Die Enthauptung der Wissenschaft
Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Gabriel Binder hat über die am 17.12.2013 von der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) organisierte Demonstration eine Reportage geschrieben.
Das hätte sich die „neue“ rot-schwarze Bundesregierung wohl einfacher vorgestellt. Die Eingliederung des Wissenschafts- und Forschungsministerium ins Wirtschaftsministerium lässt die Wogen in Österreich hochgehen: Kritiker_innen befürchten die Unterwerfung der Wissenschaft unter wirtschaftliche Interessen. Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) hat daher am 17.12.2013 zu einer Kundgebung unter dem Titel „Demonstration gegen die neue-alte Regierung“ aufgerufen.
Es ist Nachmittag, Viertel nach vier. Nicht nur der Himmel beginnt sich langsam zu verdunkeln, auch die Fahnen vor der Universität Wien scheinen an Farbe verloren zu haben. Denn inmitten der Universitätsfahnen säuselt im leichten Wind eine schwarze Flagge. Eine solche soll „als Zeichen des Protests gegen den Verlust des eigenständigen Wissenschaftsministeriums“ vor allen Universitäten dieses Landes angebracht werden, so beschloss es die Universitätenkonferenz in Graz einstimmig.
Nur wenige Meter neben den Fahnen vor dem Universitätsgebäude steht Viktoria Spielfrau, Generalsekretärin der ÖH, die für die Presse neben einem Banner („Space Invaders against Bildungsökonomisierung“) Spalier steht. Ich komme mit ihr ins Gespräch und stelle fest, dass diese Frau weiß, wovon sie spricht, wenn sie auf die Gefahr hinweist, die eine Eingliederung des Wissenschaftsressort in das Wirtschaftsministerium mit sich bringt. Über die Gefahr, einen Trend zu bestärken, der in die Richtung geht, dass besonders die Sozial- und Geisteswissenschaften, die keinen „ökonomischen Mehrwert“ erzeugen, gestrichen werden. Sie erwarte eine gut besuchte Demonstration, denn sogar aus anderen Bundesländern hat sich Unterstützung angekündigt.
Die Menschen strömen aus allen Richtungen vor die Universität und den Eingang zum Audimax, doch es bleibt noch ein wenig Zeit, sich mit einem Demonstrationsteilnehmer zu unterhalten, dem die mögliche Ökonomisierung der Wissenschaft ein Dorn im Auge ist. Jakob ist 23 Jahre alt und studiert Politikwissenschaften und Internationale Entwicklung. Er betrachtet die Lage nüchtern und erklärt die Problematik aus seiner Sicht: „Natürlich werden Studienabsolvent_innen irgendwann in der Wirtschaft arbeiten, oder für die Forschung, oder für die Politik. Aber auf der Forschungsebene hat Wirtschaft mit der Wissenschaft gar nichts zu tun. Mal abgesehen davon, dass es problematisch wird, wenn man alles der Wirtschaft unterordnet.“ Ich hake nach und will von ihm wissen, ob er denn nun auch gegen die „neue-alte Regierung“ demonstriere, wurde doch die Kundgebung von der ÖH unter dieses Motto gestellt. „Ich weiß noch nicht genau was im Regierungsprogramm steht. Ich hab von Expert_innen viel Negatives gehört, aber ich will mich davon selbst überzeugen. Heute ist das Wissenschaftsministerium vorrangig.“ Eine klare Ansage. Es scheint wohl mehr im Argen zu liegen, dem es auf die Spur zu gehen gilt.
Ich bedanke mich bei ihm und bemerke, dass sich die Teilnehmer_innenzahl in kurzer Zeit verdoppelt hat. Man muss sich nun schon durch die Menschenmenge zwängen und geduldig sein, will man vorankommen. Ein wenig schwerer hat man es, wenn man sein eigenes Fahrrad mit auf die Demonstration genommen hat. „Man soll auf Demonstrationen kein Fahrrad mitnehmen“, stellt eine junge Dame resignierend seufzend und im Menschenpulk steckend fest. Ein anderer Herr wirkt schon ein wenig ungeduldiger und kämpft sich beißend durch „diese Demonstranten“ und bekrittelt verärgert das „Herumstehen“ der Demonstrant_innen. Wären die beiden zehn Minuten später gekommen, hätte sich ihnen wohl weniger Widerstand in den Weg gestellt.
Wissen schafft keine Ministerien ab
In der Zwischenzeit, aufgewärmt durch Iggy Pops „The Passenger“ aus dem Lautsprecherwagen, hat sich die Demonstration langsam in Bewegung gesetzt und biegt in die Schottengasse ein. Das Ziel: das Wissenschaft- und Forschungsministerium am Minoritenplatz. Wie am Tag zuvor sollen Totenkerzen angezündet und vor den Toren des ehemals eigenständigen Ministeriums abgelegt werden (siehe: Wer hat uns verraten?). Viele Plakate mit Slogans werden mit auf den Weg geschickt, auch ein großes Banner mit der Aufschrift „Wissen schafft keine Ministerien ab“ soll sein Ziel erreichen.
Wie eine Walze rollt die Demonstration lautstark durch die Häuserschluchten der Schottengasse und Herrengasse in Richtung Michaelerplatz. Die Wände werfen den Lärm gebündelt in die kalte Nacht und garantieren, dass bestimmt jede_r Bewohner_in in den zu der Kundgebung angrenzenden Wohnungen dem Anliegen der Protestierenden Aufmerksamkeit schenken muss. Und sollte man trotzdem auf taube Ohren stoßen, schafft ein Megafon Abhilfe: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut.“ Vor dem Café Central wird die Demonstration mit Staunen aufgenommen, ab und an wird ein Handyfoto geschossen, überall hört man Pfeifen und Parolen, trifft aber manchmal in verschriftlichter Form auch auf diskussionswürdige Vorschläge. So wird angeraten, doch Albus Dumbledore, den charismatischen und gebildeten Zauberer aus Harry Potter, zum neuen Wissenschaftsminister zu krönen. Ob im Gegenzug Reinhold Mitterlehner das Zaubern lernen muss, bleibt jedoch offen.
Wo sind die Securities?
Doch es bedarf keiner Magie, um auf „besondere“ Momente einer Kundgebung zu stoßen. Ein offenes Auge und der bereits wartende Demonstrationszug von der Technischen Universität Wien (TU) genügen vollkommen, um beiden Kundgebungszügen ein Pfeifkonzert zu entlocken. Wenige Minuten später ist der Michaelerplatz gesteckt voll und aus dem Café Griensteidl, das anno dazumal literarischen Größen wie Karl Kraus und Arthur Schnitzler ein gern besuchter Ort war, ist ein Entkommen beinahe unmöglich geworden. Bis auf die Stiegen haben sich die Demonstrant_innen zurückgezogen, immer noch hält der Zustrom an Menschen an und zwingt viele, auf unliebsames Gelände auszuweichen. Ich versuche mich auf die andere Seite des Michaelerplatzes zu schlagen, um mir einen besseren Überblick verschaffen zu können, werde aber neugierig, als ich bemerke, wie ein älterer, englischsprechender Herr sich bei einer Kundgebungsteilnehmerin nach dem Grund der Demonstration schlaumacht. Bereitwillig gibt die Frau dem höflichen Herrn Auskunft, bis dieser nachfragt, wo denn die Securities seien. „Es gibt keinen Grund für Securities, weil es auch keine Gewalt gibt“, antwortet sie ihm. Und tatsächlich zeichnet sich die Demonstration als friedlich aus, die Polizei hatte noch keinen Grund gefunden einzugreifen.
Frittenbudes Totenkerzen
Wir warten lange und kurz vor dem Aufbruch zum Minoritenplatz hört man Jubel und ein Trillerpfeifkonzert aufbranden. Ich kann nur vermuten, dass nun auch der Demonstrationszug der Universität für Bodenkultur (BOKU) aus dem 18. Bezirk angekommen ist. Wissen kann ich es in diesem Moment nicht, zu viele Menschen verhindern nun, einen guten Überblick über die Massen behalten zu können. Laut späteren Schätzungen sollen sich bis zu 7.000 Menschen an den Protesten in Wien beteiligt haben – österreichweit (Salzburg, Graz, Innsbruck, Klagenfurt) in Summe sogar bis zu 10.000.
Nach etwa 20 Minuten zieht die Demonstration weiter: der Weg vom Michaelerplatz zur Abschlusskundgebung in Richtung Minoritenplatz wird gemächlich angegangen, die Schauflergasse erweist sich als geduldig und lässt nur einen begrenzten Zustrom an Menschen gewähren. Ein paar wenige Reihen vor mir ragt auf einen Pappkarton gemalt ein weiß-blaues Zeichen eines bekannten Automobilherstellers aus München auf, ergänzt mit dem Kürzel des Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Das neue Ministerium unter den Fittichen eines Sponsors, in der neu gebauten Wirtschaftsuniversität beim Prater kein Zukunftsgeplänkel mehr: dort tragen bereits Hörsäle die Namen von finanzkräftigen Marken.
Die Abschlussreden am Minoritenplatz vor dem (ehemaligen?) Ministerium für Wissenschaft und Forschung ist nicht für alle Menschen zu hören, denn zu groß und weit gestreut ist die Demonstration bereits. Der natürliche Lärmpegel wird mit Rufen, Pfeifen und Trommeln angereichert. Es gelingt mir trotzdem, ein paar Worte von Janine Wulz, der ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der ÖH, aufzuschnappen, die sich vor einem Transportkraftwagen positioniert hat. Wulz sieht in den Politiker_innen einen Mitgrund am Demokratieabbau in Österreich. Alle weiteren Worte frisst das lautstark knatternde Aggregat neben ihr.
Ich schiebe mich langsam aus dem Nahbereich der Demonstration und mache eine Runde um die Minoritenkirche, vorbei am Bundesministerium für Inneres und zurück vor das Wissenschaftsministerium. Ein paar wenige Totenkerzen leuchten in ihren roten Behältnissen zu den Klängen von Frittenbude, während viele Menschen den Platz bereits wieder verlassen. Vereinzelt ragen noch schwarze Fahnen aus der Demonstration in die Höhe. Die Regierung wird weiterhin gezwungen sein, den Sozialstaat zu beschneiden und sich somit am Abbau des Sozialstaates und der Ökonomisierung der Gesellschaft beteiligen. Vielleicht wird die schwarze Fahne in Zukunft zum Protestsymbol einer neuen Bewegung, die sich endgültig aus der Umklammerung jener wird lösen wollen, die längst kein Gehör mehr für die Ängste und Sorgen der Menschen haben.
Gabriel Binder (geb. 1987) lebt in Wien und ist Angestellter und freier Schriftsteller und mitunter bei der Aktionsgruppe Screaming Birds tätig.