Sinnvolle Anwendungen gehorteten Klopapiers
Passenderweise begann alles am Freitag, dem 13. März. Alle nicht notwendigen Geschäfte blieben vorerst geschlossen und das öffentliche sowie soziale Leben wurde auf ein Minimum zurückgefahren. Das führte zu Ängsten, die ihrerseits in Hamsterkäufen resultierten. Bis heute bleibt es ein ungeklärtes Mysterium, warum ausgerechnet Toilettenpapier zum goldenen Kalb der Doomsday-Prepper wurde. Die zugehörige Massenpsychologie zu ergründen wäre zwar auch spannend, hier sollen aber lediglich etwas ausgefallenere Anwendungsmöglichkeiten des neuen „weißen Golds“ erörtert werden: Erst einmal muss man wissen, wie viel gehortet wurde. Geht man davon aus, dass sich in den Geschäften und ihren Lagern Vorräte für etwa drei Wochen befanden, kommt man, da diese Vorräte ja aufgekauft wurden, auf ungefähr 5.100 Tonnen gebunkertes Klopapier in Österreich [1], was unter Verwendung der SI-Präfixe (das sind Vorsätze im international normierten Maßsystem) 40 Megarollen (MR) entspricht. Eine Rolle Klopapier hat hierbei eine Masse von 130 Gramm, misst etwa 10 cm in Höhe und Durchmesser und hat 150 Blatt. Mit der Annahme, dass jeweils Klopapier für drei Wochen gebunkert wurde, können auch die Vorräte anderer Länder berechnet werden.
Was lässt sich nun damit anfangen? Nicht nur für angehende Chemiker_innen stellt sich gleich zu Beginn die Frage, ob man daraus denn Alkohol machen kann. Die Antwort lautet erfreulicherweise: Ja! Bereits seit dem 19. Jahrhundert gibt es Verfahren zur Zuckergewinnung aus Holz [2] und schon 1910 konnte man aus 100 Kilo Holz bis zu 9,5 Liter Alkohol gewinnen. Da Holz, je nach Feuchtegehalt, nur zu etwa 50 % aus Zellulose besteht, haben wir hier mit Toilettenpapier sogar Vorteile. Schließlich brauchen wir noch etwas Chemieausrüstung, Schwefelsäure und Natronlauge [3]. Ist die gewonnene Glukose dann gereinigt, geht es nur noch darum, was der Maische als Geschmacksträger zugegeben werden soll. Bei einem angestrebten Alkoholgehalt von 40% bräuchte man etwa 16 Rollen pro Liter COVID-Schnaps. Alternativ könnte man auf die Destillation verzichten und die letzten Schritte der Gärung in einer gut verkorkten Flasche durchführen. Da man so die Gärungsgase am Entweichen hindert, hätte man gleich den geschmacklich individuellen „Champagner“ für den Tag, an dem die Maßnahmen völlig aufgehoben werden.
Etwas makaber aber durchaus umsetzbar wäre es, Krematorien auf eine neue Energiequelle umzustellen. Anstatt der 17,5 m³ Erdgas pro Einäscherung [4] würde man bei einem Heizwert von ungefähr 15 MJ/kg Klopapier [5] etwa 350 Rollen benötigen. Um für einen kontinuierlichen Wärmeeintrag zu sorgen, wären bei üblicherweise 90 Minuten pro Person und 150 Blatt pro Rolle, hierbei etwa 10 Blatt pro Sekunde einzublasen. Mit unseren 40 Megarollen könnte man also knapp 115.000 Feuerbestattungen durchführen. Geht man von den Zahlen für 2015 aus (damals gab es hierzulande rund 34.900 Feuerbestattungen [6]), würden die Vorräte die österreichischen Krematorien für etwa 40 Monate versorgen können.
Trumps Traum Die USA hätten etwa 205.000 Tonnen bzw. 1.580 MR gehortet. Eine Menge, die endlich den Bau der von Präsident Donald Trump so lang ersehnten Mauer ermöglichen würde! Die Grenze zu Mexiko misst zwar 3.144 km [7], davon stellen jedoch 2.060 km Flussgrenzen in Gestalt des Rio Grande und des Colorado River dar. Auf die restlichen 1.085 km verteilt ließe sich eine fünf Meter hohe und drei Klopapierrollen starke Mauer errichten. Die Dicke der Mauer ist ja bereits in einer verständlichen Einheit angegeben, die Höhe muss natürlich noch umgerechnet werden:
5m=16,4ft=5,47yd=590 Barleycorn=2,63 Donald Trump
Sollten Sie Mr. Trump persönlich sein, bitte melden sie sich jederzeit für weitere Details!
Die weltweit gehamsterte Menge beläuft sich auf etwa 2,41 Mio. Tonnen bzw. 18,5 GR (Gigarollen!). An einem Ort zusammengetragen und schön geschlichtet würde das einen Würfel mit 252 m Seitenlänge ergeben. Wir haben also ganz schön was zur Verfügung! Vielleicht auch genug, um etwas wirklich Großes zu erreichen?
Das Weltklima retten? Leider hat die offensichtliche Variante, einfach Klopapier als Kohlendioxid-Lager zu verwenden und das Gas so aus der Atmosphäre zu entfernen, den Haken, dass man dafür etwa 18 Petarollen (PR) bräuchte. Bei der aktuellen Weltproduktion von 320 GR [1] hieße das 56.000 Jahre lang sparen.
Aber gibt es denn keinen besseren Weg? Erstaunlicherweise doch! Und zwar das Schaffen einer großen, hellen Fläche, um mit dieser den Rückstrahlwert der Erde, Albedo genannt, zu erhöhen! Dieser liegt im Mittel bei 0,3, während jener von weißem Papier bei 0,8 liegt. Anhand von Quellen zur Albedo verschiedener Landschaften [8], zur Gliederung der Erdoberfläche [9] sowie zum Grad der Bedeckung durch Wolken [10] kommt man letztlich durch eine Rechnung, die mit ihren Vereinfachungen, Fitparametern und Annahmen jede_n Klimaforscher_in zum Schaudern bringen würde, auf eine benötigte Fläche von 10,7 Mio. km², um den Temperaturanstieg von 1,2 °C seit 1850 rückgängig zu machen. Dieser achte Kontinent (nennen wir ihn „Latrinaria“) müsste also in etwa die Größe Europas haben. Errichten könnte man ihn im südpazifischen Wirbel, der weltweit größten marinen Wüste. Leider hat Österreich gerade mal genug gehamstert, um zwei Drittel von Graz zu bedecken. Aber bei gezielter Verwendung der Weltproduktion [1] hätte man die benötigten 5,1 Terarollen (TR) in 16 Jahren beisammen.
Ein neuer Himmelskörper Eine Petition zum Bau eines Todessterns wurde 2012 in Washington leider abgelehnt [11]. Zwar können wir mangels der nötigen Technologie leider keinen echten Todesstern bauen, aber wie sähe es mit einer Attrappe nach der Bauweise eines Pappmaché-Ballons aus? Ignoriert man ein paar kleine Hürden, wie Transportkosten, konkrete Bauplanung oder Mikrometeoriten, und begnügt sich zudem mit einer Schicht Klopapier, reicht die weltweit gebunkerte Menge Klopapiers für eine 100 km messende Todesstern-Attrappe im Maßstab 1:1,2! Bei einem Orbit in 600 km Höhe, also 200 km über der ISS, hätten wir dann immerhin einen Sichtwinkel von 11,5° auf unseren Todestern, der, wenn ihn die Sonne bestrahlt, wohl auch das hellste Objekt am Nachthimmel wäre. Zumindest für die kurze Zeit bis ihn die Thermosphärenreibung soweit abgebremst hat, dass er abstürzt und verglüht. Todessterne wollen einfach nicht existieren.
Richten wir den Blick also ad historiam! Beispielsweise ins Alte Testament, in das Buch Exodus, das berichtet, wie Mose mit Gottes Hilfe das Rote Meer teilt, um sein Volk vor Pharao Ramses II. zu retten. Klimaforscher_innen konnten eine vom Ostwind geöffnete Schneise von 4 km Länge und 5 km Breite [12] als möglichen Rahmen für das Ereignis identifizieren. Diese hätte jedoch im Nildelta gelegen, wohingegen von Bibelforschern auf den Golf von Suez verwiesen wird [13]. Geht man von einer mittleren Wassertiefe von etwa 40 Metern aus, so ergibt sich eine Wassermenge von etwa 800 Millionen Kubikmeter. Die durchschnittliche Saugkraft eines Blattes Toilettenpapier beträgt nach unseren Versuchen ca. 6 ml, was pro Rolle etwa 0,9 Liter Wasser bedeutet. Also bräuchte Mose um sein Volk zu retten eine göttliche Intervention in Form von etwa 898 Gigarollen (GR), ungefähr das Dreifache der weltweiten Jahresproduktion an Klopapier. Etwas anschaulicher gesprochen wären das zwei 3,8 km breite Wände um die Schneise.
Und wie wimmelt man dann noch lästige ägyptische Pharaonen samt Gefolgschaft ab? Man könnte die Wände verbrennen! Dafür müsste man lediglich das aufgesaugte Wasser verdampfen, wofür man etwa 2,06 Exajoule zuführen müsste, also in etwa den 10-Tages Strombedarf der Weltbevölkerung, um das Klopapier zu verbrennen. Oder anders formuliert: Wer verzichtet nicht gerne zehn Tage lang auf Strom, damit die Hebräer_innen den schwierigsten Teil ihrer Reise überstehen? Denn dank der ausgezeichneten Navigationsfähigkeiten von Mose liegen nur noch etwa 800 km und 40 Jahre Fußmarsch zwischen ihnen und dem Heiligen Land.
Es gäbe noch zahllose weitere Ansätze. Von der Energieversorgung für Rammstein (4t bzw. 31 Kilorollen pro Konzert), über die Verwendung als Futtermittel für Rinder (10 Rollen pro Liter Milch bzw. 106 Rollen pro Kilogramm Jungbullenfleisch), einen Kölner Dom aus Pappmaché (277 MR) und der Rettung des Weltklimas durch einen Zellstoff-Kontinent (5,1 Terarollen) bis hin zu einem Weltraumlift (mehr als 230 Yottarollen bzw. fünf Erdmassen) haben wir davon auch so manche durchgerechnet.
Aber ganz egal, wie viele unterhaltsame Szenarien man durchdenkt, der echte Witz an der ganzen Sache ist und bleibt ja leider, dass für einen doch breiten Teil der Bevölkerung der Inbegriff des Weltuntergangs nicht Hunger, Durst, Stromausfall oder ein Zusammenbrechen der medizinischen Infrastruktur wäre, sondern der abhorreszierende Gedanke, kein Häuslpapier mehr zu haben. Darum hier zum Abschluss ein Appell an die Vernunft: Letztlich gab es keinen Grund zu Panikkäufen und schon gar keinen, sich für das nächste Halbjahr mit Klopapier einzudecken. Lasst uns bei der nächsten Krise bitte nicht wieder die Endlosserviette als Symbol unbegründeter Ängste und der Analfixierung ganzer Völker zum Götzen erheben! Nehmen wir uns stattdessen ein Beispiel an den Französ_innen, die es ja bekanntlich anders angegangen sind. Dann könnte der nächste Artikel über die weniger offensichtlichen Möglichkeiten spekulieren, wie man in der Quarantäne mit Rotwein und Kondomen Spaß haben kann. Das wäre doch wirklich ein Gewinn für Alle.
Quellen:
1 https://de.statista.com/outlook/80010000/toilettenpapier
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Holzverzuckerung
3 https://www.swisseduc.ch/chemie/labor/holzverzuck/docs/holzverzuck.pdf
4 https://krematorium-elbe-elster.de/information/
5 https://www.gammel.de/de/lexikon/Heizwert---Brennwert/4838
6 http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/gestorbene/022911.html
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Grenze_zwischen_den_Vereinigten_Staaten_und_Mexiko
8 https://de.wikipedia.org/wiki/Albedo
9 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/globale_landflaechen_biomasse_bf_klein.pdf
10 https://ieeexplore.ieee.org/document/6422379?arnumber=6422379
11 https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/online-petition-in-usa-baut-den-todesstern--3732894.html
12 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/biblisches-wunder-ostwind-soll-das-meer-geteilt-haben-a-718966.html
13 https://www.focus.de/wissen/mensch/bibel-forscher-moses-hat-das-rote-meer-tatsaechlich-geteilt_id_6041397.html
14 https://www.iconfinder.com/