Kein Land für Frauen
Ein Vergewaltigungsfall zeigt, das postrevolutionäre Ägypten ist ein Land, das bei Null beginnen muss und dessen erfolgreicher Aufstand sich aufzufressen droht. Eine Reportage.
Auf dem Weg von Kairo zu den Gaza-Protesten am ägyptischen Grenzort Rafah wird Lisa an einem Militärcheckpoint gestoppt. „Aussteigen, Gepäck ausladen, Pass herzeigen“, sagt der Soldat. Als einzige Ausländerin muss sie das Sammeltaxi verlassen. Ihre ägyptischen MitfahrerInnen werden weitergeschickt, verschwinden in der Dunkelheit. Die Fahrt endet für Lisa hier, an einem der unzähligen Checkpoints der Sinaihalbinsel nahe der Stadt Al-Arish. Sie endet mit einer Vergewaltigung durch einen ägyptischen Soldaten. Dann beginnt eine Odyssee durch die ägyptischen Institutionen.
30 Soldaten am Checkpoint wollen Lisas Schreie nicht gehört haben. Auch sie sind nur Produkte einer Männergesellschaft, die ausländische Frauen auf den Straßen gerne als billiges Fleisch, als Dollarscheine und Visas auf zwei Beinen wahrnimmt.
Vergewaltigung ist kein singuläres Ereignis in Ägypten. Die Tat und die Art ihrer Aufarbeitung durch die Behörden zeigt das Unvermögen mit Vergewaltigungsfällen umzugehen offen auf. Und es
hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Wäre Lisa nicht die Tochter eines sehr einflussreichen britischen Ex-Diplomaten mit Naheverhältnis zu El- Baradei gewesen – wer weiß, ob die britische Botschaft dann reagiert hätte, ob sich die ägyptischen Behörden überhaupt dem Fall gewidmet hätten.
„Sie haben gerochen, welchen potentiellen Skandal diese Geschichte in sich birgt. Deswegen haben sie gehandelt. Aber eben so wie sie es gewohnt sind: Untransparent und für andere nicht nachvollziehbar,“ ist sich Heba von Human Rights Watch, Expertin für Militärfolter in Ägypten sicher.
Sexuelle Belästigung. Einer Studie des ägyptischen Zentrums für Frauenrechte zufolge geben 98 Prozent der Ausländerinnen in Ägypten und 83 Prozent der Ägypterinnen an, regelmäßig sexuell belästigt zu werden. Und Vergewaltigung? „Nein, darüber reden wir nicht“, versichern die meisten Ägypterinnen. Um sozialer Ächtung zu entgehen, wird meist geschwiegen. Natürlich standen Vergewaltigungen bei den Beamten der ägyptischen Staatssicherheit genauso wie andere Foltermethoden an der Tagesordnung. Aber geredet haben die wenigsten Opfer und offizielle Vergewaltigungsstatistiken gibt es keine.
Über 90 Prozent der ägyptischen Mädchen werden laut Amnesty International beschnitten. Religion spielt dabei keine Rolle. Christinnen und Musliminnen sind gleichermaßen betroffen.
Das Thema bleibt tabu, offiziell ist der Eingriff verboten. Es geht darum, die sexuelle Lust der Frauen zu zügeln. Gerechtfertigt wird diese Praxis von manchen auch als Schönheitsoperation. Nein, Ägypten ist kein Land für Frauen.
Wehmütig denkt Amani al Tunsi, die junge Radiomacherin und Buchautorin an jene Ausnahmetage am Tahrir Platz – zu deutsch Freiheitsplatz – zurück. „Das war das Ägypten, das ich mir immer gewünscht habe. Da gab es keine Männer und Frauen, keine Christen und keine Muslime. Es gab nur ÄgypterInnen.“ Damals gab es Hoffnung, doch die ist längst verflogen. „Es ist so als würden wir wieder von Null anfangen“, gibt sich Amani enttäuscht.
Im Verhör. Den Anforderungen des riesigen Transformationsprozesses scheint niemand gerecht zu werden. Das Militär spielt die Rolle des Schiedsrichters im Transformationsprozess. Transparenz ist für den hierarchisch in sich gekehrten Militärapparat ein Fremdwort. Und Frauen? Mit dem weiblichen Geschlecht haben sie wenig zu tun. Sogar der Tee in den Kasernen wird mit testosteronsenkenden Mitteln versetzt. Nein, das Militär kennt keine Frauen. Eine Irrfahrt durch die wirren Strukturen eines Landes, das zwischen Schock über die Ereignisse der Instantrevolution und Angst über die Zukunft des Landes in einer paranoiden Normalität erstarrt, beginnt für uns drei: Lisa, Sarah und mich.
Zurück in Kairo stehen wir mit Lisas Freund Sherif, einem Ex-Mitarbeiter des staatlichen Fernsehens, um zehn Uhr abends vor einem massiven Schreibtisch hinter den mächtigen Mauern des Polizeipalastes, dem Hauptquartier der ägyptischen Touristenpolizei, deren Mitarbeiter meist kein Englisch sprechen. Hinter dem Schreibtisch wölbt sich der Bauch des großen Tareks weit über das Stuhlende hinaus. Neben dem Schreibtisch sitzt der kleine Tarek, so wird er vom großen Tarek genannt, auf einem Hocker. Der Raum füllt sich nach und nach mit Männern, ausschließlich Männern, in einem Vergewaltigungsfall.
Da gibt es einen, der Tee kocht, einen anderen, der Süßes bringt, einen, dritten der den Boden um unsere Füße schrubbt. Der große Tarek ist ständig an mindestens einem, zuweilen zwei Telefonen. An einem Hörer die Polizeikommandos vor der israelischen Botschaft, die den Demonstranten gerade eine ordentliche Tracht Prügel verpassen. Am anderen seine Bataillone in der südlichen Stadt Qena, denen er befiehlt endlich für Ruhe zu sorgen und die Aufständischen niederzuschlagen. Dazwischen gibt er lauthals Kommandos, die immer anderen Leuten im Raum gelten, beruhigt Lisa mit bedrohlicher Stimme auf arabisch und jagt fluchend Fliegen mit einer verdreckten Klatsche.
Im Militärgericht. Die Möglichkeit, selbst einen Report zu verfassen, bekommt Lisa nicht, ständig wird sie angeherrscht, weitere intime Details vor allen Männern preiszugeben. Um Mitternacht erscheint ein Übersetzer, zumindest wird er als solcher vorgestellt, und verschwindet gleich wieder mit den Pässen. Er erscheint wieder zu einer Befragung von Lisa, Sarah und mir – den drei westlichen Frauen, die keine Ahnung haben, auf was sie sich da eingelassen haben.
Bald wird eines klar: Der Übersetzer ohne Namen ist kein Übersetzer, sondern ein Mitarbeiter des ägyptischen Sicherheitsapparats. Offiziell gibt es diesen gar nicht mehr. Vor der Revolution war es die gefürchtete Staatssicherheit, heute hat sich die Institution umgetauft. Jetzt heißt sie Nationalsicherheit. Nach der Revolution ist in Ägypten vor der Revolution. Vorher wussten die ÄgypterInnen zumindest, vor wem sie sich fürchten mussten.
Wieder öffnet sich die Tür, ein Abgesandter des Militärs erscheint. Somit ist die alte heilige Dreifaltigkeit komplett. Polizei, Ex-Staatssicherheit und Militär haben sich in einem Zimmer eingefunden, um – wie der große Tarek zusammenfasst – „eine wichtige Angelegenheit gleich mit den richtigen, wichtigen Ansprechpartnern zu klären.“
Hani – so hat sich der Militärdetektiv bei uns vorgestellt – bittet uns nach unten. Wir sollen mitkommen, nachdem der Täter ein Soldat des Militärs sei, müsse sich das Militär jetzt darum kümmern. Es ist zwei Uhr in der Früh, nach einer Fahrt quer durch die charmante Drecksstadt Kairo schließen sich die schweren Eisentore mit der Aufschrift Mahkama Al-Askaria, „Militärgericht“, hinter uns.
Mehr als 10.000 ZivilistInnen sollen in den vergangenen Monaten durch Militärgerichte angeklagt worden sein. Das schlägt selbst alle Rekorde Mubaraks. Wer das Militär kritisiert, bekommt Probleme. Unterdessen können Mubarak, seine Söhne und die Angeklagten der alten Wirtschaftsoligarchie und Politikergarde mit zivilen Verfahren rechnen und haben Anwälte, die ihnen zur Seite stehen. Einstweilen kann sich die Präsidentschaftsclique per W-Lan bequem allerlei Schlemmergerichte der ägyptischen Seite www.otlob.com hinter die Mauern des Tora-Gefängnisses im Süden Kairos ordern lassen. Für den Pöbel bleibt die Guillotine.
Zwei Stunden lang bleiben die Tore des Militärgerichts hinter uns geschlossen. Militärrichter in Pyjamas, müde Soldaten mit Kalashnikovs, Militärdetektive mit Handys bombardieren uns mit Fragen, telefonieren fieberhaft mit den unzähligen Checkpoints am Sinai und lassen uns nicht mehr gehen. Erst als der britische Vizebotschafter kurz vor dem Morgengrauen am Telefon droht und wir versprechen, wiederzukommen, öffnen sich die eisernen Tore.
Der Täter ist gefasst.
In der darauf folgenden Nacht schreibt Lisa ihren Report. Militärdetektiv Hani wacht über die Übersetzung, gibt mir genaue Anweisungen, was wie übersetzt werden muss. Was wichtig ist, was nicht. Wieder ist die Nacht lang. Doch immer mehr wird durch Hanis Anweisungen klar, dass der Report nur mehr eine Proforma- Angelegenheit ist, um die europäischen Gemüter zu besänftigen. Der Täter ist längst gefasst.
Am nächsten Morgen, knapp vor Lisas Rückflug nach London, folgt eine Vorladung beim Hauptquartier für Militärinvestigationen. Der Deal: Kleidung mit Spermaspuren gegen eine Bestätigung der Abgabe, einen vollen Namen und Kontaktdaten unseres Gegenübers. Fast scheint alles glatt zu gehen. Zum ersten Mal weiß Lisa, wem sie gegenübersitzt – dem Chef für Militärinvestigationen. Schon will sie aufstehen und in Richtung Flughafen aufbrechen. Doch wieder wird sie gegen ihren Willen, ohne Vorbereitung und Rückfrage zur Gefangenen einer Situation, aus der sie nicht fliehen kann. Was mit ihm passiert ist, weiß niemand. Seinen Namen kennen wir nicht. „Längst aufgehängt“, so der Tenor im Bekanntenkreis. Sie muss ihn identifizieren: „Bleib sitzen Lisa, dein Vergewaltiger steht vor der Tür.“
Die Autorin studiert Arabistik in Wien.