Smartphoneschnitzeljagd

  • 27.10.2014, 16:08

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Alt-Englisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Altenglisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

progress: Nach welchem Spiel waren Sie als Jugendlicher süchtig?

Alexander Pfeiffer: Mit dem Begriff „Sucht“ muss ich als Gründer des Instituts zur Prävention von Onlinesucht aufpassen. Aber das erste Spiel, mit dem ich die eine oder andere Minute zu viel verbracht habe, war in den 90ern der „Bundesliga Manager Professional“, eine Fußballmanagersimulation. Gemeinsam mit einem guten Schulfreund habe ich oft ganze Nachmittage „durchgelernt“ und zwar Taktiktraining. Wir wussten nahezu alle Spieler aus den deutschen Bundesligen zu dieser Zeit auswendig. Als Kind war mein erstes Spiel mit acht Jahren „Ultima VI“, ein Rollenspiel, bei dem man Held und Vorbild wird, indem man Verdienste in verschiedenen Tugenden erwirbt. So hat „Ultima VI“ für ein Basisgefühl von Ethik gesorgt. Außerdem hat es dazu geführt, dass mein Altenglisch wirklich gut ist und dass ich meine erste Englischschularbeit statt auf Englisch auf Altenglisch geschrieben habe.

Wenn Spiele so viel Fachwissen vermitteln und SpielerInnen zu ExpertInnen ausbilden können – werden dann LehrerInnen und ProfessorInnen in Zukunft obsolet?

Nein. PädagogInnen sind absolut wichtig, um das Lernen zu leiten, um zu didaktisieren. „Ludwig“ ist ein Spiel, in dem man eine virtuelle Welt entdeckt, Experimente durchführt und auch noch lernt, wie man aus Wind Energie macht. Das Spiel funktioniert am besten, wenn es die Kids spielen und die LehrerInnen im Physiklabor dazu die Versuche zeigen. Wenn noch der oder die DeutschlehrerIn zusätzlich eine Nacherzählung über „Ludwig“ schreiben lässt, haben alle gewonnen.

Trotzdem zögern LehrerInnen und ProfessorInnen, Videospiele im Unterricht oder im Lernprozess zu verwenden. Warum?

Aus Unwissen, wegen der meist negativen Medien-Berichterstattung und letztendlich auch, weil es an Angeboten für LehrerInnen fehlt. Doch es wird langsam, aber sicher besser. Es gibt auch immer mehr Studienrichtungen, die „pro“ oder zumindest „fair“ gegenüber Spielen sind. Leider sind Videospiele in der didaktischen Grundausbildung von LehrerInnen und ProfessorInnen noch nicht ganz angekommen, obwohl es mittlerweile auch großartige Leute gibt, die auf spielendes Lernen in ihren Vorlesungen in der Grundausbildung aufmerksam machen.

Ab dem Kindergarten gibt es eine klare Trennung zwischen Spiel und Ernst. Da sind Schule und Uni kein Ort für Spaß. Was macht es so schwierig, Lernen und Spielen wieder zusammenzuführen?

Rund um die Jahrtausendwende waren „EduGames“ im Trend, selbst Nintendo ist hier aufgesprungen. Das Problem war jedoch immer der Medienbruch. Man spielte das Spiel, aber das Lernen und Evaluieren waren aus dem Kontext rausgerissen. Im besten Fall findet kein Lernbruch statt. Spiel und Lernen können dann eventuell sogar in eine perfekte Erzählung eingebunden werden und folgender Formel von Michael Wagner: „Spielziel ist gleich Lernziel“. Was es schwierig macht, im Spielen zu lernen, ist die Tatsache, dass verschiedene Interessen einander in die Quere kommen. Ein Spiel muss freiwillig gespielt werden und sollte keine Auswirkungen auf das reale Leben haben. Wenn ich auf mein gamifiziertes Lernen Noten bekomme, gehen aber die beiden vorher genannten Voraussetzungen für lustvolles Spielen verloren. Ich denke, dass nur mit der gamifizierten Simulation spielerisch gelernt werden kann. Das kann auf die Kosten der Freiwilligkeit gehen, aber der Lerneffekt ist auch im realen Leben gegeben.

Apropos reales Leben. Besteht die Gefahr, dass durch die intensiven Erlebnisse in virtuellen Welten das Gefühl für den eigenen Körper und Lebenssituationen verloren geht?

Nein, keinesfalls. Spiele sind immer ein sicherer Ort, um Dinge auszuprobieren. Ich appelliere an die Eltern, die Kinder selbst und auch die Stadtverwaltung, für schöne, reale und am besten kostenfreie Spiel- und Erlebniswelten zu sorgen. Vielleicht ist die Kombination aus realem und virtuellem Spiel die beste Lösung für die Zukunft: Schnitzeljagden mit dem Smarthone durch das Grätzel, Kicken gehen und mit dem Sport-Armband Punkte sammeln und dafür Items oder Upgrades für das Lieblingsfußballspiel zu erwerben. So etwas macht Spaß und Sinn.

Trotz Partizipations- und Interaktionsmöglichkeiten in Spielen können SpielerInnen nicht einfach tun, was sie wollen. Sie können nur so viel machen, wie ihnen von den SpieledesignerInnen erlaubt wird. Ist das nicht eine scheinheilige Autonomie?

Es gibt zum einen viele verschiedene Spielgenres und zum anderen braucht man sich nur die PlayerInnen-Typisierung von Richard Bartle oder in neuerer Version von Nick Yee ansehen. Anhand derer wird klar, dass SpielerInnen immer wieder genau diese Grenzen ausloten oder auch den GamedesignerInnen Feedback geben, wie es weitergehen könnte, und damit auf die Entwicklung eines Spiels Einfluss nehmen. Auch um das eigentliche Spiel herum entstehen plötzlich – teils auch von Fans produzierte – Bücher, Filme, Comics, Kurzgeschichten und Ähnliches. Das Spiel kann auf jeden Fall mehr als das Video, bei dem man ja nur zusieht. Wobei auch das großartig sein kann. Man muss nicht immer selbst aktiv sein.

Der SPÖ-Politiker Otto Pendl hat vor Kurzem behauptet, Egoshooter hätten dazu beigetragen, junge Menschen für den Jihadismus zu gewinnen.

Genauso wie die US-Armee mit „Americas Army“ für eine Karriere in der Armee wirbt, könnte auch die IS ein Spiel machen, in dem man den Beruf „JihadistIn“ ausüben kann. Das Spiel müsste aber auch „unterhaltsam“ sein, um Verbreitung zu finden, was jedoch bei dieser Thematik schwierig sein wird. Das Beispiel, auf das sich Pendl bezieht, war ein Videozusammenschnitt aus dem Videospiel GTA V, das nicht einmal ein Egoshooter ist. Der direkte Vergleich hinkt dann doch und es ist schade, dass ein digitales Spiel als Sündenbock herhalten muss. Man hätte de facto auch ein Best-of aus Krimi-Büchern oder Ausschnitte aus Hollywood-Filmen zusammenstellen können.

 

Das Interview führte Marlene Brüggemann.

Verein der Freunde des multimedialen Lernens: www.vfml.at

AutorInnen: Marlene Brüggemann