Die Feministin auf der Matte
progress besuchte das Training der Vienna Samurais und traf Judoka Hilde Drexler bei ihrer Vorbereitung auf Olympia.
progress besuchte das Training der Vienna Samurais und traf Judoka Hilde Drexler bei ihrer Vorbereitung auf Olympia.
Als wir an einem Dienstag kurz vor 19 Uhr zu den café+co Vienna Samurais kommen, hatten wir uns damit abgefunden, sie nicht zu treffen. Hilde Drexler, 29, eine von zwei österreichischen Olympiastarterinnen im Judo, trainiert zur Zeit in Linz. Dennoch wimmelt es beim Wettkampftraining ihres Vereins in Wien Leopoldstadt nur so von weiblichen Judotalenten, Valentina Schauer zum Beispiel, die vor kurzem Staatsmeisterin in der leichtesten Gewichtsklasse wurde.
Überaschenderweise taucht Hilde Drexler dann aber doch auf. „Das macht sie manchmal“, sagt eine grinsende junge Frau neben ihr und umarmt sie. Auf dem Weg in die Garderobe wird Hilde Drexler mindestens zwanzig weitere Male geherzt. Nach weiteren zehn Minuten hat auch sie es geschafft, sich ihren Kimono anzuziehen. Dann kann es endlich losgehen: Die Meister verneigen sich, die SchülerInnen verneigen sich. Das Training beginnt.
Gemeinsam sind wir stärker. Aus dem Japanischen kommend, bedeutet Judo wörtlich „der sanfte Weg“, zusammengesetzt aus dem Wort ju, das als „sanft“, „edel“ oder „vornehm“ übersetzt werden kann, und do, das „Weg bedeutet“. Die junge Frau, die Hilde Drexler zuvor als erste begrüßt hat, weiß das alles. Sie heißt Corina Korner und ist die Tochter von Leopold Korner, dem Vereinsobmann. Im Dōjō, der Trainingshalle, in der japanische Kampfkunst gelehrt wird, ist sie aufgewachsen. Heute ist die 25-Jährige selbst Trainerin und als eine von sechs Frauen unter 70 Männern Kampfrichterin in der Bundesliga.
„Da gibt’s schon einige Machos“, sagt Korner, die sich den Respekt unter den Kollegen mit guten Leistungen erarbeiten musste. Während die Trainingsgruppe mit Judorollen aufwärmt, erzählt sie die Geschichte eines älteren Sportfunktionärs, der sie laut auslachte, als sie „ganz vorsichtig“ die Idee einer Damen-Bundesliga zur Sprache brachte, die es bis dato nicht gibt. Ein ungerechter Zustand, der angesichts der internationalen Erfolge der österreichischen Judodamen verwundert und sich auch aus der Geschichte nicht auf den ersten Blick erschließt. In Wien sind die Vienna Samurais der einzige Klub mit einer Damenkampfmannschaft. Der Verein hat eine lange Tradition im Damenjudosport: 1958 erlangte Edith Feslinger als erste Österreicherin den Schwarzen Gürtel.
1963 schlossen sich die Wiener Damen zusammen und gründeten in der Pazmanitengasse 17 den ersten österreichischen Damen-Judoclub. 1984 und 1988 gewann der Wiener Peter Seisenbacher zweimal bei den Olympischen Spielen und löste einen Judoboom aus. In dieser Zeit schossen Vereine und Leistungsteams wie Pilze aus dem Boden, die meisten davon allerdings Männerteams, weil sich zu Beginn nicht viele Mädchen für den Sport interessierten. Auch bei den Vienna Samurais entstand in dieser Zeit eine Herrenmannschaft, die den Frauen Konkurrenz machte und diese mit ihren Erfolgen überholte. So formten sich die Strukturen, die Mädchen den Einstieg in den Sport erschwerten. In den 1990er-Jahren, erinnert sich Corina Korner, sei sie oft das einzige Mädchen im Training im Verein gewesen. Dass aus einer zunächst nicht existierenden Gruppe binnen zehn Jahren denoch eine große wurde, habe mit dem Engagement ihres Vaters zu tun und mit glücklichen Zufällen: Hilde Drexler war so ein glücklicher Zufall. Sie kam als Achtjährige zu den Vienna Samurais, weil ihre Mutter wollte, dass sie ihre überschüssigen Energien loswird. Als noch ein paar weitere weibliche Talente entdeckt wurden und sich erste Erfolge bei Turnieren einstellten, wechselten aus anderen Vereinen weitere starke Kämpferinnen zu den Vienna Samurais.
Daraus ist mit der Zeit eine eingespielte Truppe aus Freundinnen entstanden, die zusammenhält und sich gegenseitig stärkt. Das wichtigste Turnier der österreichischen Judodamen sind die nationalen Vereinsmeisterschaften. 2011 und 2012 haben die Vienna Samurais den Bewerb gewonnen und sich gegen die harte Konkurrenz aus Oberösterreich durchgesetzt. Oberösterreich ist daseinzige Bundesland mit einer eigenen Landesliga und Heimat von Sabrina Filzmoser, der zweiten Olympiastarterin und österreichischen „Judo-Übermutter“.
Tiefschläge und Auferstehungen. Das Highlight jedes Trainings sind die Übungskämpfe, die randori genannt werden. JedeR kämpft mehrere Runden, Mädchen oder Burschen aus derselben Gewichtsklasse treten gegeneinander an, manche haben fixe TrainingspartnerInnen. Valentina Schauers fixe Trainingspartnerin ist Jacqueline Raab. Im März dieses Jahres wurden sie beide Staatsmeisterinnen. Vor einigen Wochen verletzte sich Letztere allerdings im Training schwer: Jaqueline Raab fiel unglücklich, ein anderer Kämpfer trat ihr aus Versehen in den Nacken. Diagnose Querschnittlähmung. In einer Notoperation legten die Ärzte ihr Rückenmark wieder frei und erhöhten so die minimalen Chancen auf eine Genesung. Nach zwei Wochen auf der Intensivstation kann sie wieder erste Gehversuche machen. Valentina Schauer hat sie vor dem Training im Spital besucht. Sie macht sich noch immer Vorwürfe, weil sie genau an jenem Tag im Training fehlte, an dem der Unfall passierte. Ob sie ihre Trainingspartnerin wieder zurückgewinnen wird, ist für sie zweitrangig. Im Moment wünscht sie sich nur, dass ihre beste Freundin wieder ein normales Leben führen kann.
Als das Training zu Ende ist, sitzt Hilde Drexler schweißgebadet und an die Wand des Turnsaals gelehnt am Boden. Sie ist zufrieden, das Training sei wieder mal super gewesen, die Form stimme. Bis Olympia müsse sie nur in den Wettkämpfen noch lockerer werden. Jetzt sei sie im Wettkampf so verkrampft, dass sie die Leistungen aus dem Training bei Turnieren nicht abrufen könne. Um an ihrer mentalen Schwäche zu arbeiten, wird sie noch in einigen Weltcups antreten und mit ausländischen Damennationalmannschaften trainieren.
Reale Medaillenchancen habe sie keine, gibt sie sich uerst bescheiden. Aber im Judo wisse man ja nie. Diese Unvorhersehbarkeit liebe sie an ihrem Sport, genauso wie die unendliche Vielfalt an Kampf- und Wurftechniken. Sätze, die aus ihrem Mund selbstverständlich klingen, obwohl sie selbst durch Höhen und Tiefen gegangen ist. Vor sechs Jahren stand Drexler kurz vor dem Karriereende. Damals hatte sie gerade vier Jahre Pause hinter sich, zwei bedingt durch ein Burn-out, zwei weitere bedingt durch eine Knieverletzung. Die völlige Erschöpfung kam mit 18, als sie den Junioreneuropameistertitel in der Tasche hatte und auf dem besten Weg zu einer internationalen Profikarriere war. Sehr ehrgeizig sei sie gewesen, sensibel auch. Es gab Probleme mit den Trainern, die ebenso ehrgeizig waren und sehr oft laut wurden. Trotzdem wollte sie neben dem harten Training noch Germanistik studieren. Und irgendwann wollte sie nie wieder Judo machen und nie wieder Leistungssportlerin sein. Drexler verschenkte alle ihre Kimonos, danach ging sie zwei Jahre nicht einmal laufen.
In der Philosophie des Judo gibt es eine Weisheit, die besagt, dass ein Judoka durch seine innere Haltung niemals aufhört, Judo zu praktizieren, auch wenn er nicht im Dōjō ist. 2006 fühlte Drexler,dass für sie der Zeitpunkt gekommen war, in den Dōjō zurückzukehren. Damals begriff sie auch, dass sie als eine von wenigen in der privilegierten Position war, eine Sportart, die sie liebte, professionell ausüben zu können. Ihre Olympiaqualifikation durch einen siebnten Platz und einen dritten Platz bei Weltmeisterschaften freut sie deshalb besonders. „Jeder Erfolg zählt jetzt doppelt“, sagt Drexler und lächelt entspannt.
Feministische manifeste. An frauenfeindliche und abschätzige Bemerkungen hat sich Hilde Drexler im Laufe ihrer Karriere gewöhnt: „Sexismus im Sport ist nach wie vor allgegenwärtig. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt.“ Früher sei sie schon ausgerastet, wenn sich Sportskollegen am Frühstückstisch über fußballspielende Frauen lustig gemacht haben. Heute sieht sie die Dinge gelassener, meint, sie sei abgestumpft: „Es kostet einfach zu viel Energie. Wenn du immer zurückredest, machen sie dich doch noch mehr fertig.“ Von typischen Klischees, die Burschen kampfsporttreibenden Mädchen unter die Nase reiben, kann Drexler ein Lied singen: Lesbisch, aggressiv und dominant seien lange Zeit die drei wichtigsten Eigenschaften gewesen,die Männer glaubten, bei ihr erkannt zu haben.
Um sich nicht mehr rechtfertigen zu müssen, hat sie irgendwann einfach nicht mehr erzählt, dass sie Sportlerin ist. „Dann haben sie mich halt gegoogelt und es wurde wieder nichts“, erzählt sie und kann heute darüber lachen. Mit Mädchen, sagt sie, habe sie nie Probleme gehabt: „Nicht einmal die geschminktesten Tussis haben mich je beleidigt. Im Gegenteil, eigentlich bewundern die mich immer.“ Darüber freut sich Drexler und wird dennoch zur Pessimistin, wenn sie an die Zukunft des österreichischen Damenjudosports denkt. Es brauche viel mehr tolerante, intelligente Männer im Judozirkus, die bereit sind, in der Frauenförderung mitzuarbeiten. Sonst werde es „normal“ bleiben, dass die Zuschauerränge bei Meisterschaften schon vor dem letzten Kampf leer sind, wenn der ein Frauenkampf ist. „Wo sind diese toleranten, intelligenten Männer?“, fragt sie sich und philosophiert über feministische Manifeste, die sie später schreiben will, wenn sie ihre Karriere beendet hat und „ganz sicher“ Germanistik studiert.