Null-Euro-Jobs als Zukunft der Arbeit
Wie Arbeitskraft verstaatlicht wird.
Unter dem Hartz-IV-System in Deutschland vollzog sich eine grundlegende Transformation des Verhältnisses der Arbeitslosen zum Staat. Der Zwang, am sektionierten Arbeitsmarkt der sogenannten Ein-Euro-Jobs teilzunehmen, kommt einer Verstaatlichung der Arbeitskraft gleich. In Österreich drohen nun ähnliche Entwicklungen. In jener Phase des Kapitalismus, die Karl Marx beobachten und analysieren konnte, als er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das „Kapital“ schrieb, war das Verhältnis der LohnarbeiterInnen zu ihrem jeweiligen Staat klar: Sie waren doppelt frei in jenem Sinne, dass es ihnen zum einen als Rechtssubjekten ermöglicht war, frei von unmittelbarem Zwang ihrer ökonomischen Betätigung nachzugehen; zum anderen waren sie jedoch auch frei von eigenen Produktionsmitteln, weshalb der „stumme Zwang der Verhältnisse“ (Marx) ihnen keine andere Möglichkeit bot, als durch Verkauf ihrer Arbeitskraft am Markt ihren Unterhalt zu besorgen. Die Lohnabhängigen waren in dieser Phase weitgehend auf Gedeih und Verderb dem Marktgeschehen ausgeliefert; konnten sie ihre Arbeitskraft zeitweilig nicht verkaufen, zählten sie zur „industriellen Reservearmee“ und warteten – unterstützt durch Almosen oder später durch staatliche Sozialhilfe – darauf, wieder zum Zug zu kommen.
VERSTAATLICHUNG DER ARBEITSKRAFT. Heute hat man sich in den meisten westlichen Ländern mit einer Sockelarbeitslosigkeit abgefunden, das heißt mit einem Anteil an Arbeitslosen in der Bevölkerung, die selbst bei vollständiger Auslastung der Produktionskapazitäten in der Wirtschaft ihre Arbeitskraft nicht verkaufen könnten. In Deutschland führte diese Akzeptanz der Sockelarbeitslosigkeit zu jenen Maßnahmen, die unter dem Namen Hartz IV bekannt sind: Dazu zählen einschneidende Kürzungsmaßnahmen bei Nicht-Einhaltung der vielen Regeln, die EmpfängerInnen der Sozialhilfe einzuhalten haben (Residenzpflicht, Arbeitssuche, regelmäßige Termine im Job-Center etc.). Berühmt-berüchtigt wurden etwa die im Rahmen von Hartz IV eingeführten Ein-Euro-Jobs. Dabei handelt es sich um von Staats wegen generierte Arbeitsplätze, meist in „gemeinnützigen“ Arbeitsbereichen, die bei vollem Gehalt ökonomisch nicht rentabel wären. Der Staat nimmt nun die Rolle ein, die ökonomisch nicht verwertbare Arbeitskraft der Langzeitarbeitslosen mit der nicht vollwertig bezahlbaren Arbeitsstelle zusammenzuführen. Mit anderen Worten: Wer Hartz IV bezieht, weil er/sie niemanden findet, der auch nur den Mindestlohn für die eigene ungebrauchte Arbeitskraft bezahlt, wird vom Staat gezwungen, sie eben unter ihrem Wert zu verkaufen – wer bei den Ein-Euro-Jobs nicht mitmacht, bekommt schlicht und einfach keine Sozialhilfe mehr. Die „doppelt freien“ ArbeiterInnen werden heute also zunehmend doppelt unterdrückt: Nicht mehr nur der „stumme“ Zwang dieser Gesellschaft rückt ihnen an den Leib, sondern zunehmend auch der Staat.
ÖSTERREICH GOES HARTZ IV. Ähnliche Entwicklungen bahnen sich schon länger in Österreich an. Die hier unter dem Namen „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ bekannte Sozialhilfe war zwar von 2010 bis Jahresanfang 2017 bundesweit gesetzlich garantiert, jedoch in föderalistischer Manier von den neun Bundesländern ausgezahlt; die Höhe und die mit ihr einhergehenden Auflagen und Zwänge konnten also seit jeher höchst unterschiedlich ausfallen. Seit es ab dem 1.1.2017 gar keine bundesweiten Bestimmungen mehr gibt, gilt etwa in Niederösterreich die neue Regelung, wonach BezieherInnen der Mindestsicherung zu befristeten und „zumutbaren“ gemeinnützigen Tätigkeiten gezwungen werden können. Durch die Medien ging etwa erst Ende Februar ein Fall, bei dem die niederösterreichische Stadtgemeinde Horn eine 84jährige Pensionistin zur Arbeit zwingen wollte. Der Aufschrei, der dann folgte, galt lediglich dem Umstand, dass hier eine Pensionistin bzw. in anderen Fällen chronisch kranke Menschen zur gemeinnützigen Arbeit aufgefordert wurden – gegen die Verstaatlichung der Arbeitskraft, die sich hier ankündigt, wurde aber kein Einspruch erhoben.
SOBOTKA UND KURZ. Angesichts des Auslaufens der alten bundesweiten Regelung mit Anfang 2017 entspann sich eine mehrere Monate anhaltende Diskussion um ein neues Gesetz. Im Zuge dieser Debatte wurde klar, wohin die Reise zumindest für die ÖVP gehen soll. So stieß etwa Innenminister Sobotka mit dem Vorschlag vor, ebenfalls Ein-Euro- Jobs für BezieherInnen der Mindestsicherung, und damit eine Angleichung an das deutsche Modell einzuführen. Da bis heute keine einheitliche Regelung im Bund erzielt werden konnte, steht es den Bundesländern aber ohnehin frei, Sobotkas Vorschläge zu erwägen. Ob die restlichen Bundesländer es Niederösterreich in Zukunft gleichtun wollen, oder sich mit Kürzung und Deckelung, wie etwa im Burgenland, begnügen, bleibt offen und hängt von den jeweiligen politischen Entwicklungen ab. Dem neuen sogenannten Integrationspaket der Regierung nach zu urteilen, eilt man Sobotkas Vorschlägen aber auch bundesweit hinterher, vermochte es doch Sebastian Kurz für die ÖVP durchzusetzen, dass künftig Asylberechtigte, die Mindestsicherung beziehen, auch gemeinnützige Arbeit leisten müssen – oder Null-Euro-Jobs, wie Kurz die Zwangsarbeit euphemistisch betitelte. Obwohl es in Teilen der SPÖ noch erheblichen Widerstand dagegen gibt, den Arbeitszwang von Staats wegen auch für die autochthone Bevölkerung einzuführen, ist es nicht zu leugnen, dass nun auch in Österreich in puncto Zwangsarbeit ganz deutlich ein Damm gebrochen ist.
Lucilio Zwerk studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.