Es braucht ein radikales Umdenken

  • 21.10.2013, 16:23

Mit der Sprachwissenschafterin Brigitta Busch hat Marlene Brüggemann über die Kosten der Einsprachigkeit, emotionales Spracherleben und Unterhaltungen mit Pflanzen diskutiert.

Mit der Sprachwissenschafterin Brigitta Busch hat Marlene Brüggemann über die Kosten der Einsprachigkeit, emotionales Spracherleben und Unterhaltungen mit Pflanzen diskutiert.

Brigitta Buschs Interesse an Fragen der Mehrsprachigkeit schlug bereits erste Wurzeln, als sie noch als Landwirtin in Kärnten lebte und Slowenisch lernte. Heute ist sie Professorin für angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien und forscht derzeit über Zusammenhänge von Migration, Mehrsprachigkeit und traumatischem Erleben. Während sie auf der institutseigenen Terrasse ihre Finger über die harten Blätter eines Rosmarinstockes laufen lässt, eröffnet sie das Interview mit progress mit einem Bekenntnis zum Guerilla Gardening.

progress: Frau Busch, Sie sind Linguistin, aber auch gelernte Landwirtin – können Pflanzen sprechen?

Brigitta Busch: Ich spreche mit meinen Pflanzen – das tun viele Leute.

Warum eigentlich?

Im Zuge meiner Forschungsarbeit zu „Trauma – Mehrsprachigkeit – Resilienz“ habe ich erlebt, dass die Bedeutung der – wie Julia Kristeva es formuliert – semiotischen Dimension von Sprache, also der lautund zeichenhaften Dimension, groß ist, wenn es darum geht, die eigenen Widerstandskräfte zu stärken. Das kann z.B. im Sprechen mit Pflanzen und Tieren passieren, im Sprachspiel oder im Anhören von Sprachen, die man nicht versteht. Also im Angesprochensein ohne direkt angesprochen zu werden.

Inwiefern ist Sprache auch von Nützlichkeit und Effizienz durchzogen? Bleibt da noch Platz für Poesie und persönlichen Ausdruck?

Die Dimension zwischen Funktionalität und Ausdruck der Sprache vernachlässigt die Sprachwissenschaft viel zu oft. Obwohl sie im Alltag eine größere Rolle spielt, als man auf den ersten Blick meint. Die Freude am semiotischen Ausdruck verliert sich nicht mit dem Kleinkindlallen, sie zieht sich durch das ganze Leben. Entgegen dem Trend, das Funktionale zu betonen, denke ich, dass das Nachdenken über eine semiotische Sprache die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung bereichert.

Wie kann so eine Bereicherung aussehen?

Für mich ist die Frage nach dem emotionalen und körperlichen Spracherleben zentral. Ich gehe davon aus, dass Sprache nicht nur etwas Kognitives ist, sondern, dass aufgrund meines Sprechens oder Schreibens auch emotionale Zuschreibungen und Einschätzungen stattfinden. Wenn ich eine Stimme am Telefon höre, beginnt ein Film zu laufen: weiblich oder männlich, gutgelaunt oder schlechtgelaunt, sympathisch oder weniger sympathisch, Dialekt oder Standardsprache. Das sind viele Ebenen und weitreichende Annahmen. Und das geschieht weitgehend unbewusst. Spracherleben ist ein komplexer Prozess aus Selbst- und Fremdwahrnehmung, der mit vielen Emotionen verbunden ist. Mein Schwerpunkt auf leiblich-emotionales Spracherleben stellt eine Gegenbewegung zum Trend der Standardisierung und Normierung dar – und ist in meinen Augen kein marginales Thema, wenn man es unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass es so viele Menschen gibt, die unter sprachlicher Gewalt leiden.

Könnten Sie das genauer ausführen?

Es gibt Situationen, da stellt man sich Fragen wie: Wie werde ich wahrgenommen? Wird mein Akzent als defizitär gesehen? Da kann schon ein Schamgefühl auftauchen. Ich entspreche nicht der Norm, also schäme ich mich. Das bedeutet einen Rückzug auf sich selbst, eine Verschließung. Im Bildungsbereich kann das ungünstige Folgen haben. Zum Lernen brauche ich eine Öffnung hin zur Welt. Wenn sich eine belastende Situation ständig reproduziert, die Defizitzuschreibungen sich wiederholen und man sich selbst als ungenügend sieht, blockiert das Lernprozesse.

Stellt der Umgang unserer Universitäten mit Mehrsprachigkeit diesbezüglich nicht ein Negativbeispiel dar?

Von der Uni wünsche ich mir, dass eine Sprachenpolitik definiert wird, die die Sprachressourcen würdigt, die Lehrende und Studierende mitbringen. Durch die jetzige Sprachenpolitik an den Universitäten, die nicht viel dazu beiträgt, mitgebrachte Erstsprachen von Studierenden auszubauen, vergeben wir sehr viel wissenschaftliches Kapital. Wir schneiden uns dadurch von einem differenzierten internationalen Diskurs ab.

Wann sind Sprachenkompetenzen ein Vorteil, wann nicht?

Der entscheidende Punkt ist, welche Sprache man spricht. Ein Beispiel: Eine Frau aus dem Senegal schrieb in ihren Lebenslauf, dass sie Deutsch, Englisch und Spanisch beherrscht. Auf die Frage, warum sie nicht auch Wolof [Umgangssprache im Senegal, in Gambia und Mauretanien, Anm. d. Red.] angibt, antwortete sie: „Wenn ich Wolof dazuschreibe, weiß ich, dass ich abgestempelt werde.“ Probleme wie diese muss man wahrnehmen, weil Sprache als Merkmal für Diskriminierung missbraucht wird. Bei den Tests auf den Fachhochschulen und den Pädagogischen Hochschulen sind vor allem MigrantInnen im Nachteil, da diese Tests hauptsächlich auf Deutschkompetenz aufgebaut sind. Selbst wenn das Ausmaß an Deutschkenntnissen für den geprüften Themenbereich nicht notwendig ist.

Wie werden Menschen gefördert, die sich nicht im klassischen Bildungssystem, also Schule oder Hochschule, bewegen?

Dafür ist kein Geld mehr zu haben, das wird zunehmend wegrationalisiert. Vor ein paar Jahren habe ich gemeinsam mit Perigrina, einer Beratungsstelle für MigrantInnen, Deutschkurse für Frauen mit posttraumatischem Syndrom entwickelt. Dieses erfolgreiche Konzept hätte eine ständige Einrichtung werden sollen. Es ist aber wegen der Kosten nur bei drei Durchgängen geblieben.

Ist das für einen Sozialstaat tragbar?

Es braucht ein radikales Umdenken. Die Kosten der Mehrsprachigkeit werden immer nur daran gemessen, wie teuer ein Kurs ist, aber es wird nie anders herum gedacht und gefragt, was man sich durch die Förderung von Vielsprachigkeit und Deutschkursen ersparen würde – gerade im Gesundheits- und Bildungsbereich. Wir sollten uns vielmehr über die Kosten der Einsprachigkeit unterhalten und uns nicht an einem monolingualen Habitus festklammern, der längst keiner Realität mehr entspricht. Da geht es nicht nur um Migration, sondern auch um berufliche Mobilität und internationale Kommunikation. Davon auszugehen, dass der Monolingualismus der Normalfall ist, ist vollkommen überholt.

Lesetipp: Busch, Brigitta: Mehrsprachigkeit. Wien Facultas Verlags- und Buchhandels AG, 2013.

 

Die Autorin studiert Philosophie an der Uni Wien.

AutorInnen: Marlene Brüggemann