Die Keimzelle des Bürgertums
Familienpolitik: Alles soll beim Alten bleiben. Feminismus kämpft dagegen an.
Familienpolitik: Alles soll beim Alten bleiben. Feminismus kämpft dagegen an.
Als 1789 Überschwemmungen, Dürre und Unwetter den Brotpreis in die Höhe schnalzen ließen, kam es in ganz Frankreich am Land zu Bauernaufständen, in den Städten zu Plünderungen und Unruhen. Die französische Revolution steckte in ihren Kinderschuhen – und auch die Frauen witterten ihre Chance, als Revolutionärinnen der Recht- und Erwerbslosigkeit sowie der doppelten Unterdrückung durch Obrigkeit und Ehemann zu entkommen. Viele kämpften an vorderster Front gegen das Ancien Regime, gründeten Frauenklubs und hielten Frauenversammlungen ab.
Doch dann kam die große Ernüchterung: Die Menschenrechte wurden verfasst – schrieben jedoch als „droits de l’homme“ eben nur die „Rechte des Mannes“ fest. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – aber nur für Männer. Frauenklubs wurden wieder aufgelöst, Frauenversammlungen verboten und bereits im Code civil festgeschriebene Erleichterungen wurden gestrichen. Zwar verfasste 1791 Marie Olympe de Gouges Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin und sandte sie an die Nationalversammlung. Für 200 Jahre verschwand die Schrift dort aber in der Versenkung – erst in den 1970ern wurde sie wieder hervorgekramt. De Gouges selbst musste dennoch mit dem Leben zahlen: Wegen angeblicher royalistischer Verschwörung wurde sie am 3. November 1793 hingerichtet.
Privates ist politisch. De Gouges’ Schrift war eine Art feministische Initialzündung für die „erste Welle“ der Frauenbewegung, die sich für gleiche bürgerliche Rechte für Frauen einsetzte. Denn wogegen sie kämpfte, war jener Platz, der in der bürgerlichen Kleinfamilie weiterhin für Frauen vorgesehen war: fernab von politischer Auseinandersetzung im öffentlichen Leben, zurückgedrängt in die als „unpolitisch“ deklarierte Privatheit der Familie, über welche öffentliche Debatten unerwünscht waren. Dass das Private aber politisch ist, fiel nicht erst den Feministinnen der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1970ern auf – schon in ebenjenen Geburtsstunden der bürgerlichen kapitalistischen Kleinfamilie verfasste die radikale Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft 1792 die Schrift A vindication of the rights of women. Die Ehe beschrieb sie darin als legale Prostitution – zentrale Voraussetzung für die Emanzipation von Frauen sah sie im gleichen Zugang zu Bildung.
Ehe und Familie sind in der bürgerlichen Gesellschaft die private Blaupause zur öffentlichen Sphäre der Politik und Lohnarbeit – sie stellen die materielle Basis für das darauf aufbauende moderne Geschlechterverhältnis dar. Wer daher „Familienpolitik“ betreibt, muss sich bewusst sein, gleichzeitig immer auch Geschlechterpolitik einzuzementieren. Heute wird zwar gerne beschworen, dass die Zeiten des Heimchens am Herd und des Familienernährers längst vorbei seien. Aber aktuelle Studien zeigen: In den letzten Jahrzehnten lassen sich kaum Veränderungen bei der klassischen Zuständigkeit der Frauen beobachten. Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast bei unbezahlten Fürsorge- und Reproduktionstätigkeiten – im Jahr 2002 arbeiteten sie in Österreich durchschnittlich 45 Stunden in der Woche, Männer hingegen „nur“ 35 Stunden.
96 Milliarden Stunden Hausarbeit. Beinahe zwei Drittel der von Frauen getätigten Arbeit wird für Hausarbeit und Kinderbetreuung – also „Familienarbeit“ – aufgewendet, wie Barbara Haas, Autorin der 2009 veröffentlichten Studie „Geschlechtergerechte Arbeitsteilung – theoretisch ja, praktisch nein!“, ausführt. Bei höherem Bildungsgrad gleicht sich die Zeitverteilung zwar an, „aber selbst unter AkademikerInnen besteht eine starke Differenz bei der Zeitverwendung“, so Haas.
Was es bedeutet, wenn Frauen nach wie vor den mit Abstand größten Teil der familiären Arbeit erledigen? Wie die Arbeits- und Sozialwissenschafterin Gabriele Winker aufzeigt, umfassten diese Reproduktionsarbeiten – also familiäre Arbeiten wie Kinderaufzucht, Liebe, Hausarbeit, Hege, Pflege – auch im Jahr 2001in Deutschland insgesamt 96 Milliarden Stunden Arbeit, während die Erwerbsarbeit „nur“ 56 Milliarden Stunden Arbeit betrug. Die Zahlen beruhen dabei auf Erhebungen des Statistischen Bundesamts Deutschlands von 2003.
Spätestens an dieser Stelle wird klar: Familienpolitik und feministische Politik verhalten sich zueinander komplementär. So ist es nicht verwunderlich, dass Familien- und feministische Politik auch die österreichische Innenpolitik in eine schwarz-blaue und eine rot-grüne Hälfte dividiert. Umkämpft wird die gleiche Medaille, von zwei unterschiedlichen Seiten. Das zeigt sich auch daran, dass bis Mitte der 1970er- Jahre das noch aus Monarchiezeiten stammende Ehe- und Familienrecht in Österreich galt: Das Konzept der „Versorgungsehe“ eines erwerbstätigen männlichen Familienerhalters und einer unentgeltlich den Familienhaushalt führenden „Hausfrau“ war hier gesetzlich festgeschrieben. Erst unter sozialdemokratischer Mehrheit konnte dieser Zement in den 1970ern aufgebrochen werden. Verpflichtende Wohnsitzfolge, alleiniges Entscheidungsrecht durch den Mann in Erziehungsfragen, einseitige Pflicht zur Haushaltsführung sowie die Pflicht der Ehefrau zur Mitarbeit im Betrieb des Mannes konnten abgeschafft werden.
Schwarz-Blaue Hochzeit. Auch wenig verwunderlich: Der nächste Bruch in puncto Familienpolitik erfolgte dann unter der schwarzblauen „Wendekoalition“. Schwarz-Blau führte das gemeinsame Sorgerecht ein und wirkte auch auf symbolischer Ebene mit einem staatlich finanzierten „Hochzeitsbuch“ mit allerhand Tipps für die Schönheit der Braut und die Konversation beim gemeinsamen ehelichen Frühstück. Gleichzeitig wurde in der FPÖ-geführten Männerabteilung gegen die „Gleichmacherei der Geschlechterrollen“ polemisiert.
Familienpolitik ist Geschlechterpolitik. Sie verweist Männer und Frauen auf ihre Plätze, definiert, wie eine Kernfamilie auszusehen hat und delegitimiert damit andere Formen des Zusammenlebens. Insofern wird sie noch lange politischer Zankapfel bleiben.