Last Exit Frauenhaus
Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.
Vor 35 Jahren wurde in Wien das erste österreichische Frauenhaus eröffnet. Claudia Aurednik hat mit der Leiterin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser und zwei Frauen über die aktuelle Situation der Frauenhäuser sowie Partnergewalt gesprochen.
„Ich werde die schweren Schwellungen im Gesicht meiner Mutter und ihren Körper voll blauer Flecken wohl niemals vergessen“, erzählt Alice Maier* (42): „Mein Vater konnte mit Enttäuschungen sehr schlecht umgehen und war für seine cholerischen Wutanfälle und seinen Hang zur Gewalt in der Familie gefürchtet. Ein verlorener Gerichtsprozess, ein nicht auffindbarer Akt und manchmal auch nur eine Kleinigkeit, wie kein Parkplatz für sein Auto, waren für ihn Anlass, die Beherrschung zu verlieren.“ Maier, die heute als Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, beschreibt ihren Vater als Mann mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, der sich in der Rechtsanwaltskanzlei und in der Öffentlichkeit beherrschen konnte und in der familiären Wohnung seinen Wutanfällen freien Lauf ließ. Am meisten hatte ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die von ihrem Mann regelmäßig verprügelt wurde, darunter gelitten.
Maier und ihre jüngere Schwester hatten bereits als Kinder einen Spürsinn für die Launen ihres Vaters entwickelt: „Bereits an Vaters Gang und Blick haben wir erkannt, wann es besser wäre, sich im Kinderzimmer einzuschließen.“ Auch die NachbarInnen in dem großbürgerlichen Altbau hatten die Gewaltexzesse von Maiers Vater mitbekommen. Doch bis auf einige seltsame Blicke im Treppenhaus habe niemand je etwas gesagt: „Es gab so etwas wie einen stillen Konsens darüber, dass nach außen hin das Bild einer intakten und glücklichen Anwaltsfamilie gewahrt wird. In der großbürgerlichen Schicht spricht man ja über solche Dinge nicht, denn schließlich kommt Gewalt ja nur in den sogenannten unteren Schichten in Arbeiterfamilien vor.“
BÜRGERTUM. Als Alice Maier 14 Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter dazu gedrängt, sich scheiden zu lassen: „Damals hatte ich den Eindruck, dass meine Mutter ernsthaft über eine Scheidung nachdenken würde. Doch bereits nach ein paar Tagen hat sie denGedanken wieder verworfen, weil sie Angst vor einem langwierigen Scheidungsprozess und den beruflichen Netzwerken meines Vaters hatte.“ Maier erzählt mit bitterer Stimme, dass natürlich auch die finanzielle Abhängigkeit und die Sorge, dass ihr Vater das Sorgerecht für die beiden Mädchen erhalten könnte, eine Rolle spielte. „Meine Eltern hatten sich während ihres Studiums auf einem Ball kennengelernt. Mutter hatte damals Kunstgeschichte studiert und das Studium nach meiner Geburt abgebrochen. Somit war sie von Vater ökonomisch abhängig“, ergänzt sie.
Das erste Wiener Frauenhaus wurde 1978 eröffnet. Warum hat Maiers Mutter dort nicht Zuflucht gesucht? „Meine Mutter hat sich wohl aufgrund ihres sozialen Status nicht vorstellen können, in ein Frauenhaus zu gehen, weil das für sie auch den sozialen Ausschluss aus dem Familienkreis und dem Umfeld bedeutet hätte“, merkt Maier an. Nachdenklich ergänzt sie: „Heute betrachte ich es als einen großen Fehler, dass sie nicht insFrauenhaus gegangen ist und eine Scheidung durchgezogen hat. Denn bis zu ihrem Tod hat sie unter der Tobsucht und der Gewalt meines Vaters gelitten.“ Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünfzehn Jahren hat Maier den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Sie resümiert: „Gewalt an Frauen und Kindern kommt in allen Schichten vor. Aber ich denke, dass die Scham, darüber öffentlich zu reden, in bürgerlichen Kreisen noch viel höher ist, weil Gewalt in der Familie als verpönt gilt.“
FRAUENHAUS. „Alle Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Partnerschaft oder durch nahe Angehörige erfahren, finden Zuflucht in den Frauenhäusern. Ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem sozialen Status“, erklärt Maria Rösslhumer, die seit 1997 Mitarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) ist. Von 1991 bis 2012 suchten insgesamt 52.863 Frauen und deren Kinder in den österreichischen Frauenhäusern Schutz. Heute gibt es landesweit 30 Frauenhäuser. „Die Bezeichnung autonom stammt aus der zweiten Frauenbewegung und bedeutet parteipolitisch und ideologisch unabhängig, im Sinne der Frauen und deren Kinder arbeiten zu können“, erläutert Rösslhumer, die in den 1990er-Jahren Politikwissenschaft und Frauenforschung an der Universität Wien studierte und über den Katholizismus zum Feminismus fand. Jedes Frauenhaus ist außerdem auch eine eigene Einrichtung, die von der jeweiligen Landesregierung finanziell unterstützt wird. „Die Finanzierung der Frauenhäuser ist daher unterschiedlich. Wir sind laufend mit finanziellen und personellen Einsparun gen und Kürzungen oder sogar mit der Schließung von Frauenhäusern seitens der Politik konfrontiert“, merkt Maria Rösslhumer an. „Aber wir benötigen langfristige und ausreichende Finanzierungen sowie eine gesetzliche Verankerung der Finanzierung der Frauenhäuser, damit nicht jährlich der Kampf um die Existenz dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Einrichtungen geführt werden muss.“
Doch obwohl die österreichischen Frauenhäuser mittlerweile anerkannte und nicht mehr wegzudenkende Opferschutzeinrichtungen darstellen, sind sie manchen PolitikerInnen ein Dorn im Auge. Im vergangenen Sommer lehnte die FPÖ in Amstetten eine Subvention für das lokale Frauenhaus ab. Die blaue Stadträtin Brigitte Kashofer warf der Einrichtung vor, maßgeblich an der Zerstörung von Ehen und Partnerschaften beteiligt zu sein. „Die FPÖ will offensichtlich die Realität der Gewaltproblematik in unserer Gesellschaft nicht wahrnehmen und stellt die Wichtigkeit von Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder infrage“, sagt Rösslhumer. Sie erzählt,dass die Frauenhäuser zu Beginn von allen politischen Parteien und von der Kirche sehr skeptisch und ablehnend betrachtet wurden: „Auch die SPÖ- Politikerin Johanna Dohnal, die sich sehr stark für die Errichtung des ersten Frauenhauses in Wien 1978 eingesetzt hat, musste einen harten Kampf in ihrer eigenen Partei führen.“
Rösslhumer ist neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Vereins der AÖF auch Leiterin der Frauenhelpline 0800/222 555 und des europäischen Netzwerks WAVE (Women against Violence Europe). Außerdem ist sie Koordinatorin der Plattform gegen die Gewalt in der Familie. „Die Gewalt an Frauen ist meist Partnergewalt und kann viele Formen annehmen. Sie äußert sich in psychischer, sexueller, physischer und finanzieller Form und kommt oft in Kombination vor. Sie kann auch tödlich sein, denn die Mehrheit der orde an Frauen erfolgt im Familienkreis“, berichtet Rösslhumer: „Kinder sind von der Gewalt gegen ihre Mütter immer mitbetroffen, entweder direkt oder indirekt ZeugInnen.“ Die Frauenhäuser bieten den Frauen und ihren Kindern umfangreiche Hilfe. diese beginnt bei Schutz und Sicherheit und reicht bis zu psychosozialer und juristischer Beratung und medizinischer Hilfe. Auch die Begleitung zu Ämtern, Behörden sowie die Prozessbegleitung und die Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche gehören zu den Aufgaben der Frauenhäuser. Aber auch die politische Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Einrichtungen, betont Rösslhumer: „Die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser waren mit dem Verein AÖF maßgeblich an den Gewaltschutzgesetzen beteiligt, die seit mehr als 15 Jahren existieren und den Schutz und die Sicherheit von betroffenen Frauen und Kindern wesentlich verbessert haben.“
ARBEITERiNNENSCHICHT. „Die Zeit im Frauenhaus habe ich positiv in Erinnerung, denn endlich hatten meine Mutter und ich das Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein“, erinnert sich Sigrid Schneider* (25). Schneiders Mutter war mit ihrer damals sechsjährigen Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann in einer Nacht- und Nebelaktion aus einem Dorf bei Linz ins Frauenhaus geflohen. Die Entscheidung hatte die Mutter kurzfristig gefällt, nachdem ihr damaliger Mann sie brutal zusammengeschlagen hatte und dazu übergegangen war, auch die gemeinsame Tochter zu schlagen. Zuvor hatte sie bei einem Kinderarztbesuch im Warteraum einen Artikel über die Frauenhäuser und deren Aufgaben gelesen, der ihr Mut gemacht hatte. „Mein Vater – den ich heute eigentlich nicht mehr als solchen bezeichne – war neun Jahre älter als meine Mutter. Er hat als Stahlarbeiter gearbeitet, war krankhaft eifersüchtig und regelmäßig betrunken“, erzählt die heutige Kindergartenpädagogin, die nebenberuflich an der Universität Wien Pädagogik studiert. „Nach meiner Geburt hat er meine Mutter sukzessiv von ihrer Familie und ihrem früheren Freundeskreis isoliert und psychisch fertiggemacht. Auch das Ausüben ihres gelernten Berufs als Verkäuferin hat er ihr verboten“, erklärt Schneider. Als ihre Mutter mit ihr im Frauenhaus Zuflucht suchte, war sie genauso alt wie Sigrid Schneider heute. „Durch die Betreuung im Frauenhaus konnten meine Mutter und ich die Erlebnisse viel besser verarbeiten. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre und ob wir eine Trennung von ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – überlebt hätten“, sagt sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme.
Das Frauenhaus hat ihrer Mutter auch bei der Scheidung geholfen und sie dabei unterstützt, ein neues Leben zu beginnen. „Durch seine Hilfe haben wir eine Übergangswohnung in Wien bekommen und Linz rasch verlassen.“ Der Neustart in Wien war nicht einfach, weil Schneiders Vater die Zahlungen der Alimente einstellte und ihre Mutter als Verkäuferin finanziell auf sich alleine gestellt war. Als Schneider zehn Jahre alt war, kam ihr Vater schwerst alkoholisiert bei einem Verkehrsunfall in Oberösterreich ums Leben: „Das mag sich jetzt hart anhören, aber für meine Mutter und mich begann erst nach seinem Tod ein richtig sorgenfreies Leben. Denn selbst in Wien hatten wir Angst, dass er uns finden würde.“ Dass ein selbsternannter „Väterrechtler“ die Adressen der vier Wiener Frauenhäuser auf einer Website veröffentlicht hat, macht sie wütend: „Ich möchte gar nicht daran denken, was mein Vater damals in Linz getan hätte, wenn ihm die Adresse des Frauenhauses bekannt gewesen wäre. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass er meine Mutter und mich im besoffenen Zustand physisch attackiert hätte. Im schlimmsten Fall würde ich heute nicht hier sitzen und von seiner Gewalt erzählen können.“
*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerinnen geändert und sind der Redaktion bekannt.