Eine von fünf
Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen wird heuer zum dritten Mal die Lehrveranstaltung „Eine von fünf“, vom 26.11 - 07.12, veranstaltet. Lisa Zeller besuchte die Vorlesung und sprach mit den Initiatorinnen.
Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen wird heuer zum dritten Mal die Lehrveranstaltung „Eine von fünf“, vom 26.11 - 07.12, veranstaltet. Lisa Zeller besuchte die Vorlesung und sprach mit den Initiatorinnen.
Gleich vier erschütternde Ereignisse unterstreichen die Aktualität des Themas: Zeitnah zum und am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wurden zwei Tötungsdelikte in Wien und zwei Mordversuche an Frauen in Niederösterreich verübt. „Eine derartige Häufung von dramatischen Vorfällen gab es noch nie“, sagt Mag.a Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser und Initiatorin der Vorlesung.
Gerade als Andrea Berzlanovich die Frage stellt, ob diese massiven Übergriffe verhindert werden hätten können, stürmt ein Mann in den Hörsaal und brüllt eine abseits des Podiums sitzende Frau an: „Wo warst du? Vier Anrufe in Abwesenheit und du hebst nicht ab!“. Verwirrung und Betroffenheit macht sich im Hörsaal breit. Verängstigt versucht die Frau sich zu rechtfertigen. Doch er schreit weiter, bis sie schließlich aus dem Raum flüchtet. Seine drohenden Rufe: „Wo bist du!?“, lassen keinen positiven Ausgang erwarten. Die Gerichtsmedizinerin deutet an: „So oder ähnlich kann es sich auch in den vier Familien zugetragen haben, bevor es zu den Bluttaten gekommen ist“. Die unter die Haut gehende Szene wurde von den beiden SchauspielpatientInnen Doris Buchner und Hagnot Elischka nachgestellt. Die Thematik „Häusliche Gewalt“ wird während der Ringvorlesung also nicht nur theoretisch, sondern ebenso praktisch behandelt.
Mehr als nur Frauenhaus. Natürlich könne sie nicht beantworten, ob diese Gewalttaten hätten verhindert werden können, meint Mag.a Maria Rösslhumer. Die Polizei ermittle, ob es schon im Vorfeld Anzeichen für Gewalt gegeben habe. Einer der Täter sei bereits einmal nach dem Sicherheitspolizeigesetz verwiesen worden.
Die 30 Frauenhäuser in Österreich haben 759 Plätze für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Gemessen an der EinwohnerInnenzahl fehlen für die Erreichung der EU-Empfehlung allerdings 71 Plätze. Insgesamt fanden im vergangenen Jahr in den österreichischen Frauenhäusern 3371 Frauen und Kinder Schutz und Unterstützung. Davon waren knapp mehr als die Hälfte Migrantinnen. „Dies liegt aber nicht daran, dass Frauen mit Migrationshintergrund öfters von Gewalt betroffen seien, sondern daran, dass sie sich eher seltener an die Polizei wenden.", erklärt Rösslhumer. „Die Gründe dafür sind vielfältig, sei es aus Angst, nicht ernst genommen zu werden oder weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder aus Angst abgeschoben zu werden", fügt sie hinzu.
Frauenhäuser bieten auf Wunsch kostenlose Prozessbegleitung zu Polizei und Gerichten an. Der Verein selbst betreibt auch eine kostenlose Telefonberatung. Außerdem arbeitet der Verein umfassend im Bereich der Prävention und versucht, die jungen (potentiellen) Opfer von Gewalt zu erreichen, etwa mit Empowerment-Workshops für Kinder und Jugendliche an Schulen, in denen diese gegen Gewalt in der Familie gestärkt werden sollen. Vor allem sollen die TeilnehmerInnen den Unterschied zwischen Konflikt und Gewalt klar erkennen. Hierbei ist die Grenze nicht so leicht zu ziehen, zumal es verschiedene Formen von Gewalt gibt: psychische, physische, sexuelle und soziale Gewalt.
Außerdem werden auch Workshops für die LehrerInnenschaft angeboten. Hier zeigte sich, dass viele der teilnehmenden LehrerInnen beruflich bereits mit dem Thema konfrontiert und daher nahezu alle der Ansicht waren, dass die Gewaltproblematik fix in deren LehrerInnen-Ausbildung integriert werden sollte.
Gewalt an Frauen trifft auch Kinder. Die Wichtigkeit der Arbeit mit und für Kinder verdeutlicht Mag.a Dr.in Barbara Schleicher von der Gesundheit Österreich GmbH. Sie geht auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Gewalt auf Frauen und Kinder ein. Gewalt gegen schwangere Frauen wirkt sich auf die ungeborenen Kinder aus. Nach einer deutschen Prävalenzstudie haben gewaltbetroffene Schwangere ein höheres Früh- und Fehlgeburtenrisiko sowie Ess- und Schlafstörungen. Die Kinder werden häufig mit einem niedrigeren Gewicht geboren.
„Da häufig Ärztinnen und Ärzte die ersten und die einzigen Ansprechpersonen für Opfer sind, ist das Erkennen von Gewalt nicht nur ausschlaggebend für die konkrete Unterstützung in der Notsituation, sondern auch für die Aufklärung der Gewalttat“, meint Berzlanovich.
Dies war auch die Motivation, die Vorlesungsreihe an die Medizinische Universität zu bringen. „Österreich ist ein Vorbild, wenn es um Opferschutzgesetze, Unterstützung- und Beratungseinrichtungen geht, aber leider zählt die gesundheitliche Versorgung der Gewaltopfer noch nicht dazu“, sagt Schleicher. „Es ist eine Tatsache, dass MitarbeiterInnen aus Praxen und Krankenhäusern die Probleme gewaltbetroffener Patientinnen nicht lösen und die Gewaltsituation nicht beenden können, aber sie können, sollen und müssen als Nahtstelle zwischen den Opfern und spezialisierten Unterstützungseinrichtungen fungieren.“ Die Wahrnehmung einer gewaltbedingten Verletzung seitens der Ärztinnen und Ärzte, eine gerichtstaugliche Dokumentation sowie die Vermittlung an frauenspezifische Einrichtungen helfen den Frauen enorm. Aber die Patientin muss damit einverstanden sein.
Über Generationen hinweg. Über 90% der Kinder sind bei Misshandlungen der Mutter anwesend. Viele Kinder und Jugendliche, die sich schützend vor die Mutter stellen, erfahren dabei selbst Gewalt. Gewalt ist über Generationen hinweg beobachtbar. „Während Söhne aus gewalttätigen Herkunftsfamilien später dazu neigen, selbst Gewalt als Durchsetzungsmittel anzuwenden, sind Mädchen stärker gefährdet, Partnergewalt zu tolerieren“, sagt Schleicher. Jede Gewalterfahrung hat Auswirkungen auf die kognitive und emotionale Entwicklung der Kinder und kann sich in Verhaltensauffälligkeiten wie pathologischem Lügen, Schutzbehauptungen, autodestruktive Tendenzen sowie in Bindungsstörungen bemerkbar machen. „Gewalt gegen Frauen zieht sich quer durch alle sozialen Schichten und ist im Sozialbau ebenso wie in der Prominentenvilla anzutreffen“, erklärt die Gastvortragende.
365 Tage gegen Gewalt. Die interdisziplinäre Vorlesung „Eine von fünf. Gewalt und Gesundheit im sozialen Nahraum“ trägt ihren Namen aufgrund der Tatsache, dass jede fünfte Frau in Österreich in ihrem Leben von Gewalt in einer Beziehung betroffen ist. Zuerst fand die Lehrveranstaltung an der Politikwissenschaft, dann an der Rechtswissenschaft ihren Platz, erst im WS 2010/2011 erreichte das Thema durch Gerichtsmedizinerin Berzlanovich die Studierenden der Medizin. „Ziel ist es, angehende MedizinerInnen für das Thema zu sensibilisieren. Ich wünsche mir aber, dass sich auch Kolleginnen und Kollegen im niedergelassenen Bereich und in den Krankenhäusern eingehender informieren“.
Sie schätzt es sehr, dass sich über 100 TeilnehmerInnen aus unterschiedlichsten Studienrichtungen und Berufen angemeldet haben. Das korreliere ausgezeichnet mit der interdisziplinär ausgerichteten Vorlesungsreihe und sei eine gute Basis, um das gemeinsam Erarbeitete für die berufliche Tätigkeit entweder unmittelbar oder in der Zukunft zu nützen.
Die Lehrveranstaltung dieser Art ist österreichweit bislang die einzige. „Eigentlich wollen wir sie in ganz Österreich anbieten“, sagt Rösslhumer. Bei ihren Anfragen sei sie allerdings nicht auf große Begeisterung gestoßen, da viele Universitäten der Ansicht seien, dass ohnehin genug in diesem Bereich passiere. „Vielleicht probieren wir es nächstes Jahr wieder einmal“, fügt sie hinzu.
Die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen reichen vom 25. November bis zum 10. Dezember. „In diesem Zeitraum soll besonders auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht werden“, sagt Rösslhumer, „obwohl wir natürlich wissen: Gewalt passiert 365 Tage im Jahr“.
Links:
Bundesweite Frauenhelpline: http://www.frauenhelpline.at/
Gewalt ist nie ok: http://www.gewalt-ist-nie-ok.at/
Gesundheit Österreich GmbH: http://www.goeg.at/
Verein Österreichische Autonome Frauenhäuser: http://www.aoef.at/cms/index.php
Inhalte der Vorlesung: http://www.meduniwien.ac.at/hp/gerichtsmedizin/lehre/medizin/auswirkungen-haeuslicher-gewalt/