Feminismus, wir müssen reden
Die politische Sichtbarkeit von trans Personen macht nicht nur Konservative nervös. Auch einige Feminist_innen fürchten um ihr Weltbild.
Im angloamerikanischen Raum sind transfeindliche Feminist_innen schon länger unter dem Akronym TERFs bekannt. In Wien ist beispielsweise das autonome Frauenzentrum ein Residuum transausschließender Politik, die auf Ansichten der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre gründet. Die Haltung des FZs zeigt sich in seiner Selbstbeschreibung, aber auch in dem jährlich erneuerten Credo, trans Personen (üblicherweise meinen sie trans Frauen) sollten nicht an der 8. März Demonstration oder feministischen Selbstverteidigunskursen (WENDO) teilnehmen. Transfeindlicher Feminismus ist nun auch mitten in der queer-feministischen Szene angekommen.
TERFs. TERF steht für Trans Exclusionary Radical Feminism/Feminist. Dabei handelt es sich nicht um eine stolze Selbstbezeichnung, sondern um den Versuch von außen, die Transfeindlichkeit mancher feministischer Bewegungen sichtbar zu machen. Für TERFs ist die Welt einfach: Die Menschheit teilt sich in Frauen und Männer, die in einem Unterdrückungsverhältnis zueinander stehen. Wer zu welcher Gruppe gehört, bestimmen die TERFs, pardon, die Biologie. In dieser Wahrnehmung existieren trans Personen, also Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, einfach nicht. Weil sie aber eben doch existieren, belegen TERFs sie mit Vorwürfen: So hätten trans Männer – aber auch nicht binäre Personen – Verrat am weiblichen Geschlecht begangen und sich mit dem Patriarchat gut gestellt. Trans Frauen hingegen können in dieser Denkweise nie wirkliche Frauen sein. Die Argumentation stützt sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Biologie und Sozialisation.
Biologie. Das Argument, Geschlecht sei biologisch bestimmt, ist nicht neu. Überraschend ist jedoch, aus welcher Ecke es neuerdings vorgetragen wird. Seit vier Jahren kommentiert der popkulturelle Blog Sugarbox das „queere Wien“. Im Sommer stellte sich eine Blogautorin die Frage „Was ist eigentlich Geschlecht?“ und löste mit ihrem Artikel eine heftige Diskussion um Feminismus und Transfeindlichkeit aus. Ihr Resümee: Die Begriffe „Mann“ und „Frau“ seien neutrale Körperbeschreibungen. Ein politischer Affront gegen trans Personen, denen durch die „objektive“ Beurteilung angeblicher biologischer Tatsachen ihr Recht auf Selbstbestimmung genommen wird.
„Your tells are so obvious, shoulders too broad for a girl“, singt Laura Jane Grace in ihrem Lied transgender dysphoria blues und beschreibt damit die schmerzhafte Erfahrung, in den Augen von anderen nicht als Frau erkannt zu werden. Viele trans Personen haben tagtäglich damit zu kämpfen, dass ihnen ihr Geschlecht abgesprochen wird. Es stimmt, dass wir gewohnt sind, in einfachen Dichotomien zu denken und wahrzunehmen. Aber diese Gewohnheit ist nicht objektiv richtig und schon gar nicht sollte es ein feministisches Ziel sein, sich ihrer Beibehaltung zu verschreiben.
Ist Geschlecht also ein Konzept der Natur zur Fortpflanzung? Ist nicht die Beschränkung von (cis) Frauen auf ihre Gebärfunktion auch für (cis) Feminist_innen riskant? Mit Recht wehren sie sich gegen die Reduktion des Körpers auf die Reproduktionsfähigkeit. Es gilt, sich von der Verfügungsgewalt durch Staat und Ehemann zu befreien und endlich durchzusetzen, dass eine Frau keine Gebärmutter ist. Es ist heuchlerisch, dann zum Zweck des Ausschlusses von trans Frauen die Gebärmutter als Kriterium wieder ins Spiel zu bringen. Ja, der Körper spielt eine Rolle. Und ja, es ist wichtig für trans Personen, Zugang zu medizinischen Leistungen zu haben, die sogenannte „geschlechtsangleichende Maßnahmen“ ermöglichen. Aber: Nicht alle trans Personen streben eine Hormontherapie oder OPs an und sie werden dadurch auch nicht erst männlich, weiblich oder nicht binär. Sie sind es schon davor und müssen sich in ihrer Entscheidung auch nicht von normativen Vorstellungen über das Aussehen von Männern und Frauen leiten lassen.
Auch der konservativen Medizin gelingt keine fein säuberliche Zuordnung von Körpern. Am stärksten von dieser Zwangseinteilung betroffen sind intergeschlechtliche Menschen. „Was wir heute unter weiblichen oder männlichen Körpern verstehen, ist gesellschaftliche Übereinkunft und Halbwissen, das wissenschaftlich längst überholt ist. Beispielsweise sind Chromosome, Hormonwerte oder Körperteile individuell extrem unterschiedlich und verlaufen nicht an der Grenzlinie ‚Frau‘/ ‚Mann‘“, sagt Njan Völker, Referentin_in im queer_referat der ÖH-Bundesvertretung.
Sozialisation. Sozialisation ist ein in der feministischen Theorie gebrauchtes Modell, das erklärt, wie Geschlechterrollen erlernt werden. Indem bei Mädchen andere Eigenschaften gezielt gefördert werden als bei Jungen, wird geschlechterkonformes Verhalten ausgebildet. TERFs nutzen dieses Konzept zum Ausschluss von trans Frauen, denen angeblich die weibliche Sozialisierung mit der in ihr angelegten Erniedrigung fehle.
Susanne Hochreiter vom Germanistikinstitut der Uni Wien hält von dem Konzept nicht viel: „Die Vorstellung von der gleichen Sozialisation ist ein dermaßen übler Blödsinn, dass man weinen könnte.“ Die gemeinsamen Erfahrungen, die angeblich alle Frauen teilen, spiegelt tatsächlich die Perspektive der weißen Mittelschichtsfrau zu einer bestimmten Zeit wieder. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Mädchen am Bauernhof im ländlichen Österreich aufwächst oder in Wien als Tochter türkischer Gastarbeiter_innen. Nicht alle Frauen erleben die selbe Art von Diskriminierung – Stichwort Intersektionalität. Vielmehr werden Lebensrealitäten von verschiedenen Faktoren geprägt. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise Antisemitismus, Rassismus, Armut oder Behinderung. Es ist eine wesentliche politische Einsicht, dass Diskriminierungsstrukturen vielschichtig und nicht aus einem einzigen Prinzip heraus erklärbar sind.
Auch in der Diskussion auf Sugarbox wird trans Frauen unterstellt, sie seien nicht als Mädchen erzogen worden und daher nicht wirklich von Sexismus betroffen. Diese Unterscheidung funktioniert nicht. In vielen Fällen merken Kinder schon früh, dass sie sich nicht in das Geschlecht einleben können/wollen, in dem sie angesprochen werden. Weibliche/männliche Sozialisation ändert daran nichts: „Ich habe auch während meiner Jugendzeit schon offen trans gelebt“, sagt Njan. „Welche Sozialisation habe ich demnach genossen?“ Aktivistin Lena Pöchtrager fügt hinzu: „Die Frage ist: Welche Vorbilder hatte ich, mit wem habe ich mich identifiziert? Insofern war meine Sozialisation nicht männlich, sondern die eines trans Mädchens. Sozialisation ist keine Einbahnstraße.“
„Klassische“ Frauenfeindlichkeit erleben trans Frauen genau wie cis Frauen, sobald sie von anderen als Frauen gelesen werden: „Wenn ich auf der Straße gecatcalled werde, fragt doch niemand davor: ‚Hast du eine weibliche Sozialisation?‘ oder: ‚Hast du eine Gebärmutter?‘“, sagt Lena.
Was nun? Solidarität ist auch dann gefragt, wenn man nicht genau dasselbe erlebt hat. Indem TERFs kundtun: „Wir verstehen transgender nicht“, werden sie kein Problem lösen. „Außerdem muss man schon zur Kenntnis nehmen, dass Pionier_innen der lesbischen und feministischen Bewegung, wie Leslie Feinberg, zugleich trans Pionier_innen waren. Alles andere hieße, einen Teil der eigenen Geschichte negieren“, sagt Hochreiter. (Queer-)Feminist_innen müssen Transfeindlichkeit mit ihren tödlichen Auswirkungen endlich als Problem erkennen – auch als ihr eigenes. Queer ist eben keine Partyattitüde, sondern ständiger Widerstand gegen ein System, das Körper und Begehren gewaltvoll reguliert.
„Ich würde mich freuen über einen progressiven Pragmatismus“, sagt Hochreiter, Mitgründerin des Gender Initiativ Kollegs: „Vor allem angesichts der Renationalisierung, die gerade stattfindet. Wir werden wieder auf der Straße stehen und uns fürs Abtreibungsrecht einsetzen. Das wird ein Rückzugsgefecht.“
Angesichts der politischen Umstände ist es an der Zeit, aus der Eitelkeit herauszufinden, die Feminist_innen nur um die eigene Achse kreisen lässt. Das heißt auch, Verantwortung zu übernehmen, anstatt den eigenen Problemfokus auf Kosten anderer zu verteidigen. „My body my choice“ ist nach wie vor ein wichtiger feministischer Slogan, der eben nicht nur cis Frauen betrifft. Hochreiter sieht nicht notwendig einen Widerspruch zwischen den Positionen: „Ich kann auf eine Demo für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gehen und ich kann auf eine Demo gehen für freie Entscheidung von Personen, was ihre Möglichkeiten ihr Geschlecht zu definieren anlangt.“ Wenn es feministischen Bewegungen gelingt, verschiedene Lebensrealitäten und deren spezifische Bedürfnisse einzubinden, statt zu negieren, können wir auch wieder gemeinsam auf die Straße gehen. Because nobody wants to be walking the streets all alone.
Kaddy Kube studiert Geschichte an der Universität Wien.