No kids on the block
2014 feiert das Internationale Jahr der Familie sein 20. Jubiläum. Statt ein weiteres Loblied auf die Mutter-Vater-Kind-Familie zu singen, hat progress das zum Anlass genommen, Menschen, die keine Kinder wollen, ins Zentrum zu rücken.
2014 feiert das Internationale Jahr der Familie sein 20. Jubiläum. Statt ein weiteres Loblied auf die ‚Mutter-Vater-Kind’-Familie zu singen, hat progress das zum Anlass genommen, Menschen, die keine Kinder wollen, ins Zentrum zu rücken.
Warum keine Kinder bekommen? „Kinder sind doof. Ist das nicht Grund genug?“, fragt @Mr.Bubbles auf Twitter. Und stellt sich damit gegen eine allgemein verbreitete Selbstverständlichkeit: die des Kinderkriegens. Es gibt auch andere Lebensentwürfe als jenen des heterosexuellen Ehepaars mit zwei Kindern.
Momentan ist der Kinderwunsch in Österreich die Norm. Laut Tomáš Sobotka, Leiter der Forschungsgruppe für vergleichende europäische Demographie am Vienna Institute of Demography, wollen nur 4-5 Prozent der 20- bis 29-Jährigen keine Kinder bekommen. Am Beliebtesten bleibt das klassische Konzept der Kernfamilie bestehend aus zwei Elternteilen und zwei Kindern. Weniger gebildete Frauen sowie bestimmte Migrant_innengruppen (v. a. aus der Türkei, dem Kosovo und Albanien) haben die meisten Kinder. Entgegen der gängigen Klischees sind die Unterschiede zu anderen Österreicher_innen jedoch nicht dramatisch: Diese Bevölkerungsgruppen haben im Durchschnitt ungefähr zwei Kinder, während die Norm etwas unter zwei Kindern liegt. Auch stirbt Österreich nicht aus. Denn die Anzahl der Geburten in Österreich steigt – laut Sobotka werden in Österreich bis Ende 2014 mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Menschen geboren als gestorben sein.
Kinderlos? Klar! Trotzdem gibt es Menschen, die sich am Kinderkriegen nicht beteiligen können – oder wollen. 27 Prozent der 44-jährigen Frauen in Wien haben keine Kinder. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die betroffenen Personen. Laut Tomáš Sobotka sind die veränderten Möglichkeiten zum Aufschub einer Schwangerschaft eine wichtige Ursache. Zum Beispiel ist durch die „Pille danach“ ein hohes Maß an Kontrolle über Schwangerschaften gewährleistet. Vor allem trifft das auf Frauen mit höherer Bildung zu, denen eine Karriere wichtig ist. Dass sich der Wunsch, Karriere zu machen, häufig nicht mit dem Großziehen von Kindern vereinen lässt, ist laut Sobotka ein wichtiger Grund, keine Kinder zu bekommen. Auch Sonja, die anonym bleiben möchte, passen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht: „Ich bin ambitioniert“, erklärt die Studentin: „Ich will später auch Bestätigung aus meinem Beruf ziehen. Da ist kein Platz für ein Kind neben einer Vollzeitbelastung im Beruf.“ Ein weiterer Grund ist, dass Frauen die Opfer, die das Aufziehen von Kindern erfordert, nicht bringen wollen. So auch Sonja: „Ich müsste auf meine Karriere verzichten und wäre auf meinen Partner angewiesen.“ Geringe Karrierechancen, der Verzicht auf Vollzeitbeschäftigung und die Aussicht auf Altersarmut sind keine attraktiven Zukunftsvisionen für ein Frauenleben.
2013 gingen in Österreich 80 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter sechs Jahren einer Teilzeitbeschäftigung nach. Ökonomisch düster sieht es besonders für Hausfrauen aus. Denn um Mindestpension beziehen zu können, müssen Frauen 15 Jahre versichert gewesen sein. Zwar ist es möglich, sich pro Kind maximal vier Beitragsjahre anrechnen zu lassen. Bei mehreren Kindern erhöht sich die monatliche Bemessungsgrundlage von 1649,84 € jedoch nicht. Auch werden nicht mehr Jahre angerechnet, wenn die Geburten der Kinder nicht mindestens vier Jahre auseinander liegen. Fehlende Beitragsjahre können nur über eine Erwerbstätigkeit anerkannt werden. Das bedeutet, dass heutige Hausfrauen ohne eigenes Einkommen in 40 Jahren finanziell genauso abhängig von ihren Partner_innen sein werden wie die Generation ihrer Großmütter und Mütter, falls diese Hausfrauen waren. Für Lisas Mutter war das während ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin beispielsweise keine Option. Sie begann nach dem Mutterschutz wieder Vollzeit im Krankenhaus zu arbeiten. Lisa wurde währenddessen von einer Tagesmutter betreut. Lisa ist 24, studiert Anglistik und Germanistik in Salzburg und möchte selbst keine Kinder bekommen. Jedoch nicht aufgrund der finanziellen und sozialen Rahmenbedingungen, sondern weil sie nicht das Bedürfnis danach hat. „Ich hatte nie den Traum, einen Mann zu finden, zu heiraten und Kinder zu bekommen.“
Österreich verlangt Kinder. Der Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen, wird oft mit gesellschaftlichem Druck begegnet. Zum Beispiel indem der österreichische Staat die Familie als das höchste Gut definiert. So steht in der Informationsbroschüre „Der Familien-Kompass“ des Bundesministeriums für Familie und Jugend auf der ersten Seite: „Für das Wichtigste im Leben – unsere Familien“. Aber Ein-Kind-Familien reichen der Familienministerin Sophie Karmasin nicht: „‚Mehr Kinder in den Familien – mehr Familien in der Gesellschaft’ – unter diesen Titel haben wir unsere Familienpolitik gestellt.“ Im Allgemeinen wird diese Politik auf der Homepage des Ministeriums für Familie und Jugend folgendermaßen gerechtfertigt: „‚Familie und Kinder‘ bzw. ‚Partnerschaft‘ stehen nach wie vor an erster Stelle der als besonders wichtig erachteten Lebensbereiche der Österreicherinnen und Österreicher. Die Familie ist und bleibt zentraler gesellschaftlicher Werte- und Leistungsträger.“ Sind und waren das Österreicher_innen ohne Kinder nicht?
Der Vorwurf an und die Herabsetzung von Kinderlosen passiert alltäglich aber auch viel indirekter. Kinderlos zu bleiben braucht Ausdauer und Selbstbewusstsein. Die 25-jährige Sonja berichtet von ihren Verwandten in der Steiermark: „Immer wieder rufen mich Verwandte an und erzählen, sie hätten Kindergewand für mich gewaschen und den Kinderwagen für mich aufbewahrt. Noch ist es spielerischer Druck, aber wenn ich mal über 30 bin, wird es wahrscheinlich mühsamer.“ Ihre steirischen Freund_innen akzeptieren ihr Studium als Ausrede dafür, dass sie keine Kinder haben möchte. „Wenn dieses Argument nicht mehr gilt, wird es schwieriger werden.“ Auch der in Wien aufgewachsene Raphael, 19, sagt: „Meine Familie meint immer, ich würde schon sehen. Wenn ich älter werde, würde ich meine Meinung ändern.“
„Wir sind keine Kinderhasser_innen.“ Im Gegensatz zu Männern werden Frauen, die keine Kinder haben wollen, häufig negativ dargestellt. Bilder wie das der kinderhassenden Karrierefrau herrschen vor. Für die Berlinerin Sarah Diehl ist das ein Missstand, der auch Grund für ihr aktuelles Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ war. „Es fällt Frauen schwer, sich mit Kinderlosen zu identifizieren und sich selbst nicht negativ zu beschreiben.“, so Diehl im Interview. „Aber warum sollten sie denn in ihrer Lebensplanung an etwas anderes denken als an sich? Oft wird das bei Frauen mehr in Frage gestellt als bei Männern.“ Diehl will mit ihrem Buch nicht nur eine Analyse bieten, sondern den Frauen Handwerkszeug geben, um Kinderlosigkeit für sich positiv beschreiben und ein positives Selbstbild entdecken zu können.
„Wenn du als kinderlose Frau von der Gesellschaft als Mangelwesen beschrieben wirst und du dich selbst so wahrnimmst, dann wirkt sich das aus. Als wären Kinder die einzige Sinnstiftung für ein wirkliches Frauen-Dasein.“ Diehl meint, dass die Vorstellung von Weiblichkeit mit Fürsorglichkeit gekoppelt wird. Die Fähigkeit Liebe geben zu können, erscheint dann besonders problematisch bei Kinderlosen. „Das Schwierigste ist, sich aus diesem Stereotyp rauszuwinden und sagen zu können: ‚Ich bin ein liebevoller Mensch, auch wenn ich keine Kinder habe.‘“ Sowohl Sonja als auch Raphael betonen, dass sie Kinder sehr mögen. „Ich sehe mich als wundervolle Tante, als wundervolle Schwester, als wundervolle Kusine – aber nicht unbedingt als Mutter“, sagt Sonja.
Aber – was aus der Norm fällt, wird kritisiert. Stigmatisierungen finden sowohl bei Familien ohne Kinder als auch bei solchen mit vielen Kindern statt. Sonja fühlt sich oft so, als müsse sie sich rechtfertigen. Ihre Verwandten bringen Gegenargumente wie „Du bist doch eine Frau!“, „Man macht das so!“ und „Ihr liebt euch doch!“. Äußerungen dieser Art spiegeln das gesellschaftliche Unbehagen gegenüber Kinderlosen, die nicht selten auch abgestraft werden, wider. Denn wenn sich Frauen der Selbstverständlichkeit der Mutterschaft entziehen, hat das weitreichende soziale und ökonomische Folgen. Diehl dazu: „Die Gesellschaft erwartet, dass Frauen die Arbeit in der Kleinfamilie umsonst machen und das Problem der Vereinbarkeit ihres bleibt. Sobald das hinterfragt wird, hat unsere Gesellschaft Schiss. Denn dann müssen wir Kinderbetreuung auf einmal gesamtgesellschaftlich organisieren, weil die Frauen sie nicht mehr alleine erledigen wollen oder sich dem durch Kinderlosigkeit ganz entziehen.“
Familie reloaded. Argumente fürs Kinderkriegen spiegeln eine enge, oft konservative Vorstellung davon wider, was Familie ist. Dass Familie keineswegs für jeden Menschen das gleiche bedeutet, wird oft ignoriert. Sowohl für Sonja als auch für Raphael ist Familie nicht mit Verwandtschaft gleichzusetzen. „Familie ist ein Verein von Menschen, die zu einander stehen, gefühlsmäßig miteinander verbunden sind, sich unterstützen und gegenseitige Anteilnahme zeigen“, sagt Raphael. Sonja betont die Konstruiertheit von Familie: „Familie ist ein gedankliches Konzept. Sie besteht aus all jenen, die ich für meine Familie halte.“
Um eine Familie zu haben, muss man also keine Kinder bekommen. „Meinem Freund ist es wichtiger, eine glückliche Partnerin zu haben als ein Kind mit einer traurigen Mutter“, berichtet Sonja. Sarah Diehl weiß auch von ihren Interviewpartner_innen, dass sich viele aus Liebe zu ihrer Beziehung gegen Kinder entscheiden: „Die Gleichberechtigung in der Partner_innenschaft hört oft auf, wenn ein Kind kommt.“ Besonders im Fall einer Trennung von unverheirateten Paaren kommen Frauen in eine schwierige Position. Die Zahlen belegen, dass in diesem Fall mehrheitlich Frauen Alleinerzieher_innen werden. Während 2013 mehr Mütter in Österreich alleinerziehend waren als es in der Stadt Salzburg Einwohner_innen gibt, decken die alleinerziehenden Väter zahlenmäßig nicht einmal Mödling ab.
Dass immer mehr Frauen misstrauisch gegenüber dem Konzept der heilen Familie und Mutterschaft sind und sich gegen Kinder entscheiden, liegt nicht an einer feministischen Paranoia. Sondern daran, dass sie in der Realität die meiste Verantwortung übernehmen, Kompromisse eingehen und einen Großteil der Arbeit leisten müssen. Dieses Ungleichgewicht endet nicht mit der Geburt. Auch in der Kinderbetreuungsarbeit stellt sich in der Regel keine fifty-fifty Aufteilung zwischen Frauen und ihren Partnern ein. Diehl führt in ihrem Buch an, dass laut einer Studie des Allensbach-Instituts von 2013 berufstätige Männer im Schnitt zwölf Minuten täglich mit ihren Kindern verbringen – bei vollzeitbeschäftigten Frauen sind es drei Stunden. Auch was die Hausarbeit betrifft, gab jeder zweite Mann zu, dass Frauen den Großteil erledigen. Die Männer aber als Sündenböcke hinzustellen, geht für Diehl zu weit: „Menschen nutzen nun einmal die Strukturen, die sich ihnen bieten. Und so ist es in gewisser Weise verständlich, dass Männer unhinterfragt von ihren Freiräumen Gebrauch machen und ihnen manchmal gar nicht bewusst ist, wie viele Privilegien sie genießen.“
Schwangerschaftsabbruch. Ein hart umkämpftes Privileg der Frauen ist der sichere Schwangerschaftsabbruch im Falle, dass sie ein Kind nicht möchten. Laut dem Österreichischen Verhütungsreport 2012 wird mehr als die Hälfte aller Frauen in Österreich einmal in ihrem Leben ungewollt schwanger. 55 Prozent der befragten Frauen gaben an, sich dabei für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden zu haben.
„Es ist mein Körper“, sagt Sonja. „Ich entscheide darüber, ob ich Kinder haben möchte oder nicht. Man kann von keiner Frau verlangen, gegen ihren Willen ein Baby zu bekommen.“ Auch Lisa würde eine potentielle Schwangerschaft abbrechen. In Österreich ist ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate erlaubt. Eine Angabe von Gründen ist nicht erforderlich und der Abbruch kann völlig anonym verlaufen. Im Gegensatz zu den meisten westeuropäischen Ländern wird er jedoch nicht von den Krankenkassen bezahlt. Die Kosten schwanken zwischen 350 und 800 Euro. Außerdem werden Schwangerschaftsabbrüche nicht in allen Krankenhäusern angeboten. In Bundesländern wie Salzburg, Oberösterreich, Vorarlberg und Tirol gibt es jeweils nur eine und im Burgenland keine entsprechende Anlaufstelle – obwohl alle Ärzt_innen in ihrer Ausbildung lernen, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. In einer Umfrage der SPÖ-Frauen, dem „Frauenbarometer 2014“, gaben fast drei Viertel der befragten Männer und Frauen an, dass ein Schwangerschaftsabbruch in allen Krankenhäusern möglich sein sollte.
Auch wenn die Mehrheit der Österreich_innen eindeutig die heterosexuelle Kernfamilie favorisiert, muss der Wunsch nach einem kinderlosen Leben respektiert werden. Dazu gehört auch der freie, kostenlose und sichere Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Diehl wünscht sich ein solidarischeres Miteinander – auch für Kinderlose. „Es geht nicht darum die Grabenkämpfe auszuweiten und die Blockbildung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen zu verschärfen. Ich lege die Betonung hier ganz bewusst auf Frauen, denn sie sind es vornehmlich, die diese Kämpfe führen. Es geht mir nicht um Wertungen, sondern um die gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe.“
Marlene Brüggemann und Patricia Urban studieren Philosophie und Kultur- und Sozialanthropologie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien.