geplant waren. Geblieben ist die Geologin unter anderem wegen der Möglichkeiten, die sich am UNIS in der Lehre bieten. Sie ist nicht nur wegen der kleinen Gruppengrößen spannend (im Schnitt 20 bis 25 Teilnehmer*innen), sondern auch wegen der praktischen Ausrichtung. „Wir gehen raus und involvieren die Studierenden bei Forschungsfragen. Sie sammeln Daten, die für weitere Arbeiten von Interesse sind. Sie lernen, wie man wirklich Forschung betreibt.“

(c) Daniela Sulz

Diese Einbindung in „richtige“ Forschungsarbeit war auch ein großer Motivationsfaktor für Veronika und Stefan. „Es ist toll, wenn man auf Exkursionen Daten sammelt, die dann tatsächlich in Publikationen verwendet werden“, sagt Veronika. Diese Publikationen werden nicht nur von den Forscher*innen des UNIS geschrieben, auch die Studierenden beteiligen sich – und es kommt immer wieder vor, dass ein von Studierenden geschriebener Artikel tatsächlich in einem Fachmagazin erscheint.

STEOP: Schießkurs. Der Schwerpunkt auf Forschung liegt aufgrund der außergewöhnlichen Lage von Spitzbergen auf der Hand, ist aber trotzdem beeindruckend: Feldexkursionen bringen einen großen Aufwand an Material und Logistik mit sich. Neben dem Forschungsequipment sind zum Beispiel auch Schneemobile und Gewehre ein fixer Bestandteil der Ausrüstung.

Der erste Kurs, den alle Neuankömmlinge in Longyearbyen absolvieren müssen, heißt „Arctic Survival and Safety Course“. Hier lernen die Studierenden, wie man sich in der arktischen Wildnis richtig verhält. Der Umgang mit Gewehren gehört da einfach dazu, denn es ist verboten, die Stadt unbewaffnet zu verlassen – der Eisbären wegen. Diese sind zwar eigentlich maritime Raubtiere, das heißt, sie leben großteils auf dem Eis, aber sie kommen auch immer wieder an Land. Dass Eisbären Menschen zu nahe kommen, passiert sehr selten, aber ausgeschlossen ist es nicht. Und da das Universitätszentrum seine Studierenden nicht nur auf Exkursionen schickt, sondern auch dabei unterstützt, die Insel so gut und sicher wie möglich auf eigene Faust zu erkunden, ist ein kleiner Schießkurs Pflicht.

„Es gibt jede Woche eine Lotterie“, erzählt Veronika. Dabei wird ausgelost, wer für die nächste Woche Waffen zur Verfügung gestellt bekommt. Auch Schneemobile kann man ausleihen. Das ermöglicht Ausflüge in der Freizeit. „Uns wurde letztes Semester gesagt, dass wir die teuersten Studierenden der Welt sind, weil wir all dieses Equipment verwenden dürfen“, sagt Veronika.

 

(c) Daniela Sulz

Aktiv in der Freizeit. Die Studierenden des UNIS sind auch in ihrer Freizeit sehr aktiv: Obwohl die Kurse fordernd und arbeitsintensiv sind, stehen Skifahren, Wandern und Scooterfahren so oft wie möglich auf dem Programm – die knappe Zeit in dieser ungewöhnlichen und faszinierenden Umgebung will genutzt werden. Veronika hat sich einen eigenen gebrauchten Scooter zugelegt, um so mobil wie möglich zu sein.

Und das Sozialleben? Mit rund 2.000 Einwohner*innen ist Longyearbyen nicht gerade eine Partystadt, aber durch den Tourismus gibt es einige Bars und Restaurants. Die Studierenden meiden die Restaurants aufgrund der hohen Preise aber eher und organisieren die Partys selbst – mit Unterstützung des Universitätszentrums. Jeden Freitag gibt es ein „Friday Gathering“ im Universitäts-Gebäude. Es wird von Studierenden veranstaltet und von der Universität gefördert. Zusätzlich gibt es eine große Party pro Semester: Die „Icebreaker Party“, ein Name, der wohl nirgendwo so passend ist wie am Rande der Arktis. Putzen müssen die Studierenden nach ihren Feiern selbst. Auch das stärkt den Zusammenhalt.

Rückkehr. Die Rückkehr an ihre österreichischen Unis war für Veronika und Stefan eine Umstellung. „An das Betreuungsverhältnis in Österreich muss man sich erst wieder gewöhnen“, sagt Stefan, der sich trotzdem gefreut hat, wieder nach Hause zu kommen. Und: „Es gibt ja auch hier genug Berge, Gletscher und vor allem Bäume.“ Wenn alles klappt, wird er nächstes Jahr im Februar wieder einen Kurs am UNIS machen. Auch Veronika vermisst UNIS und Longyearbyen. „Die Umgebung ist einzigartig“, findet sie. Auch für sie war es vermutlich nicht der letzte Aufenthalt auf Svalbard. Dass viele Studierende wiederkommen, verwundert Anne Hormes nicht: „Sie machen hier eine tolle Erfahrung mit extremen Erlebnissen.“ Die Umgebung verlange, dass man sich ganz aufeinander einlässt. Dazu kommen die eng gestrickte Gemeinschaft und die Erfahrung, dass Lehrende und Studierende sich auf Augenhöhe begegnen können. Wer einmal hier war und am rauen Klima, der arktischen Natur und der Diskrepanz zwischen Polarnacht und Mitternachtssonne Gefallen gefunden hat, der will mehr.

Daniela Sulz lebt zur Zeit in Helsinki und hat Journalismus an der FH Wien und Geschichte an der Uni Wien studiert.

 

Info Spitzbergen

Die Inselgruppe mit dem norwegischen Namen Svalbard liegt auf halbem Weg zwischen Norwegen und dem Nordpol. Nach der Entdeckung der Inseln 1596 blieben sie zuerst unbewohnt, wurden aber als Ausgangspunkt für den Walfang genutzt. Die Besiedelung begann erst im frühen 20. Jahrhundert, nach der Entdeckung von Kohlevorkommen. Durch den Spitzbergen-Vertrag wurde die Inselgruppe Norwegen zugesprochen. Longyearbyen wurde 1906 gegründet und war eine Bergbaustadt, in der jahrzehntelang fast gar keine Frauen lebten, nicht einmal Ehefrauen waren erlaubt. Das änderte sich erst mit der Eröffnung des Flughafens. Nur langsam wurde Longyearbyen für die „Zivilbevölkerung und den Tourismus geöffnet. Heute ist der Tourismus ein wichtiger Einkommenszweig. Svalbard ist auch das wichtigste Zentrum für die Arktisforschung. Das Klima ist arktisch, nur die Küstenregionen sind im Sommer für einige Wochen schneefrei und von Gräsern und Flechten bedeckt. Das Nahrungsangebot ist aber für einige angepasste Tierarten wie das Spitzbergen-Rentier und rund 30 Vogelarten ausreichend. Um die Inseln leben auch verschiedene Robbenarten und ungefähr 3.500 Eisbären. 

AutorInnen: Daniela Sulz