Gangster Girls als Expertinnen des Strafvollzugs
In dem außergewöhnlichen Dokumentarfilm Gangster Girls (2008), der während des Gefängnistheaterprojekts Medea zum Trotz mit Häftlingen aus dem Frauengefängnis Schwarzau sowie der Jugendstrafanstalt Gerasdorf entstand, wird ein vielschichtiges Bild der Institution Gefängnis gezeigt.
In dem außergewöhnlichen Dokumentarfilm Gangster Girls (2008), der während des Gefängnistheaterprojekts Medea zum Trotz mit Häftlingen aus dem Frauengefängnis Schwarzau sowie der Jugendstrafanstalt Gerasdorf entstand, wird ein vielschichtiges Bild der Institution Gefängnis gezeigt. Die moderne Adaption des Mythos der Außenseiterin, Kämpferin und Kindsmörderin Medea ist an die wahren Geschichten der Insassinnen angelehnt, die sich selbst in Szene setzen, um diese Geschichten, aber auch vom Gefängnisalltag zu erzählen. Kritik am Strafvollzug steht dabei nicht explizit im Vordergrund, sondern verdeutlicht sich zwischen den Bildern selbst. Im Interview spricht die Regisseurin Tina Leisch über den Freiraum, den die Mitwirkenden für sich nutzen konnten und darüber, was aus den Protagonistinnen geworden ist.
PROGRESS: Das Theaterprojekt bot Freiraum für die Schauspielerinnen. Wie konnten die jungen Frauen diesen Raum für sich nutzen?
TINA LEISCH: Im Gefängnis gibt es für die Gefangenen zwei Regelsysteme, denen sie gleichzeitig unterworfen sind, deren Anforderungen sich aber diametral widersprechen. Zum einen das Reglement der Anstalt, welches Unterordnung, Gehorsam, Anpassung und Reue vorsieht, zum anderen das Regelsystem der Häftlingsgemeinschaft, das von Gefängnis zu Gefängnis und von Gruppe zu Gruppe anders ist, aber in dem man die entgegengesetzten Verhaltensweisen zeigen muss, um sozialen Status unter den Mitgefangenen zu erlangen. Das produziert einen Doublebind, der kaum Raum lässt für eigensinnige, eigenständige Entwicklung und ist einer der Mechanismen, durch die Gefängnisse Kriminalität und Kriminelle produzieren. Theater zu spielen schafft da einen Freiraum, in dem Kommunikationen möglich sind, die sich keinem der beiden Reglements unterwerfen.
Inwiefern ist das Gefängnis selbst ein Thema des Films?
Wir hatten uns von Anfang an dafür entschieden, davon auszugehen, dass die ExpertInnen dafür, was Gefängnis mit den Menschen macht, die Gefangenen sind; dass wir also ausschließlich ihnen das Wort und das Bild erteilen möchten. Wir wollten wissen, warum so wenige versuchen auszubrechen, wie das Zuckerbrot-und-Peitsche-System aus Versprechen von Vollzugslockerung und vorzeitiger Entlassung bzw. Strafen von Ausgangssperre bis Absonderung funktioniert.
Was wurde aus den Protagonistinnen, mit denen du zusammengarbeitet hast?
Zum Glück waren die meisten schon zur Premiere des Filmes entlassen. Inzwischen sitzt nur noch eine, die demnächst entlassen wird. Eine suchtkranke Frau ist erneut straffällig geworden und wartet nun in U-Haft auf ihren Prozess. Wir haben zu fast allen Kontakt, telefonieren ab und zu, einige wenden sich immer wieder an uns, wenn sie Rat und Hilfe brauchen. Mein Eindruck ist, dass für die meisten die Teilnahme am Film und die Teilnahme an Podiumsdiskussionen und Debatten als Expertinnen für Strafvollzug eine sehr positive Wirkung hatte in der harten ersten Zeit nach der Entlassung.