Rezensionen progress 02/20
Kulturschock in der Arbeitswelt – American Factory
Die Netflix-Doku American Factory beleuchtet die neue Fuyao-Fabrik in Ohio und erklärt dabei subtil den Aufstieg Trumps.
„Don’t upset them!“, meint Cao Tok Wong, Geschäftsführer von Fuyao, einer der wichtigsten Glashersteller der Automobilindustrie. Mit them sind jene knapp 2.000 Amerikaner_innen gemeint, die in der neu errichteten Produktionsstätte in Dayton, Ohio tätig sein werden.
Nach der Weltfinanzkrise 2008 wurde die Schließung des General Motors Werks in Dayton verkündet. Sechs Jahre später können viele Bewohner_innen der Region endlich wieder aufatmen und sich über eine fixe Anstellung bei Fuyao freuen. „I have struggled to get back to middle class again“, erzählt eine der neuen Angestellten.
Aller Anfang wohnt ein Zauber inne, doch der verschwindet in diesem Fall schnell wieder. Die Arbeiter_innen müssen bald feststellen, dass die Anstellung beim chinesischen Konzern wohl auch seine Schattenseiten birgt. Neben dem geringen Stundenlohn von 12 Dollar arbeiten sie unter widrigen Arbeitsbedingungen. Auch die Gründung eines Betriebsrates wird vom Vorstand untersagt. Als der demokratische Senator Sherrod Brown bei der Eröffnung der Fabrik sich in seiner Rede für die Gründung einer Gewerkschaft aussprach, erregte das die Gemüter der Manager. Später wird eine Firma angeheuert, um den Arbeiter_innen ins Bewusstsein zu reden und die vermeintlichen Nachteile einer Gewerkschaft zu verdeutlichen.
Für den Konzern wirft der US-amerikanische Standort zu wenig Umsatz ab. Der Grund: Die Produktivität sei zu niedrig. Aufgrund dessen werden die Produktionsleiter nach China geladen, um vom Mutterstandort zu lernen. Während die amerikanischen Besucher über die Leistung der chinesischen Kolleg_innen staunen, witzeln sie über die Arbeitsmoral der Amerikaner_innen: „The best tool we could use is duck tape. To put it over their mouth. They will perform better. “
Die Geschichte, die die Regisseure Steven Bognar und Julia Reichert erzählen, vermittelt vor allem für Europäer_innen ein Verständnis dafür, wie eine America-First-Politik in der arbeitenden Bevölkerung Anklang finden konnte.
Die von Barack und Michelle Obama produzierte Oscar-prämierte Netflix-Dokumentation kommt ohne Kommentare aus. In 110 Minuten veranschaulicht sie eindrücklich die Auswirkungen internationaler Unternehmen auf die Arbeitsbedingungen in Ländern ohne starker Sozialpartnerschaft.
Felix Strasser, 20, Kommunikationswirtschaft, FH Wien der WKW.
Die endlose Geschichte des Antisemitismus
Die heutige Zeit ist rechtspopulistisch geprägt, so viel steht fest. Da richten sich Abwertungen vor allem an geflüchtete und muslimische Menschen, machen aber auch vor anderen Gruppen keinen Halt. Dass auch jüdische Personen 75 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus noch Diskriminierung erfahren, wird dabei oft vergessen.
Delphine Horvilleur ist französische Rabbinerin. Sie leitet die Liberale Jüdische Bewegung, schreibt in Zeitungen und Büchern und beleuchtet Judentum und Feminität. Genau das ist auch Thema ihres neuesten Werks Überlegungen zur Frage des Antisemitismus. Was dabei herauskommt, ist ein Buch voll Poesie und Humor, das gleichzeitig den Ernst der Sache betont. Die Autorin spannt einen Bogen von historischen Befunden hin zur Gegenwart und lässt in dieser vergleichenden Perspektive auch neueste soziale Bewegungen nicht außer Acht. Während der geschichtliche Werdegang des Antisemitismus dargelegt wird, werden kontinuierlich Einblicke in die Schriften der Thora und das jüdische Selbstverständnis gegeben. Der Weg führt durch Themen wie Eifersucht und Identitätsfragen bis hin zu Misogynie und ihrer Bedeutung in der Wahrnehmung des Judentums. Während dabei vor allem rechte Einstellungen adressiert werden, macht das Buch letztendlich auch nicht davor Halt, linke Abwertungen zu thematisieren. Horvilleur begleitet ihre Leser_innen durch philosophische Gedankengänge und unterstreicht die Ernsthaftigkeit ihrer Überlegungen in literarischen Verweisen, die von Namen wie Sartre über Adorno bis hin zu Derrida reichen. Dass das Buch dennoch mit einer spritzigen Art überzeugt, ist nicht zuletzt auf die zynische Art der Autorin zurückzuführen, die auch nicht davor zurückweicht, Aspekte des Judentums selbst kritisch zu hinterfragen.
Delphine Horvilleur schafft es, die vielseitigen Nuancen des Antisemitismus zu vereinen und macht damit die Notwendigkeit für alle, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ein weiteres Mal deutlich. Über 140 Seiten lädt sie zu einem kurzen Ausflug in ihre religiöse Weltanschauung, die zweifellos horizonterweiternde Eindrücke zurücklässt. Denn wie oft liest man schon ein Buch einer Rabbinern selbst?
Jana Steininger studiert Soziologie an der Uni Wien.
Der steinige Weg nach oben
Kein Wunder, dass ‚Parasite‘ bei jedem erdenklichen Filmfestival Preise abgeräumt hat. Egal ob in
Cannes oder bei den Oscars, dieser Film begeisterte Jurys und Zuseher_innen maßlos und ergatterte
unzählige Preise in den wichtigsten Kategorien. So viele Preise für einen nicht-englischsprachigen
Film gab es zuvor noch nie. Die Academy Awards wurden jahrelang für ihre Selektivität und
Einseitigkeit kritisiert, so werden traditionsgemäß hauptsächlich weiße Männer nominiert. Die
Tatsache, dass ein koreanischer Film so viele Preise gewann, sorgte für viel Aufmerksamkeit und gilt
als bahnbrechend.
Der Film handelt von der Familie Kim. Sie stecken finanziell in Schwierigkeiten und können sich kaum
über Wasser halten. Die Kims versuchen mit Nebenjobs, wie dem Falten von Pizzakartons, über die
Runden zu kommen. Doch das reicht weder für eine anständige Wohnung noch für das Studium der
Kinder.
Die Situation ändert sich, als sich Sohn Ki-woo bei der wohlhabenden Familie Park als Nachhilfelehrer
für ihre Tochter bewirbt. Dank gefälschter Papiere wird der vermeintliche Uniabsolvent eingestellt
und es ergibt sich nach und nach, dass der Rest der Kims ebenfalls bei den Parks angestellt wird. Die
Familie Park ist das komplette Gegenteil der Familie Kim. Sie leben sehr privilegiert auf einem Hügel
in einer luxuriösen Gegend in Seoul und finanzielle Probleme sind ihnen fremd.
Die zwei Familien und ihre jeweiligen Wohnsituationen verdeutlichen die sozialen Unterschiede
innerhalb des Landes. Diese Unterschiede sind das, was unsere Gesellschaft ausmacht. Alle
versuchen in diesem System ihre Rolle zu finden. Um sozial und finanziell aufzusteigen, ist ihnen
jedes Mittel recht. Die Familie Kim scheint auf den ersten Blick hinterlistig, ihre Motive und Ziele
werden mit der Zeit jedoch nachvollziehbar: Sie erhoffen sich schlicht eine bessere Zukunft.
Regisseur Bong Joon-ho hat ihren Weg dorthin fesselnd in Szene gesetzt. Die Naivität der
ausgenutzten Parks kann nur mit ihrem Wohlstand erklärt werden, sie leben in ihrer bequemen
Blase. Bong Joon-ho stellt das gut zur Schau, als die Kellerwohnung der Kims von starkem Regen
überflutet wird. Die Parks genießen währenddessen einen gemütlichen Abend in ihrem Haus auf dem
Hügel, sie merken nichts von dem Leid auf der anderen Seite. Der Regisseur macht sie aber nicht für
ihre Unwissenheit verantwortlich. Die Figuren stehen nicht nur für den Kampf zwischen den Klassen,
sie illustrieren, wie er sich in unserer täglichen Realität abspielt.
Amina Sakic studiert Koreanologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften.