Extrem true und verdammt real

  • 11.12.2014, 10:42

Distinktion ist für jede Subkultur (überlebens-)wichtig. Vor allem Rap und Metal haben die Suche nach dem „Kern“ und den „Roots“ besonders geprägt: authentisch bis es wehtut.

 

Distinktion ist für jede Subkultur (überlebens-)wichtig. Vor allem Rap und Metal haben die Suche nach dem „Kern“ und den „Roots“ besonders geprägt: authentisch bis es wehtut.

In den späten 80er Jahren noch schockierten Metal und Rap. Später rückten sie jedoch immer mehr in den Mainstream. Es entstand die Fusion „Rap Metal“, die es bis heute nicht einfach hat. Sie kam zunächst gut an: Beispielsweise mit Hilfe von Kid Rock und minutiös genau produzierten Bands wie Limp Bizkit konnten Labels in den 90ern und frühen Nuller-Jahren einerseits Rap an die weißen Hörer_ innen bringen. Andererseits wurde Metal wieder radiotauglich und für eine breitere Masse attraktiv, die vom kitschigen Heavy Metal genervt war und sich mit neueren extremeren Richtungen wie Trash, Death oder Black Metal nicht anfreunden konnte.

Angst und Schrecken. Dabei war die Fusion von Metal und Rap ursprünglich nicht nur ein profitorientiertes Mainstream-Produkt. Auch von beiden Szenen respektierte Größen wie Anthrax und Public Enemy nahmen beispielsweise gemeinsam Lieder auf; Ice-T rappte bei Body Count nicht wie gewohnt auf Beats, sondern auf Gitarrenriffs aus Trash Metal und Punk. Die Härte, Aggressivität und das Subversive beider Genres ließen sich trotz musikalischer Unterschiede gut kombinieren. Rage Against The Machine verpackten sogar kritische politische Botschaften in die rauen Töne beider Genres.

Doch mit dem großen Erfolg von Kid Rock & Co. löste sich das subversive Element beider Szenen in den Charts von MTV auf. Ab diesem Zeitpunkt mussten sich vor allem jene Musiker_innen fürchten, die einen guten Ruf zu verlieren hatten, also die, die besonders true oder real waren. Die eigene Authentizität zählt(e) oft mehr als das musikalische Können. Wer sich im Hip Hop durchsetzen wollte, musste möglichst real sein, im Metal hingegen true. In dieser Zeit versuchten Cypress Hill und Westside Connection sich gegenseitig zu diskreditieren, indem sie einander unterstellten, heimlich mit Rockern abzuhängen. Ironischerweise experimentierten beide Bands dann ein paar Jahre später mit Rock und Metal Elementen. Die Regeln galten nicht nur für die Künstler_innen, sondern auch für die gesamte Szene und Hörer_innenschaft: Wer als Metaller_in den Kopf nicht nur zum neusten Slayer-Album bangte, sondern auch bei Tupac-Liedern nickte, verheimlichte das lieber.

Illustration: Sandra Biondi

Drive-Bys und Kirchen anzünden. Je mehr Rap und Metal in den Mainstream gelangten, desto schwerer wurde die Abgrenzung nach außen. So wurden allmählich die persönlichen Biografien der Musiker_innen wichtiger als der musikalische Output. Aufgewachsen im Ghetto, Mitgliedschaft in der Straßengang, Drogenhandel und am besten auch noch ein paar Jahre im Gefängnis – mehr Gangsta als Rapper lautete das Erfolgsrezept. Im verzweifelten Versuch, seine „Street Credibility“ zu bewahren, prahlte Mainstream-Rapper Bushido sogar damit, sowieso „nie ein Rapper gewesen“ zu sein.

Im Black Metal hingegen führte der Weg ins Authentische über die Abwendung von der urbanen, kapitalistisch- säkularen Kultur hin zu einem paganistischen Naturalismus. Im Black Metal machte man sich mit Brandanschlägen auf Kirchen oder rassistischen und homophoben Attacken einen Namen. So genießt der rechtsextreme Varg Vikernes, der wegen Brandstiftung und Mord an einem Bandkollegen im Gefängnis saß, einen ganz besonderen Kult-Status, der nicht nur mit seinen einflussreichen frühen Alben zu erklären ist.

Das Bedrohliche als Inbegriff einer menschlichen Roh- und daher Echtheit sollte nicht nur in der Musik, sondern in den Lebensgeschichten der Künstler_innen zu finden sein. Hyper-Maskulinität ist deshalb in beiden Szenen Bestandteil der „Authentizität“. Frauen bekommen dann Akzeptanz, wenn auch sie möglichst „maskuline“ Eigenschaften mitbringen. So eroberte die deutsche Death-Metal-Sängerin Angela Gossow die Herzen ihrer Fans, indem sie besonders „männlich“ growlte und grunzte. In der Rapszene waren es Künstler_innen wie MC Lyte, die mit Zeilen wie „I need a man that don’t stitch like a bitch“ die hyper-maskulinen Fantasien reproduzierten.

Echt wichtig. Die Frage nach dem Authentischen ist im Allgemeinen für jede Subkultur von zentraler Bedeutung. Bands und Artists, die konservativ sind, „sich treu“ bleiben und wenig Neues wagen, werden von ihren Fans besonders unterstützt und rühmen sich damit, sich nicht zu ändern, sich nicht dem Mainstream anzupassen. Wer hingegen zu viel am eigenen Sound oder mit dem eigenen Style experimentiert, kann schnell als „Sellout“ abgestempelt werden.

Dabei ist „Underground“ heute nicht mehr als eine Produktkategorie. Im Grunde steckt hinter der ablehnenden Haltung gegenüber dem Mainstream und der damit einhergehenden Verherrlichung vermeintlicher Wurzeln keine Konsumkritik. Das Bedürfnis nach performter Authentizität spielt eine ganz andere Rolle: Indem „überzeugende“ Performance eine Kult Funktion einnimmt, gibt es jenen, die Echtheit besonders gut verkörpern, eine privilegierte Position innerhalb der Szene. So können als „true“ und „real“ klassifizierte „Urgesteine“ über die Grenzen der Subkultur bestimmen und insbesondere darüber, wer dazugehört und wer nicht. Um diese Position zu besetzen, sagen dann Rapper_innen wie Massiv wahrhaftig lachhafte Dinge wie beispielsweise, dass nachts überall „Ghetto“ sei. Auch in seinem idyllischen Geburtsort Pirmasens am Westrand des Pfälzerwaldes (40.000 Einwohner_innen).

Die verzweifelte Suche nach der heiligen Authentizität hat beide Szenen ins Lächerliche geführt, doch das muss nichts Schlechtes sein. Heute machen in Brooklyn vegane Hipster mit Vollbärten und Fair- Trade-Holzfäller_innenhemden Black Metal fernab von den mystischen Wäldern Skandinaviens. Ehemalige „Gangsta Rapper“ aus dem „Ghetto“ shaken währenddessen zu Eurodance-Beats. Für Künstler_innen öffnen sich also neue Räume fern der „Echtheitsfalle“ und vielleicht können irgendwann immer mehr Hörer_innen Musik genießen, ohne von der Subkultur ausgestoßen zu werden.

Ali Cem Deniz hat in Wien Internationale Entwicklung studiert und macht jetzt was mit Medien.

AutorInnen: Ali Cem Deniz