Grasgrüne Hoffnungsschimmer
In Granadas Nordbezirk Almanjáyar bringen zahllose Indoor-Cannabisplantagen die Stromnetze an ihre Belastungsgrenzen. Und deren Blüten den krisengeplagten BewohnerInnen ein illegales Einkommen. Ein Lokalaugenschein.
Wer den Duft kennt, weiß was hier wuchert. In jedem Straßenzug zwischen den tristen, oft verwaisten 1970er-Wohnblöcken der Satellitensiedlung am äußersten Stadtrand der andalusischen Provinzhauptstadt Granada riecht es fein süßlich nach Cannabis. Nicht nur an diesem tiefgrauen, regnerischen Maitag, der zum Alltag in Almanjáyar passt.
Ein Schuss aus einem Druckluftgewehr ertönt. Die getroffene Katze miaut schmerzerfüllt. Gelächter. An der Ecke spielen Kinder und Jugendliche, die eigentlich in der Schule sein sollten, mit Airsoft-Pump-Guns. Streunerjagen ist ein willkommener Zeitvertreib. Außenstehende sind hier nicht gern gesehen, denn neben dem Cannabis gehören auch der Verkauf von Kokain und Sexarbeit zu der hier alles dominierenden Schattenwirtschaft.
Der Cannabisanbau stieg über die vergangenen Jahre immens an, vor allem mit der in Granada nichtendenwollenden Krise. „Er prägt den Alltag der von Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit geplagten Bewohner_innen“, weiß José Lombardo. Der gelernte Installateur hält sich mit Gelegenheitsjobs und zeitweise als Aushilfs-Pizzakoch finanziell über Wasser. Seit mehr als zehn Jahren lebt er hier. Wie er progress erklärt, will er „auch am Boom um die Cannabisplantagen, die leerstehende Wohnungen, Keller, Garagen, ja selbst Industrieflächen füllen, teilhaben“. Jedoch legal: „Guano-Dünger, Kokosmatten, Samen, alles was man für den Anbau braucht“, will er zu seinem Geschäft machen. Und sich eine Ausbildung als Schädlingsbekämpfer leisten.
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SIE KAUFEN ALLES. „Kontrolliert wird der Anbau und Handel von hier vor Dekaden an den Stadtrand umgesiedelten Roma-Familienclans“, sagt Lombardo. „Kund_innen kommen aus Holland, Tschechien, Deutschland. Erst vor wenigen Wochen hat man zwei Franzosen festgenommen, die 34 Kilo im Auto transportierten“, sagt er.
„Sie kaufen alles“, weiß sein Jugendfreund Juan Heredía*, der anonym bleiben will. Heredía ist „Kleinstbauer“. Er hat eine potente Grow- Lampe und 16 Pflanzen, wie er sagt. Dank eines Sozialtarifs ist seine Stromrechnung gering. „30 Euro im Monat.“ Seine größte Sorge ist, dass man ihm seine Ernte stiehlt. „Wo das Geld quasi an ‚Bäumen‘ wächst, gibt es Neider_innen.“ „Warum nach Marokko fahren, um Kif oder Haschisch zu kaufen? Und es über eine EU-Außengrenze schmuggeln, wenn man in Granada für 1000 Euro das Kilo Indoor-Cannabis kaufen kann?“, erklärt sich die Policía Nacional die Plantagenschattenwirtschaft.
Angebot bestimmt die Nachfrage und vice versa. So habe es sich längst bis nach Mitteleuropa durchgesprochen, dass man hier „Qualität für einen Euro das Gramm bekommt“. Sofern man ausreichend große Mengen abnimmt. Die Polizei kommt kaum mit der Beschlagnahme von Pflanzen nach. Fast 12.000 Stauden wurden im Vorjahr vernichtet. Das ist Rekord in Spanien und stellt fast ein Viertel der landesweit konfiszierten Cannabispflanzen dar. Periodische Razzien tun dem Anbau jedoch kein Ende.
Die stetigen Routinekontrollen bei der Ausfahrt aus dem Stadtteil nerven Lombardo indes: „Zwei, drei Mal die Woche wird mein Auto komplett durchsucht.“ Was er mittlerweile mit einberechne, wenn er ins Zentrum fährt.
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STROMAUSFALL. Die „Maria“ hat für die lokale Ökonomie sowie in den angrenzenden Bezirken La Paz, Rey Badis aber auch Cartuja sukzessive an Bedeutung gewonnen. Insbesondere, weil knapp 80 Prozent, ein Großteil der jungen SpanierInnen, bereits lange Zeit erwerbslos sind. Immerhin verdient man als Tagelöhner_ in im Gras-Gewächshaus mehr als bei der harten Olivenernte. 50 bis 80 Euro, die bei einem gesetzlichen monatlichen Mindestlohn von knapp 650 Euro locken. „Wer mehr als 200 Pflanzen hat, braucht Hilfe, um die Blüten vom Blattwerk zu befreien“, weiß Lombardo: „Das muss schnell gehen. Zeit ist Geld. Kund_innen stehen Schlange.“
Der Indoor-Plantagenanbau führt jedoch auch zu Problemen. Angezapfte Stromleitungen strapazieren die Netze über die Grenzen der Belastbarkeit. Stromausfälle sind die Regel. Zwei Trafostationen waren mit dem Strombedarf restlos überfordert. „Sie haben sie durchgeheizt“, sagt Lombardo, schüttelt den Kopf und lacht: „Das Licht ging flächendeckend aus.“ Mittlerweile begleiten stets Angestellte des Stromgiganten Endesa die PolizistInnen bei Razzien. Mehrfach haben Anwohner_innen, die nichts mit dem Grasanbau am Hut haben, protestiert. Endesa gab an, dass der Stromverbrauch in Almanjáyar den von Juncaril, dem größten Industriegebiet bei Granada, übertreffe. Dieser Fakt macht die Dimensionen begreifbar
Im Zuge der „Operation Urko“ nahm die Polizei zum Jahreswechsel 2015 19 Plantagen in Wohnungen, Garagen und Kellern aus. Alleine in dieser Aktion – einer von vielen – wurden stattliche 2.200 Pflanzen beschlagnahmt, außerdem 5,7 Kilogramm getrockneter, verkaufsfertiger Cannabisblüten in Topqualität. 212 Halogen-Hochleistungsanbaulampen, Verteilerstecker, Zeitschaltuhren, Ventilatoren, Klimaanlagen, Pumpen und Co. zeugten vom Grad der Professionalität.
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LAXES STRAFRECHT. Erst Monate nach der Razzia wurden sieben Männer ausgeforscht und festgenommen. Von Seiten der Ermittler_innen wird nicht nur das Stillschweigen der Anwohner_innen, sondern mehr noch das „zu laxe Strafrecht“ lamentiert. Wer unbescholten als Plantagenbesitzer_ in entlarvt wird, „kann zwar nicht auf die Eigenbedarfs-Strategie bauen“, scherzt Lombardo. Aber man komme schlimmstenfalls mit einer bedingten Haftstrafe davon.
Jemi Sánchez, Sozialarbeiterin, langjährige sozialistische Bezirksrätin für Almanjáyar und nun Neo-Stadträtin, weiß: „Die Bewohner_innen werden hier im Stich gelassen. Es ist nicht sicher hier, dreckig, und es gibt keine Arbeit.“ Sie fordert im progress-Gespräch Lösungen ein, für fast 30.000 Menschen, die in den Nordbezirken leben. Höchste Zeit wäre es. Womöglich klappt es nun unter Francisco Cuenca Rodríguez vom sozialistischen PSOE, der seinem in Korruptionsskandale verwickelten Vorgänger als Bürgermeister nachfolgt. Ein weiterer Hoffnungsschimmer. Auf eine Wende abseits grasgrüner Geschäfte.
* Name der Redaktion bekannt
Jan Marot studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien und Zürich und arbeitet seit 2007 als freischaffender Auslandsjournalist.