Humboldt kannte keine Massenunis
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle im Gespräch mit dem PROGRESS über Studiengebühren, die Finanzierung der österreichischen Hochschulen und die Uni-Brennt-Bewegung.
PROGRESS: Hannes Androsch hat vor kurzem gemeint, dass sowohl die Politik als auch die Zivilbevölkerung in Österreich von Feig- und NeidbürgerInnen bestimmt werden. Hat er Recht?
Töchterle:
Nein, ich finde nicht, dass er Recht hat. Ich verwahre mich dagegen, dass man ständig in dieses Lamentieren ausbricht. Für mich ist das ein Gejammere auf hohem Niveau. Was die Hochschulen betrifft: Da geht Vieles weiter. Ich sehe den Stillstand, der hier zum Teil herbeigeredet wird, nicht. Aber natürlich haben wir auch Einiges zu tun.
Vor kurzem fanden die ÖH-Wahlen statt, eine neue Exekutive wird bald im Amt sein. Wie bewerten Sie die Arbeit der auslaufenden Exekutive?
Auf jeden Fall positiv. Wie Sie ja wissen, war ich mit der Uni-Brennt-Bewegung von Anfang an dialogbereit. Ich habe diese Bewegung als einen wichtigen Beitrag zur Diskussion gesehen. Natürlich ist dieser Beitrag nicht direkt von der ÖH gekommen, sondern von woanders und es war anfangs gar nicht leicht für die ÖH, mit dieser Bewegung umzugehen. Das habe ich in Innsbruck live mitbekommen. Dort war das für die ÖH ziemlich schwierig.
Inwiefern?
Weil die ÖH in Innsbruck sich in einem gewissen Gegensatz befunden hat zur Uni-Brennt-Bewegung. Die ÖH-Exekutive in Innsbruck war damals ja von der AG dominiert und hat diese Uni-Brennt-Bewegung teilweise als Versuch gesehen, die ÖH-Wahl umzuschreiben. So ganz zusammengefunden hat man dort nie. Ich habe das Gefühl, dass dies in Wien besser funktioniert hat. Sigrid Maurer hat es dort schneller geschafft, mit der Bewegung zu verschmelzen. Andererseits ist es natürlich nicht nur diese Bewegung, die die Politik der ÖH in den vergangenen Jahren getrieben hat, sondern auch viele andere Dinge. Die ÖH hatte mit Sigrid Maurer in den vergangenen zwei Jahren eine eloquente und starke Wortführerin. Sie war sehr sichtbar und hörbar. Wir alle wissen aber auch, dass wir bei zwei Kernthemen unterschiedlicher Meinung sind...
Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen...
Genau, das ist ja bekannt. Man kann sich darüber ärgern, dass ich nicht von meinen Positionen abrücke. Ich kann mich aber auch darüber wundern, dass die andere Seite nicht von ihren Positionen abrückt.
Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit mit der kommenden ÖH-Exekutive?
Ich wünsche mir natürlich eine gute Zusammenarbeit. Am Wahlabend war ich auf der Bundesvertretung und habe mit allen FraktionsvertreterInnen gesprochen und das Gefühl gehabt, dass die Gesprächsbereitschaft gegeben ist.
Wäre Ihnen eine schwarz-gelbe Koalition auf der ÖH-Bundesvertretung lieber als Rot-Grün? Immerhin hätten Sie damit bei einigen Anliegen, wie etwa Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen, weitere BündnispartnerInnen.
Die Jungen Liberalen waren die einzige Fraktion, die offensiv für Studiengebühren im Wahlkampf eingetreten ist – und sie haben ein beachtliches Ergebnis eingefahren.
Seit 2005 können Studierende ihre Bundesvertretung ja nicht mehr direkt wählen, das bedeutet unter anderem auch, dass die Stimmen von kleineren Universitäten mehr Gewicht haben als die von größeren. Sie haben sich vor kurzem bezüglich des ÖH-Wahlmodus gesprächsbereit erklärt. Sind Sie für eine Wiedereinführung der Direktwahl?
Ich bin absolut gesprächsbereit was eine Änderung des Wahlrechts betrifft. Ich kenne die Argumentation und viele Argumente für die Direktwahl erscheinen mir plausibel.
Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Baustellen im Hochschulsektor?
Ich rede lieber von Konzepten. Aber wenn ich in der Terminologie von Baustellen bleiben soll, dann habe ich ja einige begonnene Projekte von Beatrix Karl übernommen. Zum einen wäre da die Studienplatzfinanzierung, zum anderen der Hochschulplan, wobei man den Hochschulplan als Dach über allem anderen sehen kann. Das sind jetzt einmal die größten Konzepte, die zur Realisierung anstehen. Bei beidem bin ich optimistisch und denke, dass wir noch in diesem Jahr wesentliche Schritte machen werden.
Seit Jahren gibt es in Österreich das Ziel, zwei Prozent des BIP für den Hochschulsektor zu verwenden. Derzeit sind wir immer noch bei 1,3 Prozent. Wie und bis wann, glauben Sie, kann dieses Ziel erreicht werden?
Bekannt ist, dass der öffentliche Anteil an diesen 1,3 Prozent deutlich höher ist als in anderen Ländern. Bei uns ist der private Anteil an der Hochschulfinanzierung immer noch sehr niedrig. Dieser könnte von Drittmittelfinanzierung durch Unternehmen gedeckt werden. Aber auch Studiengebühren könnten hier einen Beitrag leisten. Mir ist klar, dass dieser nur einen geringen Anteil im Gesamtbudget ausmachen würde, aber auch das wäre eine Möglichkeit, dem angestrebten Budget näherzukommen. Geplant ist, das zwei- Prozent-Ziel bis 2020 zu erreichen. Das ist sehr ambitioniert. Die Krise hat uns auch hier zurückgeworfen. Die Konsolidierungsmaßnahmen im Wissenschafts- und Unterrichtsministerium sind zwar die geringsten, aber auch hier mussten wir Einsparungen tätigen.
Manche Länder haben hier einen ganz anderen Weg eingeschlagen. In Deutschland wurden beispielsweise umfangreiche Investitionen in Milliardenhöhe in die Bildung getätigt. In Österreich wird dagegen weiter gespart.
Diese Entscheidungen sind vor meiner Zeit als Minister getroffen worden. Man kann aber sicher positiv vermerken, dass im Bildungsbereich hierzulande am wenigsten eingespart wurde. Die neue Finanzministerin hat aber auch schon mehrmals gesagt, dass sie weiterhin einen Sparkurs fahren möchte, mit den Ausnahmen: Familie, Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Im Herbst stehen die Budgetverhandlungen für die nächste Leistungsvereinbarungsperiode an. Die RektorInnenkonferenz etwa fordert zumindest 300 Millionen Euro mehr, allein um den Status Quo aufrecht erhalten zu können. Werden Sie diese Mittel bekommen?
Auf Zahlen kann ich mich jetzt klarerweise nicht einlassen. Die Forderung ist natürlich berechtigt, wenn man sich ansieht, wie sehr die Studierendenzahlen steigen. Wir haben zwischen 2005 und 2010 eine Anstieg von etwa 50.000 Studierenden gehabt und die Studierendenzahlen werden auch weiter steigen. Von daher ergibt sich natürlich ein wachsender Finanzbedarf. Ob es jetzt genau die dreihundert Millionen sind, darüber kann man streiten.
Mit welchem Ziel gehen Sie in die Verhandlungen?
Das Ziel muss sein, mehr Geld für den Hochschulsektor bereitzustellen, wobei man auch die Studienplatzfinanzierung mitdenken muss. Wir planen diese mit der kommenden Leistungsvereinbarungsperiode ebenfalls zu implementieren. Da zeigen uns Berechnungen einen Mehrbedarf. Das wird natürlich eine Rolle bei den Budgetverhandlungen spielen.
Wie wird das Modell der Studienplatzfinanzierung ungefähr aussehen – wie wird ein Studienplatz künftig berechnet werden?
Erste Eckpunkte wird es Ende Juni geben. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis, dass ich jetzt keine wirklichen Details bekannt gebe. Ich kann nur so viel sagen, dass wir derzeit in Fächergruppen und auf der Basis internationaler Vergleichsstudien rechnen. Man kann verschiedene Modelle in Betracht ziehen. Eine Frage ist natürlich, welche Studierendenzahlen man annimmt. Die Frage ist, ob die Inskriptionszahlen oder die Zahl der aktiven Studierenden in die Rechnung einfließen sollen?
Werden bei dem neuen Modell die Betreuungsverhältnisse berücksichtigt?
Ja, das Betreuungsverhältnis ist eine entscheidende Größe bei den Berechnungen. Wir streben ein ideales Betreuungsverhältnis an, jedoch sind wir in vielen Fächern weit davon entfernt.
Was ist aus Ihrer Sicht ein ideales Betreuungsverhältnis?
Das ist natürlich von Fach zu Fach unterschiedlich.
Eine ungefähre Richtgröße muss es doch geben?
Die einzelnen Zahlen habe ich nicht im Kopf. Derzeit könnte man die Idealzahlen jedoch nur finanzieren, wenn man entweder radikal begrenzt oder radikal das Budget ausweitet. Beides ist unrealistisch. Man muss sich also irgendwo dazwischen bewegen.
Sie sind ja bekanntlich für Studiengebühren. Warum eigentlich?
Studiengebühren eröffnen die Möglichkeit, dass die Studierenden einen Beitrag zur Finanzierung des Hochschulsystems tätigen können. Das soll in Österreich jeder tun, der es sich leisten kann. Zumal viele Studierende es auch akzeptieren!
Die Argumente rund um die Studiengebührendebatte lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Einmal eine Humboldt’sche humanistische Argumentation, dass Bildung für alle zugänglich und kostenlos sein soll. Dann die Wirtschafts-Liberalen, die meinen, Bildung müsse einen monetären Wert besitzen. Und dann die PragmatikerInnen, für die Gebühren das Unibudget abdecken sollen. Wo sehen Sie sich?
Ich bin eher der auf der Seite der Pragmatiker. Denn das Ideal, dass jegliche Bildung kostenlos sein soll, ist ein sehr schönes, aber eben unrealistisch. Deswegen das Pragmatische. Wobei man über das Humboldt’sche streiten könnte. Humboldt ist natürlich von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen und hat ganz andere Zahlen im Blick gehabt. Die Massenuni von heute kannte er nicht.
2008 wurde von SPÖ und ÖVP ein Entschließungsantrag zur direkten Auszahlung der Familienbeihilfe beschlossen. Dies betrifft Studierende ab dem 18. Lebensjahr. Aus dem Entschließungsantrag ist bisher aber noch nichts geworden. Warum?
Das ist mir entgangen.
Es kommt ja immer wieder zu Fällen, bei denen Eltern die Familienbeihilfe ihrer studierenden Kinder einbehalten. Würden Sie sich grundsätzlich dahinterstellen zu sagen, Studierende sollen die Familienbeihilfe direkt ausbezahlt bekommen?
Natürlich sollte es nicht so sein, dass die Jungen davon nichts spüren. Das ist eine grundsätzliche Position, die man vertreten und diskutieren kann. Aber wie man das jetzt in ein Gesetz gießt, das fällt nicht in mein Ressort.
Nach dem neuen Budgetgesetzes bekommen Studierende, die älter als 24 Jahre sind, keine Familienbeihilfe mehr ausbezahlt. Auch die Zuschüsse für die Studierendenheime wurden gekürzt. Das Studentenwerk in Salzburg hat vor kurzem bekannt gegeben, dass seine Mietpreise in Folge dessen ab dem nächsten Jahr um 30 bis 40 Euro ansteigen werden.
Ja, da müssen wir einen Weg finden, um sozial Bedürftigen eine Unterstützung zu geben. Ich kann das Loipersdorfer-Paket vom vergangenen Herbst nicht wieder aufschnüren. Was ich tun kann, ist, gewisse Härten zu mildern.
Das Interview führten Georg Sattelberger und Ann-Kathrin Slupek.