Serieller Abgesang
Willenskraft allein reicht in den USA nicht mehr zum Aufstieg. So scheinen es zumindest neue US-Serien zu suggerieren, die Amerika als tief gespaltene Gesellschaft zeigen.
Willenskraft allein reicht in den USA nicht mehr zum Aufstieg. So scheinen es zumindest neue US-Serien zu suggerieren, die Amerika als tief gespaltene Gesellschaft zeigen.
Der elektrische Stuhl ist die grausamste Art der Hinrichtung, die in den USA praktiziert wird. Langsam und unter Todesqualen wird der Verurteilte von innen gegrillt. Trotzdem fürchtet Walter White sich nicht. Denn sterben muss der unheilbar Krebskranke sowieso. An die 500 Kilo der Droge Crystal Meth hat der arglose High School-Chemielehrer binnen weniger Wochen produziert und auf den Markt geworfen, eine Tat, die ihm im Bundesstaat New Mexico locker die Todesstrafe einbringen könnte. Dabei ist Walter kein schlechter Kerl; ein bisschen verrückt vielleicht, aber das Publikum mag ihn.
Walter ist der Protagonist der neuen US-Serie Breaking Bad, ein Liebling der KritikerInnen. Schauspieler Bryan Cranston machte als Chaos-Vater Hal bereits Malcolm Mittendrin zu einem Publikumshit. Die Serie formuliert ein moralisches Dilemma: Muss Walter nun sterben, wenn er kein Meth verkauft, weil er keine gute Krankenversicherung hat? Dünn versteckt unter dem vermeintlichen Gangsta-Narrativ steckt harte Kritik am US-Gesundheitssystem. Die ZuseherInnen werden geduldig an die Anatomie des Verbrechens herangeführt. Ähnlich wie das kalifornische Marihuana-Drama Weeds, von dem Breaking Bad das Konzept geborgt hat, ist die Hauptfigur ein eigentlich sympathischer Mittelklasse- Bürger. Ähnlich wie auch die ProtagonistInnen im düsteren postindustriellen Drama The Wire wird Walter – beinahe wider Willen – in eine Welt des Werterelativisimus geworfen. Seine bourgeoisen Vorbehalte gegen RechtsbrecherInnen und ihre Lebensrealität muss er bald aufgeben – er wird einer von ihnen.
Tratschtanten und eiskalte Engel. An Walter und seinem Schicksal werden die tiefen Bruchlinien innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft deutlich. Seit dreißig Jahren wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Die Wirtschaftskrise, die mit der Implosion des Häusermarktes in den USA begann, setzte viele Mittelklassefamilien unter Druck, zu entscheiden, auf welcher Seite dieser Kluft sie stehen wollen. Statusparanoia ist eine wiederkehrende Erzählung im US-Fernsehen. Selbst einfach gestrickte Unterhaltungsdramen wie der New Yorker Schickeria-Schund Gossip Girl, der in jeder einzelnen Folge die Story von Eiskalte Engel nacherzählt, haben die Furcht vor dem sozialen Abstieg tief in ihre Erzählung eingewoben. Hauptfiguren, deren Namen den niederländischen Klang alter New Yorker Aristokratenfiguren haben, können ihre zumindest der oberen Mittelklasse angehörenden Duzfreunde mit schneidender Verachtung behandeln, ohne darum notwendigerweise die Gunst der ZuschauerInnen zu verlieren. Dieser Trick wird durch die formvollendete Schönheit der Hauptfiguren und ihre allzu geschliffenen Manieren erreicht, die sie als feinsinniger und cleverer darstellen, als die bloß strebsamen, braven BürgerInnenkinder, die sich mit Fleiß und Intelligenz den Eintritt in die Glitzerwelt erkaufen.
Das erschreckende Zerrbild, welches von Gossip Girl bis zum TeenagerInnendrama O.C. California reicht, ist das einer streng abgegrenzten Oberschicht, die es als unfein empfindet, an der „Masse“ anzustreifen. In letzterer Serie verlängerte sich die Klassenparanoia sogar bis in die reale Satire. Hauptfigur Ryan, der aus der Unterschicht in die reiche Familie Cohen reinadoptierte Prolet, kommt aus dem als Slum apostrophierten Problemviertel Chino. Der Schönheitsfehler an dieser Darstellung ist nur, dass im wirklichen Leben Chino ein absolut durchschnittlicher Ort in Suburbia ist, dessen BürgerInnenmeister vehement gegen die „Verunglimpfung“ durch die Serie protestierte. Doch diese „Slumifizierung“ hat System. In der neuen Dualität der Gesellschaft gibt es nur noch arm und reich.
Hochglänzend paranoid. Das Premiumsegment des neuen Para-noia-TV deckt die Hochglanz-Retrospektion der Serie Mad Men ab, die in den frühen Sechzigern spielt. Am Tag slicker Werbefachmann mit einem Auge für den teuren, guten Geschmack, wird der enigmatische Don Draper des Nachts von Erinnerungen an seine Jugend im Amerika der großen Depression geplagt. Indessen wartet seine Frau den ganzen Tag in ihrem brandneuen Einfamilienhaus inmitten einer nigelnagelneuen Siedlung darauf, ihm die ideale Hausfrau und Mutter zu sein. Alles an ihrem Leben wirkt wie frisch einstudiert, das Einkaufen in der Neuerfindung Supermarkt ebenso wie die suburbane Selbstisolation von Verwandten und FreundInnen. So wenig geübt sind Betty und Don Draper in ihrem neuen Status: Eine Mittelklassefamilie zu sein. Mad Men erinnert die ZuseherInnen daran, wie relativ neu die breite Mittelschicht ist, die der Wohlfahrtsstaat in den Fünfzigern und Sechzigern schuf. Und wie schnell sie wieder vergehen kann.
Bestes Spiegelbild einer Gesellschaft sind jedoch nicht ihre Selbstportraits, sondern ihre Utopien. War das Leitbild der USA unter Clinton noch das liberale Utopia von Star Trek, hat die böse neue Welt der Post-Bush-Ära im Kampfstern Galactica ihren Orbit erreicht, der bittersten Vision einer menschlichen Zukunft. Eine heldenmütige Schar von Überlebenden eines Todesroboterangriffs flieht im titelgebenden Raumschiff von Stern zu Stern, um gelegentlich den Roboter-Bastarden zu zeigen, wer das rote Blut hat. Die ExilantInnengesellschaft der Galactica ist ganz selbstverständlich eine Militärdiktatur, auf der eine „zivile Präsidentin“ mühsam versucht, ein wenig Rest-Zivilisation zu erhalten. Dieses zukünftige, letzte Bild der US-Gesellschaft zeigt eine Form der kollektiven Reflexion: Selbst die Göttinnen und Götter der Demokratie sind fehlbar geworden.