Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!

  • 22.05.2016, 02:31
Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Die Stichwahl zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer polarisiert. Aber ist es wirklich nur eine Wahl zwischen zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Positionen?

Sieht man sich die österreichische Berichterstattung über den Wahlkampf im Fernsehen an, muss man auf jeden Fall diesen Eindruck bekommen. Daran änderte auch das bestürzende Wahlergebnis nichts, das den grünen Kandidaten in einem Augenblick vom Favoriten zum Underdog verwandelte.

Meinungsforschung. Nachdem zuletzt bei der Gemeinderatswahl in Wien das Ergebnis der FPÖ im Vorhinein viel zu hoch eingeschätzt wurde, sahen im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl alle Institute den Kandidaten der Grünen in Führung. In beiden Fällen lagen die Meinungsforscher*innen falsch. Die Schwierigkeit, verlässliche Vorhersagen zu treffen, ergibt sich aus der unzuverlässigen Bekenner*innenquote. Nicht nur sind Wähler*innen verschiedener Parteien unterschiedlich gewillt, ihr Wahlvorhaben in Umfragen anzugeben, die Bereitschaft dazu, hängt auch vom gerade vorherrschenden gesellschaftlichen Klima ab. Die spezifischen Dynamiken, die dabei letztlich entscheiden, sind im Vorfeld aber kaum einzuschätzen und selbst im Nachhinein oft schwierig zu verstehen. Tiefergehenden Überlegungen zu Wahlmotiven und dem Wahlverhalten der Stimmberechtigten bewegen sich notgedrungen im Bereich der Spekulation, taugen auch nicht für handfeste Prognosen und spielen deshalb in der modernen Sozialforschung nur eine untergeordnete Rolle.

Skandal: Die FPÖ ist rassistisch. Seltsamerweise werden die Gründe, warum die FPÖ gewählt wird, aber sogar dort, wo sie auf der Hand liegen und offen zugegeben werden, in der Berichterstattung übergangen. Der ORF und sein sich niemals ändernder Expert*innenstab diagnostizieren regelmäßig andere Ursachen für den Erfolg der FPÖ als den Rassismus in der Bevölkerung. Die Menschen wären von der Regierung enttäuscht, weil diese Probleme nicht effektiv lösen würde. Außerdem steige die Arbeitslosigkeit und die Menschen hätten weniger Geld. Besonders beliebt ist die Aussage, niemand würde die Sorgen der Menschen ernstnehmen, welche regelmäßig dazu verwendet wird, Rassismus als Angst zu beschönigen.

Fragt sich nur, wieso die Konsequenz all dieser Gründe sein soll, die FPÖ zu wählen. Soziale Themen sind schließlich Kernkompetenz der SPÖ und wie sehr man sich um die Sorgen der Bevölkerung kümmern wolle, wird keine Partei müde zu betonen. Diese Analysen klingen dann – ungewollt – fast wie eine Wahlempfehlung. Der FPÖ wird implizit zugestanden, wirklich ein glaubwürdiges Konzept zur Lösung von Problemen in petto zu haben. Wer aber das Offensichtliche beim Namen nennt, dass, wer eine rassistische Partei wählt, Rassist*in ist, sieht sich schnell mit dem Vorwurf der Überheblichkeit konfrontiert.

Kein normaler Kandidat. Dass jemand mit einem deutschnationalen Hintergrund, der immer wieder offen die Möglichkeit ins Spiel bringt das Parlament zu entlassen, behandelt wird, wie jeder andere auch, ist ein kleiner Skandal. Der große ist, dass es offenbar als polarisierende aber legitime Position verstanden wird, wenn ein Kandidat der in der Nachfolge der NSDAP stehenden FPÖ unterschwellig mit einem Putsch liebäugelt: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“

Vielleicht ist alles halb so schlimm und Hofer wäre ein Präsident, der seinen Vorgängern an Bedeutungslosigkeit um nichts nachsteht. Doch wenn das Schlimmste wirklich eintreten sollte und Hofer nach einer beim erstbesten Anlass provozierten Neuwahl einen blauen Kanzler angelobt, kann jedenfalls niemand sagen, man habe nichts gewusst oder damit nicht rechnen können.

Bei diesen Aussichten erscheint das infantile Getue, zu dem die Kandidat*innen bei Hanno Setteles Wahlfahrt angehalten wurden, als ein Stück gute alte Zeit, in der der Präsident vor allem ein zur Satire tauglicher Kauz war. Vielleicht leistet aber gerade diese Art der Berichterstattung jener Harmlosigkeit Vorschub, mit der sich Hofer präsentieren will. Fragt sich, ob die FPÖ gewählt wird, weil sie sich als zahm und ungefährlich gibt oder weil sie zugleich andeutet: Wartet's nur ab. Gegen letzteres wäre kein Kraut gewachsen. Falls ersteres zutrifft, wäre die FPÖ zu demaskieren. Allerdings scheint der ORF wenig bemüht, das zu versuchen.

Simon Sailer studierte Philosophie an der Universität Wien sowie Art & Science an der Universität für angewandte Kunst.

AutorInnen: Simon Sailer