Nicht länger wegsehen
Seit zwölf Jahren steigt die Zahl rechtsextremer Straftaten rapide an. Linke Aktivist_innen und Künstler_innen geraten zunehmend ins Visier. Die Polizei bleibt tatenlos.
Rechtsextreme Gewalt nimmt rasant zu. Verzeichnete das Innenministerium im gesamten Jahr 2004 noch 322 Anzeigen wegen Verbrechen oder Vergehen mit rechtsextremem Tathintergrund, waren es 2015 bereits 1.691. Statistisch gesehen wird alle fünf Stunden eine solche Straftat verübt – von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.
Dieses Erstarken der militanten extremen Rechten manifestierte sich in den letzten Monaten in einer ganzen Serie an rechtsextremen Angriffen, Drohungen und Sachbeschädigungen gegen linke Strukturen, Räume und Personen. So wurden Tür und Fassade des linken Raumkollektivs w23 innerhalb weniger Monate gleich sechs Mal beschädigt. Zwei Mal versuchten die Täter dabei, sich Zugang zum Raum zu verschaffen. Auch die Anarchistische Buchhandlung im 15. Bezirk, das Ernst-Kirchweger-Haus sowie die Rosa-Lila-Türkis-Villa wurden in jüngster Vergangenheit Ziel rechtsextremer Sachbeschädigungen und Angriffe. Vor rund einem Jahr waren Personen auf dem Heimweg nach einer Kundgebung in Graz von bewaffneten Kadern der rechtsextremen „Identitären“ überfallen und verletzt worden. Ebenso ist 2014 einer Antifaschistin das Fenster eingeschossen worden, kurz nachdem sie ein Buch über die neofaschistische Gruppe veröffentlicht hatte. Nach einem Fernsehauftritt erhielt sie außerdem einen Drohbrief per Mail. Im Jahr 2012 wurde der betagte Antifaschist Albrecht Konecny am Rande der Proteste gegen den WKR-Ball von Neonazis mit einem Schlagring niedergeschlagen.
RECHTSEXTREMISMUS AN DER UNI. Auch vor der Universität machen rechtsextreme Umtriebe nicht Halt. Die Räumlichkeiten der Fakultätsvertretung Human- und Sozialwissenschaften (HUS) wurden mehrfach Ziel von Sachbeschädigungen, neben eingeschlagenen Fenstern hinterließen die Täter auch rassistische Botschaften an der Fassade. Erst im Jänner wurde eine Podiumsdiskussion der autonomen antifa [w] an der Universität Wien gestört, einschlägig bekannte rechtsextreme Hooligans stellten den Schutz für die Störaktion. Die Bühnenstürmung der „Identitären“ während der Aufführung von Jelineks „Schutzbefohlenen“ im Audimax ist nun schon ein Jahr her. Obwohl die Beteiligten zweifelsfrei identifiziert und auf ÖHInitiative auch wegen Besitzstörung rechtskräftig verurteilt wurden, gibt es nach wie vor keine Anklage wegen der im Zuge der Stürmung verübten Körperverletzungen.
Diese Aufzählung rechtsextremer Straftaten gegen linke Aktivist_innen, Künstler_innen und Räume ist keineswegs vollständig, macht aber die Bedrohung durch steigende rechtsextreme Gewalt deutlich. Außerparlamentarisch aktive Rechtsextreme werden derzeit selbstbewusster, organisieren sich verstärkt, bauen neue finanzstarke Strukturen und eigene Medienkanäle auf – das alles im Windschatten der FPÖ. Die steigende Reichweite und der bedeutend höhere Organisationsgrad eröffnen ihnen neuen Handlungsspielraum. Dieses Erstarken bringt nicht zuletzt eine merklich höhere Gefahr für politische Gegner_innen mit sich, ins Visier von Angriffen – von öffentlicher Diffamierung bis hin zu körperlicher Gewalt – zu geraten.
OPFERSCHUTZ FEHLANZEIGE! Bestärkt werden militante Rechtsextreme nicht zuletzt auch durch die Untätigkeit der Polizei, denn neben dem rechtsextremen Hintergrund haben all die genannten Fälle vor allem eines gemein: Die Täter_innen wurden nie verurteilt. Keine einzige der im Artikel erwähnten Straftaten wurde bisher aufgeklärt, keine Anklage erhoben, in den meisten Fällen wurden nicht einmal konkrete Beschuldigte ermittelt. Das sendet den Täter_innen ein fatales Signal: Dass ihnen nichts passiert, wenn sie politische Gegner_innen angreifen – dass der Staat wegsieht, solange die Betroffenen keinen Promistatus haben. Was den Schutz der Betroffenen von rechtsextremer Gewalt angeht, haben sich Polizei und Verfassungsschutz bisher nicht gerade als leuchtendes Vorbild hervorgetan.
Auf die Spitze trieb es dabei die Grazer Polizei, die nach dem erwähnten Angriff „Identitärer“ Kader im Jänner 2016 die Adressen und Telefonnummern der Betroffenen an die Täter_innen weitergab. Ein Antrag auf Schwärzung solcher personenbezogenen Daten der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“, der die Betroffenen juristisch vertrat und betreute, wurde abgelehnt.
Wenig überraschend: Die Ermittlungen wurden kurz darauf eingestellt. In einem anderen Verfahren wurde dem Opfer einer Nötigung durch Neonazis in der Vernehmung zur Tat ein Aktenauszug einer ganz anderen Anzeige – nämlich einer von Rechtsextremen gegen Unbekannt – vorgelegt und es wurde mehrfach versucht, sie nach einer Tatbeteiligung zu befragen. Ein weiterer Fall solch einer Täter-Opfer- Umkehr war der Umgang mit dem Angriff auf eine Gewerkschaftssitzung im Ernst-Kirchweger-Haus. Am Ende dieses Prozesses wurden Gewerkschafter verurteilt, während die angreifenden Hooligans aus dem Umfeld von „Eisern Wien“ und „Unsterblich Wien“ freigesprochen wurden.
IN DIE OFFENSIVE. Mit diesem Verhalten gefährdet die Polizei Betroffene rechtsextremer Gewalt noch zusätzlich, statt sie zu schützen. Dieser Umstand führt uns die Notwendigkeit antifaschistischen Selbstschutzes einmal mehr vor Augen. Die Bedrohung durch rechtsextreme Umtriebe und deren steigende Gewaltbereitschaft ernst zu nehmen, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr sollte sie zum Anlass genommen werden, antifaschistische Arbeit auf allen Ebenen weiterzuführen, Rechtsextremen das Selbstvertrauen, die Straße und jeglichen öffentlichen Raum konsequent streitig zu machen.
Julia Spacil studiert Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien.