Gebt den WählerInnen die Chance, die ÖH abzustrafen
Eine Rückkehr zur Direktwahl der ÖH-Bundesvertretung ist aus vielen Gründen mehr als überfällig. Dass sie aus rein machttaktischen Überlegungen blockiert wird, ist eine Schande.
Eine Rückkehr zur Direktwahl der ÖH-Bundesvertretung ist aus vielen Gründen mehr als überfällig. Dass sie aus rein machttaktischen Überlegungen blockiert wird, ist eine Schande.
Egal welche politische Entscheidung die Studierenden bei der nahenden ÖH-Wahl auch treffen mögen – eine Debatte wird uns, so viel scheint sicher, auch in diesem Jahr nicht erspart bleiben: Es ist jene über die (zu) niedrige Wahlbeteiligung. Zu verdanken ist die im Zwei-Jahres-Rhythmus wiederkehrende Diskussion den SkeptikerInnen einer gesetzlich verankerten Studierendenvertretung; sie nutzen diese mit Leidenschaft dazu, der ÖH ein Legitimationsproblem anzudichten. Zielführend ist die Debatte freilich nicht. Das stört aber niemanden. Bekanntermaßen ist Lösungsorientierung im politischen Diskurs in Österreich schon lange keine Kategorie mehr.
Wesentlich wertvoller wäre eine andere Diskussion, mit der obige kausal eng verknüpft ist. Und zwar jene über die längst überfällige Rückkehr zu der im Jahr 2005 abgeschafften Direktwahl der ÖH- Bundesvertretung. Seit 2005 ist es den Studierenden nicht mehr gestattet, ihr oberstes Vertretungsgremium direkt zu wählen. Stattdessen wird dieses von den 21 direkt gewählten Universitätsvertretungen nur noch beschickt. Welchen Sinn dieses System hat, ist schwer zu erklären. Was vor allem daran liegt, dass es keinen hat. Die Abschaffung der Direktwahl war nicht viel mehr als ein (gelungener) Coup der schwarz-blauen Regierung – vor allem zur Schwächung der linken ÖH-Fraktionen.
Verzerrungen. Die Argumente gegen das bestehende Wahlrecht sind zahlreich. Und man muss kein übereifriger Politikwissenschaftsstudent sein, um die offensichtlichen demokratiepolitischen Mängel der Regelung zu erkennen. Dass durch das eher komplizierte System, nach dem die Bundes-ÖH derzeit bestellt wird, nicht jede Stimme von jeder Uni gleich viel wert ist – es quasi zu Verzerrungen kommt, ist nur einer dieser Mängel. Ein anderer ist, dass den Studierenden derzeit die Chance genommen wird, die Exekutive der Bundes-ÖH für ihre Leistungen an der Spitze der Institution durch eine direkte Wiederwahl zu belohnen – oder aber sie für ihre Verfehlungen abzuwählen. Dass dies nur indirekt über die Wahlentscheidung für die jeweils eigene Universitätsvertretung geht, ist so, als müsste man – wagen wir an dieser Stelle einen Vergleich – bei der Landtagswahl eine Proteststimme abgeben, um die Bundesregierung abzustrafen.
Wer nun meint, der Vergleich hinke, dem sei gesagt, dass Vergleiche dies meistens tun. In der Sache ist er aber richtig: Denn die Universitätsvertretungen haben einen ganz anderen Auftrag zu erfüllen als die Bundes-ÖH. Eine Verquickung der Wahl beider Institutionen ist deshalb schlicht unzulässig. Während den Universitätsvertretungen (wie auch den Studienrichtungs- und den Fakultätsvertretungen) die Aufgabe zukommt, die Studierenden in ihrem Studienalltag zu servicieren und zu beraten sowie gegenüber den Rektoraten Stellung zu beziehen, hat die Bundesvertretung die bildungs- und gesellschaftspolitischen Interessen der Studierenden im Widerstreit mit der Politik – in erster Linie dem Wissenschaftsministerium – zu wahren.
Machtpolitik. Mit dieser Feststellung ist indirekt auch schon erklärt, warum wir bis heute nicht zur Direktwahl zurückgekehrt sind, obwohl dies alle ÖH-Fraktionen mit Ausnahme einer einzigen wünschen: Quer legen sich ausgerechnet die ÖVP-Studierenden der Aktionsgemeinschaft (AG). Dass sie am bestehenden Modus festhalten wollen, ist aus machttaktischen Überlegungen heraus verständlich. Die AG, die sich in erster Linie auf das fehlerfreie Kopieren von Skripten versteht, weniger aber auf Bildungs- und schon gar nicht auf Gesellschaftspolitik, zieht aus der geltenden Wahlordnung einen Gutteil ihrer Stärke. Aufgrund ihres durchwegs guten Service, wählen sie viele Studierende in die Universitätsvertretung – und damit eben auch indirekt (und vielleicht unfreiwillig) in die Bundesvertretung. Bei einer Direktwahl wäre das wohl anders, denn abgesehen von regelmäßigem Applaus für den parteieigenen Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, hat die AG auf Bundesebene derzeit nur wenig zu bieten. (Wer sich als Studierender Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren wünscht, möge sich – nur ein Tipp – an dieser Stelle lieber das wesentlich mutigere und kantigere Programm der JuLis zu Gemüte führen.)
Der Wissenschaftsminister ist es dann auch, mit dem die AG eine unheilige Allianz eingegangen ist, um ihre Stimmenanteile zu sichern. Obwohl er ursprünglich Zustimmung zur Wahlrechtsreform signalisiert hatte, verwehrte Töchterle Ende vergangenen Jahres schließlich das nötige Placet zu einer neuen Wahlordnung und schützte damit die AG. Würde man Töchterles damaligen Hinweis tatsächlich ernst nehmen, dass er der Reform nur nicht zustimmen könne, weil die Studierenden sich nicht „einstimmig“ für ebendiese ausgesprochen „hätten“, müsste man sich übrigens Sorgen um sein Demokratieverständnis machen.
Dass Töchterle im Vorfeld von seinem Ministerium die Auswirkungen der Direktwahl auf die Mandatsverteilung errechnen ließ und die Ergebnisse der AG zur Verfügung stellte, sollte ihm bis heute peinlich sein. Die AG dankt es Töchterle, indem sie sich im Wahlkampf nun zu der Forderung aufgeschwungen hat, die ÖH solle Projekte in der Höhe von mehr als 100.000 Euro künftig von besagtem Minister absegnen lassen. Mit unabhängiger Interessenvertretung hätte das nichts mehr zu tun. Passieren müsste aber das Gegenteil: Die ÖH-Bundesvertretung ist durch die Rückkehr zur Direktwahl – und damit zu einem direkten Mandat ihrer Studierenden – weiter zu stärken. Nur so kann die ÖH jene Verhandlungsmacht für sich beanspruchen, die sie mangels aktiver Gestaltungsmacht so dringend braucht. Dass die Studierenden auf Uni- und auf Bundesebene künftig verschiedene Fraktionen wählen können und dies auch tun, ist mehr als wünschenswert.
Unterschiedliche Wahlsysteme. Auch für die zahlreichen Studierenden an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen wäre eine Direktwahl der Bundes-ÖH ein Fortschritt. Derzeit sind die beiden Institutionen paradoxerweise mit anderen Wahlsystemen ausgestattet als die Unis. Es herrscht dort Personen- und nicht Listenwahl; die KandidatInnen werden für ein Jahr bestimmt, nicht für zwei. Die parteipolitisch gefärbten Fraktionen kandidieren nicht in jener Form, in der sie das an den Unis tun. Umso wichtiger wäre es für FH- und PH-Studierende, zumindest auf Bundesebene ihren politischen Willen klar zum Ausdruck bringen zu können. Und dieser hat, wie oben erläutert, mit den Servicebedürfnissen an der eigenen Institution nur sehr bedingt etwas zu tun.
Gefordert sind nun der Wissenschaftsminister wie auch die ÖH-Fraktionen selbst: Sollte ihnen allen etwas an einer ernst zu nehmenden Studierendenvertretung, für deren Wahl sich die Vertretenen auch begeistern können, liegen, müssen sie rasch einen erneuten Anlauf zur Reform der Wahlordnung nehmen. Im besten Fall ersparen wir uns damit im Juni 2015 vielleicht erstmals auch die Debatte über die niedrige Wahlbeteiligung. Es wäre wohltuend.
Christoph Schwarz ist Bildungs-Ressortleiter der Tageszeitung Die Presse.