Eine Freundin der Aussageverweigerung

  • 15.12.2014, 11:39

Nach dem Prozess um Josef S. blieb das Gefühl zurück, dass staatliche Repression jede*n treffen kann. progress fragte bei Kristin Pietrzyk, der in Jena arbeitenden Anwältin von Josef S., nach.

 

Nach dem Prozess um Josef S. blieb das Gefühl zurück, dass staatliche Repression jede*n treffen kann. progress fragte bei Kristin Pietrzyk, der in Jena arbeitenden Anwältin von Josef S., nach.

progress: Vertreten Sie öfter politische Aktivist*innen?

Kristin Pietrzyk: Ja, ich vertrete relativ oft, was man in Deutschland „politisch motivierte Kriminalität links“ nennt.

Was war das Besondere am Prozess rund um Josef S.?

Für jemanden, der in Deutschland praktiziert, ist es natürlich etwas Besonderes, wenn man in einem anderen EU-Land verteidigt. Man muss sich ganz einfach auf andere Gerichtsgepflogenheiten einstellen. Zum Beispiel wird in Deutschland der Angeklagte nicht so stark präsentiert. Bei uns sitzen Angeklagte nicht auf einer Bank ohne Tisch vor der Verteidigung, sondern neben der Verteidigung, sie haben einen Tisch und damit auch einen gewissen psychologischen Schutz. Besonders war außerdem, dass es eine derart auf einen Zeugen fokussierte Beweislage gab. Das ist mir bisher sehr selten untergekommen. Dabei haben Zeug*innen diesen Belastungszeugen eines Widerspruchs überführt. Zum Beispiel die MA48 (Anm.: Wiener Magistrat für Straßenreinigung), die gesagt hat: „Da lagen gar keine Pflastersteine.“ Von Seiten der Staatsanwaltschaft, in der Anklageschrift und im Eröffnungsstatement wurde außerdem stark gegen die Demonstration polemisiert.

Handelte es sich um einen politischen Prozess? Gibt es so etwas wie „politische Prozesse“ überhaupt?

Es gibt ganz viele politische Prozesse, aber sie werden selten von der Öffentlichkeit als solche anerkannt. Natürlich ist der Prozess um Josef S. ein politischer, da man ihn stellvertretend für eine ganze Demonstration angeklagt hat. Es handelt sich immer um einen politischen Prozess, wenn man als Verteidiger*in in die Situation versetzt wird, den Angeklagten frei beweisen zu müssen. Wir von der Verteidigung mussten eigentlich nachweisen, dass hier ein Unschuldiger sitzt. Wenn Prozesse so ablaufen, dann ist das rechtspolitisch höchst bedenklich. Die österreichische Strafprozessordnung ist nicht so gestrickt, die Grundrechte und auch die europäische Menschenrechtskonvention sind nicht so gestrickt. Und dann wird es natürlich politisch.

Kritische Stimmen haben der Justiz und dem Staat vorgeworfen, dass sie mit Josef S. ein Exempel statuieren wollten. Sehen Sie das auch so?

Ja, das wohnt politischen Prozessen immer inne. Es wird ein Signal an die Öffentlichkeit gesendet: Lasst euch nicht mit denen ein, die euch in Gefahr bringen könnten, angeklagt zu werden. Mit dem Landfriedensbruchparagraphen reicht es schon, bei einer Versammlung dabei zu sein, um eines Deliktes beschuldigt zu werden. Damit spaltet man in „gute“ und „böse“ Demonstrant*innen. Das ist natürlich gewollt, das befriedet und nimmt einen Haufen politischer Aushandlungsprozesse vorweg. Man muss sich nicht mehr damit auseinandersetzen, warum die, die man immer in die linksradikale Ecke gestellt hat, gemeinsam mit der bürgerlichen Mitte gegen die gleiche Sache auf die Straße gehen. Das kann man einfach abwenden, indem man sagt: So, hier kommt das Strafrecht, das greift jetzt regulierend in diesen politischen Aushandlungsprozess ein.

Spätestens im Jänner werden die Demonstrationen gegen den Akademikerball wieder Thema sein. Sollte man sich die Teilnahme an dieser Demonstration zweimal überlegen?

Es besteht ein Grund sich zu fürchten, wenn man gezwungen wird, diese Überlegung anzustellen. Ich plädiere aber dafür, die Grundrechte, die einem/er gegeben sind, wahrzunehmen. Wer gegen den Akademikerball protestieren möchte, soll das auch tun. Wenn am Schluss die Entscheidung steht: Nein, ich geh’ da nicht hin, ich habe zu viel Angst davor, Objekt eines Repressionsprozesses zu werden – dann hat genau das funktioniert, was ich vorhin beschrieben habe.

Spätestens im Jänner werden die Demonstrationen gegen den Akademikerball wieder Thema sein. Sollte man sich die Teilnahme an dieser Demonstration zweimal überlegen?

Es besteht ein Grund sich zu fürchten, wenn man gezwungen wird, diese Überlegung anzustellen. Ich plädiere aber dafür, die Grundrechte, die einem/er gegeben sind, wahrzunehmen. Wer gegen den Akademikerball protestieren möchte, soll das auch tun. Wenn am Schluss die Entscheidung steht: Nein, ich geh’ da nicht hin, ich habe zu viel Angst davor, Objekt eines Repressionsprozesses zu werden – dann hat genau das funktioniert, was ich vorhin beschrieben habe.

Gibt es überhaupt Möglichkeiten, sich vor staatlicher Repression zu schützen?

Man kann jetzt salopp sagen: nichts machen, was der Staat als bestrafungswürdig ansieht. Aber es gibt ja durchaus Beispiele, wo nicht einmal eine Straftat begangen werden muss, um Repression zu erfahren. Vor ein paar Jahren gab es in Dresden nach einer Demonstration eine riesige Repressionswelle. Im Februar 2011 leitete die Staatsanwaltschaft 1.431 Strafverfahren ein, die alle an einem Tag am Rande der Demonstration begangen worden sein sollen. Die Ermittlungsansätze kamen zum Teil aus Funkzellenüberwachung. Da könnte man sich überlegen, sein Handy nicht auf Demonstrationen mitzunehmen. Generell ist es ratsam, sich zu informieren, als Betroffene die Repression öffentlich zu machen und sich darüber auszutauschen. Der beste Schutz ist Öffentlichkeit zu schaffen, Diskussionen und Veranstaltungen zu initiieren, um Repression ins Bewusstsein zu rücken.

Wie verhält man sich auf einer Demonstration am besten, wenn man polizeilich kontrolliert, einer Straftat beschuldigt oder festgenommen wird?

Ruhig bleiben. Das ist immer der erste Schritt, um nicht noch eine Widerstandsanzeige zu bekommen oder polizeiliche Gewalt zu provozieren. Auch wenn das kein Allheilmittel ist. Man sollte sich die Situation sehr gut einprägen und hinterher ein Gedächtnisprotokoll machen. Sollte man tatsächlich festgenommen werden, ist es ratsam, immer wieder nach dem Grund zu fragen. Man sollte unbedingt sein Telefonat wahrnehmen, damit andere Personen wissen, dass man festgenommen wurde. In solchen Situationen rate ich meinen Mandant*innen immer ganz dringend dazu, die Aussage zu verweigern. Oftmals sind das Situationen, in denen man einfach überhaupt nicht weiß, was einem konkret vorgeworfen wird und was die angeblichen Beweismittel gegen eine*n sind. Wenn man dann Akteneinsicht hat, nimmt man sich Rechtsbeistand. Ich halte es für einen Trugschluss zu meinen, man müsse das denen nur erklären und dann verstehen die das schon. Deswegen bin ich aus Verteidiger*innensicht eine große Freundin von Aussageverweigerung.

Das Interview führte Sonja Luksik.

AutorInnen: Sonja Luksik