#metoo
Das Ziel des Aufrufs war der Welt zu zeigen, wie allgegenwärtig Sexismus in unserer Gesellschaft ist. Doch was als bestärkende Kampagne anfing, nahm irgendwann eine komplexe Eigendynamik an. Immer weniger ging es um die Betroffenen, die Diskussionen verlagerten sich zu Sexismus in der Politik und im Schauspielbusiness. Peter Pilz. Roy Moore. Reinhard Göweil. Nina Proll. Kevin Spacey. Donna Karen. Die Medien stürzten sich auf sie, zerrissen sie, lobten sie, verteidigten sie. Es wurden hitzige Debatten darüber geführt, ob den Betroffenen zu trauen sei, ob da nicht doch übertrieben werde oder ob die Anschuldigungen zu weit gingen. Leider wurden die Möglichkeiten der Prävention fast gar nicht thematisiert. Die österreichischen Medien übernahmen keine Verantwortung, viel eher beschäftigte sie die Unsicherheit, was nun für ein #metoo „reiche“. Geben laszive Blicke in der U-Bahn bereits Grund genug oder haben nur Menschen, die zumindest vergewaltigungsnahe Situationen durchlebt haben, das Recht sich zu melden?
Keine Relativierung sexualisierter Gewalt!
In Unterhaltungen in meinem Umfeld fiel schnell die Anmerkung, #metoo sei schon eine gute Sache, es wäre jedoch schade, dass sich manche Menschen, die „es gar nicht betrifft“, in Szene setzen müssten. Menschen, die „lediglich“ Erfahrungen mit verbaler sexueller Belästigung gemacht hatte, wären nicht „betroffen“, sondern würden nur von den „eigentlichen Opfern“ ablenken.
Zwischen nonverbalen, verbalen und körperlichen Übergriffen muss differenziert werden, dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Es darf keine Relativierung oder Bagatellisierung sexualisierter Gewalt stattfinden. Eine Vergewaltigung zieht für die betroffene Person andere Folgen nach sich als eine anzügliche Bemerkung. Jedoch sollten wir Vorsicht walten lassen, wenn wir „mindere Vergehen“ als weniger besorgniserregend und damit als vernachlässigbar abstempeln. Auch nicht-körperliche Übergriffe sind ein Ausdruck von Macht und belasten die Betroffenen. Eine Prüfungssituation, bei der ein Professor ununterbrochen zweideutige Anspielungen von sich gibt und neben Prüfungsfragen auch Fragen zu den bevorzugten Sexualpraktiken stellt, ist für die betroffene Person auch extrem beklemmend.
Unsere Toleranz gegenüber Verhalten, das „ja nicht so tragisch ist“ schafft erst die Möglichkeit dafür, dass Menschen auch körperliche Grenzüberschreitungen als normal hinnehmen. Es sind die zahlreichen Alltagssexismen, die das Rückgrat der rape culture bilden, also unserem gesellschaftlichen Zustand, in dem verschiedene Formen sexualisierter Gewalt normalisiert und geduldet werden. Wenn wir so etwas gewohnt sind, und es auch noch Tag für Tag akzeptieren müssen, verbal auf unsere Geschlechtsteile reduziert zu werden, so ist der Schritt für Täter_innen, physische Grenzen zu überschreiten, nicht mehr weit. Vergewaltigungen sind letzten Endes Ausdruck einer Gesellschaft, die sexuelle Selbstbestimmung nicht ernst nimmt. Deswegen muss im Rahmen von Präventionsmaßnahmen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass andere Menschen keine Objekte sind, über die man nach Lust und Laune verfügen kann. Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, dass niemand auch nur irgendein Recht darauf hat, den Körper einer anderen Person ohne ihre Zustimmung zu berühren.
Awareness auf der Uni und im Club
Während im Hochschulkontext Machtgefälle üblicherweise von Lehrkräften ausgenutzt werden, kommt es unter Studierenden beim Feiern unter Einfluss von Alkohol und Drogen verstärkt zu problematischem Verhalten. „Der Typ war halt betrunken“, heißt es dann so schön. Blame it on the alcohol. Das anzustrebende Ideal wäre es, Menschen dahingehend zu sensibilisieren, dass sie auch im nicht zwangsläufig nüchternsten Zustand sexuelle Übergriffe widerlich finden. Bis wir in diesem goldenen Zeitalter erfolgreicher Präventionsmaßnahmen angelangt sind, braucht es jedoch Mechanismen, um uns zu schützen und Betroffene in konkreten Situationen zu unterstützen.
Auf manchen Feiern werden Awareness Teams aufgestellt, deren Aufgabe es ist als Ansprechpersonen zu fungieren, aber auch auf unerwünschtes Verhalten aufmerksam zu machen und Leute, falls nötig, des Raumes zu verweisen. Auch bei Veranstaltungen, bei denen es kein dezidiertes Awareness Team gibt, wird darauf hingewiesen, dass Menschen, die sich unwohl oder bedroht fühlen, sich an das Personal hinter der Bar wenden können. Etwas subtiler sind Aktionen wie „Ask for Angela“ oder „Wo geht‘s nach Panama?“. Die Idee dahinter ist es Menschen zu ermöglichen, unauffällig und ohne große Erklärungen, um Hilfe bitten zu können. In den Toiletten werden Plakate mit dem Hinweis, es könne an der Bar bei Bedarf nach Angela gefragt werden, angebracht. Die Person wird dann ohne weiterem Nachfragen an einen sicheren Ort gebracht, wo dann auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird.
Es liegt zwar oft noch an den Betroffenen, auf sich aufmerksam zu machen und sich zu wehren, jedoch setzen diese Herangehensweisen das deutliche Zeichen, dass sexuell übergriffiges Verhalten in den jeweiligen Räumen nicht toleriert wird. Besucher_innen wird damit versichert, dass sie von Seiten der Organisation weder aufgrund ihres Sexuallebens oder der Anzahl an Sexualparter_innen verurteilt werden, noch befürchten müssen, dass ihnen selbst die Schuld am Vorfall zugeschrieben wird. Dies trägt im Idealfall dazu bei, dass sich Menschen eher trauen, sich aus potentiell gefährlichen Situation rechtzeitig zu entfernen und übergriffiges Verhalten – sei es ein Date, das ein „Nein“ nicht einsehen will oder „nur“ ein Anmachspruch, der Vergewaltigung als Pointe hat – zu melden.
Auch an den Hochschulen selbst wird daran gearbeitet, dem Sexismus etwas entgegenzuhalten. Referate der ÖH, die sich auf Universitätseben mit Sexismus, Diskriminierung und sexueller Belästigung auseinandersetzen, finden sich an einigen – leider nicht an allen – Hochschulen (zB das Frauen*referat an der Uni Wien oder das Referat Frauen, Gleichbehandlung, Queer an der Uni Innsbruck). Verpflichtend ist an jeder Universität ein Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen einzurichten. Dieser bietet neben anderen Tätigkeiten Betroffenen sexueller Belästigung Beratung an. Als erste Anlaufstelle nehmen die Arbeitskreismitglieder die Anzeige auf und überlegen mit der betroffenen Person eine mögliche Intervention des Arbeitskreises. Je nach Bedarf leiten sie die Person an andere Institutionen und Beratungsstellen weiter. Leider ist diese Einrichtung vielen Studierenden nicht bekannt. Dabei stellen viele der Arbeitskreise wichtige Informationen zur Verfügung und publizieren Broschüren. Diese bieten eine Definition sexueller Belästigung und skizzieren in Beispielen, wie sich diese ausdrücken kann. So werden z.B. in der Broschüre der WU Wien unter anderem abwertende Anekdoten, exhibitionistische Handlungen, Hinterherpfeifen und Aufforderung zu sexuellen Handlungen als Beispiele genannt. Es ist wichtig, ein konkretes Bild von sexueller Belästigung vor uns zu haben, um sie in weiterer Folge zu erkennen und gegen sie anzukämpfen.
Den meisten Menschen wird nämlich nicht von Politiker_innen, Schauspieler_innen oder sonstigen hochrangigen Persönlichkeiten sexualisierte Gewalt angetan. Es ist natürlich wichtig, auch diese Täter_innen zur Rechenschaft zu ziehen und klarzumachen, dass Prominenz oder gute Dienste an der Gesellschaft sexuell übergriffiges Verhalten nicht entschuldigen. Uns muss jedoch bewusst sein, dass die Menschen, neben denen wir im Hörsaal sitzen, die unsere BA Arbeit betreuen, die unser Tutorium leiten, mit denen wir befreundet oder in Beziehungen sind und denen wir vertrauen, viel eher unsere Grenzen überschreiten werden als ganz Fremde. Täter_innen finden sich an allen Ecken und Enden unseres Alltags und es gilt sie alle, unabhängig davon, ob sie unser_e beste_r Freund_in oder zurzeit im Kino zu sehen sind, für ihre Handlungen zu verurteilen.
Rape culture zerschmettern
Wir geben rape culture bedauerlicherweise einen festen Halt in unserer Gesellschaft, indem wir sexistische Erwartungen an sexuelle Beziehungen und Geschlechterrollen aufrechterhalten. Wir raten unseren Freund_innen, Ungewolltes über sich ergehen zu lassen, um Diskussionen mit der_dem Parter_in zu vermeiden. Wir weisen unsere Sitznachbar_in im Hörsaal darauf hin, dass sie die unangenehmen Annäherungen der lehrenden Person als Chance für eine bessere Note nutzen könnte. Wir überhäufen Menschen so lange mit Erwartungen, bis sie denken, sie seien zu gewissen Handlungen verpflichtet. Wir überreden unseren Aufriss dazu, mit uns unverhütet Sex zu haben. Wir drohen Menschen unterschwellig mit dem Entzug von Liebe und Zuneigung, wenn sie sich nicht sexuell zur Verfügung stellen. Wir fragen eine Person, die von ihrer Vergewaltigung erzählt, ob sie sich sicher sei – „Vielleicht ist es nur seine Art und Weise Sex zu haben?“.
Lasst euch von der Gesellschaft nicht zu Verhaltensweisen drängen, die uns allen schaden! Wenn ihr etwas seht, sagt was. Stellt euch hinter die betroffene Person, seid für sie da, bringt sie an einen sicheren Ort und geht mit ihr zur Polizei, wenn sie das möchte. Wenn euch eine Person von ihren Erfahrungen erzählt, hört ihr zu und nehmt sie ernst. Wenn eure Freund_innen von übergriffigem Verhalten, das sie selbst gesetzt haben – sei es ihnen bewusst oder unbewusst – erzählen, weist sie zurecht und sagt ihnen, dass solche Handlungen widerwärtig sind. Wenn ihr selbst die Grenzen anderer Menschen überschritten habt, steht dazu, schämt euch und arbeitet daran, dass das, was ihr dieser Person angetan habt, keiner anderen passiert. Tragt die Konsequenzen, stellt euch der Meute und entlarvt die vielzähligen tolerierten Manifestationen sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft, indem ihr darüber redet.
Ganz zum Schluss möchte ich mich direkt an all diejenigen richten, die mit den Folgen sexualisierter Gewalt zu kämpfen haben. Ihr seid nicht allein. Eure Reaktionen und Gefühle sind normal, das, was euch angetan worden ist, ist nicht normal. Ihr spinnt nicht. Ihr habt es nicht verdient. Ihr habt es euch nicht eingebildet. Ihr seid nicht schuld. Ihr dürft euch Menschen anvertrauen. Ihr müsst die Last nicht alleine tragen. Die Angst verschwindet zwar vielleicht nie vollkommen, aber irgendwann wird sie euch nicht mehr so erdrücken. Versprochen.
Isabella Hofmann studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien