Kabelsalat in Öl

  • 24.06.2015, 20:18

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

40°C warmes Ölbad – was für manche wie eine Wellnessidylle klingt, ist für den schnellsten Computer Österreichs Alltag. progress hat sich den Supercomputer ,,Vienna scientific Cluster" genauer angesehen.

„Legen Sie lieber die Jacke ab, es wird heiß!“ Damit soll Ernst Haunschmid, technischer Leiter des  Vienna  Scientific  Cluster  (VSC),  Recht behalten. Angenehme  40°C  Lufttemperatur  erwarten mich im Rechnerraum  des  VSC-3,  der  dritten  Version  des Supercomputers. Wenig konnte ich mir unter einem Hochleistungsrechner vorstellen, umso mehr staune ich über die Meter an schwarzen Kabeln, die aus weißen Tanks heraushängen. „Dagegen ist der Kabelsalat unter meinem Schreibtisch gar nichts“, ist mein erster Gedanke. Als Ernst Haunschmid den Deckel eines Tanks öffnet, blicke ich auf in Mineralöl eingelegte sogenannte Knoten. Diese kann man sich vereinfacht als Einzelcomputer vorstellen, die über ein Hochleistungsnetzwerk miteinander verbunden sind. Das Öl ist notwendig, um den VSC-3 zu kühlen.

Auch  die  roten  Kabel,  die  zusammen mit gelben und orangen an der Decke entlangführen und an manchen Stellen wie Lametta den Raum schmücken, erfüllen eine wichtige Funktion. Sie sind die Früherkennungssensoren  im  Brandfall – eine Gefahr, die man im Zusammenspiel mit Öl nicht unterschätzen darf. Auch die Behörden interessieren sich für dieses Thema, doch Ernst Haunschmid beruhigt: „Es ist schwierig, dieses Öl zu entzünden. Bei einem Flammpunkt von 177°C geht das nicht so einfach, nicht  einmal mit  einem Bunsenbrenner.“

Foto: Luiza Puiu

BAUSTELLE. In einem der Nebenräume werfe ich einen Blick auf das ausgeklügelte Kühlsystem und seine imposante Architektur. Von einem großen, zylinderförmigen Behälter führen dicke silberne Rohre weg und bahnen sich ihren Weg durch den Raum. Hier befindet sich unter anderem die Kühlleitung des VSC-2. Der Kühlraum entspricht meinen Vorstel- lungen von einem Ort, an dem High-class-Science passiert. Dass man einen der schnellsten Computer der Welt allerdings auf einer Baustelle suchen muss, hätte ich mir nicht gedacht. Denn auch jetzt wird noch  renoviert.

Am Gelände des Arsenals, zwischen dem Wiener Hauptbahnhof und dem Heeresgeschichtlichen Museum, steht der Supercomputer – oder besser gesagt: die Supercomputer. Mittlerweile gibt es drei Versionen des VSC, neben dem VSC-3 ist auch der VSC-2 im „Objekt 21“ am Arsenal untergebracht.

Damit die Tonnen an Material und somit auch der VSC überhaupt einziehen konnten, waren umfassen- de Vorbereitungen und aufwendige Umbauarbeiten notwendig. So musste zum Beispiel die Tragfähigkeit der  Decken sichergestellt oder die Vibrationsstärke in den Rechnerräumen getestet werden. Außerdem war eine Schutzbeschichtung am Boden notwendig, falls Öl oder Wasser ausfließen.

RECHENMASCHINE. Der Vienna Scientific  Cluster ist ein Projekt von acht österreichischen Universitäten und soll als schnellster Computer des Landes Spitzenleistungen im Bereich der Forschung erbringen. Diese Spitzenleistungen erreicht der VSC durch seine vielen „Cores“, also Prozessorkerne. Sie geben darüber  Auskunft, wie viele Rechenprozesse der Supercomputer parallel ausführen kann. An der Technischen Universität Wien wurde 2009 die erste Version des VSC, der VSC-1, in Betrieb genommen. Aufgrund der schnell voranschreitenden technischen Entwicklungen ließen sich die Energiekosten für das „veraltete“ System aber schon bald nicht mehr rechtfertigen – der Grundstein für den VSC-2 war gelegt. Die Einweihung des VSC-2 im Jahr 2011 fand bereits in den Räumlichkeiten des Arsenals statt. Zusätzlich zu den ursprünglichen Initiator*innen, der Universität für Bodenkultur, der Universität Wien und der Technischen Universität Wien, schlossen sich fünf weitere Unis dem Projekt an: die Universität Graz, die Technische Universität Graz, die Montanuniversität Leoben, die Universität Innsbruck und die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft greift dem kostenintensiven Projekt seit Beginn an finanziell unter die  Arme.

2014 folgte der VSC-3. Das Besondere und Neue am VSC-3 ist die Ölkühlung. Bereits die Projektausschreibung war vom Gedanken geprägt, die Betriebskosten auf Dauer niedrig zu halten und dafür zu Beginn mehr in die Energieeffizienz zu investieren. Das Kühlsystem des VSC-3 wurde mit Platz 86 in der Green-500-Liste der weltweit energieeffizientesten  Supercomputer  belohnt.

Als ich den VSC-3 besuche, beträgt die Öltemperatur 47°C. Doch das kann sich schnell ändern, denn die Außentemperatur beeinflusst die maximale Kühl-leistung und dadurch die Öltemperatur wesentlich. Ernst Haunschmid rechnet nicht damit, dass der VSC-3 länger als fünf Jahre existieren wird. Die technische Wartung ist auf drei Jahre anberaumt, danach werden die Kosten zu hoch. Aus demselben Grund nahm man den VSC-1 Anfang April außer Betrieb: Die Energiekosten sind im Verhältnis zum Output schlicht zu hoch  geworden.

Foto: Luiza Puiu

ELF JAHRE. Forscher*innen, hauptsächlich aus den Naturwissenschaften, können mithilfe des Vienna Scientific Cluster Simulationen zeitsparender und parallel durchführen. Lehrende und Studierende am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien wissen diese Möglichkeit zu schätzen. Der Chemie- Student Ludwig Schwiedrzik führte im Rahmen seiner Bachelorarbeit sechs Wochen lang Simulationen  am VSC durch, elf Jahre hätte er mit einem normalen PC gebraucht. Für die Universitätsprofessorin Leticia González und Betreuerin von Ludwig ist klar: „Ludwig kann nicht elf Jahre warten.“

Die Forscher*innengruppe unterstützt von Senior Scientist Markus Oppel legt ihr Augenmerk auf die Simulation von chemischen Prozessen, die durch das Einfallen von Licht ausgelöst werden. PhD-Student Clemens Rauer erforscht zum Beispiel die molekularen Veränderungen, die Sonnenlicht in der Haut auslöst. Bei unserem Gespräch zeigt er auf einen Standard-PC mit vier Cores und erklärt: „Ich brauche viel mehr.“ „Viel mehr“ bedeutet eine Rechnerleistung im Ausmaß des VSC-3, dieser verfügt über stolze 32.320 Cores.

TEAMARBEIT. Um Zugang zum Vienna Scientific Cluster zu erlangen, muss das eigene Projekt einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Mithilfe mehrerer Gutachten wird dabei die wissenschaftliche Exzellenz geprüft. Neben diesem Kriterium gilt natürlich auch, dass man für die Durchführung der Forschung eine extrem hohe Rechenleistung benötigt. Ein gefördertes und damit bereits begutachtetes Projekt wie jenes von Clemens Rauer erhält viel leichter  und unkomplizierter Zugang zum VSC. Nur ein Wochenende musste der PhD-Student warten, bis er eine Zusage bekam und auch sein VSC-Account war innerhalb von fünf Minuten eingerichtet. Wer also schon in der „Scientific Community" oder in eine Forschungsgruppe eingebettet ist, kann den VSC ohne größere Hürden benutzen.

„Bachelor- und Masterstudierende beantragen den Zugang zum VSC nicht selbst“, so Leticia   González. „Sie forschen zusammen in einer Gruppe und teilen sich die Stunden untereinander auf – je nachdem, wie sie es für richtig halten.“ Markus Oppel ergänzt: „Das ist anders als in den Sozialwissenschaften, wir arbeiten immer in Teams.“

Neben regulär laufenden Projekten gibt es außerdem die Möglichkeit, Testaccounts  anzulegen, um zu prüfen, ob die Arbeit mit dem VSC überhaupt gewinnbringend ist. Auch Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik nahm dieses  Angebot  wahr.  Schnell  war klar, dass er mit Hilfe des VSC bessere Resultate und spannendere Erkenntnisse für seine Bachelor- arbeit erzielen würde. Auf die Frage, ob er während der Arbeit mit dem VSC auf Schwierigkeiten gestoßen sei, murmelt er mit sarkastischem Unter- ton: „Nein, nie.“ Auch wenn es am Anfang kleinere Probleme mit dem neuen System gab, Simulationen zusammenbrachen oder der Bildschirm nach der Mittagspause „None of your calculations have started“ anzeigte, ist Ludwig zufrieden. Er schreibt jetzt an einer Bachelorarbeit, in der er die von Licht verursachte Mutation eines bestimmten Teils der DNA untersucht. Die Ergebnisse kann sein Gruppenkollege Clemens weiterverwenden. Ludwig ist überzeugt: „Der VSC erlaubt mir, etwas zu machen, was anders nicht  möglich wäre.“

Foto: Luiza Puiu

RANKINGS. Nach all  diesen Schwärmereien ist es verwunderlich, dass die aktuelle Version des VSC, der VSC-3, nur auf Platz 85 der 500 weltweit schnellsten Rechner gelandet ist. Wie viel Bedeutung sollte man solchen Rankings überhaupt beimessen und wie aussagekräftig sind sie? Für Ernst Haunschmid vom VSC-Team geben sie wenig Auskunft über die tatsächliche Leistung des Rechners. Wäre ein höherer Platz im Ranking das primäre Ziel gewesen, hätte man das Projekt anders entwerfen müssen, ist Haunschmid überzeugt: „Die Frage ist, ob man das System optimal an eine Liste oder an seine Kund*innen anpassen will.“ Für ihn sind Supercomputer-Rankings „mehr PR als Herzensangelegenheit“ und ein Anziehungspunkt für Geldgeber*innen. Das kann man daran erkennen,   dass beispielsweise Minister*innen eher bei einem Termin auftauchen, wenn das Projekt einen Top-Platz vorweisen kann.

Der Gedanke von konkurrenzfähiger Forschung ist nichts Neues. So spricht auch Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner davon, dass der Vienna Scientific Cluster „die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsraums Österreichs absichert“. Auch wenn Markus Oppel vom Institut für Theoretische Chemie auf Kritik an Rankings hinweist, würde er gerne mit Ländern wie der Schweiz oder Deutschland mithalten können. Aufgrund höherer Investitionen in die Forschung gibt es dort größere und leistungsstärkere Computer, die für Wissenschafter*innen attraktiv sind.  Leticia  González hält es für gut und wichtig, dass der VSC-3 auf Platz 85 im Ranking der besten Hochleistungsrechner auftaucht. Trotzdem behält sie im  Hinterkopf: „Da sind 84 besser als wir.“

PhD-Student Clemens Rauer  stellt  schmunzelnd  fest: „Natürlich  wäre es nett, Zugang zum erstplatzierten Computer zu bekommen.“ Und Bachelorstudent Ludwig Schwiedrzik erwähnt in diesem Zusammenhang zukünftige Bewerbungen. Wenn er eines Tages ein Projekt mit einer höheren Computerleistung durchführen will, sieht er anhand der Liste, welche Unis dafür überhaupt in Frage kommen.

Im Arsenal plant man unterdessen schon den VSC-4. Jener Raum, in dem ich wegen der Hitze meine Jacke ablege, wird in  Zukunft die vierte Version des österreichischen Supercomputers beherbergen. Die Ausschreibung und Materialbeschaffung ist für 2016 anberaumt, 2017 will man den Betrieb aufnehmen. Vielleicht erfüllt der VSC-4 ja den Wunsch von Markus Oppel. Er wünscht sich, auf internationalen Konferenzen sagen zu können: „Wir haben jetzt den VSC-4 und sind in den Top 20.“

Sonja Luksik studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

AutorInnen: 
Sonja Luksik