Schnurrbärtige Hipster

  • 26.12.2012, 14:41

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Die schlacksige Figur in enge Röhrenjeans gezwängt und mit ihrer Nerdbrille über den Bildschirm des MacBooks blickend begegnet man ihnen in den lokalen Trendcafés – Hipster. Dass das Aussehen in dieser Szene eine gewisse Rolle spielt, wird dabei schnell klar. Styling und Mode stehen im Vordergrund einer neuen Subkultur, die eigentlich schon lange wieder Mainstream ist. Fragt man nach  dem, was Hipster ausmacht, ist die rasche Antwort, dass das Styling einfach einen „heruntergekommenen, altmodischen Touch“ habe, so die WU-Studentin Johanna. Sie selbst müsse sich an die „kreativen Schnurrbärte“ der Hipster-Männer, wie sie auch ihr Freund Louis trägt, aber „wohl erst noch gewöhnen“.

Blütezeit und ihr reflorieren. Der Begriff des Hipsters hat seinen eigentlichen  Ursprung in der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er galt als die schwarze subkulturelle Figur, die den Bebop der späten 1940er-Jahre repräsentierte. Sein begriffliches  Revival wird 1999 in Williamsburg, New York, angesetzt, als der Retro-Chic, der nichts mit dem ursprünglichen Hipster mehr am Hut  hatte, die Straßen Brooklyns besiedelte und von dort aus nach Europa überschwappte. Seither gilt das Hipstertum als Subkultur der frühen 2000er-Jahre, der aber niemand so richtig angehören will: „Ich sehe mich als Hipster und auch nicht; es ist paradox. Ein echter Hipster ist eben auch keiner – hasst sie im besten Fall sogar“, meint Student Louis, der wegen seiner facebook-Fotos mit Instagram-Effekt von seinen Freund_innen als Hipster abgetan wird. Eine Frage der Identifikation. Jugend und Subkulturen bieten  immer einen Zusammenhalt, eine Abgrenzung gegenüber den Nicht- Dazugehörigen durch die eigenen Codes. Die Sex Pistols packten den jugendlichen Nonkonformismus der 1970er-Jahre in ihre Liedtexte, begleitet von Punk, bevor er zur Retro- Mode-Erscheinung wurde.

Irokesen wurden zum Schönheitsideal und Vivienne Westwood gab der Szene einen unverwechselbaren Look. Rebellion und do it  yourself waren angesagt. Die Subkultur hatte eben nicht nur ein Identifikationsmerkmal, sondern zog sich durch die verschiedenen identitären und kulturellen Bereiche. Doch der Inhalt, die politische Forderung, das Dafür oder Dagegen scheint im Hipstertum zu  fehlen. „Es ist unpolitisch und wirkt wie die komplette Individualisierung. Nichts mehr gemeinsam, alles unconnected, jeder und  jede für sich selbst“, sagt Louis. So findet sich auch nicht der Musikstil Hipster in den Plattenläden dieser Welt, eine explizite Film-   und Kulturszene gibt es nicht. Hipstertum ist viel mehr eine Mode-Erscheinung, die sich anderer subkultureller Elemente bedient. „Der Hipster selbst schafft per definitionem keine echte Kunst. Würde er (oder sie) das tun, wäre er (oder sie) ab diesem  Moment kein Hipster mehr“, erklärt Mark Greif, Autor des Klassikers Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Und so bedienen sie sich stattdessen einer Definition des Äußeren. Um sich klar vom Mainstream abzugrenzen, dienen die Klamotten, die Mama schon einmal trug, als auffälliges Modemerkmal. Und Männer wie Frauen hüllen ihre androgynen Körper in weite Shirts, mit mehr oder weniger lustigen Sprüchen. Es soll so wirken, als ob „kein Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird, sondern man nur zufällig gut  aussieht“, beschreibt die 23jährige Johanna.

Ironie und Unsichtbarkeit. Wie jede andere Subkultur, definiert auch die überwiegend männliche Hipster-Szene ihre neuen Diskriminierungen und prägt auch ihren eigenen Sexismus. Dieser ist jedoch nicht der offene oder direkte, sondern er kommt im Deckmäntelchen der Ironie. Frauen werden objektiviert, in Rollenbilder gedrängt, in einer konstruierten Weiblichkeit überzeichnet – alles unter dem Stempel des „Humors“. So ist die Verwendung des Begriffs „Bitch“ in Shirt-Sprüchen und im Alltag wieder omnipräsent mit einem Augenzwinkern abgetan. Im New York Magazine brandete Alissa Quart den Begriff Hipster Sexism: „Hipster Sexism besteht in der Objektivierung der Frauen in einer Weise, die Spott, Anführungszeichen und Paradoxon verwendet: auf die Art, die man in der Literatur- Klasse gelernt hat.“ Allgemein spielen Frauen im Hipstertum eine Nebenrolle. Während ein klares Bild vom  Aussehen, den Bärten sowie den Interessen männlicher Hipster herrscht, sind Frauen oft nur das Motiv vor der Vintage-Kamera, die Muse des Kunststudenten oder das Accessoire zu Holzfällerhemd und Röhrenjeans. Mark Greif erklärt es als klares Merkmal der Werte und sozialen Befindungen des Hipstertums, dass es „bislang nicht gelungen ist, den weiblichen Hipster zu lokalisieren, obwohl Frauen in jeder Sphäre, die durch das Hipstertum berührtwurde, eine zentrale Rolle spielen. Hipster-Frauen kommen häufig nur dann vor, wenn man über die Dominanz der Männer in der Szene spricht.“

Was einen weiblichen Hipster ausmacht, ist unklar. Versucht man, sie zu finden, sucht man entweder vergeblich oder findet Künstlerinnen, die eben den Geschmack eines Hipsters repräsentieren. Dayna Tortorici erklärt die Ikonisierung von weiblichenHipster in Mark Greifs Bestseller als eine Degradierung ihrer eigentlichen Leistungen: „Es ist bezeichnend, dass die vermeintlichen Exemplare des ‚weiblichen Hipsters‘, sobald sie einmal vom Hipster- Geschmack akzeptiert und dafür gut befunden wurden, nicht mehr für ihre Kunst gepriesen, sondern zu Stilikonen umfunktioniert worden sind.“

Die Autorin Oona Kroisleitner  studiert Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Lesetipps:
Mark Greif: „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“, Suhrkamp Verlag

Alissa Quart: „The Age of Hipster Sexism“ in: New York Magazine

AutorInnen: Oona Allegra Kroisleitner