Ein Strich durch die Rechnung

  • 10.09.2012, 19:48

Eine verzweifelte Studierende bietet 300 Euro für einen Prüfungsplatz, indes wird die Ausbildung für Lehramtsstudierende an der TU Wien einfach gestrichen und aus 250.000 Euro kurzerhand „eine Hochschulmilliarde“ gezaubert. Kay-Michael Dankl und Oona Allegra Kroisleitner über das beschränkte Einmaleins der Kürzungen an Österreichs Unis.

 

Eine verzweifelte Studierende bietet 300 Euro für einen Prüfungsplatz, indes wird die Ausbildung für Lehramtsstudierende an der TU Wien einfach gestrichen und aus 250.000 Euro kurzerhand „eine Hochschulmilliarde“ gezaubert. Kay-Michael Dankl und Oona Allegra Kroisleitner über das beschränkte Einmaleins der Kürzungen an Österreichs Unis.

Glas und Beton vermitteln Weitläufigkeit. Im Falle des Unipark Nonntal, dem neuen Campus der Uni Salzburg, jedoch wurde mit dem Neubau jahrzehntelang herrschende Platznot erneut einzementiert. Insgesamt 6000 Quadratmeter weniger Nutzfläche als eigentlich benötigt bietet das Unigelände – doch mehr kann sich die Uni nicht leisten: Bereits seit 2004 besteht ein realer Bedarf an 23.000 Quadratmeter, nur 17.000 sind es bei der Eröffnung zu Beginn dieses Jahres geworden. Dazu kommt: Bauvorhaben sind seit 1. April dieses Jahres nicht mehr von der Umsatzsteuer befreit. Die Kosten für Neubauten und Sanierungen steigen dadurch um 20 Prozent. Der Bauträger, im Regelfall die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), wird diese Mehrkosten wohl in Form von höheren Mieten auf die Unis abwälzen. Die Folgen des Sparzwangs bei Infrastrukturprojekten sind besonders weitreichend: Steht ein zu klein dimensioniertes Gebäude einmal, ist die Raumnot für Jahrzehnte in Beton gegossen. Und so stieß der Neubau der Uni Salzburg bereits im Februar an seine Grenzen: Wer eine von allen Lehramtsstudierenden benötigte Pädagogik-Prüfung ablegen wollte, stand vor Wartezeiten von bis zu drei Monaten. Eine verzweifelte Studentin bot ihren KollegInnen mehr als 300 Euro an, wenn diese ihr einen Prüfungsplatz überlassen würden.

Die chronische Unterfinanzierung der Universitäten ist ein Resultat des Zusammenspiels von Budgetkürzungen und wachsenden Anforderungen. Oft entgehen Kürzungen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. So zehrt beispielsweise die Inflation jährlich an den Universitätsbudgets – medial wird  sie jedoch kaum wahrgenommen. Das Gros der Preissteigerungen geht auf Personal-, Gebäude- und Beschaffungskosten zurück. Da die Inflationsabgeltung nicht automatisiert ist, muss sie bei den dreijährlichen Verhandlungen über die Leistungsvereinbarungen jedes Mal aufs Neue erkämpft werden. Erst die Ankündigung des Wissenschaftsministeriums 2010, die Universitätsbudgets von 2013 bis 2015 einfrieren und damit realen Kürzungen aussetzen zu wollen, rief breite Proteste von Seiten der Studierenden und Uni-Bediensteten hervor. Wird die Preissteigerung der letzten Jahre berücksichtigt, bleibt von den als „Hochschulmilliarde“ getarnten 250 Millionen Euro, die den Unis ab 2012 pro Jahr „zusätzlich“ zur Verfügung stehen sollten, nicht viel übrig. Im besten Fall ermöglichen sie den Universitäten die Fortführung des Status quo – anderswo würde man ehrlicherweise von „Stagnation“ sprechen.

Leere in der Lehre. Die Technische Universität Wien hat sich durch die mangelnde staatliche Finanzierung in den Ruin gewirtschaftet: Sie steht vor Schulden in der Höhe von rund 20 Millionen Euro. Dieses Minus entstand vor allem durch dringend benötigte Anschaffungen und Renovierungen der Labore und Gebäude der TU Wien. Dem Defizit muss jetzt durch grobe Einsparungen vor allem im Bereich der Lehre entgegengewirkt werden. Aber nicht nur die TU Wien dürfte dieses Jahr mit einem Minus in der Bilanz abschließen, auch die Universität für Bodenkultur, die TU Graz und die Medizinunis in Wien und  Innsbruck schaffen es trotz Einsparungsmaßnahmen nicht, mit ihren Budgets über die Runden zu kommen.

Für das Wissenschaftsministerium gibt es nur einen Weg aus der Unimisere: das endgültige Aus für den freien Hochschulzugang. Seit Jahren werden Studiengebühren zur Aufbesserung des Unibudgets gefordert. Noch findet Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle im Nationalrat keine Mehrheit für diesen Plan. Folglich wird das Finden von Lösungen auf andere abgewälzt. Die mangelnde staatliche Ausfinanzierung zwingt die Universitäten, selbst Maßnahmen zu ergreifen, die politischen Rahmenbedingungen bringen sie in die Bredouille, autonom mit ihren Problemen umzugehen. Und so nutzen die einzelnen Hochschulen jede gesetzlich mehr oder weniger gedeckte Möglichkeit, um Geld einzusparen oder anderswo zu lukrieren. Die Auswirkungen werden auf den Rücken der Studierenden abgeladen. So entschieden sich in den letzten Monaten acht Senate für die autonome Einhebung von Studiengebühren an ihren Universitäten.

Offene und versteckte Zugangsbeschränkungen sollen nach dem Kalkül des Wissenschaftsministeriums die Studierendenzahlen klein halten: Die seit Winter bestehenden Studieneingangs- und Orientierungsphasen dienen hauptsächlich dazu, Studierende schon am Anfang des Studiums „rauszuprüfen“. Die Unis können wiederum möglichst „billige“ Lehrveranstaltungen – also jene ohne Prüfungsimmanenz – für alle anbieten. Bei den sogenannten „Massenfächern“ wie Medizin oder Psychologie hat die Regierung hingegen ganz offen, durch den Paragrafen 124b des Universitätsgesetzes, den Hochschulen das Instrument gegeben, per Senatsbeschluss den Zugang mittels Studienzulassungsprüfungen zu beschränken. Die TU Wien geht hier sogar noch einen Schritt weiter, sie plant die Studienrichtung Informatik, die nicht unter die Bestimmungen des sogenannten „Notfallparagrafen” fällt, zahlenmäßig zu beschränken. Da die Kapazitäten von Seiten der Uni nicht mehr reichen, sollen nach bereits einem Monat Prüfungen abgehalten werden, durch die entschieden wird, ob das Studium fortgesetzt werden darf.

Streichen ganzer Studien. Es gibt auch andere Methoden, um die Studierendenzahlen zu verringern und finanzielle wie personelle Ressourcen zu schonen: Die Abschaffung ganzer Studiengänge. So beschloss das Rektorat der TU Wien die Abschaffung ihrer Lehramtsstudien und erklärte Anfang Mai, „die Neuzulassung zu den Lehramtsstudien wird ab dem Wintersemester 2012/2013 ausgesetzt“. Die aktuellen Studien sollen auslaufen – einzig das Unterrichtsfach Darstellende Geometrie blieb von den Sparmaßnahmen verschont. Dieses wurde durch das „Alleinstellungsmerkmal“ an der TU Wien gerettet. Schließlich bildet sonst nur die Universität Graz LehrerInnen für dieses Fach aus.

Für die vier naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Mathematik, Informatik, Chemie und Physik müssen die angehenden Studierenden in Zukunft auf andere Universitäten ausweichen. Die Universität Wien bietet sich durch ein ähnliches Lehrangebot am selben Standort an. „Die Wahlmöglichkeit zwischen den Unis war für mich sehr wichtig. Die Schwerpunktsetzungen an der Uni Wien und der TU sind ganz unterschiedlich“, beklagt eine Mathematik-Lehramtsstudentin der TU. „Dass die TU ihre Lehramtsstudien einspart, löst auch das allgemeine Problem der Unterfinanzierung nicht, es verlagert sich einfach auf andere Universitäten. Die Einsparungen der TU werden dann eben  das Betreuungsverhältnis und die Studiensituation an den anderen Unis  verschlechtern“, meint sie weiter. Die ÖH der TU Wien hat bereits Proteste angekündigt, die ÖH Uni Wien spricht indes von dem erneuten „Plan des Wissenschaftsministeriums, die Universitäten gegeneinander auszuspielen“ und stellt sich auf die Seite der TU-Studierenden.

Währenddessen kämpft die größte österreichische Universität selbst mit ihrem Haushalt und greift zu ähnlichen Maßnahmen wie die TU. Den vorläufigen Höhepunkt der Sparschiene erreichte sie durch die Abschaffung eines sehr speziellen Studiums, erwartungsgemäß gegen das Aufbegehren der Studierenden. Internationale Entwicklung – ein Bachelorstudium, das sich seit seiner Einführung großer Beliebtheit erfreut – wird auslaufen. Neuinskriptionen sind nicht mehr möglich, sehr zum Unmut der Studierenden. „Das Studium Internationale Entwicklung ist im internationalen Vergleich einzigartig. Es ist eine Schande, dass die Uni es abschaffen will“, erklärt eine IE-Studentin. Eine am Widerstand gegen das Rektorat beteiligte Aktivistin vermutet auch politische Überlegungen hinter der Abschaffung: „Die IE war immer ein sehr unbequemes und kritisches Studium – nicht nur von den Inhalten her, die gelehrt werden –, sie war auch Ausgangspunkt vieler Proteste gegen das Rektorat“.

Manche sind gleicher. Nicht nur im Fall des IE-Studiums an der Uni Wien stellt sich die Frage, wie sich das Innenleben einer Universität durch die Unterfinanzierung verändert. Nur an den wenigsten Hochschulen bilden deren Angehörige eine gemeinsame Front gegen die Sparpolitik der Regierung. Die Kürzungen treffen diese schließlich nicht alle in gleichem Maße. Die konkreten Auswirkungen variieren stark nach Personengruppen, Dienstverhältnissen und Studiengängen. Ausschlaggebend für die Verteilung des gekürzten Budgets ist oft jene universitätspolitische Macht, die eine Interessensgruppe im Kampf um knapper werdende Ressourcen aufbieten kann. An der Universität Salzburg trat dieses Phänomen in der letzten Funktionsperiode des Rektorats deutlich zu  Tage: „Offiziell wurden alle Fachbereiche aufgefordert, Mittel einzusparen und von allen Ausbaubestrebungen abzusehen, die nicht drittmittelfinanziert sind“, so eine Bedienstete der Naturwissenschaftlichen Fakultät. „In der Realität wurden aber hervorragend ausgestattete ‚Schwerpunkte‘ eingerichtet, interessanterweise in genau jenen Fächern, deren ProponentInnen selbst im Rektorat tätig waren.“

Die konfliktträchtige Verwaltung der Unterfinanzierung spiegelt die universitären Machtverhältnisse nicht einfach wider – sie verändert sie auch. Jene Instanzen, die über die Verteilung von Geld, Personal und Infrastruktur entscheiden, werden aufgewertet. Das sind insbesondere die Rektorate sowie die Fachbereichs- und Fakultätsleitungen. Für die anderen Institutionen wird der potenzielle Entzug von Ressourcen als Reaktion auf unliebsames Handeln eine immer bedrohlichere Sanktionsmöglichkeit.

EntSolidarisierung der Universitäten. Eine weitere Veränderung des universitären Innenlebens wiegt vielleicht sogar noch schwerer als die ungleiche Mittelverteilung und die Verschiebung der Machtgefüge: Die Verschärfung der Verteilungskonflikte führt zu einer fortschreitenden Ent-Solidarisierung unter den Uni-Angehörigen. Um sich selbst vor den Auswirkungen der Unterfinanzierung zu schützen, lassen sich die verschiedenen Gruppen von Seiten des Ministeriums und der Rektorate an der Uni gegeneinander ausspielen.

Heinrich Schmidinger, Rektor der Uni Salzburg und Vorsitzender der Universitätenkonferenz, versuchte im Mai, die Lehrenden im Senat zur Unterstützung autonomer Studiengebühren zu bewegen, indem er gebetsmühlenartig vorrechnete, wie viele Professuren oder Post-Doc-Stellen im Fall einer Ablehnung gefährdet wären. Schmidinger hat sich damit endgültig vom Projekt eines gemeinsamen und solidarischen Auftretens der Universität gegenüber der Bundesregierung verabschiedet. Sogar nach der breiten Ablehnung seines Studiengebührenantrags durch den Senat verteidigte er das Ministerium und schob dem Senat die Schuld für den vermeintlich selbstschädigenden Beschluss zu. Es sind genau solche Handlungen, die die vorsätzliche Unterfinanzierung als Strategie zur Erpressung von Universitäten endgültig salonfähig machen.

AutorInnen: Kay-Michael Dankl, Oona Allegra Kroisleitner