Rassismus im Bildungssystem

  • 12.03.2022, 15:02

„Heute lernen wir etwas über Afrika!“ Räuspern, husten, unangenehme Stille. „Weiß jemand etwas darüber?“ Alle Augen fallen auf mich. Naja, ich könnte schon von meinem nigerianischen Lieblingsessen erzählen oder davon, wie lustig ich Nollywood-Filme finde. Aber so, wie meine Mitschüler*innen mich ansehen, erwarten sie keine positiven Erzählungen darüber.

Wie Rassismus in Schulbüchern zu schlechteren Bildungschancen für BIPOCs führt. Die Lehrerin fährt fort und wir hören uns eine Stunde an, wie arm und dreckig Afrika ist – natürlich wird hier auch angenommen, dass Afrika ein Land ist, ein Einheitsbrei mit nur einer Sprache, einer Kultur und einer Lebensrealität.

Ich und alle meine Mitschüler*innen werden also schon im jungen Alter mit diesen falschen, vorurteilsbehafteten und rassistischen Narrativen gefüttert. Klar, dass dann niemand an moderne und belebte Städte wenn man sich „Afrika“ vorstellt.

Ich sage immer, wenn wir schon in der Schule oder im Kindergarten ansetzen und dort lernen würden, was es bedeutet, anti-rassistisch zu sein, hätten wir dieses Problem später im Leben nicht mehr. Die meisten Menschen in Österreich gehen zu einem Zeitpunkt ihres Lebens in die Schule, was dort gelehrt und gelernt wird, setzt sich in unseren Köpfen fest. Wir wachsen alle in einem rassistischen System auf, das die Welt aus einem eurozentrischen Blickwinkel betrachtet und andere Teile oder Menschen der Welt nicht nur ausschließt, sondern aktiv als minderwertig und folglich schlechter darstellt. BIPOCs weltweit leiden natürlich an diesem Missbrauch von Macht; in österreichischen Schulen äußert sich das dann leider nicht nur als unangenehme Stille im Klassenraum, wenn wir über Afrika sprechen, sondern auch in beleidigenden Kommentaren, rassistischen Übergriffen und schlechterer Benotung. Aus einer Studie der Universität Mannheim geht hervor, dass Lehrpersonen dasselbe Diktat schlechter benoten, wenn Murat statt Max auf dem Zettel steht. Real bedeutet das, dass Murat folglich schlechtere Chancen hat, den gleichen Bildungsweg einzuschlagen wie Max.

An der Hochschule wird alles besser, oder? Wir sind nun in der Uni angelangt. Schauen wir uns einmal an, wer noch dabei ist. Und wie viele Maxis und Murats haben es geschafft?

Studierende mit Migrationsbiografie haben oft höhere Bildungsziele als ihre Mitstudierenden und absolvieren das deutsche Schulsystem erfolgreich, trotzdem haben sie ein höheres Risiko, ihr Studium abzubrechen, als ihre Kolleg*innen. Wir greifen hier auf eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration zurück. In Österreich sind solche Statistiken viel schwieriger aufzufinden, weil sie teilweise auch nicht erhoben werden, aber das ist ein anderes Thema. Das Problem der vermeintlich unsichtbaren Hürde für Studierende mit Migrationsbiografie können wir schon früh im Studium erkennen. Zum Ende des dritten und fünften Semesters haben Bachelorstudierende mit Migrationsbiografie deutlich weniger Kurse absolviert als ihre Mitstudierenden ohne Migrationsbiografie. Außerdem erzielen sie durchschnittlich schlechtere Prüfungsergebnisse, das zeigt sich in Untersuchungen aus den Disziplinen Jura, Medizin und Wirtschaftswissenschaften.

Schauen wir nach Österreich: Die Universität Wien schmückt sich mit dem Motto Wirkt. Seit 1365. Aber wogegen oder in welcher Hinsicht? Für eine anti-rassistische Hochschule? Gegen Bildungsungleichheiten und für einen sicheren akademischen Raum für alle, die ihn besuchen wollen?

pDu kannst durch dein Studium gehen und nur Texte und Literatur von weißen cis Männern über 55 gelesen haben. Die Fragen, die sich mir daraufhin stellen, sind womit ich mich genau beschäftigt habe, welches Wissen ich mir angeeignet habe, welche Ideen und Theorien ich auswendig gelernt habe und vor allem welche nicht. Wer wurde ausgelassen, welche Perspektive wurde nicht mitgedacht und wie legitimiert ist mein Wissen in meiner Disziplin, wenn es auf Primärtexten von nur einer Gruppe Menschen basiert? Genau genommen von der Gruppe von Menschen, die auch alles andere beherrschen in dieser post-kolonialen, patriarchalen Welt.

„Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die [N*Wort] sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.“ (Immanuel Kant: Physische Geographie, Bd. II, Königsberg 1802, S. 315.)

Bald feiert der Autor dieses Zitats seinen 300. Geburtstag. Schon jetzt sind diverse Kulturinstitutionen mit der Vorbereitung dieses Events beschäftigt. Immanuel Kant wird so sehr gefeiert, dass nicht mal die TU-Wien-Party Anfang Oktober 2021 mithalten könnte. Trotz rassistischer Denkkonzepte, die dem obigen Zitat zu Grunde liegen, gilt Kant auch in einer #blacklivesmatter-Welt als Held.

Akademie und Hochschulbildung hat den Anspruch, zu hinterfragen und sich zu wandeln, zu verändern. Für mein akademisches Verständnis bedeutet das also: Wenn wir über Marxismus, Feminismus, Postkolonialismus oder Kulturwisssenschaften sprechen, dann geht das auch mit Ngugi Wa’Thiongo, Chimamanda Ngozi Adichie, Simon Gikandi und Joyce Nyairo & James Ogude und nicht nur mit Friedrichs, Julias, Herberts oder Immanuel Kants.

Einen anti-rassistischen Stein ins Rollen bringen Wie können wir also einen Gegenpol zu den verfestigten Strukturen schaffen, in denen unsere Hochschulen stecken? Im Sommersemester 2021 habe ich mich via Instagram das erste Mal öffentlich über das Thema Hochschule und Rassismus geäußert. Nicht nur der Lehrende, der in seinen Lehrveranstaltungen das N-Wort verwendet, hat mich dazu gebracht, sondern auch die fehlende Solidarität meiner Mitstudierenden, als ich ihn bat, dies zu unterlassen. Woran ich jedoch wirklich gemerkt hatte, dass es Zeit war, dieses Thema zu beleuchten, waren die Reaktionen auf meine Kritik:

„Mir ist jetzt erst aufgefallen, dass das in meinem Studiengang auch voll das Problem ist.“ Jemand anderes schrieb mir: „Du hast Recht, aber wenn ein Prof halt diese Sprache verwendet, dann wird das schon okay sein, dachte ich...bis jetzt“, weitere Personen meinten, „Ich werde in Zukunft mehr darauf achten!“.

Natürlich freut es mich, wenn meine Inhalte Menschen erreichen und berühren, aber dass das N-Wort nicht mehr ausgesprochen verwendet werden sollte, ist uns allen eigentlich schon seit Jahren klar, oder?

Am Uni-Institut hat meine Kritik auf jeden Fall einen anti-rassistischen Stein ins Rollen gebracht. Daraufhin hat sich nämlich die Arbeitsgruppe gegen Rassismus gebildet, die versucht, innerhalb der Afrikawissenschaften anti-rassistischer zu wirken. Eine Art der Bestrebung, die sich andere Institute und Hochschulen als Ganzes gerne abschauen können und sollten – Mitwirkende sollen dabei natürlich vor allem BIPOCs sein. Vor allem im akademischen Raum müssen sich BIPOCs sehr viel mehr anstrengen, um die gleichen Wertschätzung zu erleben wie weiße Studierende, obwohl ihnen zusätzliche Steine in den Weg gelegt werden, wie wir bei Murat gesehen haben. Umso wichtiger ist eine Vernetzung unter Studierenden und BIPOCs an Hochschulen im Allgemeinen. Eine zweite Maßnahme, die sinnvoll ist, um Räume zu öffnen und über Themen zu sprechen, die sonst keinen Platz finden. Um sich gegenseitig zu empowern und Ideen auszutauschen. Um zu begreifen, wie viele andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen es noch gibt und wie man sich vernetzen kann.

Damit die genannten Maßnahmen zur Gewohnheit und fehlende Solidarität zur Vergangenheit werden, braucht es uns alle. Es braucht strukturelle Veränderungen an den Hochschulen von der Basis bis zur Spitze. Denn es braucht Mut, um zu sagen, dass wir rassistische Hochschulen haben, und noch mehr Mut, um dagegen anzukämpfen.

Literatur:

Ungleiche Bildungschancen Fakten zur Benachteiligung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem, unter: https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/ 2020/12/Kurz_und_Buendig_Bildung.pdf

Roig, Emilia (2021): Why We Matter. Unter: //bit. ly/3r2oBs8

Arbeitsgruppe gegen Rassismus des Instituts der Afrikawissenschaften an der Universität Wien: https://afrika.univie.ac.at/ueber-uns/ag-gegenrassismus/

Universität Mannheim (2018): Max versus Murat: schlechtere Noten im Diktat für Grundschulkinder mit türkischem Hintergrund, unter: https://www. uni-mannheim.de/newsroom/presse/pressemitteilungen/ 2018/juli/max-versus-murat-schlechterenoten- im-diktat-fuer-grundschulkinder-mit-tuerkischem- hintergrund/

AutorInnen: Noomi Anyanwu