Einstürzende Neubauten
Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?
Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?
2. Jänner 2015: Vom „Learning Center“ der neuen WU fällt eine 80 Kilo schwere Betonplatte. Das Gleiche ist ein halbes Jahr zuvor – im Juli 2014 – schon einmal passiert. Der Campus der WU wurde erst im Herbst 2013 eingeweiht, nun sieht der Vorplatz der Bibliothek wieder wie eine Baustelle aus: Ein Gerüst soll vor weiteren herabstürzenden Fassadenelementen schützen, bis die Ursachen endgültig geklärt sind. Herabfallende Fassadenteile sind an Österreichs Universitäten nicht unbedingt eine Seltenheit: Im Herbst 2012 fiel etwa eine Fensterscheibe aus dem zweiten Stock des Türkenwirt-Gebäudes der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Auch hier steht seitdem ein Gerüst, das die Studierenden vor ihrer eigenen Universität schützen soll. Und auch hier kam durch die fallende Fensterscheibe glücklicherweise niemand zu Schaden.
Diese doch recht dramatischen Beispiele illustrieren, womit Studierende alltäglich konfrontiert sind: Österreichs Universitätsgebäude sind nicht in bestem Zustand. Zwar stürzen nicht ständig Betonplatten von allen Universitäten zu Boden, aber die Liste der Beschwerden ist doch lang: Sie reicht von zu wenig Lern- und Gruppenräumen über inadäquate Toiletten bis hin zu groben baulichen Mängeln, beispielsweise im Fall von Türen, die ständig kaputt gehen, weil sie nicht für die hohe Frequenz an ein- und ausgehenden Studierenden ausgelegt sind. Hinzu kommt, dass viele Universitätsgebäude nicht barrierefrei sind. Der Klassiker ist die Klage über zu kleine Hörsäle, die an manchen Hochschulen schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung ertönt.
MIETKARUSSELL. Was sind die Ursachen für bauliche Mängel? Warum kriegen es die österreichischen Universitäten nicht hin, ihren Studierenden genug Platz und annehmbare Konditionen zum Lernen und Studieren zu bieten? Viele von uns würden mit dem ewigen Mantra, das die österreichische Hochschullandschaft seit vielen Jahren begleitet, antworten:Es fehlt den Universitäten einfach an Geld, um ihre Gebäude zu erhalten oder neue zu errichten. Aberso einfach ist das mit „ihren Gebäuden“ nicht. Die wenigsten Universitäten besitzen die Gebäude, die sie benutzen, selbst. Als die Unis im Jänner 2004 in die sogenannte „Autonomie“ entlassen wurden, haben sie zwar die Hoheit über ihr Finanzgebahren erhalten, die Gebäude blieben jedoch im Besitz einer GmbH: die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).
Die BIG, die in die drei Unternehmensbereiche Universitäten, Schulen und Spezialimmobilien gegliedert ist, ist Vermieterin von beinahe allen Universitätsgebäuden Österreichs. Sie steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich. Dabei kommt es zu einer paradoxen Situation: Der Bund vergibt in Form von Steuergeldern finanzielle Mittel an die Universitäten, die wiederum diese Gelder als Mieten an die Bundesimmobiliengesellschaft zahlen. Die Mieteinnahmen fließen in der Folge wieder dem Bund selbst zu. Das Geld wird also einmal im Kreis herumgereicht, mit der BIG als mittlere Instanz. Und wenn Geld von einem Konto auf das nächste wandert, wird es natürlich nicht mehr, sondern weniger. Es fallen schließlich Bankgebühren, Verwaltungs- und Transaktionskosten an.
355 MILLIONEN. Die BIG wurde im Jahr 1992 gegründet und löste damit die Bundesgebäudeverwaltung (beziehungsweise die Bundesbaudirektion Wien) ab. Die BIG verwaltet seither den überwiegenden Teil der Immobilien der Republik Österreich. Damals wurde argumentiert, eine staatliche Verwaltung sei zu ineffizient und führe zu langen Wartezeiten bei Bauprojekten, Schwierigkeiten bei der Verwertung nicht mehr benötigter Gebäude und mangelndem Kostenbewusstsein. Das Bewusstsein für die Kosten eines Gebäudes fehlte offenbar sowohl bei den Benutzer_innen der Gebäude als auch bei der Bundesgebäudeverwaltung. Bis 1992 war die Benutzung der Gebäude durch öffentliche Stellen – wie zum Beispiel Universitäten – nämlich kostenlos. Mit der Gründung der BIG änderte sich das: Sie handelte mit den einzelnen Mieter_innen Mieten zu marktüblichen Preisen aus. Bis zum Jahr 2000 verwaltete die BIG zunächst nur Schulen und Universitäten, dann wurde ihr zu einem Preis von 2,4 Milliarden Euro das Eigentumsrecht an fast allen Bundesgebäuden übertragen. Heute betreut die BIG mit ihren Tochtergesellschaften 2.800 Gebäude, die ungefähr einen Wert von neun Milliarden Euro ausmachen. Ungefähr 23 Prozent dieser Gebäude werden von Universitäten genutzt. Die Bundesimmobiliengesellschaft ist die erste Ansprechpartnerin für die Mieter_innen, sie wickelt Bauvorhaben ab, regelt Miet- und Vertragsverhältnisse und kümmert sich um die Instandhaltung ihrer Gebäude. Unter der schwarz-blauen Koalition wurden 2000 ein weiteres Mal die Rechte der BIG erweitert: Mit dem „Bundesimmobiliengesetz zur Verwertung nicht mehr benötigter Liegenschaften“ ist es der BIG nun auf höchster Ebene gestattet, Teilbereiche von universitären Gebäudekomplexen zu verkaufen – etwa an zahlungskräftige Privatinteressent_innen.
Ebenso wie die BIG Gebäude an Private verkaufen kann, können die Unis auch andere Vermieter_innen finden. Allerdings gehören 90 Prozent aller Unigebäude der BIG. Einige Unis besitzen selbst einzelne Grundstücke, so zum Beispiel die Veterinärmedizinische Universität (VetMed): „Das Lehr- und Forschungsgut im Bezirk Baden in Niederösterreich, bestehend aus vier landwirtschaftlichen Betrieben, gehört der VetMed selbst“, erklärt Doris Sallaberger vom Büro des Rektorats der VetMed.
Trotzdem muss die VetMed ungefähr 33 Prozent ihres Globalbudgets für Mieten aufbringen – der höchste Anteil aller Unis. Insgesamt mussten die Unis 2013 etwas mehr als 355 Millionen Euro an Miete zahlen. Wie viel Miete die einzelnen Universitäten zahlen, ist dabei sehr unterschiedlich. „Die Lage ist sehr entscheidend, denn jede Uni hat einen eigenen Mietvertrag mit der BIG“, legt Wolfgang Nedobity dar, der bei der Österreichischen Universitätenkonferenz (UNIKO) für Gebäude- und Infrastrukturfragen zuständig ist. Relativ gesehen kommen die BOKU und die TU Wien am zweitschlechtesten weg: Fast 22 Prozent ihres Globalbudgets müssen die technisch-naturwissenschaftlichen Unis für Mieten ausgeben.
HERUNTERKRACHENDE STUDIERENDE. An der BOKU wird derzeit von der BIG das Hauptgebäude renoviert. Damit trotzdem Lehrveranstaltungen abgehalten werden können, ist die „Universität des Lebens“ in die Augasse gezogen. Das klingt ein bisschen nach Hobbit-Romantik, dieser temporäre Standort ist aber in Wirklichkeit der Betonklotz der alten WU. Manche Hörsäle und Büroräumlichkeiten kann die BOKU ohne Mehrkosten nutzen, für das Audimax der alten WU muss sie jedoch extra Miete zahlen, da sie in ihrem Hauptgebäude keinen so großen Hörsaal besitzt. Wohlgemerkt würde dieser Hörsaal ansonsten einfach nur leer herumstehen, wie große Teile der alten WU es momentan tun. Immerhin müssen die BOKU-Erstsemestrigen nicht mehr in ein Großkino am anderen Ende der Stadt fahren, um ihre Vorlesungen zu hören. So richtig zufrieden sind die Studierenden mit ihrem „Ausweichquartier“ aber dennoch nicht: „Es ist bereits mehrmals während der Vorlesungen passiert, dass die Stühle einfach so zerbrachen; die Studierenden purzelten dann mit lautem Krachen runter“, erzählt Simon, der sich auch über fehlende Infrastruktur wie WLAN oder Uhren beklagt: „Ein Lehrender bringt immer selbst eine Wanduhr mit, damit alle die Zeit im Blick haben.“ Auch wenn manche BOKU-Studierende die gute Verkehrsanbindung oder den „post-apokalyptischen Charme“ der Augasse schätzen, so klagen doch beinahe alle über die Klimaanlage, die auch im Winter für arktische Temperaturen in den Hörsälen sorgt.
Pro Studierende_r zahlt die BOKU insgesamt circa 2.050 Euro im Jahr Miete. Damit liegt sie im oberen Mittelfeld, noch mehr zahlen vor allem die künstlerischen Unis, die mit niedrigen Studierendenzahlen und großem Flächenanspruch in dieser Wertung natürlich ziemlich schlecht abschneiden. Das günstigste Verhältnis von Studierenden zu Mieten hat die einzige „Universität“ Österreichs, die auch ihr eigenes Gesetz hat: die Universität für Weiterbildung in Krems zahlte 2013 pro Studi nur 120 Euro Miete, allerdings nicht an die BIG, sondern an das Land Niederösterreich, das die Gebäude für die Donau-Uni bereitstellt.
So unterschiedlich die Ansprüche der einzelnen Unis an ihre Gebäude sind, so unterschiedlich entwickeln sich auch ihre Mieten: Vom Jahr 2012 auf das Jahr 2013 war von Steigerungen von bis zu 19 Prozent (JKU Linz) und Minderungen von bis zu zehn Prozent (WU – trotz des Umzuges auf einen neuen Campus) alles dabei. Auch die Erfahrungen der Unis mit der BIG sind höchst unterschiedlich.
Die BIG ist nämlich föderal strukturiert. Die Zentrale in Wien hat jedoch für jedes Bundesland eigene Betreuer_innen, die mit den Universitäten vor Ort zusammenarbeiten; „mehr oder weniger“, wie Reinhold Strasser, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik der Paris Lodron Universität Salzburg sagt. Die Zusammenarbeit der Zentrale mit den Salzburger Landesstellen sei problematisch. Kleinste Gebäudereparaturen müssten jedes Mal zuvor in Wien genehmigt werden. Auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Universitäten und der BIG selbst sei ausbaufähig. Ein Beispiel, das absurd klingt, aber die Causa veranschaulicht wie kein zweites, sind Doppelfenster: Bei Reparaturen von Fenstern ist die BIG für die äußere Fensterscheibe, die Uni für die innere zuständig. Dabei handle es sich um eine normale Klausel des Mietgesetzes, wie progress von den Universitäten immer wieder versichert wurde. Wie sinnvoll diese im universitären Alltag ist oder ob sie gar zur angestrebten Kosteneffizienz führt, ist fraglich.
BUNDESLUXUSWOHNUNGEN. Einen ärgeren Konflikt tragen die Studierenden der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien (mdw) mit der BIG aus: Auf der Homepage der Hochschüler_innenschaft der mdw werden Bauspekulation und BIG in einem Satz erwähnt. Darunter sind jede Menge Fotos einer Brachfläche, die an einen Gebäudeflügel der Uni angrenzt. Augenscheinlich eine Baustelle: Rote, gelbe und blaue Container sind darauf zu sehen, umgrenzt von einem grauen Stahlzaun. Bevor die Container auftauchten, gab es uniinterne Bestrebungen, die ohnehin schon begrenzte Nutzfläche der Universität durch die Bebauung dieser anschließenden Brachfläche zu vergrößern: Immer wieder waren solche Pläne aber aus Gründen des Denkmalschutzes abgelehnt worden. Nun hat die BIG, der die Liegenschaft in der Beatrixgasse 11-17 gehört, diese an eine Firma namens „Beatrixgasse 11-17 GmbH“ verkauft – einer Tochter der ARE Development GmbH, die wiederum eine Tochter der BIG ist. 31 Luxuswohnungen mit Blick auf den Stephansdom sollen hier nun gebaut werden.
Die Universität für Musik und darstellende Kunst bietet diverse Instrumentalstudienrichtungen an. Elementarer Bestandteil ist das regelmäßige Üben. Laut Hochschüler_innenschaft laufen aktuell schon täglich Beschwerden von Anrainer_innen, die sich durch die lauten Proben der Studierenden gestört fühlen, bei der Universität ein. Kommt demnächst ein neuer Wohnbau in unmittelbare Nähe der Uni, könnten die ohnehin schon begrenzten Probezeiten ein weiteres Mal gekürzt werden.
WIDERSTAND. Studentischer Widerstand gegen BIG-Projekte ist aber nichts Neues: Mitte der 2000er-Jahre kämpfte das selbstverwaltete TüWi-Lokal gegen Pläne der BOKU, das Gebäude (und damit die Grundlage des Lokals und des angeschlossenen Hofladens) der BIG zu überlassen. Dies war nämlich in den Leistungsvereinbarungen festgehalten worden. Der Protest wirkte: Das TüWi, das offiziell auf Flächen der ÖH BOKU (die diese widerum von der BOKU zur Verfügung gestellt bekommt, die sie von der BIG anmietet) steht, blieb. Und wird auch nach dem geplanten Abriss und Neubau des Gebäudes wieder einziehen dürfen.
2013 forderte die UNIKO, dass die BIG sämtliche Unigebäude an die Universitäten zurückgeben sollte, damit diese von der Last der hohen Mieten befreit werden und es auch leichter haben, Kredite aufzunehmen. Heute will von dieser Forderung fast keine Uni mehr etwas wissen: „Die Probleme der Finanzierung der Gebäudeerhaltung bleiben gleich und das was die Universitäten jetzt für die Mieten vom Bund bekommen, würde dann eben nicht mehr gezahlt werden. Tatsache ist aber, dass die Konstruktion Eigentümerin BIG – Mieterinnen Universitäten auch nicht sinnvoll ist, da hier Geld gewissermaßen im Kreis geschickt wird und letztlich profitieren davon die Banken“, erklärt die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger.
Die BIG war bis zu Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu haben. Aber ob mit oder ohne sie: Probleme an Unigebäuden werden letzten Endes nur durch eine höhere Finanzierung gelöst werden können.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.
Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.