Reservate für Eliten
Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.
Der Sparstift, der an Spaniens Universitäten angesetzt wird, zwingt Hunderttausende zum Studienabbruch. Während Stipendien von der konservativen Regierung massiv beschnitten werden, stecken die Hochschulen selbst in der Krise.
Mit Semesterbeginn flammt der Protest der Studierenden gegen die aktuelle Bildungspolitik der konservativen spanischen Regierung wieder auf. Spätestens Anfang November soll das Gesetzespaket zur „Verbesserung der Qualität der Ausbildung“ in Spanien in Kraft treten. Mit einem landesweiten Streik werden Schulen und Universitäten am 24. Oktober dagegen Widerstand leisten. „Meine KommilitonInnen haben es sehr schwer. Kein Wunder, dass sie wie auch beim Generalstreik im Herbst 2012 die Möglichkeit zum Protest nutzen. Dabei geht es ihnen nicht ums Blaumachen, wie es rechte PolitikerInnen gerne sehen“, weiß Julia Portnova (23), ukrainischdeutsche Politikwissenschaftsstudentin, die über Erasmus ein Jahr in Granada verbracht hat.
Knapp 360.000 Anspruchsberechtigte werden zukünftig wegen ihres Notenschnitts keine oder deutlich weniger finanzielle Unterstützung erhalten. Denn das Bildungsministerium unter José Ignacio Wert von der rechtskonservativen Volkspartei hat die Voraussetzungen für den Bezug von Stipendien drastisch verschärft. Hunderttausende sind folglich zum Abbruch ihres Studiums gezwungen. Hinzu kommt, dass auch Förderungen für die Mobilität von Studierenden wegfallen. Wer einen Studienort fern des Elternhauses hat, hat nicht mehr unbedingt Anspruch auf Förderungen, weil nicht länger der Wohnsitz der Eltern, sondern jener des nächsten Verwandten zur Berechnung herangezogen wird. Mittlerweile wurde vor dem Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen die Stipendienkürzungen eingebracht.
MASSIVE KÜRZUNGEN. „Ich konnte mit 3.000 Euro jährlich an Unterstützung rechnen“, sagt Juan Castillo Argudo (35). Castillo hat in Madrid und Granada bereits erfolgreich zwei Studien – Lehramt Pädagogik und Psychopädagogik – absolviert und macht derzeit einen Master in Sevilla . Jedoch erfuhr er kürzlich, dass er von nun an weniger als 1.500 Euro bekommen wird: „Nicht einmal mit 3.000 Euro jährlich kann man überleben. Mit der Hälfte ist das unmöglich.“ Er werde mehr arbeiten müssen und sich kaum dem Studium widmen können, sofern sich ein Job findet. „Die Universität wird wieder ein Reservat der Eliten, die Geld haben“, prophezeit Castillo.
Auch um die Förderung der internationalen Mobilität steht es nicht gut in Spanien: Castillo hat im Zuge seiner bisherigen Studien über Erasmus auch ein Jahr in Lissabon verbracht. Dabei hat man ihn und viele andere um einen Teil ihrer Erasmusförderungen geprellt. Staat und EU zahlen einen Teil, außerdem stockt die andalusische Regionalregierung mit maximal 350 Euro monatlich auf 900 Euro auf. Eine Summe, die Castillo niemals gänzlich erhalten hat, wenngleich schriftlich vereinbart worden war, dass das Geld spätestens bei der Rückkehr ausbezahlt werde. KollegInnen nahmen Bankkredite oder Darlehen bei Verwandten auf, die sie nicht retournieren können. „Über 2.100 Euro sind sie mir schuldig geblieben“, sagt Castillo. Einige StudentInnen haben gegen die Einsparungen geklagt, doch bis es zu einem Urteil kommt, werden mindestens fünf Jahre vergehen.
Mit all dem nicht genug: Studiengebühren rangieren in Spanien zwischen 2.000 Euro und 18.000 Euro pro Jahr – Summen, die durch hinzukommende Prüfungstaxen noch um 15 bis 25 Prozent, in einzelnen Fällen sogar um 50 Prozent, erhöht werden. Zusätzlich zu den Studiengebühren kostet das Absolvieren von 60 ECTS-Credits, laut Bildungsministerium, im Schnitt 1.070 Euro. Außerdem krempelt Spanien derzeit auch die Regelungen des Hochschulzugangs radikal um. Einzelne Studiengänge können nun selbst ihre Studierenden auswählen, während vormals das Abschneiden bei der „Selectividad“ – der spanischen Version der Matura – ausschlaggebend war.
NACHHALTIGE KRISE. Mit Spaniens aktuellem Kurs in Sachen Bildungspolitik legt die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy den Grundstein für die Permanenz der Krise. Derzeit sind weit mehr als zwei Millionen junge SpanierInnen weder in Ausbildung, noch haben sie eine Arbeit. Ein Wert, der laut OECD in den Krisenjahren um 69 Prozent angestiegen ist. Die Jugendarbeitslosigkeit (bei 18–25 Jährigen) rangiert bei rund 60 Prozent. Wer kann, sucht sein Glück im Ausland.
Aber auch Prostitution scheint für Studierende vermehrt ein Mittel zum Zweck der Studienfinanzierung zu sein, wie der in Barcelona beheimatete Verein der SexarbeiterInnen Aprosex betont. Seit Krisenbeginn würden rund 300.000 Menschen mehr als zuvor mittels sexueller Dienste ihr Leben finanzieren, betont Concha Borrell, Sprecherin der NGO. Ärzte ohne Grenzen sprach für 2012 von lediglich 2.100 neuen SexarbeiterInnen in Spanien. Davon wären 18 Prozent Studierende. Bei Aprosex geht man von mehr als 100.000 Studierenden seit Krisenbeginn aus.
Was abseits der Kürzungen von Stipendien an Spaniens kaputt gesparten Universitäten in Sachen Forschung und Lehre geschieht, sorgt derzeit auch für Spott und Häme aus dem Ausland. So sprach die Süddeutsche Zeitung zu Recht von „akademischem Inzest, Filz, Nepotismus und Vetternwirtschaft“ und „Plagiieren mit Auszeichnung“. Weite Wellen schlug die Causa um den Plagiatsvorwurf gegen den Präsidenten des spanischen Olympischen Komitees Alejandro Blancos betreffend seiner Doktorarbeit. Eine in weiten Teilen identische Arbeit wurde an der Universität von Alicante eingereicht – ebenfalls betreut von Blancos Doktormutter, die mittlerweile für ihn arbeitet. Die Uni reagierte auf Kritik mit dem Kommentar, es „sei keine Arbeit eingereicht worden“, es handle sich lediglich um „Vorstudien“.
KÜNDIGUNG NACH PROTEST. Der Pädagoge José Penalva hat in seinem Buch „Korruption an Spaniens Universitäten“ die Kritik an abgekarteten Auswahlverfahren, Postenschachern und der damit unmittelbar verknüpften Vergabe von Stipendien und Fördermitteln gebündelt. Weil er Missstände aufzeigt, wird er nun von KollegInnen massiv gemobbt. In einem anderen Fall wurden fünf WissenschaftlerInnen, die zum ForscherInnenstab der Universität von La Rioja gehörten und dort über Alzheimer forschten, nach ihrer Teilnahme an Protesten gegen Einsparungen gekündigt. So wird ein Klima geschaffen, in dem viele lieber schweigen, um nicht den Kündigungswellen an öffentlichen Universitäten zum Opfer zu fallen.
Jan Marot ist freischaffender Journalist in Granada.